Als Bundeskanzler Helmut Kohl am 10. Februar 1990 den sowjetischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow besuchte, erfuhr er von diesem, es bestünde kein Einwand gegen die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten. Die anderen Großmächte signalisierten ebenfalls Bereitschaft, dem Zusammenschluss keine Steine in den Weg zu legen. Warnungen im In- und Ausland vor einem nun erstarkenden "Großdeutschland" wurden mit Bonner Hinweisen auf die Friedfertigkeit der Bundesrepublik und ihre Einbindung in das westliche Vertragssystem zurückgewiesen. Der Zug in Richtung Wiedervereinigung war nicht mehr aufzuhalten. Überall in Berlin und an der innerdeutschen Grenze wurden mit schwerem Gerät unter dem Jubel der Zuschauer Reste der Mauer und der Selbstschussanlagen abgebaut. Bis auf wenige verschwanden die Beobachtungstürme und an den Grenzübergängen die Kontrollstationen, an denen DDR-Grenzer Transitreisende inspizierten und manchmal mit dämlichen Fragen bis aufs Blut reizten. Die Autofahrer waren gut beraten, gelassen auf die Frage, ob man Waffen bei sich führe, mit nein zu antworten und nicht die Gegenfrage zu stellen "Brauchen Sie denn welche?"
Der Abbau der Mauer geschah so rasant, dass ein Jahr nach ihrem Fall schon kaum etwas von dem seit 1961 angelegten "antifaschistischen Schutzwall" übrig war, wie Ulbricht, Honecker und Genossen die Grenzanlagen zu nennen pflegten. Der Ruf "Die Mauer muss weg" wurde wörtlich, allzu wörtlich genommen. In und um Berlin war schon bald kaum noch etwas von ihr zu sehen. Als allerdings schon fast alles abgebaut war und auch so genannte Mauerspechte mit Hammer und Meißel ihr Werk getan hatten, wurden Stimmen laut, das Wenige zu als Mahnmale der deutschen Teilung erhalten. Nach langem Überlegen und unangemessener Nutzung hat man den Tränenpalast am S-Bahnhof Friedrichstraße in ein gut besuchtes Museum verwandelt, an der Bernauer Straße laden zwei Informationszentren und zahlreiche Stelen mit Bildern und Texten zum Gedenken ein. An der Stelle, wo 1987 die Versöhnungskirche gesprengt wurde, um für die DDR-Grenzer bessere Schießmöglichkeiten zu schaffen, steht die Versöhnungskapelle. Wo Reste von in Mauerzeiten abgerissenen Häusern gefunden wurden, hat man sie konserviert und mit Erläuterungen darüber versehen, dass es hier erfolgreiche und misslungene Tunnelfluchten gegeben hat.
Drewitz hat seinen Schrecken verloren
Auf dem ehemals hermetisch abgeriegelten Gelände gleich hinter dem Autobahnkreuz Zehlendorf wurde Mitte der neunziger Jahre ein großes Gewerbegebiet, der Europarc Dreilinden, errichtet. Radikal hat man alles beseitigt, was irgendwie an das dunkle Kapitel deutsch-deutscher Teilung erinnerte. Die Bedrohung, die von "Drewitz" ausging, ist in der Idylle kaum mehr nachzuvollziehen. Alle die Stabs- und Kontrollgebäude, die Straßensperren aus Stahl, die Laufbänder für Personaldokumente, die geheimen Überwachungsinstrumente und was sonst noch zu dem berüchtigten Kontrollpunkt gehörte, sind verschwunden. Im Unterschied zur Grenzübergangsstelle (GÜST) Drewitz ist die in Helmstedt-Marienborn zwischen Sachsen-Anhalt und Niedersachsen noch weitgehend erhalten und wurde in eine Gedenkstätte verwandelt. Erhalten sind in Drewitz nur noch stadtauswärts der frühere Kommandantenturm sowie eine weiß gestrichene Stele, in der ehemals das DDR-Hoheitszeichen Hammer und Zirkel befestigt war. Diese Reste wurden 1994 unter Denkmalschutz gestellt. Stadteinwärts erhebt sich auf dem Sockel eines früheren sowjetischen Panzerdenkmals eine rosa lackierte Schneeräummaschine. Sie verwandelt das bedrohliche Monument in ein friedliches Denkzeichen.
Der 1998 gegründete Verein CHECKPOINT BRAVO e.V. hat den ruinösen Kommandantenturm renoviert und in einen Ausstellungs- und Veranstaltungsort verwandelt. Für die Dokumentation gibt es reichliches Anschauungsmaterial - Uniformen und Waffen der Grenzer, Büromaterialien wie Passierscheine und Stempel und auch manchen Stasi-Kitsch. Bereits im Sommer 1949 wurde unter der Bezeichnung "Kontrollpassierpunkt Nowawes" ein Grenzdurchlass eröffnet. Die immer weiter befestigte Anlage wurde 1969 für rund 50 Millionen (Ost-) Mark umgestaltet und mit neuester Technik ausgestattet. Offiziell wurde die Maßnahme mit der Baufälligkeit der alten Abfertigungsstelle gegründet, in Wirklichkeit aber sollten, wie man damals intern sagte, die "schlechten Möglichkeiten zur Beobachtung und Feuerführung" verbessert werden.
Kontrolle mit gefährlichen Gammastrahlen
Nur wenigen Auserwählten war bekannt, was sich hinter dem Tarnnamen "Technik 5" verbarg. Es handelte sich um eine neue Methode zum Aufspüren von Flüchtlingen, die sich in Kofferräumen von Autos oder zwischen der Ladung von Lastwagen versteckt hatten. Dabei wurden sämtliche "feindwärts" fahrende PKW und LKW-Fahrzeuge mit hochgefährlichen, krebsfördernden Gammastrahlen durchleucht. Immer wieder wurden auf diese Weise DDR-Flüchtlinge aus den Transitfahrzeugen geholt und anschließend wegen versuchter Republikflucht zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Die Existenz einer solchen mit Cäsium 137 betriebenen Anlage unterlag strikter Geheimhaltung. Nur ganz wenige Beschäftigte kannten sie. Die Geräte wurden nach dem Ende des SED-Regimes schnell und konspirativ beseitigt. Das Museum im ehemaligen Kommandantenturm hält neben den ungeheuerlichen Verbrechen an der innerdeutschen Grenze und speziell in Drewitz auch diese wenig bekannte Facette aus dem Kontroll- und Überwachungsarsenal der Stasi in Erinnerung.
Da sich das Ausland für bemalte Mauersegmente interessierte, entstand ein schwunghafter Handel mit ihnen. Deshalb stehen sie in zahlreichen Hauptstädten an prominenten Plätzen, aber auch in Gärten reicher Leute. Trotz der überhasteten Beräumung der ehemaligen Grenzanlagen ist überall in Berlin noch immer eine einzigartige Erinnerungslandschaft mit mehr als einhundert authentischen Orten erhalten. An der Spitze stehen 25 unter Schutz gestellte Baulichkeiten wie der Tränenpalast, also die mit vielen trüben Erinnerungen verbundene Übergangsstelle am S-Bahnhof Friedrichstraße, die vergitterten Fenster im Haus der früheren Akademie der Landwirtschaftswissenschaften in der Krausenstraße im Bezirk Mitte, die Kunstfabrik im ehemaligen Grenzstreifen zwischen Kreuzberg und Treptow, der Kontrollpunkt in Dreilinden und natürlich die Gedenkstätte an der Bernauer Straße sowie die von "Mauerspechten" zerhackten Betonreste an der Niederkirchnerstraße.
Malereien auf der East-Side-Gallery
Um den Wissensstand über die Mauer in und um Berlin zu verbessern, hat die für den Denkmalschutz zuständige Senatsverwaltung für Stadtentwicklung alles, was heute an die Mauer erinnert, unter der Adresse www.stadtentwicklung.berlin.de ins Internet gestellt. Die Dokumentation erläutert anhand von Bildern, Karten und kurzen Beschreibungen Aufbau, Entwicklung und Verlauf der ehemals 43 Kilometer langen Grenzanlage quer durch Berlin und um die Stadt und zeigt, nach Stadtbezirken gegliedert, die genaue Lage der noch vorhandenen Relikte.
Das bekannteste und längste Relikt aus Mauerzeiten in Berlin ist die East-Side-Gallery an der Mühlenstraße. Die immer wieder neu bemalten und beschrifteten Betonsegmente stehen unter Denkmalschutz. Die mit 1,3 Kilometer lange Strecke gehört seit 1. November 2018 zur Stiftung Berliner Mauer mit Sitz an der Bernauer Straße. Mit der Übernahme schiebt sie der weiteren Zerstörung der weltweit längsten Open-Air-Galerie einen Riegel vor. Das Areal wird nach und nach zu einer Gedenk-, Bildungs- und Kunststätte ausgebaut. Jedes Jahr kommen laut Stiftung drei Millionen Besucher zur East Side Gallery. Als in den vergangenen Jahren bemalte Elemente für teure Neubauten herausgetrennt wurden, gab es große Proteste, die aber wenig nutzten.
Gedenkstättendirektor Axel Klausmeier zufolge soll die East Side Gallery ein Ort werden, "der sowohl als Teil der ehemaligen Grenze Berliner Mauer begreifbar ist als auch die Einzigartigkeit der Kunstaktion von 1990 vermittelt und würdigt. Damit das gelingt, wollen wir den Ort besser als bislang erklären, den Besucherinnen und Besuchern aus aller Welt mehr Orientierung bieten und die Aufenthaltsqualität verbessern, wollen die unterschiedlichen zeitlichen und inhaltlichen Ebenen im Sinne des Denkmalschutzes pflegen und sichtbar machen. Mir ist es dabei wichtig, diesen historischen Ort erst einmal genau zu verstehen; auf Grundlage dieser Erkenntnisse werden wir alle weiteren Vorhaben und Angebote planen. Deshalb haben wir eine umfassende Bestandsdokumentation des Geländes erstellt, pflegen den Austausch mit den schon seit Jahren hier aktiv Beteiligten und werden regelmäßig zu einem Runden Tisch einladen. Nicht zuletzt freuen wir uns dabei auf die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Künstlerinnen und Künstlern der East Side Gallery."
Erinnerung an die deutsche Teilung wach halten
Kultursenator Klaus Lederer betont, originäre Aufgabe der Stiftung Berliner Mauer sei es, die Erinnerungen an die deutsche Teilung wachzuhalten und den Opfern von Mauer und Stacheldraht ein würdiges Gedenken zu bewahren. In Zeiten, in denen wieder von Mauern, von Abschottung und Ausgrenzung gesprochen wird, sei politische Bildung sehr wichtig. "Mit der Übertragung der East-Side-Gallery an die Stiftung sind nun die Voraussetzungen geschaffen, auch zukünftig zu erinnern und aufzuklären und zu zeigen, dass zementierte und militärisch gesicherte Abschottung kein dauerhaftes Mittel gegen den Freiheitswillen des Menschen ist."
Bald nach dem Fall der Mauer vor 30 Jahren war die Betonwand Schauplatz einer spektakulären Mal- und Sprühaktion. Zahlreiche wirkliche und Möchtegern-Künstler versahen den bis dahin trist-grauen Beton mit Bildern, von denen viele Bau und Fall der Mauer illustrieren, aber auch spektakuläre Fotos wie den Bruderkuss des sowjetischen Staats- und Parteichefs Leonid Breshnew und seines ostdeutschen Genossen Erich Honecker adaptieren. Honecker wurde höchstpersönlich als feudaler Herrscher mit Königsmantel und Federhut dargestellt. Das Bild lehnt sich an eine Vorlage aus der Zeit vor der französischen Revolution an. Sie zeigt den König Ludwig XVI. mit stolzgeschwellter Brust, einen Monarchen, der 1793 unter der Guillotine seinen Kopf verlor. Damit musste Honecker bei seinem vorzeitig beendeten Prozess nicht rechnen. Aber der Fall, den er aus den wolkigen Höhen seines Amtes erlitt, war schmerzhaft, und in den Geschichtsbüchern macht der Saarländer mit der Fistelstimme auch keine gute Figur, obwohl ihm genau das eine Herzensangelegenheit war.
5. Dezember 2019
Zurück zur Themenübersicht "Geschichte, Zeitgeschichte, Ausstellungen"