Des Soldatenkönigs Faible für die Niederlande
Um das Holländische Viertel in Potsdam bauen zu können, musste ein großes Wasserbecken ausgehoben werden



Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. ließ das Holländerviertel auf trocken gelegtem Sumpfland in der Zweiten Stadterweiterung von Potsdam anlegen.





Die meisten Holländerhäuser sind von schlichter Gestalt. Da und dort sieht man aufwändig dekorierte Fassaden, bei denen weiß gestrichene Stuck- und Schnitzelemente zur roten Farbe der Backsteine kontrastieren, aus denen die Häuser häufig noch mit originalem Innenleben aus der Erbauungszeit bestehen. Das Haus in der Mitte zeigt eine Fachwerkfassade, die auf der linken Seite überputzt wurde, weil man sich in alter Zeit dieser Bauweise schämte. Darunter ein Blick auf die beliebte Traditionsgaststätte "Fliegender Holländer".



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Das Modell zeigt die Struktur des Holländerviertels, das nach der Wiedervereinigung 1990 aufwändig saniert und restauriert wurde und zu den besonderen Attraktionen der brandenburgischen Landeshauptstadt gehört. Bei Ausgrabungen wurde unter anderem dieses Fragment einer Ofenkachel mit seinem Monogramm und dem Stern das Schwarzen Adlerordens gefunden



Die Landkarte zeigt das Bassin mit Abfluss zum Heiligen See, an dessen Ufer Ende des 18. Jh. unter Friedrich Wilhelm II. der Neue Garten mit dem Marmorpalais angelegt wurde.





Nur noch in schwacher Erinnerung ist das von einem Geländer gesicherte Bassin mit der Gloriette in der Mitte, zu sehen auf einer farbigen Grafik aus dem späten 18. Jahrhundert. Der auch Tabakhäuschen genannte Bau musste nach dem Zweiten Weltkrieg einem sowjetischen Soldatenfriedhof weichen.



Zum Abriss verurteilt waren in der Endzeit der DDR zahlreiche heruntergekommene Häuser im Holländerviertel. (Fotos/Repros: Caspar)

Wie durch ein Wunder blieb beim Bombenangriff vom 14. April 1945 das Holländische Viertel im Wesentlichen erhalten, ein aus 134 Backsteinhäusern bestehendes Quartier, das der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. und sein Sohn Friedrich II., der Große, im Rahmen der zweiten Potsdamer Stadterweiterung zwischen 1734 und 1742 errichten ließen. Durch die Mittel- und die Benkertstraße in vier Karrees geteilt, ist das unter Denkmalschutz stehende Wohn- und Gewerbegebiet im "holländischen Stil" die größte Anlage außerhalb der Niederlande. Das Areal des Bassinplatzes war ursprünglich ein sumpfiges Gelände. Das Gelände wurde zwischen 1737 und 1739 trockengelegt, dazu wurde das so genannte Holländische Bassin ausgegraben.

Der berühmt-berüchtigte Hauptmann von Köpenick, mit bürgerlichem Namen Wilhelm Voigt, kaufte am 8. Oktober 1906 in der Mittelstraße 3 beim Altkleiderhändler Berthold Remlinger die abgetragene Uniform eines Hauptmanns des Potsdamer Ersten Garderegiments zu Fuß. Ein paar Schritte weiter ergänzte der für den Großraum Berlin von der preußischen Justiz mit Aufenthaltsverbot belegte ehemalige Zuchthäusler und Hochstapler in der Kreuzstraße 24, der heutigen Benkertstraße, bei der Vernickelungsanstalt Wilhelm Finke einen Satz Sporen. So mit den Insignien eines als unantastbar erklärten preußischen Offiziers ausstaffiert, landete Voigt acht Tage später seinen spektakulären Coup im Rathaus der damals noch selbstständigen Stadt Köpenick vor den Toren Berlins.

Hochstapler gab sich als Hauptmann aus

Mit seiner Dreistigkeit und der hilflosen Reaktion des örtlichen Bürgermeisters Georg Langerhans brachte der falsche Hauptmann Deutschland und die Welt zum Lachen wegen der hier ans Tageslicht gebrachten Uniformgläubigkeit beim preußischen Militär und des unter Kaiser Wilhelm II. und seines gleichen zelebrierten Kadavergehorsams. Zum 100. Jahrestag dieses frechen Streichs wurde dem Hauptmann von Köpenick zu Ehren am Haus Mittelstraße 3 eine Gedenktafel angebracht. Vor dem Rathaus Köpenick grüßt Voigt, in Bronze gegossen, die Passanten. Um die Ecke hält eine Tafel der Königlichen Porzellanmanufaktur Berlin die Erinnerung an ihn wach. Bei Umzügen läuft freundlich grüßend eine Kopie jenes Hochstaplers mit.

Bevor das Holländische oder Holländerviertel gebaut werden konnten, musste der sumpfige Baugrund trockengelegt werden. Zu diesem Zweck hat man ein Bassin ausgeschachtet, in dem sich Wasser sammelte, das in den Heiligen See abgeleitet wurde. Dazu war ein aufwändiges Kanalsystem geregelt, das Heinrich Ludwig Manger in seiner Baugeschichte von Potsdam aus dem Jahr 1789/90 so beschreibt: "Dieser Teich war vermittelst eines offenen Grabens mit dem Heiligen See, und durch einen bedeckten schmalen Kanal mit dem Hauptkanale der Stadt [das war der Potsdamer Stadtkanal, H. C.] verbunden. Da auch zugleich aus der Havel ein Graben bis in den Heiligen See ausgestochen ward, [bekam] das Wasser Zug bis wieder in die Havel." Das Bauland des Holländischen Viertels wurde mit unzähligen Baumstämmen befestigt. Auf diesem Pfahlrost hat man ein aus Rüdersdorfer Kalksteinen bestehendes Fundament gesetzt. Der Stabilisierung diente auch eine meterdicke Erdaufschüttung, und außerdem hat man durch Schöpfwerke den Grundwasserspiegel niedrig gehalten.

Gloriette musste Soldatenfriedhof weichen

In der Mitte dieses Bassins entstand eine Insel, auf der der aus Holland stammende Architekt Jan Boumann einen kleinen Pavillon im holländischen Stil errichtete. Im 19. und 20. Jahrhundert war dieser auch Gloriette genannte Pavillon als Tabakhäuschen bekannt. Der Name bezieht sich auf die Legende, wonach sich hier der Soldatenkönig mit seinen Saufkumpanen zum "Tabakskollegium" getroffen haben soll. Da das Bassin wegen der drohender Verschlammung der Kanäle und im Sommer aufgrund von Niedrigwasser der Havel zu versumpfen drohte, ließ Friedrich der Große, der Sohn und Nachfolger des Soldatenkönigs, das Becken mit Mauerwerk einfassen. In einer weiteren Verschönerungsmaßnahme gab Peter Joseph Lenné dem Bassin eine runde, nach Osten geöffnete Form. Am Rande des alten Wasserbeckens entstanden die Französische Kirche nach Plänen von Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff für die aus Frankreich nach Preußen geflohenen Hugenotten. Der Bau der katholischen Kirche St. Peter und Paul erfolgte 1867 bis 1870 nach Plänen von August Stüler und Wilhelm Salzenburg.

Zwischen 1871 und 1876 wurde das Wasserbassin zugeschüttet. Die im Zweiten Weltkrieg unbeschädigt gebliebene Gloriette wurde im Winter 1945/46 abgerissen, um Platz für einen sowjetischen Soldatenfriedhof mit einem Ehrenmal in Form eines mit Rotarmisten geschmückten Obelisken zu schaffen. Im Jahr 1972 entstand daneben ein großformatiger Busbahnhof, der aber 2001 zurückgebaut wurde. Der Platz dient seit 1996 regelmäßig als Wochenmarkt.

Gastarbeiter erhielten Vergünstigungen

Friedrich Wilhelms I. hatte ein großes Faible für die Niederlande und ihre Kultur. Die Zuneigung hatte mit der hohenzollernschen Familiengeschichte zu tun, denn der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm, sein Großvater, war mit der Prinzessin Luise Henriette von Oranien verheiratet, die nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) Menschen aus ihrer Heimat nach Kurbrandenburg holte. Als Kronprinz weilte der spätere Soldatenkönig 1704/05 auf seiner Bildungsreise in Amsterdam und Den Haag, und seitdem war alles Holländisch-Puritanische für ihn vorbildlich. Die Kirchen, die der streng und sparsam regierende Friedrich Wilhelm I. bauen ließ, weisen holländische Einflüsse auf. Ebenso war der einzige Schlossbau, das Jagdschloss Stern am Rand von Potsdam, den er während seiner Herrschaft errichten ließ, kein prunkvoller Palast, sondern ein schlichtes Landhaus im Stil holländischer Bürgerhäuser.

Die Gastarbeiter, wie man heute sagen würde, wurden von Herrscher mit größerer Zuvorkommenheit behandelt als die Einheimischen. Sie erhielten Steuervergünstigungen, Mahlrechte und Wohnraum wie das Holländerviertel, in dem sie sich wie zu Hause fühlen sollten. Da aber nicht genug Handwerker und andere Gewerbetreibende aus den Niederlanden zum Umzug in den "wilden Osten" angelockt werden konnten, durften sich im Holländerviertel auch französische und deutsche Händler, Handwerker und Künstler ansiedeln. Außerdem dienten die Stuben im Hausgiebel als Unterkünfte für Soldaten, da es in dieser Zeit noch nicht die später in und um Potsdam erbauten Kasernen gab. Einen guten Ruf hatte das Viertel nicht, denn hier wohnten "einfache" Leute, also Familien mit geringem Einkommen, kleine Gewerbetreibende und Handwerker sowie Kaufleute und Kneipeninhaber, bei denen Angehörige des Hofs und des Potsdamer Großbürgertums kaum vorbei geschaut haben.

Blick in den Alltag der ersten Bewohner

An den aus den Niederlanden stammenden Architekten Johann Boumann, der mit Kollegen das Holländische Viertel plante und seinen Bau überwachte, erinnert das Haus Mittelstraße 8. Dort blieb noch viel von der originalen Substanz aus dem frühen 18. Jahrhundert erhalten. Nach denkmalpflegerischer Restaurierung eröffnete der Förderverein zur Pflege der niederländischen Kultur e.V. hier ein Museum, bestehend aus dem Vorderhaus mit rotem Ziegelwerk, einem Wirtschaftshof, ein Hinterhaus aus Fachwerk und einem Garten. Zu Ehren des Baumeisters und Architekten wurde es Jan Bouman Haus genannt. Die ständige Ausstellung zeigt die Geschichte des Stadtquartiers und die Sanierung des denkmalgeschützten Gebäudes. Hausrat und Möbel aus dem 18. Jahrhundert vermitteln einen Einblick in die Alltagskultur der ersten Bewohner. Der Förderverein veranstaltet jährlich zwei Feste, das Tulpenfest im April und das Sinterklaasfest im Dezember, die eng mit der Geschichte und Kultur unseres Nachbarlandes verbunden sind. Jeweils Anfang September kommen zahlreiche Besucher auch zu einem Töpfermarkt.

Vor 30 Jahren zeigte sich das Holländische Viertel in einem beklagenswerten Zustand. Zwar waren in den achtziger Jahren, also noch zu DDR-Zeiten, erste Sanierungsarbeiten begonnen worden, doch standen wegen Baufälligkeit und des immensen finanziellen und materiellen Aufwandes zahlreiche zu Halbruinen verkommene Bauten zur Disposition, und es gab bereits erste Abrisse. Pläne von damals zeigen, dass nur noch die Eckbauten stehen bleiben sollten, alles andere wollte man beseitigen und mit Plattenbauten in der Art von Potsdamer Bürgerhäusern besetzten. In der Gutenbergstraße kann man sehen, wie das Neubauprogramm aussieht. Zum Glück konnte der Verfall des herunter gekommenen Viertels durch das Ende des zweiten deutschen Staats und die Wiedervereinigung verhindert werden. Inzwischen hat es sich zu einem Touristenmagnet der Extraklasse gemausert. Hier Läden, Galerien oder Restaurants zu betreiben, ist wegen der hohen Mieten teuer, wohl aber auch einträglich, denn Besucher und Käufer aus allen Weltengegenden kommen in großer Zahl und lassen einiges Geld da.

30. Juni 2019

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