"Diese Schweinehunde, dieses Gesockse"
Stasi wusste im Herbst 1989 über die miese Stimmung in der DDR bestens Bescheid, zog aber aus der Unzufriedenheit falschen Schlüsse



Mit solchen sauber auf Holztafeln gemalten Sprüchen hat man die Stasi und die anderen bewaffneten Organe bei der Stange gehalten und ihnen Optimismus eingeflößt. Wer gegen die Vorgaben verstieß, bekam die ganze Rache des "Liebesministeriums" zu spüren, um einen Begriff von George Orwells Roman "1984" zu verwenden.



Erich Mielke und Erich Honecker sahen sich nach dem Ende ihres Regimes im Gericht wieder, zwei alte Männer, die keine Einsicht und Reue zeigten und sich als von der "Siegerjustiz" verfolgte Unschuldsknaben inszenierten.



Als 1987 auch für die DDR Glasnost und Perestroika in Staat und Kirche gefordert wurde, war die Stasi sofort auf dem Plan. Auf die Dauer ließ sich aber das von Gorbatschow vertretene "neue Denken" nicht unterdrücken.



Wer in eine DDR-Zeitung schaute, wusste ungefähr, was in der anderen steht. Die Einförmigkeit der DDR-Medien wurde gelegentlich durch die "Wochenpost", den "Eulenspiegel", "Das Magazin" und andere Blätter unterbrochen, doch waren diese am Kiosk und per Abonnement nicht ohne weiteres zu haben. Wenn man wissen wollte, was sich in der Welt und jenseits der Grenze tut, schaltete, gegen Verbote und sehr zum Ärger der SED-Bonzen, das Westfernsehen ein.



Erich Honecker griff gern zur Feder und lancierte seine Vorstellungen von der deutschen Geschichte und den aktuellen Verhältnissen in die DDR-Medien. Der Schwachsinn musste wortwörtlich gedruckt und gesendet werden, auch wenn sie inhaltlich und sprachlich noch so konfus formuliert wurden.



Die Berufung auf Carl von Ossietzky, Rosa Luxemburg und selbst Karl Marx nutzte DDR-Dissidenten nicht, wenn sie ins Visier der Geheimpolizei und Justiz gerieten. Viele leiden bis heute unter traumatischen Folgen von Haft und Verfolgung. Das Plakat bekundet Solidarität mit den Schülern der Carl-von-Ossietzky-Schule in Berlin-Pankow, die sich kritisch über die Militarisierung der DDR-Gesellschaft geäußert hatten. (Fotos/Repros: Caspar)

Sorgen im SED-Zentralkomitee, im Ministerium für Staatssicherheit (MfS) und weiteren Einrichtungen waren im Herbst 1989 berechtigt, die politische und wirtschaftliche Lage in der DDR könnte sich zu einem neuen Volksaufstand gegen das verknöcherte, zu Reformen unfähige Regime ausweiten. Diesmal aber würde die Rote Armee wie beim Volksaufstand vom 17. Juni 1953 nicht mehr eingreifen und der Partei- und Staatsführung zu Hilfe kommen. Im Notfall müssten die eigenen Leute auf friedliche Demonstranten schießen, was unübersehbar schreckliche Folgen für das weitere Zusammenleben im Arbeiter-und-Bauern-Staat gehabt hätte, wie sich die DDR gern nannte. Stasi-Minister Erich Mielke stellte seinen in den 15 Bezirksverwaltungen des MfS tätigen Generalen und Offizieren in einer Dienstbesprechung am 31. August 1989 die besorgte Frage: "Ist es so, dass morgen der 17. Juni ausbricht?", um sogleich die Antwort zu bekommen: "Der ist morgen nicht, der wird nicht stattfinden, dafür sind wir ja auch da."

Die Erinnerung an den von der Roten Armee und der Volkspolizei blutig niedergeschlagenen Volksaufstand vom 17. Juni 1953 war allgegenwärtig, auch bei der Staatssicherheit. Diesmal würde die Weltöffentlichkeit zuschauen, wenn es zur Gewaltanwendung kommt, und diesmal war die Opposition im Lande wesentlich stärker als damals, wenige Wochen nach dem Tod des sowjetischen Diktators Josef Stalin und im Zeichen der in Moskau tobenden Diadochenkämpfe um seine Nachfolge. Wie sich nach der friedlichen Revolution in der DDR 1989/90 herausstellte, war die Furcht nicht unbegründet, es könnte zu einem gewaltsamen Zusammenstoß zwischen Volk und Obrigkeit kommen und die SED- und Staatsführung könnte ähnlich wie damals und heute in China vorgehen. Zu diesem äußersten Fall ist es zum Glück nicht gekommen.

Stark ausgeprägte Erwartungshaltung

Da man im Ministerium für Staatssicherheit wusste, dass Mielke bei Widerworten ausfällig und grob werden kann und schnell Strafen erlässt, beeilten sich seine Untergebenen, ihren Chef und damit auch dessen obersten Parteisekretär Erich Honecker zu beruhigen. Man habe alles im Griff, Provokateure und andere feindlich-negative Elemente würden isoliert und "aus dem Verkehr" gezogen, also verhaftet und eingesperrt. Aber es wurde auch vorsichtig zu bedenken gegeben, dass man über die "stark ausgeprägte Erwartungshaltung" in breiten Bevölkerungskreisen und die allgemeine Unzufriedenheit sprechen muss. Auf die Idee, die Daumenschrauben zu lockern und auf die immer lauter werdenden Forderungen nach Demokratie, die diesen Namen verdient, nach Verbesserung der Versorgungslage, nach Reisefreiheit, wahrheitsgemäßer Berichterstattung in den Medien und Abschaffung der Einparteienherrschaft einzugehen, kam keiner der Genossen. Stattdessen wurde festgelegt, noch mehr Druck auf "relevante Personen" zu machen und Listen über diese Oppositionellen zu erstellen, um diese auf ein spezielles Stichwort schlagartig zu verhaften und in so genannten Isolierungsobjekten verschwinden zu lassen. Für sie hatte der Stasi-Chef nur Verachtung übrig. In seinen bereits 1990 publizierten Dienstbesprechungen nannte er sie, tief in die Jauche der Fäkalsprache greifend, miese Säcke, Schweinehunde, Gesockse und Verräter, die er am liebsten verrecken oder an die Wand stellen, also erschießen lassen würde.

Um jederzeit die Frage "Wer ist wer?" beantworten zu können, hämmerte das Ministerium für Staatssicherheit seinen hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeitern ein, es müsse "mit seinen tschekistischen Kräften, Mitteln und Methoden die tatsächlichen politischen Einstellungen von Personen, ihre Denk- und Verhaltensweisen herausarbeiten." Auf einer Tafel in der Stasi-Ausstellung im Haus 1 auf dem Gelände des früheren MfS an der Ruschestraße in Berlin-Lichtenberg heißt es in Bezug auf die erwähnte Frage: "Sie zu klären heißt eine Antwort darauf zu geben, wer der Feind ist, wer eine feindlich-negative Haltung einnimmt, wer aufgrund des Wirkens feindlich-negativer und anderer Einflüsse zum Feind werden kann, wer den Feindeinflüssen unterliegen und sich vom Feind missbrauchen lassen könnte, wer eine schwankende Haltung einnimmt…"

Es regnet durch das Krankenhausdach

Gelegentlich kamen in den Besprechungen Missstände zur Sprache, und da konnte Mielke durchaus aus der Haut fahren. So berichtete der Leiter der Stasi-Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz), Generalleutnant Siegfried Gehlert, dem Minister und seinen Generalen von unhaltbaren Zuständen im Krankenhaus der Bezirksstadt. Dort gebe es 70 Antragsteller für die Ausreise aus der DDR und in der ganzen Stadt 200 unter dem medizinischen Personal. Ihm, Gehlert, hätten der Ärztliche Direktor und der Parteisekretär auf den Weg gegeben zu sagen, dass seit 1980 dem Chefarzt der Frauenklinik versprochen wird, dass sein Dach gedeckt wird. "Die Krankenschwestern müssen, wenn es regnet, mit Eimern durchs Krankenhaus. […] Der Ärztliche Direktor wurde von Jahr zu Jahr vertröstet und ihm von Jahr zu Jahr die Bilanz nicht bestätigt. Aber das ist nur ein Thema - das Dach. Es gibt also in diesem Gesundheitswesen noch eine Vielzahl von Problemen, die aber - so muss ich ja ganz einfach sagen - beginnen bei der bürokratischen und formalen Arbeitsweise, vor allem des Leitungspersonals. […] Ich will hier nicht in Details gehen, aber wenn der Parteisekretär sagt, dass in einem Krankenzimmer 12 krebskranke Menschen liegen, und die haben nur ein Waschbecken, dann ist das für meine Begriffe für das Jahr 1989 nicht mehr vertretbar. Aber die Staatssicherheit hat informiert, nicht erst einmal." Gehlert fügte hinzu, dass die Abteilung Gesundheitswesen des SED-Zentralkomitees seine Information völlig ignoriert hat. Ob die Löcher im Dach alsbald gestopft wurden, wo der beschämende Fall doch bei Mielke besprochen wurde, kann hier nicht gesagt werden.

Das Beispiel ist ganz gewiss kein Einzelfall. Es zeigt, was die Legende vom vorzüglichen DDR-Gesundheitswesen wert ist und warum Ärzte und Pflegekräfte da und dort an Missständen so sehr so verzweifelten, dass sie sich zur Flucht in den Westen oder zu einem Ausreiseantrag entschlossen, was die Arbeitskräftelage in der DDR weiter verschärfte. Mielke antwortete auf die Klagen seines Mannes an der Spitze der Stasiverwaltung in Karl-Marx-Stadt ungehalten. "Hör mal zu. Ich will mal was sagen. Wenn Du es seit 1980 weißt, dann hättest Du ein paar Dachdecker schon organisieren können. Das ist auch nicht richtig, wie Du das hier darstellst. Du kannst mir doch nicht erzählen, dass seit 1980 das Dach undicht ist. Da muss man Initiative ergreifen. […] Da würde ich mobilisieren gute Menschen, die das können."

Was Mielke nicht sagte und was in diesem Kreis aber alle wussten, war, dass es nur ein Fingerschnipsen bedurfte, wenn es ihm und seinesgleichen danach gelüstet, in einem Naturschutzgebiet oder einem Jagdrevier eine schöne Villa oder wenigstens eine komfortable Datsche gebaut zu bekommen. Arbeitskräfte- und Materialmangel herrschte im Prinzip nicht, nur gab es eine ungleiche Verteilung, und wer zu "denen da oben" gehörte, konnte sich nur schwer vorstelle, dass die "da unten" ewig lange auf paar Dachziegel und Handwerkern warteten, um im Bild zu bleiben.

Die von der Stasi beobachteten Ausreiseanträge bezogen sich auch auf die von vielen DDR-Bewohnern als Zumutung empfundene Erfolgsmeldungen im sozialistischen Wettbewerb "zu Ehren" der Kommunalwahlen am 7. Mai 1989, des 40. Gründungstags der DDR am 7. Oktober 1989 und zu anderen Anlässen. Die Ergebnisse der Kommunalwahlen wurden nicht für bare Münze genommen. Es gab Anträge, die Zettel noch einmal zu zählen und sogar die ganze Abstimmung für ungültig zu erklären.

Erfolgsmeldungen stimmten vorn und hinten nicht

Ein weiteres Problem war die Medienpolitik der SED und ihres dafür zuständigen ZK-Sekretärs Joachim Herrmann. In einem streng geheimen Dokument vom 9. Oktober 1989, als übrigens 70 000 Leipziger auf die Straße gingen (siehe oben), mit dem umständlichen Titel "Hinweise auf wesentliche motivbildende Faktoren im Zusammenhang mit Anträgen auf ständige Ausreise nach dem nichtsozialistischen Ausland und dem ungesetzlichen Verlassen der DDR" werden neben unbefriedigenden Arbeitsbedingungen und Diskontinuität im Produktionsablauf, schlechtes Arbeitsklima, Ärger über bürokratisches Verhalten von Mitarbeitern staatlicher Organe, Mängeln in der medizinischen Betreuung, Unzufriedenheit über die Versorgungslage und weiteren Problemen auch das "Unverständnis über die Medienpolitik" genannt.

Die Stasi zählte, ohne auf Ursachen und Verantwortliche einzugehen, die Diskrepanz zwischen offiziellen Verlautbarungen und den "gesammelten persönlichen Erfahrungen. "Insbesondere betrifft dies Berichte und Statistiken über die Erfüllung und Übererfüllung der Plankennziffern, über Steigerungsraten bei der Konsumgüterproduktion oder Ersatzteilproduktion, den Grad der Versorgung mit neuen oder modernisierten Wohnungen, über positive Beispiele der engen Verbindung und Zusammenarbeit der Bevölkerung sowie territorialen Staatsorganen und Volksvertretungen."

In den DDR-Medien, ob Zeitungen oder Zeitschriften, Rundfunk, Film oder Fernsehen sowie in der Belletristik und in Sachbüchern war alles verboten und wurde durch scharfäugige Zensoren strichen, was irgendwie nicht im Einklang mit der "Linie" der Partei stand, die angeblich immer Recht hat, um aus einem damals populären Lied zu zitieren. Damit sollte verhindert werden, dass der imperialistische Klassenfeind eine Handhabe für Hetze und Wühlarbeit erhält, so die damalige Diktion. Wo einmal vorsichtige Kritik erfolgte, war sie mit der SED-Führung abgestimmt und gewollt, etwa wenn es um "Engpässe" in der Versorgung oder bürokratisches Verhalten bei der Lösung von Anliegen der Bevölkerung ging. Da durfte auch schon mal das Satireblatt "Eulenspiegel" offensichtliche Dummheiten als solche benennen. Die Partei konnte dann sagen "Seht her, wir sind ein weltoffenes Land, in dem Kritik und Selbstkritik geübt wird und erwünscht ist.

15. Oktober 2019

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