"Ihr trugt die Schande nicht…"
Neue Ausstellung im Berliner Bendlerblock schildert, wie in beiden deutschen Staaten mit dem 20. Juli 1944 umgegangen wurde



Am 20. Juli 2019 gedachten Politiker, Hinterbliebene und andere Personen des gescheiterten Attentats auf Hitler vor 75 Jahren. Der Gefesselte stand bis zur Umgestaltung der Gedenkstätte um 1980 auf einem Sockel mit Inschrift.



Wer die Gedenkstätte an der Stauffenbergstraße besucht, kann die Inschrift von 1980 im Eingangsbereich kaum übersehen.



Der Hof des Bendlerblocks 1946, im Vordergrund kann man den turmartigen Eingang in einen Bunker sehen.



Blick in die neue Sonderausstellung ",Ihr trugt die Schande nicht…' Die frühe Erinnerung an den 20. Juli 1944".





In der Ständigen Ausstellung zeigt das Foto Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seinen Mitstreiter Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim im Jahr 1944. Hitler ließ unbarmherzig alle Mitwisser des Anschlags verfolgen, vor den Volksgerichtshof stellen und hinrichten. Deren Familienangehörige mussten sich lange Zeit in beiden deutschen Staaten schlimmer Verdächtigungen erwehren und um Wiedergutmachung kämpfen.



Die Schrifttafel zeigt, wie weit nach 1945 die Meinungen über den "Aufstand des Gewissens" auseinander lagen.



Im marxistisch-leninistischen Geschichtsbild der SED hatten Widerstandskämpfer außerhalb der KPD und SPD kaum Platz. Im Laufe der DDR-Geschichte wandelte sich diese Wahrnehmung auch unter dem Druck anschwellender Forschungsergebnisse und Publizistik zu den Jahren 1933 bis 1945 zu einer weniger verblendeten Sicht. Das Ausstellungsfoto zeigt den SED-Funktionär Anton Ackermann, der zu wissen glaubte, dass die Generale 1944 die eine reaktionäre Diktatur durch eine andere ablösen wollten.



Während Ewiggestrige die Widerstandsbewegung des 20. Juli 1944 mit Dreck bewarfen, schritt man in West-Berlin zur Tat und gab der alten Bendlerstraße im Tiergarten am 20. Juli 1955 Stauffenbergs Namen. (Fotos: Caspar)

Eine neue Ausstellung in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand an der Stauffenbergstraße im Berliner Bezirk Tiergarten schildert den Umgang beider deutscher Staaten mit dem fehlgeschlagenen Bombenanschlag von Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg in der Wolfsschanze auf Hitler am 20. Juli 1944. Der Titel der Dokumentation über die frühe Erinnerung an dieses Ereignis bezieht sich auf die Inschrift "Ihr trugt die Schande nicht Ihr Wehrtet euch Ihr Gabt das Große ewig wache Zeichen der Umkehr Opfernd Euer heißes Leben für Freiheit Recht und Ehre" vor dem Bronzestandbild, das der Bildhauer Richard Scheibe für die damals neu geschaffene Gedenkstätte im so genannten Bendlerblock geschaffen hat. Im damaligen Allgemeinen Heeresamt, Sitz des Befehlshabers des Ersatzheeres im Oberkommando des Heeres (OKH) und zugleich geheimes Zentrum des militärischen Widerstands gegen das Naziregime wurden in der Nacht zum 21. Juli 1944 Stauffenberg sowie seine Mitstreiter Ludwig Beck, Friedrich Olbricht, Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim und Werner von Haeften erschossen. Ihre Leichen hat man heimlich auf dem Alten Sankt Matthäusfriedhof im Berliner Ortsteil Schöneberg verscharrt, sie aber gleich wieder auf Befehl des von Hitler mit einem blutigen Rachefeldzug beauftragten Reichsführers SS, Heinrich Himmler, exhumiert und verbrannt. Nichts sollte an die "ganze kleine Clique ehrgeiziger, gewissenloser und zugleich unvernünftiger, verbrecherisch-dummer Offiziere" erinnern, die ein Komplott gegen ihn geschmiedet hatte, wie der leichtverletzte "Führer" noch am gleichen Abend triumphierend im Reichsrundfunk erklärte.

Gefesselt, aber ungebeugt

Der Widmungstext erst auf einem niedrigen Denkmalsockel, seit 1980 auf einer Bronzeplatte vor dem an den Händen gefesselten, mutig und ungebeugt seinem Tod entgegen sehenden nackten Mann mitten im Ehrenhof des Bendlerblocks stammt von Edwin Redslob. Der Kunsthistoriker und Museumsmann war bis zu seiner Entlassung durch die Nazis Anfang 1933 als Reichskunstwart für öffentliche Denkmäler und Staatsakte, aber auch Münzen, Medaillen, Briefmarken und amtliche Dokumente zuständig und sollte Kulturminister werden, wenn das Attentat auf Hitler geglückt wäre. Die Ausstellung und der dazu gehörige Katalog (184 S., zahlr. z. T. farbige Abbildungen, 10 Euro) schildert eingehend anhand von Fotos, Zeichnungen und Zeitungsausschnitten die Entstehungsgeschichte des Denkmals und aus der Biographie seines Schöpfers. Richard Scheibe war ein bei den Nationalsozialisten geschätzter Bildhauer, der jedoch nie Parteimitglied war und nicht im Stil eines Arno Breker und Josef Thorak gearbeitet hat. Als das Denkmal im Bendlerblock eingeweiht war, erhielt der Künstler begeisterte Dankschreiben für sein Werk. Auf eine Ähnlichkeit des Gefesselten mit Stauffenbergs Kopf angesprochen, antwortete Scheibe, das sei reiner Zufall, er habe Bilder und andere Darstellungen des Attentäters weder gekannt noch verwendet.

Es hat nach dem Ende der NS-Herrschaft lange, sehr lange gedauert, bis das Attentat auf Hitler allgemein als "Aufstand des Gewissens" anerkannt und nicht als Landesverrat eidbrüchiger Offiziere verteufelt wurde. Die Ausstellung zeigt an einer Wand in Pro und Contra geteilte Meinungen. Die einen nannten die "Männer des 20. Juli", wie man bis heute sagt ohne zu beachten, dass sie auch Frauen und Mitwisserinnen hatten, Verräter, Feiglinge und Schwächlinge, die ihren Eid auf Hitler gebrochen hätten. Es war auch von Fantasten, Wirrköpfen, Postenjägern und Spaltpilzen die Rede und von Leuten, die den Russen den Weg nach Deutschland geebnet hätten. Auf der anderen Seite klang in Befragungen das Bedauern dafür durch, dass Hitler am Leben blieb und den Krieg bis zum blutigen Ende fortführte.

Remer-Prozess 1952 brachte eine Wende

Die Ausstellung ruft auch den 1952 in Braunschweig geführten Prozess gegen den ehemaligen Kommandeurs des Wachbataillon Berlin, Otto Ernst Remer, in Erinnerung. Er war nach dem Attentat in Berlin führend an der Niederschlagung des Umsturzversuchs beteiligt und trat nach dem Zweiten Weltkrieg auf üble Weise als rechtsextremistischer Politiker und Publizist in Erscheinung. Remer leugnete unbeirrt den Holocaust und verunglimpfte, von seinen Anhängern heftig beklatscht, Widerstandskämpfer auf übelste Weise. Hitler hatte seinen treuen Gefolgsmann zum Oberst und Ende Januar 1945 zum Generalmajor befördert. Nach dem Krieg als ein angeblich nicht von Schuld betroffener Mitläufer eingestuft, war Remer Mitbegründer der Sozialistischen Reichspartei, die sich in der Tradition der NSDAP sah und der "Treue zum Reich" und der "Lösung der Judenfrage" das Wort redete und 1951 als verfassungswidrig verboten wurde.

Weil Remer die Beteiligten des Attentats auf Hitler bei als "Landesverräter" bezeichnet hatte, wurde er 1952 wegen übler Nachrede und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener vom Landgericht Braunschweig zu einer dreimonatigen Gefängnisstrafe verurteilt, konnte sich dieser aber durch Flucht entziehen. Der so genannte Remer-Prozess war eine Wende in der Beurteilung des Widerstands im "Dritten Reich", wie man damals und vielfach auch heute die Nazidiktatur bezeichnet. Generalstaatsanwalt Fritz Bauer nutzte den Prozess, um ein für allemal den Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 und den mit ihm verbundenen Bruch des Fahneneids auf Hitler als politisch und sittlich geboten zu rechtfertigen. Bauer hat später gegen vielfältige auch und vor allem in den eigenen Juristenkreisen verbreitete Widerstände die Auschwitzprozess in Frankfurt am Main auf den Weg gebracht und dafür gesorgt, dass sich der israelische Geheimdienst in Argentinien des KZ-Arztes Josef Mengele bemächtigte, um ihn in Israel vor Gericht zu stellen, das ihn zum Tod verurteilte. 1952 erklärte der Staatsanwalt Bauer in Braunschweig: "Am 20. Juli war das deutsche Volk total verraten, verraten von seiner Regierung, und ein total verratenes Volk kann nicht mehr Gegenstand eines Landesverrats sein. […] Ein Unrechtsstaat, der täglich zehntausende Morde begeht, berechtigt jedermann zur Notwehr." Dieser Auffassung schloss sich das Gericht an. Im Buch zur Ausstellung wird betont, der Remer-Prozess sei ein einschneidendes Ereignis in der deutschen Nachkriegsgeschichte gewesen, "welches eine entscheidende Grundlage für die Verankerung des 20. Juli 1944 im Geschichtsbewusstsein der Bundesrepublik schafft."

Beleidigungen und Zurücksetzungen

Bis sich allerdings diese Sicht durchgesetzt hatte, verging viel Zeit, in der die Hinterbliebenen der Opfer des NS-Regimes großes Unrecht sowie Beleidigungen und Zurücksetzungen erlitten. So kann man in der Ausstellung die rüde Antwort des Versorgungsamtes in München vom 28. Juni 1951 auf den Antrag der Witwe eines Widerstandskämpfers, des Generals Eduard Wagner, lesen, der sich am 23. Juli 1944, seine Verhaftung befürchtend, das Leben nahm: "Auf o. a. Schreiben wird Ihnen mitgeteilt, dass für Sie eine Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts überhaupt nicht infrage kommt." Der Ehemann habe "überhaupt kein nationalsozialistisches Unrecht erlitten, er hat sich vielmehr selbst erschossen und ein evtl. nationalsozialistisches Unrecht nicht abgewartet." Die Frau brachte die empörende Ablehnung am 18. Juli 1953 an die Presse. In einem ähnlichen Fall bedauerte das bayerische Staatsministerium "die wenig glückliche Form" der Zurückweisung eines Antrags und versprach Besserung. Auch diesmal hatte sich der gleiche Beamte auf das in der Wehrmacht geltende Versorgungsrecht berufen, das bei einem wegen Hoch- und Landesverrats verurteilten Soldaten oder Offizier nicht zur Anwendung kommt. Pars pro toto stehen die Mitteilungen für zahlreiche ähnliche, noch von braunem Geist und unbedingtes Pochen auf die Gesetze geprägten Fälle.

Wie sah es nun mit der Aufarbeitung des 20. Juli 1944 in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der DDR aus, wo Antifaschismus zur Staatsdoktrin gehörte und Naziverbrecher nicht auf Milde hoffen durften. Hat man dort Stauffenberg und seine Mitstreiter gerechter als im deutschen Westen beurteilt? Die antifaschistisch-demokratische Grundordnung war die Basis, auf der die DDR nach eigenem Bekunden zum Arbeiter-und-Bauern-Staat, zum Hort des Friedens und des Fortschritts wurde. Ihre Partei- und Staatsführer sahen sich als Bannerträger und Sieger der Geschichte. Sie lehnten für sich und ihren Staat jede Verantwortung für die Verbrechen ab, die zwischen 1933 und 1945 in deutschem Namen verübt wurden. Sie behaupteten, dass Militarismus und Nazismus in der DDR für immer ausgerottet seien. Die Ausstellung im Bendlerblock gibt lediglich Auskunft darüber, dass ostdeutsche Kommunisten nicht gewillt waren, den Leistungen und Blutopfern des Widerstands jenseits von Kommunisten und Sozialdemokraten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Anderes Geschichtsbild im Osten

Dass adlige Offiziere und Gutsbesitzer, Professoren und Pfarrer aus ihrem christlichen Glauben heraus, aus Gründen der Humanität und weil sie steigende Opferzahlen und Zeugen furchtbarer Verbrechen wurden, gegen Hitler aufbegehrten, passte nicht ins marxistisch-leninistische Weltbild. Die Wahrnehmung des 20. Juli 1944 in der SBZ sei von Ehrung, aber auch von Kritik und Verurteilung geprägt gewesen. Dies zeige sich an zwei Artikeln des SED-Funktionäre Anton Ackermann, der das Ereignis in einem langen Zeitungsartikel vom 31. Juli und 10. August 1945 als mutige Tat bezeichnete, die "überall, wo es im Volke Unzufriedenheit, Enttäuschung und Opposition gab, berechtigte Zustimmung und Anerkennung" fand. Zwei Jahre später bezeichnete der gleiche Autor die "Palastrevolution" als übereilt und dilettantisch vorbereitet ab. Rudolf Lindau, seines Zeichens Direktor der SED-Parteihochschule bis 1950, bewertete das Attentat in der von der Sowjetischen Besatzungsmacht herausgegebenen "Täglichen Rundschau" als "verunglückte Meuterei", die geschäftstüchtige Federn zur bedeutendsten Widerstandsbewegung gegen das hitlerfaschistische Regime zu machen versuchen. Mithelfer an der Machtübertragung an Hitler würden zu Antifaschisten erklärt, und die Palastrevolution sei erst dann unternommen worden, als an der Niederlage des deutschen Faschismus kein Zweifel mehr bestand. Während die Generäle putschten, hätten Arbeiter gekämpft, lautet das Facit dieses Artikels.

Man hätte in der Ausstellung gern erfahren, ob und wie sich diese abschätzige Bewertung im Laufe der vierzigjährigen Geschichte der DDR gewandelt hat, und muss nun in die Fachliteratur schauen um zu erfahren, dass "gewendete" Nazis durchaus in Staat, Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur geduldet und gebraucht wurden. 1949, als die DDR gegründet wurde, waren nicht mehr der Nazismus der Hauptfeind, sondern der amerikanische Imperialismus und seine westdeutschen Lakaien, so die damalige Diktion. Angeblich würden die herrschenden Kreise in den USA einen dritten Weltkrieg vorbereiten. Unter diesen Umständen war es für die SED nicht mehr wichtig, ob in der DDR jemand dem Nazistaat gedient hat. Nicht mehr die "frühere Organisationszugehörigkeit", also Mitgliedschaft in der NSDAP, einer Person sei wichtig, sondern entscheidender Gradmesser sei dessen Standpunkt in dem großen nationalen Befreiungskampf des deutschen Volkes.

Dies eröffnete ehemaligen Nazis, sofern sie nicht als Massenmörder und Schreibtischtäter entlarvt, angeklagt und verurteilt waren, einen Neustart ähnlich wie in der Bundesrepublik Deutschland, wo ehemalige Nazis in der Politik und weiteren Bereichen reüssieren konnten. Selbstverständlich wurde in der DDR alle Kritik an der Beschäftigung von ehemaligen Nazis unterdrückt. Stattdessen zeigte man dort in Richtung Westen, wo Prozesse gegen NS-Verbrecher nur langsam anliefen und viele Täter ungeschoren ihren Geschäften nachgehen konnten.

23. Juli 2019

Zurück zur Themenübersicht "Geschichte, Zeitgeschichte, Ausstellungen"