Stasi-Krake als Untermieter
Gedenkstätte Hohenschönhausen zeigt, wo der DDR-Geheimdienst in Berlin seine Dienststellen und konspirativen Wohnungen hatte



Auf DDR-Karten ist vom hochgeheimen Gebiet rund um das MfS-Untersuchungsgefängnis an der Genslerstraße in Hohenschönhausen nichts zu sehen.







In der bis 31. März 2010 in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen an der Genslerstraße laufenden Ausstellung "Stasi in Berlin - Überwachung und Repression in Ost und West" kann man den Berliner Stadtplan erlaufen (Öffnungszeiten 9 bis 18 Uhr, Eintritt frei). Man muss sich erst einmal anhand markanter Straßen, Plätze und Baulichkeiten orientieren und kann auf dem Tablet unzählige vom DDR-Geheimdienst genutzte Dienststellen und konspirative Wohnungen anklicken und bekommt dann weitere Informationen.



Rund um die von der DDR-Opposition gut besuchten Gethsemanekirche gab es eine Häufung von Dienststellen des MfS und konspirativen Wohnungen, von denen aus jede Bewegung beobachtet und an die Zentrale in der Lichtenberger Ruschestraße und andere Diensteinheiten gemeldet wurden.



Wer von hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeitern des MfS und anderen Leuten denunziert wurde, fand sich häufig im Stasi-Knast Hohenschönhausen wieder.



Auf dem historischen Foto machen MfS-Leute einen kleinen Spaziergang, wo sie entlang gehen, stehen heute schmucke Einfamilienhäuser.



Auf dem Foto erhebt sich hinter der Gefängnismauer mit dem Wachturm ein Bürogebäude, in dem Spezialisten des Mielke-Ministerium mit dem Bau von Spionage- und Sabotagegeräten und anderen hochgeheimen Arbeiten beschäftigt waren. Heute sind hier Betriebe ohne Stasi-Vergangenheit untergebracht. (Fotos/Repros: Caspar)

Fast 30 Jahre ist es her, dass das SED-Regime und mit ihm sein "Schild und Schwert", das Ministerium für Staatssicherheit (MfS), im Orkus der Geschichte verschwanden. Millionen Menschen gingen im Herbst 1989 auf die Straße und forderten Demokratie, die diesen Namen wirklich verdient, Reisefreiheit und schon bald die deutsche Wiedervereinigung. Polizei und Staatssicherheit droschen auf die friedlich demonstrierenden Menschen ein und nahmen rücksichtslos und brutal Verhaftungen vor. Am 9. November 1989 fiel die Mauer, das Regime war nicht mehr zu halten. Nach und nach wurde vor nahezu 30 Jahren bekannt, wie sehr das von Erich Mielke geleitete Ministerium für Staatssicherheit die DDR-Gesellschaft durchdrungen und überwacht hat und wohin es überall bis in höchste Kreise seine Arme ausgestreckt hat. Doch der Koloss auf tönernen Füßen konnte im entscheidenden Moment den Niedergang der allmächtigen Staatspartei und ihrer Institutionen nicht verhindern.

Die Stasi wandte viel Energie auf die, wie es damals hieß, "schrittweise Bereinigung des Bestandes an dienstlichen Bestimmungen und Weisungen", womit die Vernichtung belastender Dokumente, doch zum Glück wurden nicht alle Unterlagen verbrannt und geschreddert. So kamen in den vergangenen drei Jahrzehnten nach und nach ungeheuerliche Fakten über die "Stasi-Krake" und ihre Verbrechen ans Tageslicht.

Unzählige Menschen ergriffen in den vergangenen Jahrzehnten die Gelegenheit, ihre Akten anzusehen und das Ausmaß ganz persönlicher Überwachung und Repression zu erkennen. Bei vielen war das Entsetzen über die zwischen den Aktendeckeln versammelte Perfidie, weitere erkannten Spitzel und Kontrahenten, und andere konnten über die Dämlichkeit und Unbeholfenheit ihrer Überwacher nur noch grinsen. Auch wenn die Stasi-Akten dem Bundesarchiv übergeben werden, besteht weiterhin die Gelegenheit, sich nach Antrag in die Unterlagen zu vertiefen und über sein Leben in der Sicht des Ministeriums für Staatssicherheit noch einmal vor sich ablaufen zu lassen.

Überwachung und Repression

Das MfS hatte in Berlin 40 000 Mitarbeiter und unterhielt mehr als 300 Dienstsitze wie Verhör-, Kontroll- und Abhörstationen, aber auch medizinische Objekte sowie solche für Sport und Erholung in Ostberlin und nutzte rund 4200 konspirative Wohnungen für Treffs ihrer Führungsoffiziere mit Informanten aller Art. Auch im Westteil der Stadt gab es geheimen Treffpunkte und Zielobjekte wie den Sender RIAS an der Kufsteiner Straße, heute Hans-Rosenthal-Platz, das Ostbüro der SPD am Hohenzollerndamm 174 und die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit auf dem Kurfürstendamm 106. Beobachtet und unterwandert wurden auch die antikommunistische Satirezeitschrift "Tarantel" in der Stresemannstraße 30, das Notaufnahmelager an der Marienfelder Allee 66-80, das Radio Glasnost am Halleschen Ufer 60 und andere als feindlich-negativ und imperialistisch und US-amerikanisch gesteuerte eingestufte Institutionen, über die sich Honecker, Mielke & Co. maßlos ärgerten.

Die Standorte der vielen anderen von der Stasi beobachteten Objekte im Westteil der Stadt werden wohl niemals genau aufgeklärt werden, denn die für die Auslandsspionage zuständige Hauptverwaltung Aufklärung hatte es in den turbulenten Wendezeiten 1989/90 geschafft, viele sie belastende Unterlagen zu vernichten. Eine bis 30. März 2020 laufende Ausstellung im ehemaligen Untersuchungsgefängnis Berlin-Hohenschönhausen des MfS zeigt den aktuellen Wissensstand darüber, wie das Spinnennetz von Überwachung und Repression über das geteilte Berlin gebreitet war und wo überall Mielkes Leute auf der Lauer lagen, um Menschen zu überwachen und Informationen zu sammeln nach der "Wir sind überall, wir müssen alles wissen, wir haben alles im Griff". Die Dokumentation "Stasi in Berlin - Überwachung und Repression in Ost und West" zeigt anhand einer 170 Quadratmeter großen, in den Boden eingelassenen und begehbaren Luftaufnahme der deutschen Hauptstadt, wo sich diese geheimen Orte befunden haben.

Auf Tablets können Besucherinnen und Besucher, auf dem riesigen Luftbild laufend, erfahren, was sich in Volkseigenen Betrieben und Kultur- und Bildungseinrichtungen, in Kirchgemeinden und Umweltgruppen, in Kneipen, auf Plätzen und Privatwohnungen sowie an anderen von der Stasi überwachten Orten in der Stadt zugetragen hat. Ein Blick auf die Berlinkarte und das Tablet zeigt, dass manchmal in einer Straße mehrere Stasi-Standorte existiert haben, während in anderen Ecken der Stadt ein solcher Nachweis nicht möglich war. Rund um den malerisch gelegenen Orankesee standen nicht nur schmucke Häuschen der Stasi-Generalität, sondern auch das Hauptquartier des sowjetischen Geheimdienstes, mit dem Mielke und seine Leute allerbeste Beziehungen pflegten. Dokumente und Zeitzeugenberichte

Möglich wurde die ungewöhnliche, außerordentlich beeindruckende und ganz ins Detail mit vielen Zusatzinformationen gehende Präsentation durch Auswertung einschlägiger Dokumente und die Befragungen von Menschen, die unter dem Terror des Geheimdienstes gelitten haben beziehungsweise diesem zu Diensten waren. Solche Zeitzeugenberichte werden seit 1990 in der Gedenkstätte systematisch gesammelt und publiziert. Am gut sortierten Buchshop im Eingangsbereich steht diese Literatur in reichem Maße zum Verkauf.

Die vielen konspirativen Wohnungen wurden von besonders ausgewählten, absolut linientreuen Genossen der Stasi zur Verfügung gestellt. In die Räume hatte sich die Stasi als eine Art "Untermieter" gegen Zahlung von 30 DDR-Mark im Monat eingenistet, um unauffällig, quasi bei einer Tasse Kaffee, mit ihren Inoffiziellen Mitarbeitern zu sprechen und Aufträge zur Bespitzelung von Arbeitskollegen, Familienmitgliedern, Mitschülern und anderen Personen zu erteilen. Wer schon immer wissen wollte, was sich auf diesem makabren Gebiet in seinem Kiez abgespielt hat - im ehemaligen Stasi-Untersuchungsgefängnis an der Genslerstraße im Bezirk Hohenschönhausen sind er oder sie an der richtigen Adresse.

Pergamonmuseum als geheimer Treff

Angesichts der ersten kompletten Übersicht über die mit Decknamen wie Hecht, Karin, Marianne, Prag, Rheinsberg oder Studio versehenen konspirativen Wohnungen sprechen die Ausstellungsmacher von geheimer Infrastruktur der Überwachung und Verfolgung, mit der die Stasi die deutsche Hauptstadt wie mit einem Spinnennetz überzogen hat. Bevorzugt seien Orte in Grenznähe gewesen, etwa unweit des Bahnhofs Friedrichstraße, an der Heinrich-Heine-Straße, in der Leipziger Straße und Invalidenstraße, von wo aus "feindlich-negative Aktivitäten", so der spezifische Stasi-Jargon, und Versuche zur "Republikflucht" ausgekundschaftet und unterbunden wurden. Andere geheime Beobachtungs- und Abhörstationen gab es rund um die Mainzer Straße im Bezirk Friedrichshain, wo sich die Ostberliner Punk-Szene zusammenfand, und in der Schönhauser Allee, durch die Erich Honecker, Erich Mielke und andere SED-Politbürokraten in ihren gepanzerten Limousinen und bei extra eingeschalteten "Grün" in rasantem Tempo fuhren. Sogar im Pergamonmuseum auf der Museumsinsel unterhielt die Stasi geheime Räumlichkeiten, in denen sich ihre Offiziere unauffällig mit Informanten aus dem Westen treffen konnten. Erfasst sind, um weiter Objekte zu nennen, der von Mielke als Eigentum betrachtete und massiv geförderte Berliner Fußball Club Dynamo in der Cantianstraße, die Postkontrolle, die sich am Ostbahnhof etabliert hatte, sowie Einrichtungen, die sich außerhalb des eigentlichen Ministeriums an der Ruschestraße in Lichtenberg mit Spionageabwehr und der Rekrutierung von Agenten für den Einsatz im Westen spezialisiert haben. Manche Betrachter werden erst beim Besuch der Ausstellung erfahren, wen seine heutige Wohnung früher einmal beherbergt hat.

Vergangenheit in der Gegenwart verortet

Wer möchte, kann beim Rundgang durch die neue Ausstellung auf dem Tablet Filme, Fotos und Dokumente ansehen und etwas vom Schicksal der Menschen erfahren, die in den Blick und die Fänge der ostdeutschen "Tscheka" gerieten. Überdies können sich Besucherinnen und Besucher in die Vergangenheit ihres Kiezes vertiefen und sehen, wie die Stasi gegen die eigene Bevölkerung agiert hat. Für die Ausstellung wurden 10.000 Fotos und Hunderte Akten bei der Stasi-Unterlagen-Behörde gesichtet. Aus ihnen ergibt sich, mit welchen mal brutalen, mal differenzierten Mitteln die Partei und ihr langer Arm, das von Erich Mielke diktatorisch geführte Ministerium für Staatssicherheit gegen die eigene Bevölkerung vorgegangen ist, wo immer sie Kritik und Widerspruch witterten, sagt Kurator Andreas Engwert. "Wir wollen das Vergangene in der Gegenwart verorten und einen neuen Blick auf die Stadt eröffnen, sagt er. Projektleiter Michael Schäbitz erklärt, die Stasi habe noch in den sechziger Jahren äußerst brutal die Macht der SED und damit ihre eigene Macht gesichert und ausgebaut, später ging es ihr mehr um die Zersetzung von Oppositionsgruppen sowie die Einschüchterung und Isolierung von Systemkritikern und ihren Familien. Wie aber die Ereignisse vor 30 Jahren zeigten, hätten alle diese Mühen nichts genutzt, um die SED-Diktatur vor dem Untergang zu bewahren.

2. April 2019

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