Hitlers willige Helfer
Topographie des Terrors dokumentiert Rolle des Reichsarbeitsministeriums als wichtige Stütze der NS-Diktatur



Zurzeit werden im Außenbereich der Topographie des Terrors, geschützt durch ein Glasdach, zahlreiche Texte und Bilder zur Geschichte des Nationalsozialismus und über den Terror von Gestapo und SS angebracht. In der kalten Jahreszeit werden die Schautafeln im Depot verwahrt.



Die bis zum 8. Oktober 2019 laufende Ausstellung über das Reicharbeitsministerium und seine Beamten ist in der Topographie des Terrors an der Niederkirchnerstraße 8 in 10963 Berlin-Kreuzberg täglich von 10 bis 20 Uhr bei freiem Eintritt geöffnet.



Mit der Einführung der Arbeitsbücher verschaffte sich der NS-Staat 1935 Kontrolle über die arbeitsfähige Bevölkerung und konnte sie nach ihren Bedürfnissen im "kriegswichtigen" Betrieben und Einrichtungen einsetzen.





In den von der Wehrmacht besetzten Ländern fruchteten Werbemaßnahmen wenig, deshalb wurden überall Arbeitskräfte unter schlimmen Bedingungen zwangsrekrutiert. Die Propaganda verkaufte dies als Europas Hilfe für das Deutsche Reich.



Die in der Ausstellung der Topographie des Terrors reproduzierte Karikatur aus der Berliner Zeitung vom 22. September 1953 nimmt die Weiterbeschäftigung von Nazibeamten und die Entlassung "fortschrittlicher Beamter" aus Ämtern der Bundesrepublik Deutschland satirisch aufs Korn.





Ein von Ingo Wellmann gestaltetes Denkmal auf dem Gelände des Evangelischen Waldkrankenhaus in Spandau erinnert daran, dass allein in diesem Berliner Bezirk 40.000 Menschen während der NS-Zeit in über 100 Lagern gefangen waren und in zahlreichen Betrieben zur Zwangsarbeit gezwungen wurden. Das Bild darunter zeigt das Zwangsarbeitslager in Berlin-Lichterfelde während des Zweiten Weltkriegs. (Fotos/Repro: Caspar)

Die Topographie des Terrors auf dem ehemaligen Gestapo-Gelände an der Niederkirchnerstraße in Berlin-Kreuzberg zeigt bis zum 8. Oktober 2019 die Ausstellung "Das Reichsarbeitsministerium 1933-1945: Beamte im Dienst des Nationalsozialismus". Dargestellt wird in Bild und Schrift, wie und in welchem Ausmaß das meist zu Unrecht als einflusslos dargestellte, im Schatten anderer Terroreinrichtungen des NS-Staates stehende Reichsarbeitsministerium die nationalsozialistische Diktatur gestützt hat und was nach 1945 im deutschen Westen aus leitenden Beamten wurde. Das von Franz Seldte geleitete Ministerium beteiligte sich mit Eifer und Konsequenz gemeinsam mit andern Dienststellen an der Diskriminierung einzelner Bevölkerungsgruppen und speziell der jüdischen Bevölkerung und wirkte nach Kriegsbeginn maßgeblich an der Organisation des Zwangsarbeitereinsatzes mit.

Wie wichtig Fritz Sauckel, der NSDAP-Gauleiter von Thüringen Bevollmächtigte für den Arbeitseinsatz, die Tätigkeit der Arbeitsverwaltung erachtete, geht aus einem an der Wand der Ausstellung angebrachtes Zitat von 192 hervor, das so lautet: "Ich bin stolz und glücklich darüber, dass mir zur Durchführung der vom Führer gestellten Aufgabe in der Arbeitsverwaltung ein eingespielter, hochleistungsfähiger Apparat zur Verfügung steht, der mehr als einmal sein Können unter Beweis gestellt hat. Ich vertraue auf die Einsatzbereitschaft aller Mitarbeiter". Sauckel organisierte die Verschleppung von Millionen Menschen zur Zwangsarbeit und war mitverantwortlich am Tod unzähliger Menschen. Im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess zum Tod verurteilt, wurde er am 16. Oktober 1946 mit weiteren Kumpanen erhängt. Seine letzten Worte waren "Ich sterbe unschuldig".

Ausbeutung bis aufs Blut

Gezeigt wird zudem, wie sich der Staat durch Kürzung von Renten und Streichung von Sozialleistungen bereicherte, sich auf der anderen Seite aber als ganz und gar dem Wohl der "Volksgemeinschaft" verpflichtet gerierte. Weitere Kapitel befassen sich mit der Rekrutierung von Zwangsarbeitern in den von der Wehrmacht besetzten Ländern und zeigen an tragischen Beispielen, wie die Menschen gelitten haben und bis aufs Blut ausgebeutet wurden. Mehrere Biografien zeigen, wie Hitlers willige Helfer ihre Karrieren auf Kosten ihrer Opfer förderten.

Am 26. Februar 1935 wurde das Gesetz über die Einführung eines Arbeitsbuches zur "zweckentsprechenden Verteilung der Arbeitskräfte in der deutschen Wirtschaft" erlassen, in dem es heißt, dass Arbeiter und Angestellte nur beschäftigt werden dürfen, wenn sie im Besitz eines solchen von den Arbeitsämtern ausgestellten Arbeitsbuches sind. Durch einen Blick in das Dokument wussten Arbeitgeber, wo und wie lange jemand beschäftigt war und ob es sich möglicherweise um einen "Drückeberger" handelt, der sich geregelter Arbeit entzieht und bereits aus diesem Grund ein Fall für die Justiz und/oder Konzentrationslager ist. Die Pflicht, ein Arbeitsbuch bei sich zu haben und zu führen, wurde anfangs für industrielle Mangelberufe wie Bergarbeiter und Metallfacharbeiter eingeführt, dann aber rasch auf andere Berufsgruppen ausgedehnt. Drei Jahre nach Einführung waren bereits 22,5 Millionen dieser dünnen Hefte ausgegeben worden. Eingestempelte ließen erkennen, von welchem Amt das Arbeitsbuch ausgestellt wurde. Parallel zum Arbeitsbuch wurde unter gleicher Nummer bei der betreffenden Dienststelle eine Karteikarte angelegt. Die Arbeitsbücher und Karteien ermöglichten eine staatliche Lenkung zur "planvollen Verteilung der Arbeitskräfte auf weite Sicht". Mit ihnen wollte der NS-Staat "Verzerrungen des Arbeitsmarktes" abfangen.

Hermann Göring, Hitlers Beauftragter für den Vierjahresplan, preußischer Ministerpräsident und Reichsluftfahrtminister, erklärte im November 1938 im Reichsverteidigungsrat, die "Menschenverteilung" sei das wichtigste und schwierigste Problem. Wegen des großen Mangels an Arbeitskräften müsse eine Methode angewendet werden, die nicht mehr aus dem Vollen schöpft, sondern vereinfacht, an Menschen spart. "Der Mensch ist ein unersetzlicher Sparstoff." Mit Blick auf den kommenden Krieg plante Göring, alle deutschen Männer und Frauen zwischen dem 14. und 70. Lebensjahr in einer Volkskartei zu erfassen, als deren Grundlage die Arbeitsbuchkartei dienen sollte. In einem Erlass der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 19. Oktober 1938 heißt es: "Der Staat hat kein Interesse daran, die Arbeitskraft der einsatzfähigen arbeitslosen Juden unausgenutzt zu lassen und diese unter Umständen aus öffentlichen Mitteln ohne Gegenleistung zu unterstützen. Es ist anzustreben, alle arbeitslosen und einsatzfähigen Juden beschleunigt zu beschäftigen."

Ehemalige Nazis durften nach 1945 weiter machen

Wie die Ausstellung zeigt, erfolgte der Einsatz unter menschenunwürdigen Bedingungen und nahezu ohne Bezahlung und Versorgung der zur Zwangsarbeit im eigenen Land verpflichteten Menschen mit Lebensmitteln und Wohnraum. Sie schildert die Auswirkungen der Arbeits- und Sozialpolitik auf die Bevölkerung und die Bedeutung, die Arbeitsämter und Arbeitsbücher bei der Steuerung und Überwachung der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter hatten. Die meisten Funktionäre wurden nach dem Ende der Hitlerdiktatur von westdeutschen Schiedsgerichten als "unbelastet" eingestuft und konnten nahezu unangefochten im Bonner Arbeitsministerium und an anderer Stelle fortsetzen, ohne sich irgendeiner Schuld bewusst zu sein. Das reizte die DDR-Propaganda zu hämischen Kommentaren, konnte sie sich doch damit brüsten, dass die Behörden und Organisationen im zweiten deutschen Staat "nazifrei" sind, was aber nicht ganz stimmte.

Wo in der Bundesrepublik Deutschland ehemalige Nazibeamte nicht zu halten waren, weil ihre Untaten in den DDR-Medien und einem "Braunbuch" hieb- und stichfest nachgewiesen wurden, hat man sie in den Ruhestand geschickt, selbstverständlich mit fetten Pensionen. Die Ausstellung unterstreicht, dass Zwangarbeiter und andere durch die Arbeitsgesetze des NS-Staates benachteiligte Personen nach 1945 oft vergeblich um Entschädigungen kämpften oder mit lachhaften Summen abgespeist wurden, und das auch im deutschen Osten.

Die neue Sonderausstellung gleich neben der ständigen, mit erschreckenden Bildern und Texten versehenen Dokumentation über die Verbrechen der Gestapo, der SS und des Reichssicherheitshauptamtes basiert auf Ergebnissen einer Unabhängigen Historikerkommission, die seit 2013 die Geschichte des Reichsarbeitsministeriums in der NS-Zeit erforscht. Zahlreiche Bundesministerien arbeiten seit fast 20 Jahren nach und nach die Geschichte ihrer Vorläuferinstitutionen während der NS-Zeit auf. Den Anfang machte das Auswärtige Amt, gefolgt vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales, vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft und weiteren Ministerien. Gegenstand der Untersuchungen sind nicht nur die Beiträge, die Beamte dieser Institutionen zur politischen und ideologischen Festigung der NS-Diktatur geleistet haben, sondern auch wie nach 1945 weiter beschäftigte, als "Fachleute" geschätzte Altnazis Gesetze formulierten und an ihrer Durchsetzung beteiligt waren. "Infolge von Sammelklagen ehemaliger Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter kam es im Jahr 2000 zur Gründung der Stiftung, Erinnerung, Verantwortung, Zukunft' durch die Bundesregierung und deutsche Unternehmen. Die Stiftung zahlte Hilfsgelder an ehemalige Zwangsarbeitskräfte aus. Die Schaffung gesetzlicher Regelungen für Rentenzahlungen an Jüdinnen und Juden, die in Ghettos Zwangsarbeit leisten mussten, dauerte bis 2014 an", heißt es in einem Epilog genannten Text, der am Schluss betont, für die meisten Geschädigten seien diese Zahlungen zu spät gekommen, da sie bereits verstorben waren. Die Ausstellung, zu der ein deutsch-englischsprachiger Katalog vorliegt, vermeidet eine Bewertung dieser für unser Land beschämenden Form der "Bewältigung der Vergangenheit."

9. April 2019

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