"Wir sind bei Marx, unter seinem Banner"
Politische Morde und extreme Verdächtigungen überschatteten vor einhundert Jahren den Beginn der Weimarer Republik



Die mit massiver Propaganda verbundene Dolchstoßlegende sollte verdecken, wer Schuld am Ersten Weltkrieg hatte und an dem, was zur Niederlage des Deutschen Reichs und seiner Verbündeten führte.



Das KPD-Plakat entstand in Anlehnung an eine Fotografie, die Karl Liebknecht bei seiner letzten öffentlichen Rede am 4. Januar 1919 in der Berliner Siegesallee zeigt. Die Darstellung des in die Zukunft weisenden Politikers vor einer scheinbar unüberschaubaren Menge von Anhängern entwickelte sich in der KPD zu einer Ikone, nachdem Liebknecht am 15. Januar 1919 von rechten Freikorpsangehörigen ermordet worden war. Das Plakat rechts verheißt allen, die sich der KPD anschließen, Rettung und ein glückliches Leben.



Denjenigen, die der gegen Spartakus und KPD gerichteten Hetze folgten und Mordaufrufe ausführten, ist vor hundert Jahren nichts geschehen.



Das Revolutionsdenkmal in Friedrichsfelde für Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, in der Weimarer Republik Ort von Demonstrationen KPD und der politischen Linken, wurde 1935 von den Nazis zerstört. 1983 wurde auf dem Fundament an einem Block aus roten Klinkern eine von Gerhard Thieme geschaffene Bronzetafel mit der Ansicht des Monuments enthüllt. Der Stein (rechts) ist der Sockel eines Liebknechtdenkmals am U-Bahnhof Potsdamer Platz. Zur Aufstellung des Monuments kam es in "Mauerzeiten" nicht, und danach wurde der Plan nicht mehr aufgegriffen.



Die Gedenkstätten im Berliner Tiergarten erinnern an den Mord an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg (Foto) und wurden 1987 gegen manche Widerstände im damaligen Westberlin errichtet. Auch heute wird die historische Rolle der KPD-Gründer kontrovers diskutiert.



Wo in der Kaiserzeit im Eingangsbereich des Berliner Marstalls gegenüber dem Hohenzollernschloss neobarocker Monarchenkult betrieben wurde, erinnern seit 1988 die von Gerhard Rommel gestalteten Bronzereliefs an Karl Marx und Karl Liebknecht und ehren damit Ikonen der SED, die sich unentwegt auf diese ihre Vordenker. (Fotos/Repros: Caspar)

Zwar hatten der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann und der Linkspolitiker Karl Liebknecht am 9. November 1918 in Berlin die freie deutsche Republik beziehungsweise die freie sozialistische Republik Deutschland ausgerufen. Doch von Ruhe und Frieden war das Land nach dem Ende des Ersten Weltkriegs weit entfernt. Aufstände, politische Morde und gegenseitige Diffamierungen und die Dolchstoßlegende vergifteten das Leben im neuen Deutschland. Kaiser Wilhelm II. und die anderen Monarchen waren in der Hoffnung gegangen, über kurz oder lang wieder ihre Throne einnehmen zu können. Geblieben waren die Generale und all die anderen Stützen des Kaiserreichs, und sie dachten nicht daran, einen Zipfel Macht an die Arbeiter und Soldaten abzugeben, die den Regimewechsel erst ermöglicht und mit ihrer Rebellion den Krieg beendet hatten. Für die verheerende Entwicklung des Ersten Weltkriegs und sein katastrophales Ende wollten weder die deutschen Fürsten noch ihre Minister und das Militär verantwortlich sein. Sie behaupteten, an der Niederlage seien nicht sie und die Soldaten Schuld, sondern aufgewiegelte Zivilisten in der Heimat, die angeblich den tapferen Kriegern einen Dolchstoß in den Rücken versetzt hätten.

Die Dolchstoßlegende wurde von General Erich Ludendorff, als Chef des Generalstabs engster Mitarbeiter des kaiserlichen Generalfeldmarschalls und späteren Reichspräsidenten Paul von Hindenburg (Bild links), erfunden und propagiert und eifrig von Monarchisten, Militaristen und Demokratiefeinden aufgegriffen. In seinem Erinnerungsbuch "Ereignisse und Gestalten" schrieb der im niederländischen Exil komfortabel lebende Ex-Kaiser Wilhelm II.: "Dreißig Jahre ist die Armee mein Stolz gewesen. Ich habe für sie gelebt und an ihr gearbeitet. Und nun nach vier glänzenden Kriegsjahren mit unerhörten Siegen musste sie unter dem von hinten gegen sie geführten Dolchstoß der Revolutionäre zusammenbrechen, gerade in dem Augenblick, als der Friede in Greifnähe stand! Und dass in meiner stolzen Flotte, meiner Schöpfung, die Empörung zuerst offen zutage getreten ist, hat mich am tiefsten ins Herz getroffen". Schuldgefühle gegenüber den Millionen Kriegstoten und Versehrten plagten den von seinem Gottesgnadentum überzeugten Ex-Monarchen nicht.

Angst vor der "Bolschewisierung"

Karl Liebknecht und seine Mitkämpfer vom Spartakusbund forderten Ende 1918 die Fortführung der bürgerlich-demokratischen Revolution und ihre Umwandlung in eine proletarisch-sozialistische Revolution, fanden aber in der Bevölkerung kaum Widerhall. Aus Angst vor der "Bolschewisierung" nach russischem Vorbild formierten sich rechtsgerichtete Offiziere und andere Personen zu Mörderbanden mit dem Ziel, die Spartakusbewegung und ihre Führer, allen voran Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, zu liquidieren. Ende 1918 kam es in Berlin und an anderen Orten zu Putschversuchen von Freikorpsleuten und zu Mordanschlägen, denen zahlreiche Menschen zum Opfer fielen.

Mitten im Chaos fand vom 30. Dezember 1918 bis 1. Januar 1919 im Festsaal des Preußischen Landtags in Berlin unter dem Motto "Alle Macht den Räten, nieder mit Imperialismus und Militarismus, Verbrüderung mit der russischen Revolution" der Gründungsparteitag der KPD statt. Liebknecht erklärte am 30. Dezember 1918, "dass ein weiteres Verbleiben im Verbande der USP geradezu bedeutet eine Solidarisierung mit der Gegenrevolution, eine Preisgabe der Ehre des Sozialismus. […] Wenn wir heute auseinandergehen, muss eine neue Partei gegründet sein, eine Partei, die im Gegensatz zu den scheinsozialistischen Parteien steht, zu denen auch die USP [Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD), H. C.] zu rechnen ist, im Gegensatz zu den Parteien, die das Wort Sozialismus missbrauchen, um die Massen zu verwirren und den herrschenden Klassen in die Hände zu arbeiten, eine Partei, die entschlossen und rücksichtslos die Interessen des Proletariats vertritt..." In diesem Sinne konstituierte sich der Spartakusbund als selbständige Partei unter dem Namen Kommunistische Partei Deutschlands (Spartakusbund). Rosa Luxemburg fasste dies mit dem bekannten Wort: "Wir sind wieder bei Marx, unter seinem Banner" zusammen.

Mordaufrufe gegen linke Aktivisten

Einhundert Jahre später erinnerte die Linke am alten Ort im heutigen Abgeordnetenhaus an die Gründung der KPD. Sogleich wurden linke Politiker kritisiert, weil sie bei dieser Gelegenheit kein Wort darüber verloren haben, dass sich die KPD mit ihrer Forderung, das Reich in ein Sowjetdeutschland zu verwandeln und wegen ihres Kampfes gegen die von den Kommunisten als Sozialfaschisten verteufelten Sozialdemokraten unrühmlich als Totengräber der Weimarer Republik betätigt hat.

Um "Ruhe und Ordnung" wiederherzustellen, setzte der Sozialdemokrat Gustav Noske im März 1919 Regierungstruppen gegen Spartakisten und andere Revolutionäre in Marsch. Bei den Märzkämpfen, in denen auch Artillerie gegen "revolutionäre Nester" zum Einsatz kam, wurden über 1200 Menschen getötet. Freikorpsleute machten Jagd auf linke Aktivisten und heizten die Spannungen durch Mordaufrufe an. Liebknecht und Luxemburg wurden am 15. Januar 1919 bestialisch ermordet. Die Folge waren neue Protestaktionen, die blutig aufgelöst wurden. Vier Tage später fanden die Wahlen zur deutschen Nationalversammlung statt, in denen die bürgerlichen Parteien die Mehrheit erlangten. Die KPD hatte die Wahl, an der erstmals auch Frauen teilnehmen konnten, boykottiert. Das Nachkriegsparlament trat im fernen Weimar zusammen, weil die Verhältnisse in Berlin zu unsicher waren. Das verschaffte der neuen Ordnung in Deutschland den Namen Weimarer Republik.

Denkmal an zwei Orten

An Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg erinnern zwei Gedenkstätten im Großen Tiergarten. Die bescheidenen Male zur Erinnerung an die am 15. Januar 1919 bestialisch von rechtsextremistischen Offizieren und Soldaten Ermordeten wurden 1987, als Berlin seine 750-Jahrfeier beging, aufgestellt, und zwar für Luxemburg am Lützowufer unterhalb der Lichtensteinbrücke beziehungsweise für Liebknecht zwischen Nordufer des Neuen Sees und dem Großen Weg in Hörweite des S-Bahnhofs Tiergarten. Das "Denkmal an zwei Orten" wurde von Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte geschaffen. Die Gedenksäule für Liebknecht besteht aus roten Ziegelsteinen und erinnert damit an das große, aus Klinkern gefügte Revolutionsdenkmal, das 1926 nach Plänen von Ludwig Mies van der Rohe im hinteren Teil des Zentralfriedhofs in Friedrichsfelde von der KPD errichtet wurde. Senkrecht ist Karl Liebknechts Name angebracht. Auf der Tafel wird daran erinnert, dass Liebknecht an diesem Ort erschossen wurde. "Im Kampf gegen Unterdrückung, Militarismus und Krieg starb der überzeugte Sozialist Karl Liebknecht als Opfer eines heimtückischen politischen Mordes. Die Missachtung des Lebens und die Brutalität gegen den Menschen lassen die Fähigkeit der Menschen zur Unmenschlichkeit erkennen. Sie kann und darf kein Mittel irgendeiner Konfliktlösung sein und bleiben." Die Erinnerungsstätte für Rosa Luxemburg besteht aus dem Namen der Ermordeten und einer Schrifttafel, die ebenfalls auf ihren Tod am 15. Januar 1919 hinweist und die gleiche Aufforderung wie auf der Tafel für Liebknecht enthält, keine gewaltsame Konfliktbewältigung zuzulassen.

Das Revolutionsdenkmal in Friedrichsfelde für Liebknecht und Luxemburg, in der Weimarer Republik Zentrum politischer Demonstrationen der KPD und der politischen Linken, wurde 1935 von den Nazis zerstört. 1983 wurde auf dem Fundament an einem Block aus roten Klinkern eine von Gerhard Thieme geschaffene Bronzetafel mit der Ansicht des weltbekannten Monuments enthüllt. Grabplatten in der 1951 errichteten Gedenkstätte der Sozialisten im Zentralfriedhof Friedrichsfelde tragen unter anderem die Namen von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Eine riesige Stele aus rotem Porphyr hat die Aufschrift "Die Toten mahnen uns".

Schwierigkeiten mit Rosa Luxemburg

Führende Funktionäre in der DDR hatten ein gespaltenes Verhältnis zu den Gründern der Kommunistischen Partei Deutschlands, namentlich zu Rosa Luxemburg. Zwar fanden in DDR-Zeiten jeweils am Jahrestag dieser grauenvollen Bluttaten Kundgebungen mit den SED-Führern Ulbricht beziehungsweise Honecker an der Spitze und dem gesamten SED-Politbüro auf dem Zentralfriedhof in Berlin-Friedrichsfelde statt. Aber so richtig ernst nahmen sie nicht das, was die beiden Köpfe der deutschen Linken gesagt und geschrieben haben. Namentlich Rosa Luxemburgs Ausspruch aus dem Jahr 1918 "Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei - mögen sie noch so zahlreich sein - ist keine Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden [sich zu äußern, wie es laut Rosa-Luxemburg-Stiftung 2001 in einer anderen Version heißt, H. C.]. Nicht wegen des Fanatismus der ,Gerechtigkeit', sondern weil all das Belebende, Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen hängt und seine Wirkung versagt, wenn die ,Freiheit' zum Privilegium wird" erregte das Misstrauen und den Zorn der SED-Oberen. Denn sie nahmen für sich in Anspruch, alles zu wissen, alles zu dürfen und alles für die andern, also das Volk, entscheiden und regeln zu können.

Das Zitat in der Schrift "Die russische Revolution. Eine kritische Würdigung, Berlin 1922 S. 109; Rosa Luxemburg - Gesammelte Werke Band 4, S. 359, Dietz Verlag Berlin (Ost), 1983, war in der DDR bekannt und wurde von der Opposition zur Agitation gegen die SED-Machthaber verwendet. Rosa Luxemburg sah in ihrem unvollendeten Manuskript, in dem sie sich mit Lenin und der russischen Revolution auseinandersetzte, voraus, dass es zu nichts Gutem führen kann, wenn sich eine Partei, eine Gruppierung über andere erhebt. Dass das von Übel ist, befürchtete die Politikerin mit Blick auf Sowjetrussland, wo die von Lenin geführte Bolschewiki eine Alleinherrschaft errichtet hatte und alle Menschen mit Hilfe ihrer Geheimpolizei Tscheka ausschaltete, die ihr dies streitig zu machen versuchten.

Einer von vielen Nägeln am Sarg der DDR

Zwar wurde quer durch die DDR gesungen "Dem Karl Liebknecht haben wir's geschworen, der Rosa Luxemburg reichen wir die Hand", aber weiter ging die Liebe zu den beiden Revolutionären nicht. Bürgergruppen, die sich in den letzten Jahren des Bestehens der DDR Rosa Luxemburg zitierten und gar öffentlich ihre Bewertung der Russischen Revolution auf Plakaten hoch hielten und/oder laut aussprachen, wurden von der Stasi verhaftet und mundtot gemacht. Bei der Begründung ihrer Repressionsmaßnahmen hatten Honeckers und Mielkes Häscher einige Mühe, denn die Verhafteten beriefen sich ja auf eine Ikone der kommunistischen Bewegung, und dagegen mit ideologischen Mitteln vorzugehen, mussten sie einige Verrenkungen anstellen. Als am 17. Januar 1988 Bürgerrechtler es wagten, im Liebknecht-Luxemburg-Zug (LL-Zug) ein Transparent mit der Aufschrift "Freiheit ist immer auch die Freiheit des Andersdenkenden" zu entrollen, schritt Mielkes Geheimdienst ein und verhaftete sie. Es musste unter allen Umständen verhindert werden, dass Luxemburgs Kritik an Machtanmaßung und Machtmissbrauch gehört und verwirklicht wird. Als angebliche Störenfriede wurden Stephan Krawczyk, Vera Wollenberger, Werner Fischer, Bärbel Bohley, Freya Klier, Wolfgang Templin und andere verhaftet.

Der "Zwischenfall" vor der Gedenkstätte der Sozialisten draußen in Friedrichsfelde ließ sich nicht verheimlichen, zumal weil westdeutsche Journalisten das Vorgehen der Stasi beobachtet und gefilmt hatten. So kam es in beiden deutschen Staaten zur Solidarisierung mit den inhaftierten Bürgerrechtlern. Was sich Honecker und seine Genossen erlaubten, war mit anderen Maßnahmen gegen die innerstaatliche Opposition einer von vielen Nägeln am Sarg der DDR.

10. Januar 2019

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