Der Rachefeldzug nach dem 20. Juli
Heinrich Himmler schwor vor 75 Jahren in Posen führende Nazis auf eine Zeit der Verfolgung und Sippenhaft ein





Hitler und Mussolini besichtigen die Baracke in der Wolfsschanze, in der am 20. Juli 1044 Stauffenbergs Bombe zwar explodierte, den "Führer" aber nur leicht verletzte. Die Nazipresse interpretierte das Scheitern des Anschlags als Wink der Vorsehung und als Auftrag an die Deutschen, noch fanatischer für den "Endsieg" zu kämpfen.



Auf seine "rassereinen" Todesschwadronen ließ Himmler nichts kommen. In der Posener Rede vom 3. August 1944 stellte er die ihm treu ergebene SS über "das Heer", wobei er aber zu sagen vermied, dass es von Hitler angeführt wird und nur das tut, was er ihr befielt, manchmal allerdings mit widerständigem Murren.



Die Überlebenden des Attentats vom 20. Juli 1944 erhielten einen silbernen Orden aus Silber, die Toten ehrenvolle Begräbnisse. In den Zeitungen hat man solche Todesanzeigen veröffentlicht, ausgestellt im Potsdam Museum.





Die Stelle auf dem Alten Matthäusfriedhof in Berlin-Schöneberg, wo in der Nacht zum 21. Juli 1944 die im Bendlerblock erschossenen Widerstandskämpfer um Claus von Stauffenberg vergraben und gleich darauf auf Himmlers Befehl exhumiert wurden, ist durch einen Gedenkstein auf dem Ehrengrab der Stadt Berlin gekennzeichnet. Oben Stauffenbergs markanter Kopf in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand im Bendlerblock an der Stauffenbergstraße im Berliner Bezirk Tiergarten.





Der Präsident des Volksgerichtshofs, Roland Freisler, überzog die Angeklagten (darunter der ehemalige Generalfeldmarschall Erwin von Witzleben) mit Beleidigungen und Unterstellungen, führte sie in schäbiger Kleidung vor und nannte sie im Stil von Himmler eidbrüchige Lumpenhunde, bevor er sich in Plötzensee erhängen ließ.



Himmler geriet nach Kriegsende unerkannt in britische Gefangenschaft, doch bevor man ihn zur Verantwortung ziehen konnte, nahm er Zyankali und starb am 23. Mai 1945. (Foto/Repros: Caspar)

Die Rede, die Heinrich Himmler, Reichsführer SS, Innenminister und neu ernannter Oberbefehlshaber des Ersatzheeres, am 3. August 1944, vor nunmehr75 Jahren, vor Reichs- und Gauleitern in Posen hielt und mit der er die Ziele seines blutigen Rachefeldzuges gegen alle, die direkt oder mittelbar in das gescheiterte Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 beteiligt waren, war von Sadismus sowie Rache- und Triumphgefühlen, aber auch Unterwürfigkeit gegenüber Hitler durchtränkt. Mit höhnischen Bemerkungen bereitete der nunmehr nach Hitler zweimächtigste Mann im Deutschen Reich seine Zuhörer auf Prozesse vor dem Volksgericht vor und kündigte die Sippenhaft für die Familien der Verschwörer sowie deren Enteignung an.

Himmler pflegte seine Tiraden vor führenden Vertretern von Partei und Regierung nicht auszuarbeiten, sondern hatte nur kurze handschriftliche Notizen. Seit Ende 1942 wurden seine Ausführungen nicht mehr stenografiert, sondern auf Wachsschallplatten aufgezeichnet. Diese Tonaufnahmen wurden abgetippt, korrigiert und von Himmler noch einmal durchgesehen und handschriftlich verbessert. Der so autorisierten Texte wurden auf der Schreibmaschine mit den großen "Führertypen" erneut abgeschrieben, archiviert und haben so das Ende des NS-Staates überlebt, um später mit anderen Dokumenten publiziert zu werden.

Die geheimen Kräfte der Seele wecken

Theodor Eschenburg schreibt in der Einleitung zu Himmlers Rede vom 3. August 1944 in den Vierteljahresheften für Zeitgeschichte (München, Heft 4/1953), der Leiter der Parteikanzlei Martin Bormann habe die obersten Parteifunktionäre nach Posen gerufen, um ihnen die nötigen "Erklärungen" zum Attentat auf Hitler zu geben und sie neu auszurichten. "Dieses Ereignis hatte die Funktionäre in ihrer Herrschaft und persönlichen Existenz bedroht. Zahlreiche widerspruchsvolle Gerüchte waren auch innerhalb der Partei in Umlauf. Man wollte den höchsten Würdenträgern von Staat und Partei klarmachen, dass es von nun an allein Sache der Partei sei, für die Weiterführung des Krieges zu sorgen. Die NSDAP sollte zu diesem Zweck neue seelische und materielle Kräfte mobilisieren, eine ,Volkserhebung' ins Werk setzen und den ,heiligen Volkskrieg' proklamieren. Vom ,Sieg an allen Fronten' war damals in der nationalsozialistischen Propaganda nur noch wenig die Rede, statt dessen um so mehr von den ,geheimen Waffen' und den "geheimen Kräften der Seele", so als ob diese, um ausgelöst und dann in ihrer ganzen unwiderstehlichen Gewalt wirksam zu werden, ein gewisses Maß von Rückschlägen geradezu zur Voraussetzung hätten."

Wie der Politologe Theodor Eschenburg, Herausgeber der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, weiter schreibt, waren in der letzten Woche vor der Gauleitertagung die Amerikaner nach Avranches durchgebrochen, und die Russen hatten Brest-Litowsk und Kowno genommen und so die Heeresgruppe Nord erstmalig von Ostpreußen abgeschnitten. Die Amerikaner hatten Florenz besetzt, und in Warschau brach der polnische Aufstand aus. "Angesichts dieser Situation sprachen an jenem 3. August in Posen Goebbels, der zum ,Generalbevollmächtigten für den totalen Kriegseinsatz' ernannt worden war, über seine neue Aufgabe, [Rüstungsminister Albert] Speer über die ,Aufwärtsentwicklung' der deutschen Rüstung und die Notwendigkeit, wieder das technische Übergewicht über den Feind zu gewinnen, und zuletzt Himmler. Zum Abschluss der Tagung bezeichnete Bormann es als die geschichtliche Aufgabe der Partei, das deutsche Volk zum ,Kampf für den Sieg des Reiches' bereit zu machen. Am anderen Tage, dem 4. August, wurden die Teilnehmer von Hitler selbst empfangen, der ihnen bei dieser Gelegenheit erklärte, die Mobilisierung aller Kräfte in unserem Volke, wie sie heute stattfinde, hätte nicht erfolgen können, wenn das ,verbrecherische Treiben' der jetzt beseitigten "Saboteure" weiter angedauert hätte."

Der Generalität Defätismus und Feigheit vorgeworfen

Der Leiter der Parteikanzlei Martin Bormann verwahrte Zeugnisse der wichtigsten politischen Vorkommnisse für eine spätere Geschichtsschreibung. Wie die Aufzeichnungen von Hitlers "Tischgesprächen" ließ er Schriftstücke und Berichte, die ihm für eine künftige Parteigeschichte geeignet schienen, abschreiben und dem Hauptarchiv der NSDAP zuleiten. Einige dieser Stücke kamen ins Archiv des Instituts für Zeitgeschichte München, zum Teil noch mit den von Bormann selbst unterzeichneten Begleitschreiben. Die drei in Posen von Himmler gehaltenen Reden sind auf Schreibmaschinendurchschlägen überliefert. Für die Echtheit der Dokumente spricht Eschenburg zufolge Himmlers unverwechselbarer und kaum nachzuahmender Redestil. "Seine Diktion war frei von der typischen Gauleiterphraseologie; sein Ausdruck war ohne das sonst übliche heroische Pathos, die Gedankenführung gleichwohl ausgesprochen demagogisch. Er sprach in dem der SS eigenen Jargon, wie ihn weder die Wehrmacht noch die alte Polizei jemals gekannt haben."

Himmler nutzte in Posen die Gelegenheit, seiner lange aufgespeicherten, noch von der SA übernommenen Animosität gegen das Heer Luft zu machen. Er erklärte die Ereignisse des 20. Juli mit jahrzehntealter Verderbtheit der deutschen Generalität. Das Attentat sei in seinen Augen nur der "äußerste Ausdruck einer langen Entwicklung" gewesen. Er warf dem Heer Kastengeist und bösen Willen, Widerstand gegen die Aufrüstung sowie Sabotage, Mangel an Kameradschaftsgeist gegenüber der SS, Nachlässigkeit, Defaitismus und nicht zuletzt Feigheit vor dem Feind und mangelnde Härte vor. Bei seinen Anschuldigungen hütete er sich, Kritik am obersten Kriegsherrn, Adolf Hitler, zu üben. "Diese überraschende, völlige Verfemung, die ja eine typische Eigentümlichkeit des totalitären Regimes ist, musste doch geradezu die Frage aufdrängen, wie Hitler mit einer solch verrotteten Armee überhaupt Kriege solchen Ausmaßes wagen durfte", schreibt Eschenburg. Himmlers Verdammung des Offizierkorps des Heeres habe einem bewährten nationalsozialistischen Denk- und Agitationsschema gefolgt. "In der gleichen Weise wie schon die Marxisten und Freimaurer, die internationale Plutokratie, die Juden und Jesuiten je nach Bedarf als Generalsündenbock für das Unglück des deutschen Volkes verwendet wurden, wird nun der Generalstab - einst für Hitler ,das Gewaltigste, was die Erde bisher gesehen hatte' - als jene geheime, böse Macht hingestellt, als jene hintergründige, nie recht zu fassende, aber überall spürbare und wirksame Verschwörung gegen Deutschland."

Hinter jeder Tür Feinde und Spione

Der Reichsführer SS und Innenminister witterte hinter jeder Tür Feinde und Spione ähnlich wie übrigens Stalin, der in seinem abgrundtiefen Misstrauen hervorragende Heerführer ermorden ließ. Und so kündigte Himmler seinen Rachefeldzug mit diesen Worten an: "Denn ich bin absolut fest entschlossen, jedem Würzelchen nachzugehen, das in dieses oder jenes Ministerium oder nur jede Sparte hineinführt. Das werden interessante kleine oder größere Aushebungen sein, mit denen man dann die Verästelungen aushebt. Ich bin überzeugt, diese Verästelungen finden wir in der Wirtschaft, im Auswärtigen Amt, in verschiedenen Ministerien. Die findet man überall, mit Emsigkeit und Fleiß werden wir das alles herausholen. Da wird es eine Anzahl kleinerer Prozesse geben, jeweils einen Komplex, und je nach Qualität kann jedes einzelne Ministerium seine Extrawurst kriegen."

Die so genannte Sippenhaft war im Deutschen Reich seit 1933 üblich. Um Widerstandskämpfer zusätzlich unter Druck zu setzen, wurden Familienmitglieder und ihnen nahestehende Personen bestraft, auch wenn am Widerstand vielfach nicht beteiligt waren. Himmler, der sich intensiv um germanische Vor- und Frühgeschichte kümmerte und sich auf diesem Gebiet für einen Experten hielt, erklärte am 3. August 1944 in Posen unmissverständlich und ganz im Sinne seines Führers, niemand solle sagen, die Sippenhaftung sei bolschewistisch, vielmehr sei das Vorgehen sehr alt und bei unseren Vorfahren gebräuchlich gewesen. "Sie brauchen bloß die germanischen Sagas nachzulesen. Wenn sie eine Familie in Acht taten und für vogelfrei erklärten oder wenn eine Blutrache in einer Familie war, dann war man maßlos konsequent. Wenn die Familie vogelfrei erklärt wird und in Acht und Bann getan wird, sagten sie: Dieser Mann hat Verrat geübt, das Blut ist schlecht, es ist Verräterblut drin, das wird ausgerottet. Und bei der Blutrache wurde ausgerottet bis zum letzten Glied in der ganzen Sippe. Die Familie Graf Stauffenberg wird ausgelöscht werden bis ins letzte Glied". Tatsächlich wurden alle greifbaren Mitglieder der weitverzweigten Familie verhaftet - vom 85 Jahre alten Vater eines Vetters bis zu Kleinkindern.

Familien in Sippenhaft genommen

Nina Schenk von Stauffenberg, die Witwe des Attentäters, gab sich bei den Verhören als unwissend aus, überstand als "Sondergefangene" wie durch ein Wunder die Lagerhaft und starb 2006 mit 92 Jahren, während andere Familienmitglieder umgebracht wurden. Stauffenbergs Kinder und die anderer Widerstandskämpfer kamen zur "Umerziehung" in ein Heim nach Bad Sachs. Die 44 Kinder wurden voneinander getrennt, erhielten neue Namen und andere Identitäten und sollten bei Adoptiveltern mit strammer NS-Gesinnung aufwachsen. Nach dem Ende des Nazireichs konnten sie zu ihren Angehörigen zurück kehren und erfuhren, wer sie eigentlich sind und was ihre Eltern und Verwandten getan haben.

Die Witwen und Kinder der ermordeten Widerstandskämpfer mussten in der jungen Bundesrepublik Deutschland um ihre gesellschaftliche Wertschätzung, ja sogar um Wiedergutmachung und Renten kämpfen, während Blutrichter und andere Helfer des NS-Regimes blendende Pensionen erhielten und ihre Karrieren nahezu ungestört fortsetzten konnten. Bis heute leiden die in die Jahre gekommenen "Verräterkinder" unter der damaligen Ausgrenzung und den Erlebnissen in NS-Kinderheimen, in denen sie bis zur Befreiung lebten. Viele dieser Kinder erlebten hautnah den Widerspruch zwischen offiziellen Ehrungen und die klammheimliche, ja oft auch offene Ablehnung durch die bundesdeutsche Gesellschaft, die mit dem Naziregime nichts zu tun haben wollte und sie oft genug durch die "Brille" der Täter von damals sah und zu sehen bekam.

Allen Leuten, die Stauffenberg heißen und "überhaupt allen, die unglücklicherweise Namen tragen, die in diesen Verratsprozess verwickelt sind" soll freigestellt werden zu beantragen, ihren Namen zu ändern, "weil man ihnen nicht zumuten kann, den Namen eines Schufts und Verräters weiter zu tragen. Wir werden aber - und das sehr wichtig - bei allen Familien, von denen ein Glied maßgeblich an dieser Verschwörung und an dieser Untreue und Meuterei beteiligt war, ihr Eigentum nahmen - aber optisch tadellos sein." Die Güter und Schlösser sollen für verdienstvolle, untadelige Siedler verwendet werden, jedoch nicht als Hitlerjugend-Herberge oder Gauschulungsburg.

Erschossen, exhumiert, verbrannt und die Asche verstreut

Und noch ein Detail seines Rachefeldzugs gab Himmler in Posen zum Besten: "Ich muss sagen, ich kann mich hier des Eindrucks nicht erwehren, hier wurden vielleicht nicht Zeugen, aber unangenehme Gesprächspartner schnell, schnell unter die Erde gebracht. Sie wurden so schnell eingegraben, dass Herr Olbricht und die Herren mit dem Ritterkreuz eingegraben waren. Sie wurden dann am anderen Tage ausgegraben, und es wurde noch einmal richtig festgestellt, wer es war. Ich habe dann den Befehl gegeben, dass die Leichen verbrannt wurden und die Asche in die Felder verstreut wurde. Wir wollen von diesen Leuten, auch von denen, die jetzt hingerichtet werden, nicht die geringste Erinnerung in irgendeinem Grabe oder an einer sonstigen Stätte haben. Der Reichsmarschall meinte sehr richtig: Über den Acker ist zu anständig, streuen Sie sie über die Rieselfelder."

Seinen Zuhörern malte Himmler in seiner verquasten Art aus, was geschehen wäre, wenn der Anschlag auf Hitler geglückt wäre: "Das wäre der Untergang unseres großdeutschen Reiches, der Untergang unseres Volkes gewesen. Die Gefahr der Gesamtverschwörung war riesengroß! Wenn Sie die Einzelbefehle durchlesen, dann kann einem wirklich anders werden über so viel Idiotie. I c h will nur einen Punkt herausgreifen: Besetzung der Konzentrationslager, Entwaffnung der Wachmannschaften, den Häftlingen wird versprochen, dass sie in den nächsten Tagen frei werden, sobald das im einzelnen geklärt ist. Wir haben 550 000 Häftlinge, von denen rund 450 000 Ausländer sind. Das hätte also bedeutet, dass sich eine halbe Million der erbittertsten politischen und kriminellen Gegner, politischen Gegner des Reiches und kriminellen Gegner jeder menschlichen Gesellschaftsordnung, über Deutschland ergossen hätte. Das hätte bedeutet, dass selbstverständlich in den nächsten 14 Tagen, drei Wochen die Verbrechen aufgeblüht wären und die Kommune bei uns auf der Straße herrschte. Wie klar sie es mit uns meinten, können Sie aus den Plänen sehen: Verhaftung jedes Kreisleiters jedes Gauleiters, Aufhebung jeder Dienststelle, in Berlin Besetzung der Reichsführung SS, des Reichssicherheitshauptamtes, der Gauleitung, Aushebung von Dr. Goebbels usw. usw. Es war die ganze Partei, die gesamte Bewegung gemeint; Wenn der Führer tot war, sollte die ganze Bewegung, ausgerottet werden. Das war der Plan und der Sinn dieser Menschen, die angaben, Deutschland zu meinen, in Wirklichkeit einesteils verbrecherisch dumm, andernteils nach meiner heiligen Überzeugung die alten jesuitischen und freimaurerischen Geheimagenten und im Dienste des Feindes stehende Menschen Deutschlands, die - wie immer bei all den geheimen Gegnern - dann, wenn der Krieg in sein entscheidendes Stadium tritt, wo die Waage: hin- und herschwankt, das letzte Gewicht hineinzuwerfen hatten."

Nur Hass, Spott und Hohn

In Himmlers Augen waren alle, die nicht mehr an den Sieg im Krieg glauben, fanatische, geisteskranke Defaitisten und Pessimisten. Er nahm sich in Posen einige von ihnen vor, so den Generalmajor Hellmuth Stieff, der ihm, Himmler, wie eine verschlechterte Ausgabe des italienischen Königs vorkam mit seinen hohen Absätze, hoher Mütze, "damit dieses Zwerglein überhaupt eine Rolle spielte, dunkle Haut, also wirklich eine prima Figur. Dieser Mann wusste seit einem Jahr um die Ermordungspläne gegen den Führer." Als Oberster Befehlshabers der Wehrmacht war "Herr v. Witzleben" vorgesehen, laut Himmler ein Morphinist, ein schon im Jahre 1938/39 so kranker Mann, dass er damals bei den Westwallbesichtigungen des Führers nicht mit zum Bunker hinauf konnte. "Der Führer h a t t e i h n in seiner Güte nach dem Westfeldzug noch zum Marschall gemacht. Dieser Mann, eine Mumie, eine Leiche an körperlicher und geistiger Kraft, war ausersehen und spielte die Rolle eines Obersten Befehlshabers der Wehrmacht. Als wir i h n dann am andern Tage holten, sah ich i h n im Auto. Ich guckte ihn an, darauf heulte der Herr Marschall im Auto." Seinen Zuhörern gab Himmler zu verstehen, alles was er tut, sei mitnichten kleinliche Rache, dazu sei die Zeit wirklich zu ernst, und er forderte: "Wir müssen in härtester und in gütigster Form die Armee wieder erziehen zu dem, was sie war, vor allem das Offizierkorps. Da müssen wir wieder diesen Begriff von bedingungsloser Treue hineinbringen, von einer Treue, die den Eid hält […] Solche Treue, solchen Gehorsam müssen wir wieder hineinbringen. Denn das hat uns groß gemacht."

Durchhalteparolen und Zweckoptimismus ohne reale Grundlage

Von einer deutschen Volksarmee und einem deutschen Volksheer mit sieben Millionen Angehörigen träumend, sagte Himmler: "Die Voraussetzung für das Neue ist aber, dass die Armee diese Leute selbst ausscheidet. Sie hat Gott sei Dank die Gelegenheit wahrgenommen, oder das Glück hat es so gefügt, dass sie selbst den Putsch in Berlin erledigte, wobei wir von unserer Seite - Dr. Goebbels und ich - alles dazu taten und darauf sahen, dass keiner von der Luftwaffe, keiner von der Marine, keiner von der SS und Polizei irgendeinen Schuss abgab oder eingriff, sondern die Armee musste das selbst machen." Seinen Zuhörern gab der Redner Optimismus dieser Art auf den Weg: "Über das Problem, dass wir die Hunderttausende von Quadratkilometern oder die Million Quadratkilometer, die wir verloren haben, im Osten wieder holen, brauchen wir uns überhaupt gar nicht zu unterhalten. Das ist ganz selbstverständlich. Das Programm ist unverrückbar. Es ist unverrückbar, dass wir die Volkstumsgrenze um 500 km herausschieben, dass wir hier siedeln. Es ist unverrückbar, dass wir ein germanisches Reich gründen werden. Es ist unverrückbar, dass zu den 90 Millionen die 30 Millionen übrigen Germanen dazukommen werden, so dass wir unsere Blutbasis auf 120 Millionen Germanen vermehren. […] Es ist unverrückbar, dass wir diesen Siedlungsraum erfüllen, dass wir hier den Pflanzgarten germanischen Blutes im Osten errichten, und es ist unverrückbar, daß wir eine Wehrgrenze weit nach dem Osten hinausschieben." Wenn es den Kosaken geglückt sei, sich für den russischen Zaren bis ans Gelbe Meer durchzufressen und das ganze Gebiet allmählich zu erobern, "dann werden wir und unsere Söhne es in drei Teufels Namen fertigbringen, Jahr für Jahr, Generation für Generation unsere Bauerntrecks auszurüsten und von dem Gebiet, das wir zunächst hinter der militärischen Grenze haben, immer einige hundert Kilometer zunächst mit Stützpunkten zu versehen und dann allmählich flächenmäßig zu besiedeln und die anderen herauszudrängen." Wie die Geschichte zeigte, lag Himmler mit seinen Durchhalteparolen und seinem Zweckoptimismus ohne reale Grundlage total falsch. Doch dauerte es noch ein Dreivierteljahr, bis der Krieg beendet und das Nazireich zerschlagen war.

30. Juli 2019

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