Moderne Kunst? Nicht mit uns!
Was der SED nicht passte, wurde in den frühen fünfziger Jahren als formalistische Machwerke verteufelt



Der arbeitende Mensch in jeder Größe und Pose, das war ein Thema, mit dem man kaum etwas falsch machen konnte. Exponate des DDR-Museums in der Berliner Kulturbrauerei.



Horst Strempels Aufbaubild in der Schalterhalle des Ost-Berliner Bahnhofs Friedrichstraße gefiel eifernden Kunstzensoren überhaupt nicht. Die Ost-Berliner Presse sah in ihm eine "Beleidigung für jeden klassenbewussten Arbeiter" und glaubte in den Helotengestalten eine "Analogie mit dem kulturellen Verfall im alten Rom" zu sehen.





An den Entwürfen für das neue Wandbild in einer Wandelhalle vom Haus der Ministerien, früher Reichsluftfahrtministerium, an der Leipziger Straße in Ost Berlin musste der Maler Max Lingner so lange basteln und korrigieren, bis der Hausherr, Ministerpräsident Otto Grotewohl, zufrieden war. Der auf Meißner Porzellanfries, der mit bunten Figuren die Segnungen des Sozialismus feiert, wurde nach der Wiedervereinigung und der Umwandlung des Gebäudes in das Bundesfinanzministerium nicht abgeschlagen oder verdeckt, sondern restauriert und kann in allen Einzelheiten besichtigt werden.



Berlin, die Hauptstadt der DDR, sollte laut Plan schöner wie nie werden, doch die Plakate waren schneller und bunter als das, was dann wirklich mit Unterstützung aus dem ganzen Land Realität wurde.



Im Westen als Zuckerbäckerstil nach Moskauer Vorbild verspottet, avancierte die damalige Stalinallee und heutige Karl-Marx-Allee zu einer begehrten Wohnadresse und Untersuchungsobjekt von Bauleuten und Architekturhistorikern.



Im Schatten des Berliner Ensembles begrüßt Bertolt Brecht die Besucher. Um ihn herum wird auf Stelen aus seinem Werk zitiert: "Ja, ich glaube an die sanfte Gewalt der Vernunft über die Menschen. Sie können ihr auf die Dauer nicht widerstehen", "Wirklicher Fortschritt ist nicht Fortschrittlichsein, sondern Fortschreiten" oder "Das Alte sagt: So wie ich bin ich seit je. / Das Neue sagt: Bist du nicht gut, dann geh."



Am Weinbergsweg wird an Heinrich Heine erinnert, auf dem eigentlichen Standort steht seit 2002 ein Nachguss ebenfalls aus Bronze. (Fotos/Repros: Caspar)

Was der SED auf politischem und ideologischem Gebiet nicht in den Kram passte, was nicht linientreue Autoren schrieben und Maler schufen, galt als unsozialistisch, amerikanisch und gegen die Interessen des werktätigen Volkes gerichtet und wurde verdammt und unterdrückt. Das galt auch für Filme, Musik und Theaterstücke, die nicht den Vorgaben der allmächtigen Staatspartei folgten und deshalb der Zensur zum Opfer fielen oder umgearbeitet wurden. Dass wenige Jahre zuvor die Nationalsozialisten alles als "entartet" verboten und verfolgten, was nicht ihrem rassistischen und militaristischen Weltbild entsprach, durfte man in der Sowjetischen Besatzungszone beziehungsweise ab 1949 in der DDR nicht laut aussprechen. Zwar gab sich der zweite deutsche Staat als das bessere Deutschland aus, als das Land, dem allein die Zukunft gehört. Aber er reagierte sehr heftig auf alles, was ihm in die Quere kam, und da war es egal, wie die aus dem engen Rahmen parteilicher Gesetze fallenden Künstler heißen und wie das im Ausland ankommt.

Besonders heftig bekämpft wurde in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, als Kalter Krieg war und sich die früheren Mitglieder der Anti-Hitler-Koalition bis an die Zähne bewaffnet feindlich gegenüber standen und ein neuer heißer Krieg für möglich gehalten wurde, die Moderne. Auf sie hatten es sowjetische Kulturoffiziere abgesehen, ihnen folgten ostdeutsche Stalinisten nach dem Motto "Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen". Den Anfang bei der Hatz auf die Moderne machte er sowjetische Kulturoffizier Alexander Dymschitz in der "Täglichen Rundschau", dem Blatt der Sowjetischen Besatzungsmacht, vom 19. und 24. November 1949. Darin wurden Pablo Picasso, Marc Chagall, Karl Schmidt-Rottluff und Karl Hofer "Mummenschanz" und "Wirklichkeitsfälschung" vorgeworfen.

Mystizismus, Symbolismus, vulgärer Naturalismus

Grundsätzlicher wurde am 20./21. Januar 1951 ein gewisser Nikolai Orlow in der gleichen Zeitung. Hinter dem Pseudonym soll sich Wladimir S. Semjonow verborgen haben, seines Zeichens politischer Berater der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland und später Hochkommissar und sowjetischer Botschafter in der DDR. Sein Angriff auf die Moderne war von ganz oben gedeckt, von Stalin, dem Erfinder des "sozialistischen Realismus". "Leider ist in einigen Kunstzweigen der DDR noch Tendenzen des Verfalls und der Zersetzung, des Mystizismus und Symbolismus, die Neigung zu einer verzerrten und unrichtigen Darstellung der Wirklichkeit sowie ein flacher und vulgärer Naturalismus festzustellen. Sie gehen darauf aus, den schlechtesten Geschmack zu befriedigen, und grenzen zuweilen an groben Unfug. […] Wenn die Malerei aufhört, die Wirklichkeit darzustellen, und der Maler an Stelle von Menschen stereometrische Figuren, Linien, Punkte und anderen Unsinn in Würfelform zeichnet, dann ist das das Ende der Malerei, ihre Liquidierung, ihre Zerstörung. Alle diese Bilder sind nichts als Absurditäten", heißt es in dem Artikel. Er warnt ostdeutsche Künstler davor, sich hinter dem Namen Picasso zu verstecken, dessen Friedenstaube als gut bewertet und dessen "formalistische Verrenkungen" als Vergeudung der außerordentlichen Begabung dieses Künstlers bedeute. Entartung und Zersetzung seien charakteristisch für eine ins Grab steigende Gesellschaft, glaubte Orlow zu wissen, und fügte hinzu: "Das Schöne ist das Leben, das freie Leben eines Volkes, das eine neue Gesellschaft aufbaut - das ist die echte Devise der Ästhetik einer echt demokratischen Kunst."

Da alles, was aus der Sowjetunion kommt, dem Land von Lenin und Stalin, über Jahrzehnte in der DDR ungeprüft für gut und richtig bewertet wurde, riefen SED-Funktionäre zum Kampf gegen den Einfluss westlicher Dekadenz und des Kultes des Hässlichen in der Kunst der DDR, so wie es Nikolai Orlow beschrieben hatte, vorzugehen. Verboten waren nun Kunstrichtungen wie Expressionismus, Dadaismus, Futurismus, Kubismus, Konstruktivismus, Surrealismus und Abstraktes sowie der Bauhausstil, also alles, was als künstlerische Dekadenz und Verfallsprodukt des Imperialismus angesehen wurde. "Der Formalismus steht also in unlösbarem Zusammenhang mit dem Verfaulungsprozess des Kapitalismus, der mit dem Sieg der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution und mit dem Sieg der Sowjetunion im Großen Vaterländischen Kriege sowie der Bildung der Weltfriedensfront ein sich sprunghaft beschleunigendes Tempo angenommen hat", heißt es in einem Artikel von Wilhelm Girnus im Parteiblatt NEUES DEUTSCHLAND.

Was ist vorn und hinten, unten und oben?

Ministerpräsident Otto Grotewohl am 4. März 1951 erklärte als direkte Antwort auf die Angriffe in der "Täglichen Rundschau" in bei der Eröffnung der III. Deutschen Kunstausstellung in Dresden, Literatur und bildende Künste seien der Politik untergeordnet, aber sei klar, dass sie einen starken Einfluss auf die Politik ausüben. Die Idee der Kunst müsse der Marschrichtung des politischen Kampfes folgen. "Jawohl, wir verzichten auf eine Kunst, bei der man nicht weiß, was vorn und hinten, links oder rechts, oben oder unten ist. Für so viel hoffnungslose Ideenarmut soll und darf bei uns kein Platz mehr sein." Der ehemalige Buchdrucker, linke SPD-Politiker sowie Freizeitmaler, der 1946 mit Wilhelm Pieck in der Sowjetischen Besatzungszone die Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED vollzogen hatte, gerierte sich als Großinquisitor und kündigte an: "Von dieser Art Kunst distanzieren wir uns mit aller Schärfe und erklären, dass es zwischen dieser Kunstauffassung und dem, was wir unter Kunst verstehen, keine Versöhnung gibt und geben kann."

In den Verdacht, gegen die engstirnigen, dogmatischen Vorgaben der Partei zu verstoßen, konnten Schriftsteller, Maler, Theaterleute, Musiker und andere Kulturschaffende schnell geraten. Wie ein Blitzstrahl traf es Künstler wie Ernst Barlach, Bertolt Brecht, Marc Chagall, Fritz Cremer, Paul Dessau, Karl Hofer, Max Lingner, Arno Mohr, Karl Orff, Pablo Picasso, Hans Scharoun, Karl Schmitt-Rottluff und Igor Strawinsky, denn was sie schufen, wurde ganz oder teilweise als "Formalismus" verurteilt und abgelehnt. "Das wichtigste Merkmal des Formalismus besteht in dem Bestreben, unter dem Vorwand oder auch der irrigen Absicht, etwas ,vollkommen Neues' zu entwickeln, den völligen Bruch mit dem klassischen Kulturerbe zu vollziehen. Das führt zur Entwurzelung der nationalen Kultur, zur Zerstörung des Nationalbewusstseins, fördert den Kosmopolitismus und bedeutet damit eine direkte Unterstützung der Kriegspolitik des amerikanischen Imperialismus", heißt es in einer Entschließung der 5. Tagung des Zentralkomitees der SED vom 17. März 1951. Sie forderte eine fortschrittliche deutsche Kultur und die Hinwendung zum sozialistischen Realismus, wie er in der Sowjetunion praktiziert wurde. Der Formalismus sehe die "Bedeutung eines Kunstwerkes nicht in seinem Inhalt, sondern in seiner Form". Formgebung in der Kunst, die nicht vom Inhalt des Kunstwerkes bestimmt wird, führe in die Abstraktion. In einer Rede vor der Volkskammer erklärte SED-Chef Walter Ulbricht, der auch stellvertretender Ministerpräsident keinen Widerspruch zulassend am 31. Oktober 1951: "Wir wollen in unseren Kunstschulen keine abstrakten Bilder mehr sehen. Wir brauchen weder die Bilder von Mondlandschaften noch von faulen Fischen. Die Grau-in-Grau-Malerei, die ein Ausdruck des kapitalistischen Niedergangs ist, steht im schroffsten Widerspruch zum heutigen Leben in der DDR."

"Trümmer weg - baut auf" einfach überstrichen

Stramme Genossen prangerten unter anderem das Wandbild "Trümmer weg - baut auf" des Malers und Grafikers Horst Strempel im Berliner Bahnhof Friedrichstraße an. Die Personen auf dem Bild seien unförmig und abstoßend, weil ihnen "die charakteristischen Merkmale unserer besten, der Sache des Fortschritts treu ergebenen Menschen" fehlen. Nachdem 1951 das Bild in einer Nacht-und-Nebel-Aktion überstrichen worden war, sah sich der des Formalismus und der Sabotage sozialistischer Erziehungsarbeit verdächtigte Professor an der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee zur Flucht in den Westen gezwungen. Dort war er zwar in Freiheit, aber er hatte nicht mehr jene Entfaltungsmöglichkeiten wie in besseren Tagen zuvor und schlug sich als Tapeten- und Stoffdesigner durch. Strempel erlebte, wie andere gemaßregelte Künstler auch, einen bösen Karriereknick und konnte sich davon nie mehr richtig erholen.

Die ZK-Entschließung von 1951 verdammte alles, was mit dem so genannten Bauhausstil zu tun hat. Schnörkellos, einfach und gerade und trotzdem elegant und funktional, wie er war, passte er überhaupt nicht in das Weltbild der ganz dem sowjetischen Zuckerbäckerstil verpflichteten, der gerade auf der Berliner Stalinallee, heute Karl-Marx-Allee, praktiziert wurde. Aus der Tradition des Bauhauses stammende Architekten wurden einer konstruktivistischen und funktionalistischen Grundeinstellung bezichtigt und entweder zum Umplanen und Umdenken oder zur Emigration gezwungen. Das Bauhaus, heute hundert Jahre nach seiner Gründung als das Nonplusultra und Quelle moderner Architektur gelobt, stehe der Entwicklung einer Architektur im Wege, "die die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse in der Deutschen Demokratischen Republik zum Ausdruck bringt."

Brecht, Dessau und andere in der Kritik

Bis nach dem Beschluss vom 21. Dezember 1949, Stalins Geburtstag, zum Bau der Stalinallee zu errichten, dauerte es noch zwei Jahre, bis die ersten Häuser in die Höhe schossen. Zwei in der Tradition des Bauhauses errichtete Laubenganghäuser erinnern an ursprüngliche Absichten, die Stalinallee in der von den Nazis unterdrückten und von Ulbricht als amerikanische Unkunst diffamierten Bauhaus-Tradition zu bauen. Die von ihm und anderen Funktionären favorisierten sieben- bis dreizehngeschossigen Wohnpaläste nach Moskauer Vorbild mit Zierrat und Türmchen wurden im Westen als Ausdruck der Umorientierung der SED-Führung auf die sowjetische Monumentalarchitektur und als Ausgeburt von Hybris, Hässlichkeit und Überladenheit, als riesige Attrappe und Verschnitt von überlebten Baustilen und irgendwie fett kritisiert. Mittlerweile findet die ehemalige Stalinallee bei Architektur- und Kunsthistorikern Gnade. In den vergangenen Jahren wurden Millionen in die Sanierung der maroden Wohnhäuser und Geschäfte gesteckt, und die Bewohner fühlen sich hier wohl.

Der 1950 in Dresden uraufgeführten Oper von Karl Orff "Antigone" haben Hardliner bescheinigt, sie sei "monton, unmelodisch, in der Hauptsache von geräuschvollen Schlaginstrumenten bestritten und arm an wirklicher musikalischer Schöpferkraft." Formalistisch war in der Sicht der SED auch die Oper von Paul Dessau nach einem Libretto von Bertolt Brecht "Das Verhör des Lukullus". Zwar wurde die Oper am 17. März 1951 an der Berliner Staatsoper probeweise aufgeführt, doch organisierten die SED und das Ministerium für Volksbildung einen Misserfolg. Brecht nahm in der darauffolgenden Auseinandersetzung zu Fragen des Formalismus kleinere Änderungen wegen vermeintlicher "pazifistischer Tendenzen" vor, und Dessau überarbeitete die Musik, so dass die Uraufführung unter dem Titel "Die Verurteilung des Lukullus" am 12. Oktober 1951 stattfinden konnte.

Ganz allgemein wurde dem Schauspiel in der DDR angelastet, es trage nicht in genügender Weise zur Lösung der großen Lebensfragen unseres Volkes wie der Erfüllung des Fünfjahrplans, des Kampfes um den Frieden und die Einheit Deutschlands bei und bestehe teilweise aus schwachen Inszenierungen. Verlangt wurden sowjetische Stücke, die nicht im Verdacht standen, formalistisch kontaminiert zu sein. Zwar tauchte in den sechziger Jahren der Begriff des Formalismus ab und zu auf. Doch ist zu beobachten, dass die SED manche der seinerzeit als formalistisch und kosmopolitistisch verurteilten Künstler und ihre Werke in Gnaden aufnahm.

Heine-Denkmal an den Rand versetzt

Weil das von Waldemar Grzimek geschaffene Heine-Denkmal dogmatischen Nörglern nicht gefiel, wurde es nicht im Kastanienwäldchen nahe der Neuen Wache und der Humboldt-Universität aufgestellt, sondern in den Volkspark am Weinbergsweg abgeschoben. Der Dichter, der in der damaligen preußischen Hauptstadt studiert und ihr in seinen "Briefen aus Berlin" ein wunderbares literarisches Denkmal gesetzt hat, wird als junger Mann in bequemer Kleidung mit offenem Hemdkragen sitzend auf einem Stuhl ohne Lehne dargestellt, so als ob er gerade ein Gedicht deklamiert. Die Beine hat der Dichter weit von sich gestreckt. Eine Inschrift an der Vorderseite des Denkmals zitiert den ihn so: "Wir ergreifen keine Idee, sondern die Idee ergreift uns und knechtet uns und peitscht uns in die Arena hinein, dass wir wie gezwungene Gladiatoren für sie kämpfen."

Der Bildhauer musste sich gegen den Verdacht zur Wehr setzen, Heine nicht kämpferisch genug und viel zu feingliedrig und zu intellektuell dargestellt zu haben, keineswegs als großen Sänger und Streiter des deutschen Vormärz und als Freund von Marx und Engels. Weil es den Erwartungen der damaligen Führung und offiziellen Kunstkritik nicht entsprach, wurde das Denkmal von der Straße Unter den Linden im Februar 1958 auf seinen jetzigen Standort abgeschoben. Ursprünglich sollte das Denkmal mit Sockelreliefs, welche Lebensstationen Heines, Szenen aus seinem dichterischen Werk und Episoden aus der Revolution von 1848/9 schildern, im Kastanienwäldchen unweit von Schinkels Neuer Wache aufgestellt werden, doch schien dieser Platz den DDR-Oberen viel zu prominent und unpassend. Immerhin paradierte vorn an der Straße Unter den Linden die Nationale Volksarmee im Stechschritt, und der hätte Heine ganz sicher zu bissigen Kommentaren herausgefordert. So war es ein Akt der Ehrenrettung gegenüber dem Dichter und dem Bildhauer, dass im Jahr 2002 auf Initiative des Berliner Unternehmers und Mäzens Peter Dussmann ein Zweitguss am ehemals vorgesehenen Platz aufgestellt wurde.

Neue Formen als Unkunst bekämpft

Am 10. Februar 1988, dem 90. Geburtstag des Dichters und Regisseurs Bertolt Brecht, wurde vor dem Berliner Ensemble ein diesem Dichter und Theatermacher gewidmetes Bronzedenkmal eingeweiht. Sein Werk war inzwischen fester Bestandteil des nationalen Kulturerbes. Dass die Partei ihn formalistischer Tendenzen beschuldigt und Szenen aus der "Mutter Courage" als historisch falsch und politisch schädlich diffamiert hatte, war schon halb vergessen. Auf der Bank ist noch ein Platz frei, so als ob Brecht die Passanten bitten würde, sich neben ihn zu setzen. Gestalter der Anlage waren der vor Jahrzehnten in den Geruch des Formalismus geratenen Bildhauer Fritz Cremer und der Architekt Peter Flierl. Mit Brecht befreundet, hatte Cremer ein eindrucksvolles Porträt des Künstlers geschaffen, der wortmächtig und mit Hintersinn in die geistige und politische Entwicklung seiner Zeit eingriff und damit auch bei SED-Politbürokraten aneckte. Brecht fasste im Arbeitsjournal vom 12. Oktober 1949 seine Meinung über die Kunstdiktatur der allwissenden und alles bestimmenden SED mit einem wunderbar passenden Vergleich so zusammen: "bekämpfer des formalismus wettern oft gegen neue und reizvolle formen wie gewisse reizlose hausfrauen, die schönheit und bemühungen um schönheit ohne weiteres als hurenhaftigkeit (und kennzeichen der syphilis) denunzieren."

Versonnen schaut der Mann auf dem nach ihm benannten Platz barhäuptig und mit leichtem Lächeln geradeaus, die Hände entspannt in den Schoß gelegt. Es ist, als beobachte er das Geschehen auf einer Probebühne. Jede überflüssige Zutat wird vermieden, alles konzentriert sich auf den Kopf. Die Schlichtheit des Denkmals entspricht dem, was der Dichter einmal über sein Nachleben sagte: "Ich benötige keinen Grabstein, aber / wenn ihr einen für mich benötigt / wünschte ich, es stünde darauf: / Er hat Vorschläge gemacht. Wir / haben sie angenommen. Durch eine solche Inschrift wären / wir alle geehrt". Wie ein Besuch von Brechts Grab auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof gleich beim Brecht-Weigel-Haus in der Chausseestraße zeigt, hat man diesen Wunsch nicht berücksichtigt. Der Stein trägt nur Brechts Namen, daneben erinnert ein weiterer an Helene Weigel, seine Frau.

Not der DDR-Führer mit Brecht

Mit Bertolt Brecht hatten die DDR-Führer ihre Not. Als die Rote Armee und die Sicherheitsorgane der DDR den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 blutig niedergeschlagen hatten, saß Walter Ulbricht, der eben noch um seine Stellung gebangt hatte, fester denn je im Sattel und nahm brutal und blutig Rache. Ihm schickte der Dichter einen Brief, aus dem das SED-Zentralorgan NEUES DEUTSCHLAND nur einen Satz zitierte, nämlich "Es ist mir ein Bedürfnis, Ihnen in diesem Augenblick meine Verbundenheit mit der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands auszudrücken". Freunde des Dichters im Westen nahmen ihm diesen Kotau übel, Brechts Werke wurden aus westdeutschen Spielplänen genommen, er selber galt lange Zeit als Kommunistenfreund.

Erst nach Brechts Tod im Jahr 1956 wurde bekannt, dass der Dichter kein Telegramm mit jenem kurzen Satz, sondern einen langen Brief an Ulbricht geschrieben und ihn und die falsche Politik der Regierung für den Aufstand verantwortlich gemacht hatte. In seinem Schreiben betonte er seine Forderung nach Reformen, die diesen Namen verdienen. Selbstverständlich gingen Ulbricht und Co., die mit Brecht ohnehin ihre Schwierigkeiten hatten und in beckmesserischer Art an seinen Stücken nörgelten, auf den Brief nicht ein. Lediglich pickten sie sich jene Höflichkeitsfloskel ganz zum Schluss heraus und fabrizierten aus ihr ein zustimmendes Votum. Ebenfalls unterdrückt wurde ein Gedicht, dem Brecht die Überschrift "Die Lösung" gab. "Nach dem Aufstand des 17. Juni / ließ der Sekretär des Schriftstellerverbandes / in der Stalinallee Flugblätter verteilen, / auf denen zu lesen war, daß das Volk / das Vertrauen der Regierung verscherzt habe / und es nur durch verdoppelte Arbeit / zurückerobern könne. Wäre es da / nicht einfacher, die Regierung / löste das Volk auf / und wählte ein anderes?"

Was Ulbricht und die von Otto Grotewohl geführte Regierung dazu sagte, wissen wir nicht, wohl aber, dass es ein paar Jahre später im Westen und von dort über das Radio auch in der DDR verbreitet, sogar hinter vorgehaltener Hand zitiert wurde. Das Gedicht war eine Reaktion auf die von der SED und der DDR-Regierung ausgegebene Behauptung, der Aufstand sei ein vom Westen und insbesondere vom Sender RIAS organisierter faschistischer Putschversuch gewesen, auf den das Volk wie eine dumme Hammelherde hereingefallen sei. Dagegen wandte sich Brecht auf einer Tagung in der Akademie der Künste mit den Worten: "Ich habe eine Resolution vorzuschlagen. Da sich herausgestellt hat, dass unser Volk eine dumme Hammelherde ist, empfehlen wir der Regierung, sich ein anderes Volk zu wählen."

12. Juni 2019

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