"Der Deutschen Edel-Stein"
Preußens Reformpolitiker Karl vom und zum Stein rief vor 200 Jahren ein berühmtes Geschichtswerk ins Leben



Das Denkmal des preußischen Reformpolitikers Karl vom und zum Stein rückte vor einigen Jahren vom Dönhoffplatz vor das Berliner Abgeordnetenhaus.



Karl vom und zum Stein eröffnet auf dem Sockel seines Denkmals den ersten westfälischen Landtag.





Die gekrönte Germania vom Denkmalsockel bekränzt das von Karl vom und zum Stein ins Leben gerufene Geschichtswerk mit Eichenlaub, darunter das lateinische Motto, das den MGH gegeben wurde.



Durch den Frieden von Tilsit 1807 musste der Preußenkönig die Hälfte seines Staates an andere Potentaten abtreten.



Friedrich Wilhelm III. hört auf der farbigen Grafik aus der Zeit um 1900 zu, wie sich seine Minister (2. von rechts Stein) und Militärs die Reformierung des preußischen Staates vorstellen.



1923 wurde eine von dem Bildhauer Rudolf Bosselt gestaltete Fünf-Millionen-Münze der Provinz Westfalen mit dem Kopf des Reichsfreiherrn vom Stein geprägt.



Eine bronzene Gedenktafel an seinem ehemaligen Arbeitsort, dem Palais am Festungsgraben hinter der Neuen Wache Unter den Linden in Berlin, erinnert an den berühmten Bewohner. (Fotos/Repros: Caspar)

Man nannte ihn Deutschlands Führer in schwerer Zeit und räumte ihm einen Ehrenplatz in der Galerie der großen Politiker ein - Karl Reichsfreiherr von und zum Stein, Am 26. Oktober 1757 in Nassau an der Lahn geboren, entstammte er einem uraltem Reichsrittergeschlecht und war dadurch nur dem Kaiser in Wien untertan. Als junger Mann trat er in preußische Dienste und brachte es in zwanzigjähriger Verwaltungsarbeit zum Leiter des westfälischen Bergbauwesens beziehungsweise zum westfälischen Oberpräsidenten. 1804 wurde der 47jährige vom preußischen König Friedrich Wilhelm III. zum Wirtschafts-, Finanz- und Handelsminister ernannt.

Der Anfang 1819, vor genau 200 Jahren, auf Initiative des Reichsfreiherrn vom Stein gegründeten "Gesellschaft für Deutschlands ältere Geschichtskunde" gehörten unter anderem Wilhelm von Humboldt und Johann Wolfgang von Goethe an. Ihr Ziel war es, die schriftlichen Zeugnisse des Mittelalters zu sammeln und als "Monumenta Germaniae Historica", das heißt "Geschichtsdenkmäler Deutschlands" zu veröffentlichen. Ziel war und ist es, mittelalterliche Textquellen der Forschung zugänglich zu machen und durch kritische Studien zur Erforschung der deutschen beziehungsweise europäischen Geschichte beizutragen. Vor allem im 19. Jahrhundert übten die MGB und weitere Editionen maßgeblichen Einfluss auf die deutsche Mittelalterforschung aus.

Heilige Vaterlandsliebe gibt den Geist

Zunächst wurde das Projekt von der "Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde" organisiert, deren Generaldirektion sich am 20. Januar 1819 in der Wohnung des Reichsfreiherrn in Frankfurt am Main konstituierte. Die Satzung wurde am 12. Juni 1819 veröffentlicht, womit das ehrgeizige Vorhaben auch dem breiteren wissenschaftlichen Publikum geöffnet wurde. Der badische Legationsrat, Sekretär der großherzoglichen Bundestagsgesandtschaft in Frankfurt, Historiker und Schriftsteller Johann Lambert Büchler gab den MGH das Motto "Sanctus amor patriae dat animum" ("Die heilige Vaterlandsliebe gibt den Geist"). Ziel war es, besten Handschriften eines Werkes vollständig, die schlechteren nur in Auswahl zu publizieren. Die originale Rechtschreibung der Handschriften sollte weitgehend berücksichtigt und die Interpunktion modernisiert werden.

Gigantisches Werk noch nicht vollendet

Ein von dem Bildhauer Hermann Schievelbein geschaffenes und 1875 enthülltes Bronzedenkmal erinnert vor dem Berliner Abgeordnetenhaus an den berühmten Staatsmann, der sich, zurückgezogen bis zu seinem Tod am 29. Juni 1831 auf Schloss Cappenberg in Westfalen lebend, auch im Alter keine Ruhe gönnte und unter anderem als Gründer der Gesellschaft für ältere Geschichtskunde das berühmte Quellenwerk "Monumenta Germaniae Historica" (MGH) auf den Weg brachte. Noch heute wird in München und Berlin an dem gigantischen, längst nicht vollendeten Editionswerk deutscher Handschriften und Urkunden von den ältesten Zeiten bis um 1500 gearbeitet. Der Denkmalsockel wird von vier Assistenzfiguren bewascht. Eine würdigt Steins "Monumenta" in Form einer Germania mit Kaiserkrone auf dem Kopf und einem dicken Buch in der Hand gewürdigt. Die anderen Allegorien stehen für Vaterlandsliebe, Willenskraft und Frömmigkeit.

Ursprünglich hatte man mit zwölf Foliobänden gerechnet, die innerhalb eines Gelehrtenlebens zusammengetragen werden sollten, also etwa in einem halben Jahrhundert. Tatsächlich umfasst heute die Edition fast 500 Bände, die von einem Forschungsinstitut in München sowie von Arbeitsstellen deutschsprachiger Akademien der Wissenschaften publiziert wurden. Diese Quelleneditionen bilden die wichtigste Textbasis für die Erinnerungsgeschichte an das europäische Mittelalter, und sie stellen gleichsam die Bausteine für das kulturelle Gedächtnis des Jahrtausends vor dem Beginn der Neuzeit dar. Hinsichtlich des zeitlichen Umfangs wurde das Jahrtausend zwischen 500 und 1500 festgesetzt, als sich der Buchdruck fest etabliert hatte und Schreibstuben außer Mode kamen. Antike klassische Schriftsteller sollten, wenn überhaupt, nur auszugsweise berücksichtigt werden. Die zu erfassenden Schriften und Urkunden sollten aus Räumen stammen, die zum mittelalterlichen Römisch-deutschen Reich gehörten, das bedeutete, dass auch die deutsche Schweiz, Elsass-Lothringen, die Ostseeprovinzen und die Niederlande einbezogen werden sollten. Daneben wollte man auch die wichtigsten germanischen Stämme wie die Vandalen, Burgunder und Langobarden in den Blick nehmen.

Die Publikationen der Monumenta Germaniae Historica erscheinen hauptsächlich in fünf Abteilungen, den Scriptores ("Schriftsteller") mit narrative Quellen wie Viten, Chroniken, Annalen, Staatsschriften), den Leges ("Gesetze") mit Rechtsquellen im weiteren Sinn und normative Texte), den Diplomata ("Urkunden") hauptsächlich mit Dokumenten der fränkischen und deutschen Herrscher, den Epistolae ("Briefe") und den Antiquitates ("Altertümer") mit zahlreichen Gedichten, Nekrologien, Memorialbüchern und ähnlichen Zeugnissen. Innerhalb dieser Abteilungen erscheinen die einzelnen Publikationen sowie verschiedene untergeordnete Editionsreihen. Die genannten Bandanzahlen beziehen sich auf die jeweilige Reihenzählung; unabhängig davon beinhalten einige der Einzelnummern mehrere Teilbände.

Von Bronze soll er sein

Das alles und weitere Aspekte wären zu berücksichtigen, wenn man das Stein-Denkmal vor dem Berliner Abgeordnetenhaus betrachtet. Ursprünglich standen das 7,40 Meter hohe Monument und sein Pendant, das von Martin Götze geschaffene Denkmal von Hardenberg, auf dem Dönhoffplatz in der Nähe der Leipziger Straße in Berlin. Das kommunistischem Bildersturm nach dem Zweiten Weltkrieg geopferte Hardenberg-Monument steht seit 2011, nach historischen Vorlagen in Bronze neu gegossen, als Pendant ebenfalls vor dem Landesparlament. Stein aus Bronze - das inspirierte übrigens lustige Verseschmiede zu folgendem Wortspiel: "Auf dem Dönhoffplatze /stand ein alter Mann. /Sah mit seiner Glatze /sich das Denkmal an. /Sprach er zu den Kindern: "Ist das nicht ,von Stein'"? / ,Nee, sagt der Berliner / ,von Bronze soll er sein'".

Karl vom Steins große Stunde als Reformer schlug, nachdem die Truppen Friedrich Wilhelms III. und seines sächsischen Verbündeten im Oktober 1806 bei Jena und Auerstedt von denen Napoleons I. geschlagen worden waren. Preußen hatte den Krieg angezettelt und stürzte nun in eine existenzielle Krise. Der König floh mit seiner Familie nach Ostpreußen und gebot seinen Berlinern, Ruhe als erste Bürgerpflicht zu bewahren. Ihrem Monarchen, der vor dem rachsüchtigen französischen Kaiser entwichen war, riefen die aufgebrachten Berliner wütend hinterher "Unser Dämel ist in Memel". Im Frieden von Tilsit, der am 9. Juli 1807 unterzeichnet wurde, musste Friedrich Wilhelm III. große Teile seines Staatsgebietes samt Einwohnerschaft an fremde Potentaten abtreten und hohe Kontributionen an Frankreich zahlen.

Kluge Köpfe erkannten in der Niederlage eine Chance, betrieben eine Reformpolitik, die unter normalen Umständen niemals zum Tragen gekommen wäre. Missmutig und unsicher stimmte Friedrich Wilhelm III. den Stein-Hardenbergschen Reformen zu, mit denen sich Preußen teilweise von den Fesseln der alten Feudalherrschaft befreite. Das am 9. Oktober 1807 erlassene Oktoberedikt, mit dem die Leibeigenschaft aufgehoben wurde, die Heeresreform vom 19. Juli 1808 einschließlich der Abschaffung des Adelsvorrechts auf Offiziersstellen, die Städteordnung vom 19. November 1808 und andere Maßnahmen trugen klar auch Steins Handschrift. Da sie nach Meinung der damaligen Feudaleliten an den Grundfesten der preußischen Monarchie rüttelten, begegnete Friedrich Wilhelm III. seinem leitenden Minister Karl vom Stein mit Widerwillen. Der König und seine Frau Luise grollten Stein auch deshalb, weil er die autokratische Regierungsweise des Monarchen in Frage stellte und forderte, das Volk an der Macht zu beteiligen sowie den Ministern mehr Verantwortlichkeit zu geben. Die Neuerungen sollten den Weg frei machen für die Beseitigung der französischen Fremdherrschaft und die Überwindung der Kleinstaaterei.

Widerspenstiger und ungehorsamer Staatsdiener

Zwischen Stein und dem König kriselte es, zweimal wurde der leitende Minister entlassen und zweimal zurückgeholt. Der endgültige Sturz des "widerspenstigen und ungehorsamen Staatsdieners", wie der Monarch über Stein urteilte, geschah im November 1808 auf Betreiben des französischen Kaisers Napoleon I., mit dem sich Preußen gut stellen musste. Diesem war durch eine Intrige der Inhalt eines Briefes des Ministers zugespielt worden, in dem von einem Volksaufstand gegen die Franzosen die Rede war. Des Hochverrats bezichtigt, konnte Stein fliehen zunächst Österreich und dann nach Russland fliehen, wo er Zar Alexander I. zum Durchhalten im Krieg gegen Frankreich ermunterte. Vom Ausland aus bauten Stein und andere Reformer eine in Deutschland agierende Geheimorganisation auf, die den Kampf gegen die französische Fremdherrschaft zum Ziel hatte.

Nach den Befreiungskriegen (1813-1815) und als Folge der nun einsetzenden Restaurationspolitik war der Reichsfreiherr am preußischen Hof eine "Persona non grata", eine in Ungnade gefallene Person. Hingegen stieg sein weniger radikal agierender und wohl auch geschmeidiger Ministerkollege, Karl August von Hardenberg, zum preußischen Staatskanzler mit dem Titel eines Fürsten auf. Da der König Hardenberg zu Dank verpflichtet war, übertrug er diesem die Herrschaft Quilitz, die daraufhin den Namen Neuhardenberg erhielt. Kein Geringer als Karl Friedrich Schinkel baute für den Fürsten ein klassizistisch gestaltetes Schloss, während Peter Joseph Lenné und Fürst Hermann von Pückler-Muskau den Garten in einen englischen Landschaftspark verwandelten. Das auf einer kleinen Anhöhe stehende Marmordenkmal ehrt mit zwei trauernden Figuren Friedrich den Großen, der 1763 die Ämter Quilitz und Rosenthal seinem Lebensretter im Siebenjährigen Krieg Johann Bernhard von Prittwitz übertragen hatte.

Schon zu seinen Lebzeiten war der selbstbewusste Karl vom und zum Stein eine Legende. Man nannte ihn "Der Besten Edelstein" und schrieb unter sein auf Drucken verbreitetes Bildnis "Des Rechtes Grund-Stein / Dem Unrecht ein Eck-Stein / Der Deutschen Edel-Stein". Als Reichsfreiherr sah er sich nicht als Preuße, sondern als Deutscher. Einem Freund, dem Grafen Ernst von Münster, bekannte er: "Ich habe nur ein Vaterland, das heißt Deutschland, und da ich nach alter Verfassung nur ihm und keinem besonderen Teil desselben angehörte, so bin ich auch nur ihm und nicht einem Teil desselben von ganzer Seele ergeben". Steins Bekenntnis zum einigen Deutschland wurde zum geflügelten Wort. Nach dem Ende der Naziherrschaft und des Zweiten Weltkriegs hat man es im geteilten Deutschland oft zitiert, als es darum ging, die Einheit wiederherzustellen. Auch in der frühen DDR griffen Politiker gern den Ausspruch mit der Vision auf, die Einheit unter kommunistischen Vorzeichen wiederherzustellen. Auf diese Avancen gingen Konrad Adenauer und die von ihm geführte Bundesregierung nicht ein, denn ein neutralisiertes, von Moskau abhängiges Deutschland war für sie eine Horrorvision.

24. Januar 2019

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