Fahrt in die Freiheit
Ausstellung vor dem S-Bahnhof Charlottenburg würdigt Rettung jüdischer Kinder 1938 und 1939 durch Großbritannien und andere Staaten



Auf drei Säulen vor dem Bahnhof Charlottenburg werden die Motive erläutert, die England und andere Staaten sowie Hilfsorganisationen hatten, um nach dem Novemberpogrom der Nationalsozialisten von 1938 nach und nach mehr als zehntausend jüdische Kinder in die Freiheit zu holen.









Mit runden und eckigen Schildern gekennzeichnet, begaben sich zahllose Kinder auf die weite Reise nach England. Wie sie dort in Pflegefamilien aufgenommen wurden und wie ihr weiterer Lebensweg ausgesehen hat, schildert die Freiluftausstellung vor dem Bahnhof Charlottenburg.



Das Denkmal in der Georgenstraße gleich beim Bahnhof Friedrichstraße erinnert an jüdische Kinder, die 1938 und 1939 nach England und in andere Länder fliehen konnten, und an solche, die dieses Glück nicht hatten.



Zahlreiche Stolpersteine in Berlin (hier Ackerstraße 27 im Bezirk Mitte) und weitern Städten in- und außerhalb Deutschlands ehren jüdische Männer, Frauen und Kinder, die dem Rassenwahn der Nationalsozialisten zum Opfer fielen.



Ein Waggon der Deutschen Reichsbahn und zusammengeschnürte Körper in der Gedenkstätte neben der ehemaligen Synagoge an der Levetzowstraße im Ortsteil Moabit ist den unzähligen Berliner Juden gewidmet, die zwischen 1933 und 1945 dem Rassenwahn der Nazis zum Opfer gefallen sind. (Fotos/Repros: Caspar)

Auf dem Vorplatz des S-Bahnhofs Charlottenburg erinnert die Freiluftausstellung "Am Ende des Tunnels - Die Kindertransporte vor 80 Jahren" an die rettende Fahrt von mehr als zehntausend jüdischen Kindern im Jahr 1938 von Deutschland nach England, aber auch nach Schweden, in die Niederlande sowie nach Frankreich und Belgien. Dank der von der britischen Regierung und zahlreichen Hilfsorganisationen unterstützten Rettungsaktion nach dem Novemberpogrom in Nazideutschland konnten sie den Holocaust überleben, und manche nahmen die britische Staatsbürgerschaft an. Eltern, Geschwister und Freunde mussten zurück bleiben und wurden in den meisten Fällen ermordet.

In die Freiheit gelangten Kinder, die nach den Nürnberger Gesetzen als Juden und daher als rassisch Minderwertige und Undeutsche eingestuft und entrechtet worden waren. Sie stammten aus dem Deutschen Reich sowie dem von der Wehrmacht besetzten Österreich, Polen, der Freien Stadt Danzig und der Tschechoslowakei. Kinder aus Nazideutschland zu bringen. Manche vor dem Zweiten Weltkrieg gerettete Kinder wurden, sofern sie in den von der Wehrmacht überfallenen Ländern aufgenommen worden waren, von der Gestapo ausfindig gemacht und in die Konzentrations- und Vernichtungslage deportiert, wo sich ihre Spur verliert.

Einer der Haltepunkte der Züge in die Freiheit war der Bahnhof Charlottenburg, deshalb stehen davor auf dem Stuttgarter Platz drei Säulen, auf denen über die rettende Fahrt jüdischer Kinder nach Großbritannien berichtet wird. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs am 1. September verschärfte sich die Lebenslage der Geflüchteten, die nun als "feindliche Personen" eingestuft und von denen manche interniert waren. Es wird auch berichtet, dass sich englische Familien liebevoll um die Kinder kümmerten, andere aber in ihnen billige Arbeitskräfte sahen und schlecht behandelten.

Ehrung durch deutsch-britische Initiative

An ergreifenden Schicksalen und einer Chronik erläutert die Gedenkstätte, wie es den zwischen November 1938 und dem Kriegsbeginn am 1. September 1939 geretteten Mädchen und Jungen ergangen ist und wie sie ihre traumatischen Erlebnisse verarbeitet haben. Zur Feierstunde am 15. August 2019 waren einige der damals nach Großbritannien mit Schiffen und der Eisenbahn gebrachten Menschen nach Berlin gereist, um Erinnerungen auszutauschen und aus ihrem Leben und Überleben zu berichten. Die Ausstellung ist eine britisch-deutsches Initiative der Universitäten Aberystwyth und Nottingham Trent, dem Fachbereich Kultur Charlottenburg-Wilmersdorf, der Inge Deutschkron Stiftung und dem PhotoWerkBerlin. Sie steht unter der Schirmherrschaft des britischen Botschafters Sir Sebastian Wood.

In der Georgenstraße gleich neben dem Berliner Bahnhof Friedrichstraße erinnert eine Skulptur an jüdische Kinder, die 1938 und 1939 dem nationalsozialistischen Völkermord entfliehen konnten. Der Bildhauer Frank Meisler hat die Gruppe "Züge ins Leben - Züge in den Tod" geschaffen und sie seinen von den Nazis ermordeten Eltern gewidmet. Dargestellt sind Kinder, die von ihren Eltern getrennt, darauf warten, dass sie nach England gebracht werden. Eine zweite Gruppe setzt jenen Kindern ein Denkmal, die dieses Glück nicht hatten, sondern mit ihren Angehörigen in den Konzentrations- und Vernichtungslagern von den Nazis ermordet wurden. Der Künstler schöpfte aus eigener Erinnerung, denn er konnte Ende August 1939, unmittelbar vor Beginn des Zweiten Weltkriegs, mit weiteren jüdischen Kindern in einem von der SS bewachten Viehwaggon vom Bahnhof Friedrichstraße und von dort weiter über die Niederlande nach London fahren. Seine Eltern durften nicht mitkommen, sondern wurden verhaftet, ins Warschauer Getto verschleppt und in Auschwitz ermordet.

Dass die akkurat gekleideten, wie auf einem Schulausflug befindlichen Kinder mit ihrem Gepäck und Lieblingsspielzeug auf einen Eisenbahnzug warten, wird durch eine Schiene auf einem Stück Bahnsteig symbolisiert, auf dem die beiden Gruppen stehen. Außer in Berlin erinnern zwei ähnlich gestaltete Skulpturen auf der Liverpool Street Station in London sowie in Danzig an die Rettung der Kinder. Ermöglicht wurde sie durch die internationale Aktion "Refugee Children Movement".

Schnelle Antwort auf den Pogrom von 1938

Auslöser der Rettungsaktion war der Novemberpogrom 1938, bei dem im Deutschen Reich und im okkupierten Österreich unzählige Synagogen und jüdische Geschäfte zerstört und viele Juden ermordet beziehungsweise in die Konzentrationslager verschleppt wurden. Die Nürnberger Rassegesetze von 1935 und die Brand- und Mordanschläge am 9. November 1938 hatten der Weltöffentlichkeit drastisch vor Augen geführt, dass Juden in Deutschland dem Naziterror schutzlos ausgeliefert sind. Dessen ungeachtet machten es die damals bestehenden strengen Einwanderungsbestimmungen vieler Länder deutschen Juden nahezu unmöglich, ihre Heimat zu verlassen. Schon bald wurde ihnen von der Reichsregierung die Ausreise verboten.

Die britische Regierung und die Briten handelten gegen den Trend schnell und human. Am 15. November 1938 empfing Premierminister Neville Chamberlain eine Abordnung einflussreicher britischer Juden und Quäker, um über eine vorübergehende Aufnahme von Kindern und Jugendlichen zu verhandeln. Die jüdische Gemeinde verpflichtete sich zur Stellung von Garantiesummen für die Reise- und Umsiedlungskosten der Kinder in Höhe von 50 Pfund pro Person, was nach heutigem Wert rund 1500 Euro betragen würde, und versprach, die Kinder im Land zu verteilen und ihnen eine angemessene Ausbildung angedeihen zu lassen.

Die Regierung in London lockerte daraufhin die Einreisebestimmungen und rief Familien im Lande auf, Pflegekinder aufzunehmen. Sie entschloss sich zu diesem Schritt auch in der Hoffnung, dass die USA ebenfalls ihre Einreisebestimmungen lockern werden. Da der Kongress einen entsprechenden Gesetzentwurf aber ablehnte, blieb die Rettungsaktion auf Westeuropa beschränkt. Insgesamt kamen 1.500 jüdische Kinder in die Niederlande, 1.000 nach Belgien, 600 nach Frankreich, 300 in die Schweiz und 450 nach Schweden. Viele von ihnen wurden nach Besetzung dieser Länder, von Schweden und der Schweiz abgesehen, von der Gestapo verhaftet und später ermordet.

24. September 2019

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