Kein Paradies ohne Schlangen
Was in der DDR hinter lebensfremden Politparolen steckte und wie sie verballhornt wurden



Werbung und schöne Sprüche machten nicht satt, und wo die "materielle Unterfütterung" fehlte, breitete sich Frust aus.



Alles für den Sozialismus und gegen die westdeutschen Kriegsbrandstifter - die Untertanen von Ulbricht und ab 1971 von Honecker wurden tagtäglich mit solchen Parolen bombardiert. Dass sie etwas im Sine von Agitation und Propaganda bewirkt haben außer Abstumpfung, kann man sich kaum vorstellen.





Anstehen, warten und hoffen, dass man was bekommt - das war für Millionen DDR-Bewohner alltäglich. Das Warenangebot war außerhalb von Ostberlin mager, weshalb man sich andere und bessere Quellen erschließen musste. Gut dran war jemand, der über "Beziehungen" verfügte oder in einem Handwerk tätig war, dass ihm solche verschaffte.



Nach dem Fall der Mauer am 9. November 1989 und dem Ende der SED-Herrschaft landeten zahllose Parteibücher und Bilder von "denen da oben" auf dem Müllhaufen der Geschichte. (Fotos/Repros: Caspar)

"Ich leiste was, ich leiste mir was" war eine in den 1980-er Jahren verbreitete Parole, mit der bei den DDR-Bewohnern letzte Reserven mobilisiert und ihre, wie es hieß, materielle Interessiertheit, stimuliert werden sollten. Was die Erfinder des auf Plakaten und in den Medien verbreiteten Spruchs nicht beachteten, war die Frage, was dieses "was" denn bedeuten soll. Ist es nur das schmale Angebot in den Läden und vielleicht der Trabi vor der Tür oder soll es eine herausragende Leistung sein, die Ruhm und Ehre einbringt und von der man überall spricht? Und was kann ich mir denn leisten, wenn ich mich angestrengt und erfüllt habe, was man von mir verlangt? Gibt es denn ein Angebot, aus dem ich mir etwas heraussuchen kann? Wie so oft, wurden die von "oben" verordneten, das heißt im SED-Zentralkomitee formulierten und vom Politbüro abgesegneten Parolen, kaum dass sie im Umlauf waren, dem Spott preisgegeben. In diesem Fall machte der Volksmund aus dem Slogan die schlichte Feststellung "Ich leiste was, du leistest was, die leisten sich was."

Angesichts des Kaufkraftüberhangs und der schwachen Warendecke war es schwierig, etwas Vernünftiges für sein Geld zu bekommen. Hochwertige Industriegüter waren immens teuer und, wie im Falle von Trabant, Wartburg und anderen Autos mit empörend langen Wartefristen verbunden. Im staatlichen Handel hingen zumeist Ladenhüter ohne Schick, und wenn man etwas Modisches besonders Schmackhaftes haben wollte, musste man entweder in den Exquisit beziehungsweise Delikat mit seinen überteuerten DDR-Preisen oder in den Intershop gehen. Dort bekam man für Devisen, also das Geld vom Klassenfeind, Waren häufig aus der Gestattungsproduktion, also landeseigene Erzeugnisse. Jener vieldeutige Spruch wollte der allgemeinen Frustration begegnen, jenem wachsenden Unmut über die durch schönfärberische Berichte in den Medien, die jeder Erfahrung Hohn sprachen.

Arbeite mit, plane mit, resigniere mit

Ökonomen haben ausgerechnet, dass Millionen Arbeitsstunden ausfielen, nur weil Werktätige ihren Arbeitsplatz verließen, um sich in die Warteschlangen anzustellen, wenn es irgendwo da gerade Südfrüchte oder andere begehrte Erzeugnisse gab. Da ging die offiziell nicht gewollte, aber umso lieber benutzte Parole "Kein Paradies ohne Schlangen" um. Oft nahmen Leute aus der Provinz lange Fahrten mit der Bahn oder dem Auto in Kauf, um in der DDR-Hauptstadt oder wenigstens in den Bezirksstädten etwas zu ergattern, was bei ihnen zuhause Mangelware ist. Manche Waren wurden für kleinen Gewinn weiter verkauft, manches wurde auch nur auf Vorrat angeschafft, obwohl man es im Moment nicht gebrauchen konnte.

"Arbeite mit, plane mit, regiere mit!" war eine offizielle Parole, um die Leistungsbereitschaft der Werktätigen in der DDR anzustacheln. Natürlich wusste jeder, dass er zwar arbeiten und auch mitarbeiten soll. Aber mitplanen, mitreden oder mitregieren? Das taten andere, dieses demokratische Recht ließ sich die Staatspartei SED, die von sich behauptete, alles zu können und alles zu wissen, nicht aus der Hand nehmen, auch wenn weitere gesellschaftliche Kräfte, vor allem die Blockparteien und Massenorganisationen, zum Mitmachen aufgerufen und angehalten wurden. Der Staats- und Parteiführung und ihren Agitatoren stieß unangenehm auf, dass man ihren schönen, an sozialistischen Patriotismus und Internationalismus appellierenden Slogan kabarettistisch in "Arbeite mit, plane mit, reagiere mit!" oder "Arbeite mit, plane mit, resigniere mit!" verballhornte.

Ähnlich war es mit einem anderen Slogan, der von "Wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben" zu Ärger der Partei in "Wie wir heute leben, werden wir morgen arbeiten" umgedreht wurde und damit einen Wunsch vieler DDR-Bewohner jenseits der Parteitagsparolen ausdrückte. Ihnen lag zunächst die Verbesserung der eigenen Lebensumstände am Herzen, und dazu gehörten neben der Versorgung mit zumutbarem Wohnraum auch die Ausübung der demokratischen Grundrechte, die wahrheitsgemäße Informationspolitik und die Reisefreiheit. Erst wenn diese Ziele erreicht sind, könne man weitergehende Visionen angehen, meinten viele, und manche mögen dabei an Bertolt Brechts berühmtes Wort gedacht haben, wonach erst das Fressen und dann die Moral kommt, oder sie haben sich der Erkenntnis von Karl Marx entsonnen, wonach das Sein das Bewusstsein bestimmt.

Nur kosmetische Korrekturen

Unmittelbar nach der Entmachtung von Erich Honecker als SED-Generalsekretär gab dessen Nachfolger und "Kronprinz" Egon Krenz am Abend des 18. Oktober 1989 in Anlehnung an Lenins Ratschlag "Lernen, lernen und nochmals lernen" den Parteiauftrag "Arbeiten, arbeiten, arbeiten" aus. Der Plan, das nach dem Auswechseln von wenigen Spitzenfunktionären das angeblich "erneuerte" Staatsschiff DDR wieder in ruhige, sozialistische Fahrwasser zu lenken, ging nicht auf, denn Krenz & Co. dachten an kosmetische Korrekturen und nicht im Mindesten daran, ihren Alleinherrschaftsanspruch aufzugeben und sich einer freien, demokratischen Wahl zu stellen und den Sozialismus an Haupt und Gliedern zu erneuern.

Nach allem, was nach Honeckers Sturz in der kurzen Ära Krenz und danach über Machtmissbrauch, Stasispitzelei und Korruption bekannt wurde, war die Vertrauensbasis zwischen Volk und Führung endgültig zunichte. Es hagelte Austritte aus den Parteien, der Einheitsgewerkschaft FDGB, der FDJ und anderen Organisationen. Bei zahlreichen Demonstrationen, die die Stasi und die Polizei nicht mehr unter Kontrolle hatten, erklang überall im Land machtvoll der Ruf nach Veränderungen, die diesen Namen auch verdienen. Die sich scheinbar so locker, eher verkrampft als verjüngt gebende Partei- und Staatsführung mit Egon Krenz an der Spitze, aber nahezu in der alten Zusammensetzung agierte kopflos, beging einen Fehler nach dem anderen. Eine ehrliche Aufarbeitung der Probleme, die zum Desaster der DDR im 40. Jahr ihres Bestehens geführt hatten, fand nicht statt, denn die Verantwortlichen hätten sich selber der Inkompetenz und des Machtmissbrauchs anklagen müssen. Doch fehlte ihnen zu dieser Selbstkritik, die ja ein wichtiger Bestandteil des Parteilebens sein sollte, der Mut und die Einsicht. Krenz räumte intern "Anzeichen politischer Arroganz" ein und beklagte, die "gut gemeinten Ratschläge unserer besten Freunde", also Gorbatschows Warnungen, in den Wind geschlagen zu haben.

"Schöner unsere Städte und Gemeinden - mach mit"

Regelmäßig wurden in der DDR Hausgemeinschaften und Arbeitskollektive, wie man sagte, zu Einsätzen meist am Wochenende aufgerufen, um Straßen und Plätze zu säubern sowie Vorgärten und Parkanlagen zu pflegen. Vorbilder für die Kampagne stammen aus der Sowjetunion, die ja auch für andere Aktivitäten herhielt. Dort hatte sich nach der Oktoberrevolution 1917 der Subbotnik eingebürgert, also der Sonnabend, an dem mehr oder weniger freiwillige Sonderschichten mit dem Ziel veranstaltet wurden, die Planziele zu schaffen oder gar zu überbieten. Freiwillige, unbezahlte Sonderleistungen sind an sich nicht zu tadeln, die gibt es überall und auch heute im vereinigten Deutschland.

Was viele DDR-Bewohner auf die Palme brachte, war der politische Druck von oben, sich ohne Wenn und Aber an dieser gesellschaftlichen Arbeit, so der damalige Jargon, zu beteiligen. Wie oft musste man ansehen, dass mühsam in Ordnung gebrachte Grünanlagen bald wieder verwahrlosten, weil die Hilfe nur einmalig war und sich anschließend keiner mehr um die mühsam hergerichteten Erholungsflächen kümmerte. Und wen brachte es nicht in Rage, wenn sich zeigte, wie Städte und Dörfer mangels Investitionen und Baumaterialien regelrecht vergammelten, ja wie selbst wertvolle Bauden- und Kunstdenkmale sich selbst überlassen wurden und zusammenstürzten, weil ihnen nicht kontinuierliche Hilfe widerfuhr. Dies anzusehen ließ viele Menschen resignieren, und wenn sie es sich leisten konnten, winkten sie bei Aufrufen, sich an der Bewegung "Schöner unsere Städte und Gemeinden - mach mit!" ab, arbeiteten lieber im eigenen Garten oder fuhren ins Grüne. Wer sich von "gesellschaftlicher Arbeit" ausschloss, riskierte eine nachteilige Beurteilung in der Kaderakte, und die spielte bei Entscheidungen über Westreisen sowie bei Disziplinar- und Strafsachen eine Rolle. Anzeichen politischer Arroganz eingeräumt

Die Mach-mit-Bewegung wurde von der SED, den staatlichen Organen und gesellschaftlichen Kräften, etwa dem Kulturbund der DDR, organisiert und überwacht. Nicht gewollt war, dass sich unter ihrem Dach Menschen zusammenfinden, die in Sorge um die teilweise zerstörte Umwelt und aus Liebe zu historischen Bauten das Heft selber in die Hand nehmen. Das wäre zu weit gegangen und hätte die Machtansprüche der SED infrage gestellt. Dass die Kampagne eigentlich nur kosmetische Effekte hatte und keine grundsätzlichen Verbesserungen des Zustands der Städte, Dörfer und Regionen bewirkte, hat viele DDR-Bewohner verbittert. Deshalb standen bei den Protestveranstaltungen im Herbst 1989 Forderungen nach einer Wende im Vordergrund, die diesen Namen tatsächlich verdient.

31. Januar 2019

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