"Berlin, nun freue dich…"
Hauptstadt feiert die friedliche Revolution vor 30 Jahren mit zahlreichen Veranstaltungen und Ausstellungen





Die bis Mitte September laufende Ausstellung vor dem Berliner Abgeordnetenhaus zeigt viele interessante Fotos aus der Zeit vor und nach dem Mauerfall vor 30 Jahren.





Wie es zu Mauerzeiten am Brandenburger Tor oder zwischen dem heutigen Berliner Abgeordnetenhaus und dem als Ausstellungshaus genutzten Martin-Gropius-Bau aussah, zeigen die Fotos. Für weitere Ausstellungen werden Aufnahmen gesucht, die das Leben an und mit der Mauer schildern.



Erich Honecker war Stalinist durch und durch, was mit diesem in der Ausstellung gezeigten Plakat von einer Demonstration auf den Punkt gebracht wurde. Starrsinnig, arrogant und unbelehrbar verfolgten der SED- und Staatschef und seine um ihre Posten bangenden Helfershelfer einen harten Kurs gegen alle, die anders dachten als er.



Vor Berliner Sophienkirche protestierten mutige Ostberliner gegen den Betrug bei den Kommunalwahlen im Mai 1989.



Die am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz erhobenen Forderungen waren kaum nach dem Geschmack von Honecker & Co. Dem neuen Mann an der Spitze der SED und des Staates und Verkünder der "Wende", Egon Krenz, scholl viel Spott entgegen, wurde aber mit hohen Erwartungen bedacht, die er aber nicht erfüllte.



Arbeiter entfernen das Staatsemblem Hammer und Zirkel von der Fassade des damaligen Regierungssitzes am der Klosterstraße in Berlin-Mitte. Das Haus ist heute Zentrale der Berliner Innenverwaltung.



Viele Erwartungen der DDR-Bewohner in die so genannte Wende und die neue Zeit mit der D-Mark blieben auf der Strecke. (Fotos/Repros: Caspar)

Vor dem Berliner Abgeordnetenhaus ist auf zwanzig Tafeln mit mehr als einhundert Fotos und Dokumenten zu sehen, wie sich vor 30 Jahren die Lage in der DDR zuspitzte und die Menschen, der Bevormundung durch das Altherrenregime mit SED- und Staatschef Erich Honecker an der Spitze überdrüssig, auf die Straße gingen und "Wir sind das Volk", "Freie Wahlen", "Reisefreiheit" sowie "Demokratie jetzt oder nie" riefen. Die Freiluftausstellung könnte unter dem Motto "Berlin, nun freue dich…" nach einem Ausspruch des damaligen Regierenden Bürgermeisters von West-Berlin, Walter Momper, stehen. Zur Auswahl stünde aber der frühere Bundeskanzler und SPD-Vorsitzende Willy Brandt, der nach der für alle so unerwarteten Öffnung der Übergangsstellen in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1989 sagte: "Berlin wird leben und die Mauer wird fallen." Es sei sicher, dass nichts im anderen Teil Deutschlands wieder so werden wird, wie es war. "Die Winde der Veränderung, die seit einiger Zeit über Europa ziehen, haben an Deutschland nicht vorbeiziehen können. Meine Überzeugung war es immer, dass die betonierte Teilung und dass die Teilung durch Stacheldraht und Todesstreifen gegen den Strom der Geschichte standen. Und ich habe es noch in diesem Sommer zu Papier gebracht - man kann es nachlesen, wenn man will -, ohne dass ich genau wusste, was im Herbst passieren würde: Berlin wird leben und die Mauer wird fallen. Übrigens, übrigens, liebe Freunde, ein Stück von jenem scheußlichen Bauwerk, ein Stück davon könnte man dann von mir aus sogar als ein geschichtliches Monstrum stehen lassen. So, so wie wir seinerzeit nach heftigen Diskussionen in unserer Stadt uns bewusst dafür entschieden haben, die Ruine der Gedächtniskirche stehen zu lassen." Niemand ahnte, dass dieses Zusammenwachsen schwierig und für viele schmerzhaft wurde und bis heute, 30 Jahre später, immer noch nicht abgeschlossen ist.

Statt der erwähnten Schlagzeilen nennt sich die Ausstellung zwischen Abgeordnetenhaus und Martin-Gropius-Bau schlicht "Von der Friedlichen Revolution zur deutschen Einheit". Von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur gemeinsam mit dem Ost-Beauftragten der Bundesregierung gestaltet, ist die Schau ist bis Mitte September 2019 zu sehen und wird dann durch eine weitere Ausstellung mit Bildern von der Berliner Mauer vor und nach dem 9. November 1989 abgelöst. Dazu ruft der Präsident des Abgeordnetenhauses Ralf Wieland alle Berliner auf, Fotos für diese Dokumentation zur Verfügung zu stellen, weil nicht nur Archivmaterial gezeigt werden soll. Einzige Bedingung ist, dass auf Privatfotos das heutige Abgeordnetenhaus oder seine Umgebung zu sehen sind. Es stand damals direkt an der Mauer im Ostteil der Stadt gegenüber dem im Westteil stehenden Martin-Gropius-Bau. Beide Gebäude waren unmittelbar vor ihren Eingängen durch den "antifaschistischen Schutzwall" getrennt, wie die am 13. August 1961 und danach errichteten Grenzanlagen quer durch Berlin und entlang der innerdeutschen Grenze in der DDR offiziell und euphemistisch genannt wurde.

Honecker: "Die Mauer steht noch 50 oder 100 Jahre"

Auf einer der Stelen wird an ein Eigentor des damals noch allmächtigen Staats- und Parteischefs Erich Honecker erinnert. Er hatte am 19. Januar 1989 bei der Tagung des Thomas-Müntzer-Komitees der DDR seine Untertanen mit dieser Ankündigung schockiert: "Die Mauer wird in 50 und auch in 100 Jahren noch bestehen bleiben, wenn die dazu vorhandenen Gründe nicht beseitigt werden." Das aber wurde von DDR-Bewohnern als klares Signal verstanden, den zweiten deutschen Staat so bald wie möglich zu verlassen, große Drangsalierungen, berufliche Nachteile und Gefahren für Leib und Leben auf sich nehmend. Weitere Bilder schildern hier die prunkvollen Militärparaden und Volksbelustigungen zum 40. Jahrestag der DDR und die Selbstbeweihräucherung des SED-Regimes und dort die von der Stasi und der Volkspolizei misstrauisch beobachteten und dann zusammengeprügelten Umzüge friedlicher Demonstranten in Leipzig, Berlin und an anderen Orten. Dass sich Honecker und Genossen immer wieder selbst ein Bein stellten, zeigt das große Unverständnis breiter Kreise in der DDR bis hinein in SED-Gruppen für das Verbot der sowjetischen Zeitschrift "Sputnik" wegen der Abrechnung mit dem Diktator und Massenmörder Josef Stalin, die den Stalinisten Honecker so sehr in Rage brachte, dass er Magazin wegen seiner positiven Haltung gegenüber der von der SED-Führung heftig bekämpften Politik von Glasnost und Perestroika unter Leitung von Michail Gorbatschow bekannte Magazin kurzerhand von der Lieferliste des Postzeitungsvertriebs strich.

Route der Revolution

Berlin feiert vom 4. bis 10. November 2019 das dreißigjährige Jubiläum der Friedlichen Revolution und des Mauerfalls mit einem großen Bürgerfest. Für sieben Tage verwandelt sich die Stadt an sieben Orten in ein einzigartiges Ausstellungs- und Veranstaltungsgelände unter freiem Himmel. An Orten, welche jeweils stellvertretend für wichtige Ereignisse vor 30 Jahren stehen, wird die Berliner "Route der Revolution" nacherzählt. So gibt es raumgreifende Inszenierungen an der Gethsemanekirche, am Alexanderplatz, am Brandenburger Tor, am Kurfürstendamm und an der East Side Gallery. Darüber hinaus können Berlinerinnen und Berliner sowie Gäste der Stadt am Schlossplatz und in der Lichtenberger Stasi-Zentrale in die mit vielen Erwartungen verknüpfte, freilich von Stützen des Regimes verfluchte Umbruchszeit von 1989/90 eintauchen.

So werden beispielsweise auf dem Alexanderplatz die Wünsche, Hoffnungen und Forderungen hunderttausender Demonstranten erlebbar, die hier am 4. November 1989 selbstbewusst der SED-Führung Paroli boten oder vor der Stasi-Zentrale die Abschaffung der Geheimpolizei verlangten. Mancher wird sich mit Gänsehaut und klopfendem Herzen an den Schriftsteller Stefan Heym erinnern, der den 500 000 Zuhörern auf dem Alexanderplatz zurief, nicht ahnend, dass nur vier Tage später die Mauer offen steht: "Es ist, als habe einer die Fenster aufgestoßen nach all den Jahren der Stagnation, der geistigen, wirtschaftlichen, politischen, den Jahren von Dumpfheit und Mief, von Phrasengewäsch und bürokratischer Willkür, von amtlicher Blindheit und Taubheit. Welche Wandlung! Vor noch nicht vier Wochen, die schön gezimmerte Tribüne hier um die Ecke, mit dem Vorbeimarsch, dem bestellten, vor Erhabenen! Und heute! Heute hier, die Ihr Euch aus eigenem freien Willen versammelt habt, für Freiheit und Demokratie und für einen Sozialismus, der des Namens wert ist."

"Verdorbene Greise" ärgern sich

Die Inszenierungen quer durch die Stadt mit historischen Bildern, Filmen und Soundinstallationen bilden die Basis für ein vielfältiges Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm, das von Museen, Gedenkstätten, Vereinen, Bildungseinrichtungen, Initiativen und Künstlergruppen gestaltet wird. Neben dem Gedenken an die Opfer der SED-Diktatur und die Teilung der Stadt an der ehemaligen innerstädtischen Grenze wird zu mehr als einhundert Veranstaltungen eingeladen, um die histori-schen Ereignisse der Friedlichen Revolution vor 30 Jahren noch einmal zu erleben. Der Parcours reicht von den Anfängen der Opposition in Mittel- und Osteuropa über die Fluchtwelle ab Frühsom-mer 1989 aus der DDR bis zu Protesten gegen Wahlfälschungen, politische Bevormundung und ge-heimdienstliche Drangsalierung und Überwachung bis zu Demonstrationen vor, während und nach dem 40. Jahrestag der DDR. Sie waren Dank des Einsatzes mutiger Journalisten sehr zum Ärger der "verdorbenen Greise" da draußen in Wandlitz, wie es in einer Ballade von Wolf Biermann heißt, sofort in westdeutschen Medien verbreitet wurden. Die Veranstaltungen schildern Vorgeschichte, Verlauf und Folgen des Mauerfalls, die Erstürmung der Stasi-Zentrale an der Normannenstraße in Berlin-Lichtenberg und die Bewahrung brisanter und entlarvender Dokumente vor der Vernichtung bis zu den ersten freien Wahlen in der DDR im März 1990, um dann den rasanten Weg über die Währungsunion am 1. Juli 1990 zur Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 erinnernd zu beschreiten.

10. August 2019

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