"Bürger! Schließt Euch zusammen!"
Heimlich aufgenommene Fotos von der Massendemonstration am 7. Oktober 1989 im vogtländischen Plauen erschienen in westlichen Medien



Am 7. Oktober 2010 wurde das Wende-Denkmal am Tunnel im Herzen der Stadt feierlich eingeweiht. Mit der wie eine Kerze geformten Säule hat Peter Luban den Nerv der Bevölkerung getroffen. Mit dem Glockenläuten der Lutherkirche und der Begrüßung durch Oberbürgermeister Ralf Oberdorfer wurde am 7. Oktober 2019 das Gedenken an den Herbst '89 in Plauen eröffnet. Ministerpräsident Michael Kretschmer, Landesbischof Carsten Rentzing aus Dresden, Wende-Denkmal-Initiator Wolfgang Sachs und Alt-Bundespräsident Joachim Gauck sprachen am Wende-Denkmal. Foto: Richard Peterhänsel



Die zum Teil mit Maschinenpistolen bewaffneten Sicherheitskräfte versuchten am 7. Oktober 1989 erfolglos, eine Kundgebung von 20 000 Menschen in Plauen zu beenden. Mit dieser Demonstration wurde die Friedliche Revolution in der ehemaligen DDR erstmals zu einer bürgerlichen Massenbewegung, der die Staatsmacht nicht mehr standhalten konnte.



Es waren Vogtländer, die mit ihrem Protest die Welt veränderten, lautet die Botschaft auf der Medaille zum Gedenken an den 7. Oktober 1989. Foto: Gert Friedrich



Die in Hof erscheinende Frankenpost vom 10. Oktober 1989 veröffentlichte auf Seite 1 Fotos und Berichte von der Großdemonstration in Plauen und machte damit bekannt, welchen Umfang die Opposition in der DDR angenommen hat. Berichtet wurde auch über die Montagsdemonstration am 9. Oktober 1989 in Leipzig, die durch heimlich in den Westen geschmuggelte Videoaufnahmen sehr zum Ärger der SED-und Staatsführung deutschand- und weltweit bekannt gemacht wurde und nicht mehr geleugnet werden konnte.





Der Demonstration am 7. Oktober 1989 folgten in Plauen weitere mit neuen Forderungen, hier im Frühjahr 1990 mit einem Aufruf zur Volkskammerwahl.



Die Massen haben sich auf dem Luisenplatz in Potsdam zu einer Großkundgebung versammelt, ähnliche Bilder sind auch aus anderen Städten der noch existierenden DDR überliefert.



In Meiningen wird mit dieser Tafel an die friedliche, auch mit brennenden Kerzen herbei geführte Revolution erinnert, der nicht einmal ein Jahr später die deutsche Wiedervereinigung folgte. (Fotos/Repros: Caspar)

In Berichten über die friedliche Revolution von 1989 in der DDR ist mit großem Recht von den Friedensgebeten und den Montagsdemonstrationen in Leipzig die Rede. Nur am Rande und dann meist in Aufzählungen wird erwähnt, was sich in anderen Städten ereignete. Um der Gerechtigkeit willen sei berichtet, was sich im in der 80 000-Einwohner-Stadt Plauen im Vogtland ereignete. Kurt Biedenkopf, der Ministerpräsident des Freistaats Sachsen, erklärte 1991, das Vogtland sei durch die Teilung Deutschlands als Grenzregion besonders benachteiligt gewesen, wohl deshalb seien hier die Menschen umso entschlossener gewesen, die "Wende" zu erzwingen. In den so bewegenden Monaten des Jahres 1989 hätte die Vogtlandmetropole Plauen mit ihrer stolzen Vergangenheit und hätten die Vogtländer ihren Mut und ihre Tatkraft unter Beweis gestellt.

Die Bewohner von Plauen und die Vogtländer empfanden es als besonders bedrückend, dass sie nur ein paar Kilometer von der deutsch-deutschen Grenze entfernt lebten und diese nicht oder bestenfalls nach Antragstellung und Genehmigung durch die Polizei besuchsweise überschreiten konnten. Zwar gab es eine Städtepartnerschaft mit dem bayerischen Hof auf der anderen Seite. Doch achteten die SED und die "staatlichen Organe" ängstlich darauf, dass die menschlichen Kontakte zwischen hier und dort nicht allzu eng werden. Mal nach Hof zum Kaffeetrinken, zum Einkaufen oder auch nur "zum Gucken" fahren, analog zu den Sehnsüchten der Ostberliner, mal den Kurfürstendamm zu besuchen, war ein sehnliches Ziel vieler Plauener und Vogtländer. Doch da ihnen dieser Wunsch verwehrt wurde, gab es Ärger. Hinzu kam im Oktober 1989 hinzu, dass die Züge mit den Prager Botschaftsflüchtlingen über Reichenbach Plauen in den Westen fuhren, wobei sie mit Jubel empfangen wurden. Ganz Mutige versuchten, wie zuvor schon in Dresden, auf die Züge zu springen, wurden aber mit Gewalt an der Weiterfahrt gehindert.

Honecker ärgerte sich grün und blau

In Plauen hatte sich viel Frust angesammelt. Eine wichtige Ursache waren die Manipulationen und Fälschungen bei der Kommunalwahl vom 7. Mai 1989. Nirgends woanders gab es so viele Wähler, die demonstrativ die Wahlkabinen aufsuchten, um ihr "Nein" anzukreuzen, wie in Plauen. Das war allgemein bekannt. Doch fielen bei der Auszählung fast alle diese Stimmen unter den Tisch. Auf kritische Fragen wurde ausweichend oder überhaupt nicht geantwortet, ist von Superintendent Thomas Küttler, dem Herausgeber einer mit vielen Augenzeugenberichten versehenen Dokumentation über die "Wende in Plauen" zu erfahren. Im Mai 1989 sei sichtbar geworden, "dass ein erheblicher Teil der Menschen, eine Minderheit zwar immer noch, aber nicht mehr nur die verschwindend kleine Zahl wie bisher, nicht mehr bereit war, sich von diesem Staat missbrauchen zu lassen".

Höhepunkt des Widerstandes war eine Massenversammlung mit immerhin 20 000 Plauenern am Sonnabend, dem 7. Oktober 1989, als im fernen Berlin mit großem Getöse und einer Militärparade der 40. Jahrestag der Gründung der DDR gefeiert wurde und sich Erich Honecker als großer Staatsmann und Heilsbringer in Szene setzte. Die Massendemonstrationen in Plauen und anderen Städten machten ihm einen Strich durch die Rechnung. Er dürfte sich grün und blau geärgert haben, ließ sich bei seinen öffentlichen Auftritten aber nichts anmerken.

Es werde immer ein Rätsel bleiben, wie diese Menschenmenge - etwa ein Viertel der Einwohnerschaft - ohne jede Organisation und Leitung zu einheitlichem Handeln fand, schreibt Küttler und bemerkt, dass es in Plauen und im Vogtland noch "vor" Dresden und Leipzig solche gegen das Regime und für Versammlungs- und Demonstrationsrecht, für Streikrecht, Meinungs- und Pressefreiheit, freie und demokratische Wahlen und Reisefreiheit für alle gerichtete Demonstrationen gab. Wann immer die Stasi-Führung die angespannte Lage im Lande besprach und Gegenmaßnahmen erörterte, wurde Plauen immer im Zusammenhang mit Berlin, Dresden und Leipzig genannt.

Erfolgreiche Mund-zu-Mund-Propaganda

Wie Zeitzeugen berichten, wurde in Plauen durch Handzettel und Flugblätter sowie durch Mund-zu-Mund-Propaganda darüber informiert, dass um 15 Uhr im Stadtzentrum "etwas los" sein würde. Auf einem dieser Zettel hieß es "Bürger! Überwindet Eure Lethargie und Gleichgültigkeit! Schließt Euch zusammen! Es geht um unsere Zukunft! Informiert die Arbeiter in den Betrieben!". Als sich tausende und abertausende Plauener im Zentrum versammelten, konnte ihnen das nicht verwehrt werden, es war ja Republikgeburtstag, und der sollte gefeiert werden, so hieß es in offiziellen Ankündigungen. Also ließ die offensichtliche nicht gut informierte Staatsmacht die Leute passieren und wunderte sich, dass statt der erwarteten Jubelsprüche auf Partei und Staat ganz andere Forderungen skandiert wurden.

Die in Marschordnung einrückenden Sicherheitsleute hatten ein paar hundert Demonstranten erwartet, plötzlich sahen sie sich 20 000 Personen gegenüber. Vorsichtig schlugen sich die Ordnungskräfte in die Büsche und waren nicht mehr gesehen. Aus Berichten von Teilnehmern geht hervor, dass es keine gewalttätigen Auseinandersetzungen gab und auch keine Fensterscheibe zu Bruch ging. Dennoch wurde der Zug der 20 000 Plauener sogleich von den SED-Medien als "rowdyhafte Zusammenrottung" v erurteilt. Während Demonstranten am 7. Oktober 1989 in Berlin mit großer Härte zusammengeprügelt wurden und tausende Menschen "zugeführt", also verhaftet und verschleppt wurden, kam es in Plauen zu solchen Schlägereien nicht. Später haben sich örtliche Funktionäre in die Brust geworfen, für einen friedlichen Verlauf der Demonstration gesorgt zu haben. Am Abend des, wie man damals sagte, Republikgeburtstages wurde die Plauener Innenstadt abgeriegelt und es kam zu willkürlichen Verhaftungen und skandalöser Behandlung der "Zugeführten".

Der Mut der alten Dame

Es ist bis heute nicht vergessen, was das SED-Blatt FREIE PRESSE am 9. Oktober 1989 über die angeblich von langer Hand vorbereitete "gewissenlose Provokation" schrieb. Dank entschlossenen und besonnenen Handelns "gesellschaftlicher Kräfte", nach damaligem Sprachgebrauch waren das Stasi, Volkspolizei, Kampfgruppen und SED-Leute, seien diese Provokationen zum Scheitern verurteilt gewesen. Die gleiche Zeitung fühlte sich am 14. Oktober 1989 über eine zweite Demonstration bemüßigt, sich über die Teilnehmer und ihren Ruf "Wir sind das Volk" lustig zu machen, wobei sie andeutete, dass bei der Randale auch Leute aus dem Westen ihre Hände im Spiel hatten. Da die erste Demonstration in Plauen für freie Wahlen und gegen die Alleinherrschaft der SED an jenem Sonnabend, dem 7. Oktober 1989, stattfand, wurden alle weiteren Aufmärsche dieser Art ebenfalls "mit der Pünktlichkeit eines Uhrwerkes", wie Teilnehmer berichten, sonnabends stets ab 15 Uhr durchgeführt, und dies bis zur Volkskammerwahl vom 18. März 1990, der ersten und einzigen freien Wahl zur obersten Volksvertretung in der DDR.

Erwähnt sei, dass Fotos von den Demonstrationen in Plauen sehr zeitnah in der auf westlicher Seite erschienenen FRANKENPOST erschienen. Die Rentnerin Annaliese Saupe hatte, den kleinen Grenzverkehr nutzend, die von ihrem Sohn Martin Flach angefertigten Aufnahmen nach in die bayerische Stadt Hof geschmuggelt und so dafür gesorgt, dass die Bilder auch überregionale Aufmerksamkeit erhielten. "Ich werde den 9. Oktober 1989, es war ein Montag, nie vergessen. Die Tür ging auf, es war vormittags, 11 Uhr, herein kam eine alte Dame, durchaus selbstbewusst auftretend. Sie stellte sich kurz vor. Annelise Saupe, 77 Jahre, Rentnerin aus Plauen. Sie war mit dem Zug nach Hof gefahren, und weil sie kein Westgeld hatte, hatte sie kein Geld für einen Busfahrschein. Sie lief den langen Weg vom Bahnhof bis zur Frankenpost zu Fuß und dort saß sie mir dann gegenüber", erinnert sich Journalist Thomas Hanel. Er war der erste, der mit der früheren Lehrerin aus Plauen sprach. Sie hatte zwei mit der Schreibmaschine geschriebene Berichte und einen Film ihres Sohnes dabei, so geschickt in ihren Büstenhalter eingenäht, dass Kontrolleure die "Konterbande" bei einem möglichen Abtasten im Zug von hinten und von vorn nicht spüren konnten. "Die Fotos zeigten, die Menschen haben die Nase voll, die Veränderung wollten. Das war eine Sternstunde in der Geschichte. Frau Saupe ist ein hohes Risiko eingegangen, sie war sehr aufgeregt, sehr, sehr aufgeregt. Sie hatte ihre Freiheit aufs Spiel gesetzt, um uns Redakteuren im Westen mitzuteilen, was in Plauen geschehen ist", so Thomas Hanel, 1989 stellvertretender Redaktionsleiter bei der Frankenpost in Hof. Wenn die Sache schief gegangen wäre, hätte dass böse Folgen für die Mutter und den Sohn und sicher noch weitere Oppositionelle in Plauen gehabt. Ähnlich verhielt es sich mit Videoaufnahmen von den Montagsdemonstrationen am 9. Oktober 1989 in Leipzig, die man sich noch folgenden Abend in der Tagesschau der ARD anschauen konnte. Honecker und die anderen "führenden Persönlichkeiten" waren über ihre Demaskierung alles andere als amüsiert. Die Massenaufmärsche weiter als Provokationen einiger weniger irregeleiteter, vom Westen gesteuerter "Randalierer" herunter zu spielen, fiel den Propagandisten im SED-Zentralkomitee zunehmend schwer.

Mit Trabi und Wartburg nach Hof in Bayern

Als am 9. November 1989 die Berliner Mauer fiel und die innerdeutsche Grenze geöffnet wurde, waren die Plauener die ersten, die mit ihren Trabis und Wartburgs und zu Fuß in das bayerische Hof und darüber hinaus fuhren. Unterwegs gab es Freudentränen und Verbrüderungen, und wie in Berlin lagen sich wildfremde Menschen in den Armen. Nie wieder sah Hof so viele Besucher, und nie wieder gab es so viele Westdeutsche in Plauen. Erst später legte sich die Euphorie. Als woanders noch über Sinn und Zweck der deutschen Einheit und auch über die Kosten diskutiert wurde, hieß es in der Vogtlandmetropole Plauen "Deutschland einig Vaterland" und "Vogtland meine Heimat - Deutschland mein Vaterland - Europa meine Zukunft".

Erich Honeckers innigster Wunsch war es, dass die DDR an ihrem 40. Jahrestag und er selber als deren Führer als strahlender Sieger der Geschichte dastehen möge. Das Bild von der DDR als ein Land, in dessen vierzigjähriger Geschichte sich angeblich die vierzigjährige Niederlage des deutschen Imperialismus und Militarismus manifestiert, sollte durch Proteste nicht getrübt werden. Es passte nicht ins Konzept, dass draußen auf den Straßen in Plauen, Leipzig, Dresden, Berlin. Potsdam und anderswo unzählige Menschen gegen die offenkundige Lüge und Zwangsmaßnahmen gegen Oppositionelle protestieren. In den Augen der DDR-Führer waren sie nur Schläger und Provokateure, die hinter Gitter gehören. Vorläufiger Höhepunkt des Massenprotestes war am Montag, dem 9. Oktober 1989, der Marsch von 70 000 Menschen durch Leipzig. Mit ihren Ruf "Wir sind das Volk - Keine Gewalt" forderten sie die demokratische Erneuerung des Landes. Die Sicherheitsorgane verzichteten auf gewaltsame Gegenmaßnahmen, die leicht in einer blutigen Schlacht nach Art der Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking hätten enden können. Interessanterweise schilderte die Ortspresse die Vorgänge relativ präzise und in den Formulierungen neutral, während das SED-Zentralorgan NEUES DEUTSCHLAND entweder gar nicht berichtete oder die "Vorkommnisse" nur kurz und in drohendem Ton registrierte.

14. Oktober 2019

Zurück zur Themenübersicht "Geschichte, Zeitgeschichte, Ausstellungen"