Hundert Jahre Friedrichstadtpalast
Berliner Revuetheater blickt auf eine bewegte Geschichte zurück und sah manche Höhen und Tiefen





Nach dem Zweiten Weltkrieg erarbeitete sich der Friedrichstadtpalast auf einem früheren Zirkusgelände neben dem Berliner Ensemble und ab 1984 an einem neuen Standort an der Friedrichstraße (dieses Foto) einen national und international guten Ruf.



Hans Poelzig hatte den Innenraum des ehemaligen Zirkus Schumann mit tausenden Gipszapfen versehen lassen, um die Akustik zu verbessern. Sein Theaterbau wurde von den Nazis als Tropfsteinhöhle verunglimpft und von ihnen brutal in ein "Theater des Volkes" umgestaltet.



Das im 18. Jahrhundert als vornehmes Stadtpalais erbaute und nach dem Physiker Gustav Magnus benannte Magnushaus am Kupfergraben schräg gegenüber dem Pergamonmuseum war von 1911 bis 1921 Wohnhaus des berühmten Theatermannes Max Reinhardt.



Das Deutsche Theater und die Kammerspiele (links) an der Schumannstraße sind stolz, Max Reinhardt und viele andere Theaterleute zu den Ihren zu zählen.



Zwei bekannte Chansonetten und Unterhaltungskünstlerinnen, Claire Waldoff und Helga Hahnemann, werden vor und im Friedrichstadtpalast durch diese Büsten geehrt.



Das Denkmal "Lichtstrahl" auf der linken Seite des Friedrichstadtpalasts und eine Stele dahinter erinnern an Reinhardt, Charell, Poelzig und weiter Berliner Künstler des 20. Jahrhunderts.



Während der Feierlichkeiten zum einhundertjährigen Jubiläum des Friedrichstadtpalastes wurden in der Nähe des Denkzeichens aus dem Schrott gerettete und restaurierte Stützpfeiler vom Großen Schauspielhaus neu aufgestellt. Die Eisenteile hatten in West-Berlin turbulente Zeiten überstanden.



Die wie ein Denkmal gegenüber dem Lichtenberg Museum unweit des S-Bahnhofs Nöldnerplatz auf ein Podest gestellten Säulen trugen einstmals die Stadthausbrücke im Ortsteil Rummelsburg. Dass man sie nicht verschrottet hat wie viele Relikte aus der Berliner Bau- und Verkehrsgeschichte, muss unbedingt gelobt werden. (Fotos/Repro: Caspar)

Der Berliner Friedrichstadt-Palast wird in diesen Tagen hundert Jahre alt. Die Geschichte des weltberühmten Revuetheaters begann im November 1919 in einem nach Plänen von Hans Poelzig errichteten Zirkus- und Theaterbau, der Großes Schauspielhaus hieß und von den Nazis in das von der Organisation Kraft durch Freude betriebene "Theater des Volkes" umgewandelt wurde. 1938 entfernte die Deutsche Arbeitsfront die von Poelzig geschaffene Stalaktitenwand und baute eine Führerloge ein. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Große Schauspielhaus zunächst als Friedrichstadtpalast unter der Leitung von Marion Spadoni weiter betrieben. Der Name bezieht sich auf die vom ersten preußischen König Friedrich I. im frühen 18. Jahrhundert angelegte Friedrichstadt um heutigen Bezirk Mitte. 1949 wurden die Eigentümer enteignet, und das im Zweiten Weltkrieg stark beschädigte und danach wieder aufgebaute und modernisierte Theater kam unter staatliche Leitung und Kontrolle.

Das hier agierende Ensemble erwarb national und international große Meriten und entwickelte sich zu einem der führenden Häuser dieser Art in Europa. Nach dem Abriss des baufällig gewordenen Großen Schauspielhauses wenige Schritte vom Berliner Ensemble entfernt wurde von 1981 bis 1984 an der Friedrichstraße nach Plänen von Manfred Prasser und seinem Team ein mit allen technischen Raffinessen ausgestatteter Neubau eröffnet. Teile der eindrucksvollen Lampen im Foyer bestehen aus Röhren für Rindermelkanlagen, die von DDR-Designern für diesen Zweck umfunktioniert wurden. Die irgendwie orientalisch wirkende Architektur des Neubaus geht auf Entwürfe zurück, die für einen Kulturpalast in Damaskus entworfen worden waren. Ein ähnlich dekorierter sowjetischer Kulturpalast in einem anderen Teil der Friedrichstraße überstand, zur Hälfte schon fertig gebaut und als "grusinische Teestube" verspottet, das Ende der DDR nicht.

Beifall für "Die Gedanken sind frei"

Als der neue Friedrichstadtpalast am 27. April 1984 mit viel Brimborium eröffnet wurde, gab es einen Eklat. Der bekannte Entertainer O. F. Weidling, der für seine vorsichtige Kritik an den wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen in der DDR von seinem Publikum geliebt wurde, erregte das Missfallen der ganz und gar humorlosen SED- und Staatsführung und insbesondere des allmächtigen Wirtschaftsbosses Günter Mittag, als er "durch die Blume" einige Pfeile in dieser Richtung abschoss. In der Pause wurde der Künstler zu Honecker & Co. zitiert und "zur Schnecke" gemacht. In der Wiederholung der Fernsehaufzeichnung wurden nicht nur die kritischen Äußerungen, sondern fast alle Szenen, in denen Weidling auftrat, herausgeschnitten. Der ehemals gefeierte O. F. Weidling war nun eine Unperson. Aus dem Fernsehen der DDR verbannt und faktisch mit einem Berufsverbot belegt, starb er kurze Zeit später am 6. Januar 1985 an den Folgen mehrerer schwerer Erkrankungen und wurde unter großer öffentlicher Anteilnahme auf dem Heidefriedhof in Dresden beigesetzt.

Die Folge der in den Augen der DDR-Nomenklatura geschmissenen Eröffnung des Friedrichstadtpalastes war, dass Fernsehaufzeichnungen dieser Art nie mehr live, sondern immer mit einiger Verzögerung gesendet wurden, um ähnliche "Patzer" zu vermeiden. Der Verfasser dieses Beitrags erinnert sich an einen Besuch des Revuetheaters im Jahr 1987, wo es stürmischen Beifall gab für den Auftritt der italienischen Sängerin Milva für das Lied "Die Gedanken sind frei, / wer kann sie erraten / sie fliehen vorbei / wie nächtliche Schatten. / Kein Mensch kann sie wissen, / kein Jäger erschießen, / es bleibet dabei/ die Gedanken sind frei […] Und sperrt man mich ein / im finsteren Kerker, / das alles sind rein / vergebliche Werke; / denn meine Gedanken / zerreißen die Schranken / und Mauern entzwei:/ die Gedanken sind frei.". Jeder wusste, dass auch die schlimmste Diktatur, die auf raffinierteste Weise ideologisch begründete "Volksgemeinschaft" nicht verhindern kann, dass Menschen das denken, was sie wollen. Zwei Jahre später war dann folgerichtig das SED-Regime, das einen O. F. Weidling und andere kritischen Geister nicht ertrug und "fertig" machte, im Orkus der Geschichte verschwunden.

Ein Jahrhundert Revuetheater

Unter dem Motto "Ein Jahrhundert Palast" feiert das beliebte Revuetheater 2019 seine hundertjährige Bühnengeschichte, die 1919 mit der Eröffnung des Großen Schauspielhauseses durch Max Reinhardt begann. Ein neues Theater ins Leben zu rufen, war für ihn in den damals unruhigen Zeiten des Übergangs von der Monarchie zur Republik und da Bürgerkrieg im Deutschen Reich tobte, ein hohes Risiko. In Berlin gab es Dutzende große und kleine Bühnen, die mit Stücken von klassisch bis seicht und billig um die Gunst und das Geld des Publikums wetteiferten und sich vielfach kaum über Wasser halten konnten. Hinzu kam die wachsende Konkurrenz des Kinos, das Theaterfreunde in die neuen Filmpaläste beziehungsweise billige Baracken lockte.

Schauspieler, Musiker und Bühnenbildner wurden, wenn sie nicht prominent waren, miserabel bezahlt und litten, wie der große Rest der Bevölkerung, unter der galoppierenden Geldentwertung, die 1923 ihren irrsinnigen Höhepunkt ereichte. Auf der anderen Seite war die sprichwörtliche Gier nach Spaß und Unterhaltung, Tanz und neuer Musik nach dem Trauma des verlorenen Kriegs riesig. In diese Zeit fiel die Gründung des Revuetheaters, das heute als Friedrichstadtpalast viele begeisterte Zuschauer anlockt. Sein Schöpfer hieß eigentlich Maximilian Goldmann, doch weil dem großen Regisseur und Theaterdirektor dieser Name nicht gefiel, nannte er sich Max Reinhardt. Der Sohn eines jüdischen Kaufmanns aus Baden bei Wien hatte die Schauspielerei von der Pike auf gelernt und trat bereits als Siebzehnjähriger auf. Erst an kleinen Privatbühnen in seiner österreichischen Heimat tingelnd, kam der Begründer des modernen Regietheaters 1894 auf Bitten des berühmten Otto Brahm nach Berlin, wo er schnell als Schauspieler reüssierte. Daneben betätigte sich der einfallsreiche Mime als Gründer von kleinen und großen Bühnen. Darunter waren das Kabarett Schall und Rauch und das Kleine Theater Unter den Linden. Reinhardt erwarb das Neue Theater am Schiffbauerdamm, das wir heute als Berliner Ensemble kennen, und das Deutsche Theater, das 1849/50 als Friedrich-Wilhelmstädtisches Theater an der Schumannstraße erbaut worden war. Im gleichen Jahr gründete er eine Schauspielschule, aus der bedeutende Theaterleute hervorgingen. 1906 eröffnete er neben dem Deutschen Theater in einem ehemaligen Tanzlokal die heutigen Kammerspiele, und so kam es, dass an der gleichen Straße zwei bedeutende Schauspielstätten angesiedelt sind. Während im Deutschen Theater glanzvolle Klassikeraufführungen zu erleben waren, kamen nebenan Stücke von Zeitgenossen wie Ibsen, Strindberg und Wedekind auf die Bühne.

Reinhardt verwirklichte sich einen Traum

Reinhardts Inszenierungsstil hob sich wohltuend von der üblichen Art Theater zu machen ab, und das trug ihm viel Lob, aber auch manche hämischen Urteile ein. Der allgewaltige und gefürchtete Chef eines Theaterkonzerns, dem auch die Komödie am Kurfürstendamm und die Volksbühne gehörten, war in Berlin eine Institution. Mit dem Großen Schauspielhaus verwirklichte Max Reinhardt 1919 seinen Traum, in Berlin eine große Bühne für ein Massenpublikum zu schaffen. Als die Nazis 1933 dem berühmten Theaterdirektor die "Ehren-Arierschaft" anboten, um sein Talent für ihre Zwecke zu nutzen, lehnte er dieses Ansinnen empört ab und verließ Deutschland. In Österreich, wo er sich schon lange als Mitbegründer der Salzburger Festspiele und Chef des Theaters in der Josephstadt in Wien einen Namen gemacht hatte, war er nur kurze Zeit sicher. Denn als Hitler die Alpenrepublik im März 1938 dem Deutschen Reich "anschloss", floh er wie viele andere um ihr Leben fürchtende Menschen in die USA, wo er eine Theater- und Filmakademie gründete und 1943 starb.

Max Reinhards Kollege Erich Charell übernahm 1924 die künstlerische Leitung des Großen Schauspielhauses und stieg mit spektakulären Inszenierungen zum Berliner "Revuekönig" auf, ging aber auch als Filmregisseur sowie als Entdecker und Förderer namhafter Vertreter des Showgeschäfts der damaligen Zeit in die Geschichte ein. Die faschistische Gefahr und kommende Juden- und Schwulenverfolgungen vorausahnend, verließ er bereits 1932 seine Heimat und ging in die USA, wo er mit einigem Erfolg an alte Triumphe anknüpfen konnte. Nach dem Ende der Naziherrschaft feierte er in München als Theater- und Filmregisseur ein Comeback und starb dort 1974.

In besseren Zeiten wohnte der zu Geld, Ruhm und Einfluss gelangte Max Reinhardt in einem vornehmen Adelspalais aus dem 18. Jahrhundert am Kupfergraben. Dieses Gebäude trägt nicht seinen Namen, sondern den des Physikers Heinrich Gustav Magnus, der hier 1845 das erste physikalische Institut Deutschlands begründete. An beide Bewohner erinnern Gedenktafeln an der Rokokofassade des prächtigen Wohnhauses schräg gegenüber dem Pergamonmuseum. Unbekannt war bisher, dass der sowjetische Geheimdienst in diesem Gebäude nach dem Zweiten Weltkrieg ein geheimes Untersuchungsgefängnis unterhielt. Zahlreiche Häftlinge, denen die Besatzungsmacht wirkliche oder vermeintliche Kriegsverbrechen vorwarf oder die im Verdacht standen, der Nazi-Untergrundorganisation "Werwolf" anzugehören, wurden von hier aus in die Sowjetunion deportiert, aus der viele nicht zurück kamen.

Licht und Schatten des Bühnenlebens

Ein Denkmal neben dem nunmehr einhundert Jahre alten Friedrichstadtpalast an der Friedrichstraße erinnert an die Geschichte des Großen Schauspielhauses, das 1918/19 erbaut wurde. Es ehrt seinen Architekten Hans Poelzig sowie Max Reinhardt und Eric Charell. Der von Cisca Bogman und Oliver Strömer gestaltete Betonkubus neben dem 1984 festlich vom damaligen SED- und Staatschef Erich Honecker eröffneten Friedrichstadtpalast ist vorn offen und so gestaltet, als würde von oben durch die Decke ein Scheinwerfer auf den Boden strahlen. Ein davor in den Straßenbelag eingelassenes Oval deutet einen schwarzen Schatten an. Eine mit Bildern und Texten versehene Stele hinter dem Denkmal klärt über die Beziehungen des alten und des neuen Friedrichstadtpalasts zu Max Reinhardt und Eric Charell auf.

Nach dem Zweiten Weltkrieg avancierte das Große Schauspielhaus unter dem Namen Friedrichstadtpalast zum zentralen Revuetheater der DDR, musste aber 1980 aus statischen Gründen abgerissen werden. Der Nachfolgenbau wurde 1984 an einem neuen Standort an der Friedrichstraße errichtet. Auf neben dem Friedrichstadtpalast erinnert eine Büste an die Chansonette Claire Waldoff, die von Eric Charell an das Große Schauspielhaus geholt wurde und durch ihre frechen Gassenhauer Stürme der Begeisterung auslöste.

22. September 2019

Zurück zur Themenübersicht "Münzen und Medaillen"