Gardinen contra Babywindeln
Die Mangelwirtschaft in der DDR trieb merkwürdige Blüten, manche Auswüchse kamen sogar in der Volkskammer zur Sprache







Die von der SED gesteuerte Propaganda tat so, als würde es in der DDR nur aufwärts gehen, als könnte nichts den Siegeszug des Sozialismus im Arbeiter-und-Bauern-Staat aufhalten. Mit schönen Plänen und kernigen Parolen sowie Versprechungen auf eine bessere Zukunft allein ließen sich weder der Magen füllen noch Grundbedürfnisse befriedigen, von höherer Lebensqualität ganz zu schweigen.



Von angeblich begeisterten Werktätigen umringt, verkündet SED-Chef Walter Ulbricht, was seine Untertanen zu tun und zu lassen haben.



Jungen Pionieren gab "Zwerg Allwissend", wie man den mächtigsten Mann im Lande hinter vorgehaltener Hand nannte, Jungen Pionieren weise Ratschläge fürs Leben im Sozialismus.



Nach sowjetischem Vorbild wurde in der DDR die Aktivistenbewegung massiv gefördert, und wer sich als Bestarbeiter oder Junger Patriot besonders hervor tat, bekam den begehrten Titel und Prämien und konnte sich stolz ein Abzeichen an das Revers heften.



Ganz der Sowjetunion unter ihrem Parteichef Breshnew ergeben, durchlief Erich Honecker in den achtziger Jahren einen bemerkenswerten Wandel. Äußerlich dem neuen starken Mann Michail Gorbatschow in Freundschaft verbunden, machte er intern seiner Wut über dessen Politik von Glasnost und Perestroika Luft. Bei SED-Parteitagen wurde alles Problematische ausgeblendet, als dann aber der 40. Jahrestag der DDR am 7. Oktober 1989 prunkvoll im Palast der Republik gefeiert wurde, war so viel Zündstoff zusammengekommen, dass der "Hexenkessel DDR" zu platzen drohte. Einen Monat und zwei Tage später war Mauer Geschichte. (Fotos/Repros: Caspar)

Die ganze Zeit ihres Daseins beherrschte der Mangel die DDR, von Schnaps und Orden abgesehen, auch wenn dieses Gebrechen niemals offiziell zugegeben und statt dessen immer wieder behauptet wurde, es gehe den Menschen dort gut, sie hätten gut zu essen, eine warme Wohnung, könnten sich ordentlich bekleiden, hätten immer Arbeit und Verdienst, und auch das Gesundheitswesen, die Unterbringung von Kindern in den Kindern seien voll und ganz gewährleistet. Auch wurde nichts unterlassen, das Bildungssystem zu loben, wie überhaupt angestrebt wurde, in jeder Hinsicht den "imperialistischen Westen" einzuholen und überzuholen. Schaut man aber genauer hin, so zeigt sich, dass blendende Fassade des Arbeiter-und-Bauern-Staats böse Risse und Löcher hatte.

In dem Zusammenhang sei eine Diskussion in der Volkskammer um die Frage erwähnt, warum es keine Babywindeln zu kaufen gibt und am tatsächlichen Bedarf vorbei produziert wird. Zwar waren die Volkseigenen Betriebe und die noch privater Hand befindlichen Unternehmen nicht faul. Aber die zum unumstößlichen Gesetz erhobenen Volkswirtschaftspläne, nach denen sie arbeiten mussten, waren alles andere als flexibel. Denn einmal beschlossen, mussten sie erfüllt werden, komme was da wolle. So kam es zu kuriosen, von der Bevölkerung mit Wut und Unverständnis registrierten Vorgängen. Ehemaligen DDR-Bewohnern werden noch die langen Wartezeiten und Wartelisten für Schrankwände, Kühlschränke, Fernseher, Waschmaschinen und ähnliche Geräte sowie, ganz schlimm, für Autos in Erinnerung haben. In den frühen 1950er Jahren ging es um viel banalere Dinge, um das tägliche Brot und eben auch Babywindeln. In den Geschäften hingen aus der Zeit gefallene Textilien herum, die so genannten Ladenhüter.

Ungeliebte und unmodische Ladenhüter

Bei ihnen nutzte es nicht, wenn der Handel immer wieder versuchte, das unmodische Zeug durch Preisminderung und Aktionswochen an den Mann oder die Frau zu bringen. Die Stücke waren einfach nur vergeudetes Volksvermögen, und da half auch in den von der SED gesteuerten Medien, in Kabaretts und dem Satireblatt "Eulenspiegel" geäußerte Kritik nicht und dass Betriebsdirektoren an den Pranger gestellt wurden. Im Übrigen glaubte die Partei, dass es ausreicht, wenn der Lebensstandard der Bevölkerung dem der Vorkriegszeit entspricht. Die Zeiten hatten sich aber geändert, und die Ansprüche waren in der Nachkriegszeit höher als die in den 1930er Jahren. Außerdem provozierte der verhasste, aber von vielen Deutschen als "golden" empfundene Westen Vergleiche. So war es für Ulbricht, Honecker und Genossen nicht einfach, ihre Untertanen mit vollmundigen Verheißungen auf eine Zukunft voller Herrlichkeiten an der Kandare zu halten.

Als das Gesetz über den Volkswirtschaftsplan 1953 diskutiert wurde, kritisierte die Volkskammerabgeordnete Elli Schmidt, ihres Zeichens Vorsitzende des Demokratischen Frauenbundes Deutschland sowie Kandidatin des Politbüros des ZK der SED, am 17. Dezember 1952 freimütig Mängel bei der Versorgung der Bevölkerung mit Textilien. "Wir Mütter müssen unserem Ministerium für Leichtindustrie bittere Vorwürfe darüber machen, dass vergessen wurde Stoffe produzieren zu lassen, die für die Herstellung einer geeigneten Kinderkonfektion geeignet sind. Sicher hat der Minister für Leichtindustrie keine Kinder". Die Genossin erntete laut Protokoll "Heiterkeit" und fügte hinzu, "denn sonst könnte er in der Sorge um unsere Jüngsten, um unseren Nachwuchs nicht vergessen, dass sie Strümpfe, Windeln, Babywäsche, Hosen, Kleider und Mäntel brauchen, und zwar der Jahreszeit angepasst!", worauf es im Plenum "Sehr richtig" tönte. Produktion muss der Jahreszeit angepasst sein

Die Abgeordnete fügte hinzu, was eigentlich selbstverständlich ist, dass nämlich Kinder im Winter keine Sandalen brauchen, die es jetzt und nicht im Sommer zu kaufen gibt. "Im Winter brauchen unsere Kinder keine Kniestrümpfe, die man jetzt haben kann, während sie im Sommer fehlten. Unsere Frauen sind in die Heiligenstädter Strumpffabrik gegangen, und sie mussten dort mit eigenen Augen sehen, das dort zur Zeit in rauhen Mengen Kniestrümpfe und keine langen warmen Strümpfe produziert werden. Die Frauen verlangten eigenmächtig, dass die Produktion von Kniestrümpfen auf lange Strümpfe umgestellt wird. Wir begrüßen die Initiative unserer Frauen. Aber das müsste wohl die Aufgabe des Ministeriums für Leichtindustrie sein. Wir sind geradezu empört über die Behandlung unserer Kleinsten, der Neugeborenen, für die keine Windeln zu haben sind. Als unsere Frauen zum Beispiel in Weimar sehr ernst die Frage der Beschaffung von Windeln stellten, antwortete der Leiter der HO-Industriewaren namens Schmidt, dass die Baumwolle für die Produktikon von Winden nicht ausreicht, weil man ja auch Gardinen benötige. Unsere Frauen antworteten sehr richtig, dass man die Säuglinge nicht in Gardinen einwickeln kann", sagte die Abgeordnete und erntete erneut Heiterkeit.

Elli Schmidts Klagen und Mahnungen, von denen angesichts der Starre des Regimes in Sachen Wirtschaftsplanung kaum anzunehmen ist, dass sie etwas bewirkt haben, weil sie nicht die einzigen waren, kamen "ganz oben" nicht gut an. Wenige Monate, nachdem sie ausgesprochen waren, gingen die Menschen in Ostberlin und draußen in der DDR am 17. Juni 1953 auf die Straße und forderten nicht nur die Senkung der Arbeitsnormen sowie bessere Lebensverhältnisse sondern auch freie Wahlen, den Abzug der sowjetischen Besatzer, das Ende der SED-Herrschaft und die Wiedervereinigung. Schon bald wurde die prominente SED-Funktionärin Elli Schmidt wegen ihrer scharfen Kritik am Parteichef Walter Ulbricht sowie der Unterstützung von dessen innerparteilichen Opponenten Wilhelm Zaisser und Rudolf Herrnstadt ihrer leitenden Funktionen in der Staatspartei und in diesem unterstehenden Frauenbund enthoben und 1954 nach einer Parteirüge aus dem ZK der SED ausgeschlossen. Sie arbeitete bis 1967 als Direktorin des Instituts für Bekleidungskultur, des späteren Deutschen Modeinstituts, und wurde 1956 rehabilitiert und später mit Orden bedacht, aber von politischer Einflussnahme ferngehalten.

"Das hat getan mein Freund, der Plan"

In einer Stellungnahme vom 25. September 1959 zur Versorgung der DDR mit Fahnen anlässlich des 10. Jahrestags der DDR musste der SED-Funktionär Werner Jarowinsky zugeben, dass es ihretwegen "Eingriffe in die Versorgung der Bevölkerung mit Geweben" gibt. Offenbar hat man bei der Herstellung von Fahnen aus Baumwolle mit dem 1956 eingeführten Staatswappen nicht beachtet, dass im Handel etwa bei Bettwäsche große Lücken entstehen, was zur Unzufriedenheit in der Bevölkerung führt. Hier wie auch anderswo kollidierten die am grünen Tisch gefassten Beschlüsse des SED-Politbüros und ihnen nachfolgend der Regierung mit den wahren Bedürfnissen "unsere Menschen", wie es im Funktionärsjargon damals hieß.

"Mein Freund, der Plan" war in der frühen DDR ein geflügeltes Wort, das auf einen etwas unvorsichtigen Ausspruch von Walter Ulbricht zurückgeht und manches Gelächter hervor rief. Der allmächtige, um die "Liebe" seiner Untertanen bemühte SED-Chef fabulierte im Februar 1953, nach der Verkündung des Vorhabens, in der DDR den Sozialismus aufzubauen: "Wenn ich durch die Straßen gehe und etwas Schönes sehe, weis' ich stolz darauf, das hat mein Freund getan, mein Freund der Plan!". Von der SED-Führung beschlossen, vom Zentralkomitee und der Volkskammer abgenickt und von der Regierung zur Übernahme ohne Wenn und Aber den Werktätigen zur praktischen Ausführung übergeben, war der Plan ein unumstößliches Gesetz. Niemand wagte an ihm zu deuteln. Wer das versuchte, und das gab es durchaus, setzte sich dem Vorwurf aus, ein Parteifeind zu sein. Die Folgen reichten von Parteiverfahren, Degradierung, Versetzung auf untergeordnete Posten und schlimmstenfalls Gerichtsverfahren und Gefängnis.

Modernisieren, mechanisieren, automatisieren

Verschiedenen Plan- und Wirtschaftskommissionen entwickelten strategische Zielvorgaben, die oft mit den realen Möglichkeiten der sozialistischen Planwirtschaft, die starr an die der "sowjetischen Freunde" gekoppelt und von dieser abhängig war. Wie oft reisten Partei- und Regierungsdelegationen als Bittsteller nach Moskau, wenn wieder einmal wegen der katastrophalen Lage im Lande von Stalin und seinen Nachfolgern die Lieferungen in die DDR ausblieben beziehungsweise wenn diese die Knebelverträge mit der Sowjetunion nicht erfüllen konnte. Selbstverständlich drang von den Kalamitäten und den Querelen nichts an die Öffentlichkeit, auch wurden die erniedrigenden Bittgänge nichts an die Öffentlichkeit, denn diese wurden in "überzeugende Kundgebungen deutsch-sowjetischer Freundschaft" umgedeutet.

Die immer wieder mit neuen Parolen wie "Modernisieren, mechanisieren, automatisieren" verkündeten Fünfjahrespläne orientierten sich an der Theorie und waren Ausdruck eines auch durch die Praxis nicht getrübten Fortschrittglaubens. So wurde ein Plan nach dem anderen aufgestellt und nach so genannter Volksaussprache und durch gefälschte Zustimmungserklärungen zur "Sache des Volkes" gemacht. Obwohl mit allen Mitteln und einer riesigen Propagandamaschinerie versucht wurde, nicht nur die verhasste imperialistische Bundesrepublik einzuholen sondern sogar zu überholen, stolperte die DDR von einer Wirtschafts- und damit Gesellschaftskrise in die andere. Die Ursachen für diese Entwicklung werden in zahlreichen Büchern analysiert.

Nicht alle in der DDR waren den geschönten Statistiken und blumigen Politparolen erlegen, es gibt auch geheime Analysen und Dokumente von führenden Wirtschaftsfunktionären, die den Niedergang vorausgesehen haben. Doch kamen sie wegen der Halsstarrigkeit des von der "Gesundheit" der DDR-Wirtschaft überzeugten Generalsekretärs und Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker nicht mit neuen Plänen und wirklichen Reformanstrengungen, die das System infrage gestellt hätten, zum Zuge. In den späten 1980-er Jahren zehrte die DDR immer mehr von der Substanz, die Reserven wurden langsam aufgebraucht, der Kollaps unvermeidlich.

Verantwortlich sind immer die anderen

Die riesige Auslandsverschuldung des zweiten deutschen Staates wurde erst nach 1989/90, nach dem Abgang von Honecker, Krenz, Mittag, Mielke und anderen Spitzenfunktionären, offenbar. In seinem Buch "Herbst '89" zitiert Egon Krenz den amtierenden Ministerpräsidenten Willi Stoph, wonach die Regierung ihre politische Verantwortung gemäß der Verfassung der DDR nicht wahrgenommen habe, von wichtigen Investitionsvorhaben etwa zur Mikroelektronik habe der Ministerrat erst nachträglich erfahren. "Sie sind auch nachträglich in den Plan geschoben worden. Die Verantwortung dafür tragen der ehemalige Generalsekretär und Vorsitzende des Staatsrats und Günter Mittag", so Stoph in der Volkskammer. Krenz schreibt dazu, ihm sei unwohl bei dieser Erklärung, ein gestandener Mann wie Stoph schiebe die Fehlentwicklung auf zwei Personen, das sei die einfachste Art gewesen, die Ursache unserer Krise zu erklären. Niemand aus dem Zentralkomitee habe je gegen diese Politik protestiert. "Als Schürer 1988 sehr zurückhaltende Vorschläge zur Veränderung unserer ökonomischen Politik an Honecker schickte, sorgte Mittag [der allmächtige Sekretär für Wirtschaftsfragen im Politbüro, H. C.], dafür, dass der Vorsitzende der Plankommission als Abweichler von der Parteilinie kritisiert wurde. Die meisten ZK-Mitglieder wussten davon. Keiner hat protestiert".

19. August 2019

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