Recht auf Arbeit mit Fragezeichen
Nur allzu gern wird die Sicht auf die DDR mit Blick auf die Vollbeschäftigung verklärt







Die DDR brauchte Arbeitskräfte, Arbeitskräfte, Arbeitskräfte. In allen Medien und auf allen Kanälen wurde für die Erfüllung der Pläne getrommelt. Für Hochleistungen gab es Prämien und Auszeichnungen, hier im Bild Anstecker für das Wismut.



Der Kult, der in der DDR um Arbeiter, Bauern und die Intelligenz betrieben wurde, führte nicht dazu, dass überall die in der Verfassung verbriefte gerechte Entlohnung erfolgte. Das Wandbild am früheren Haus der Ministerien und heutigen Bundesfinanzministerium feiert viel Hand- und Kraftarbeit. Am 17. Juni 1953 versammelten sich an dieser Stelle zahllose Menschen, um für ihre Rechte zu kämpfen. Der Volksaufstand wurde von sowjetischen Panzern niedergewalzt, das SED-Regime hielt sich dann noch 36 Jahre an der Macht.



Mit ihren Gesetzen ging die DDR rabiat gegen Kritiker vor. Wer wegen politischer Witze oder staatsfeindlichen Handlungen angezeigt und verurteilt wurde, fand sich unter Umständen in Zwangsarbeiterkolonnen wieder. Beide deutsche Staaten profitierten von der Ausbeutung von Zwangsarbeitern. Hier Erzeugnisse, die aus diesen Quellen stammen könnten.



Wer in der Haftanstalt Rummelsburg nicht die Arbeitsnormen erfüllte, hatte mit schweren Strafen zu rechnen. Produziert wurde hier für Ostberliner Industriebetriebe. Eine Gedenkstätte erinnert an die Opfer der NS-Diktatur ebenso wie an die der SED-Diktatur.



Wer in der DDR über Westgeld verfügte, also Deutsche Mark, konnte sich im Intershop manche Wünsche erfüllen. Dass dort auch Erzeugnisse im Angebot waren, die in DDR-Gefängnissen hergestellt wurden, dürften die wenigsten Kunden gewusst haben. (Fotos/Repro: Caspar)

Das Recht auf Arbeit war in der DDR verfassungsmäßig verbrieft. Bei allen kritischen Fragen an den 1990 untergegangenen zweiten deutschen Staat wird es als besondere Errungenschaft gelobt, und es gibt Zeitgenossen, die die vielen Menschenrechtsverletzungen in der DDR mit Hinweis darauf ausblenden, dass (fast) jeder Bewohner des Arbeiter-und-Bauern-Staats Arbeit, genug zu essen und eine warme Wohnung hatte. Laut Artikel 24 der DDR-Verfassung stand jedem Erwachsenen zwischen Elbe und Oder, Kap Arkona und Fichtelberg ein Arbeitsplatz zu sowie das Recht für dessen freie Wahl "entsprechend den gesellschaftlichen Erfordernissen und der persönlichen Qualifikation. Er hat das Recht auf Lohn nach Qualität und Quantität der Arbeit. Mann und Frau, Erwachsene und Jugendliche haben das Recht auf gleichen Lohn bei gleicher Arbeitsleistung." Schaut man jedoch genau hin, so stand dieses Grundrecht nur auf dem Papier, denn nicht jeder konnte und durfte arbeiten, vor allem jene Personen, die von der Stasi als "feindlich-negativ" eingestuft und an einer geregelten Arbeit und damit verbunden erträglichen Lebensbedingungen gehindert und zu einem Außenseiterdasein verurteilt wurden. Auch das Prinzip "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" war eine schöne Vision, die sogar heute im vereinigten Deutschland unter ganz anderen Verhältnissen nicht überall gewährleistet ist.

Es ist eine historische Wahrheit, dass nicht jeder DDR-Bürger lernen, studieren und arbeiten durfte was er wollte, auch unterlag die Vergabe von Arbeitsplätzen staatlicher Reglementierung nach strengen politisch-ideologischen Vorgaben. Arbeitskräfte wurden im zweiten deutschen Staat wegen der vergleichsweise geringen Automatisierung in der Industrie gesucht, ebenso hat man sie mit Kusshand in der Landwirtschaft eingesetzt. Fast jeder DDR-Bewohner im arbeitsfähigen Alter nahm sein Recht auf Arbeit wahr, allerdings war die Bezahlung in der Regel nicht so, wie man sie sich wünschte. Die Vollbeschäftigung wurde unter anderem erreicht, weil es in der Verwaltung vielfach Doppel- und Dreifachbesetzungen gab und der aufgeblähte Partei- und Sicherheitsapparat zahllose Arbeitskräfte band, die an anderer Stelle fehlten. Um Vollbeschäftigung zu gewährleisten und mit Pflichten in der Familie in Einklang zu bringen, gab es ein enges Netz von Krippen, Kindergärten und Betriebskindergärten, ein System, von dem man heute in vielen Regionen nur träumt. Außerdem wurde, um die Eltern zu entlasten, für ausreichende Betreuung und Beschäftigung der Schüler nach dem Unterricht gesorgt.

Viele waren staatlicher Willkür ausgesetzt

So genanntes Faulenzertum und weiteres asoziales Verhalten wurde als Gefährdung der öffentlichen Ordnung angesehen und geahndet. In den Kreis der so genannten Asozialen, im Volksmund Assis genannt, konnte man schnell geraten, etwa wenn man sich einer von einer staatlichen Stelle übertragenen Arbeit entzog, wenn man auf die Genehmigung eines Ausreiseantrags wartete und daher keine angemessene Arbeit mehr fand und deshalb zu Hause bleiben musste oder wenn man bei der Stellensuche aus politischen Gründen abgewiesen wurde. Kurzum, das Thema öffnete staatlicher Willkür Tür und Tor, was offiziell immer abgestritten wurde und auch heute von DDR-Nostalgikern geleugnet wird. Strafgesetzen verfügten, dass Personen, welche das gesellschaftliche Zusammenleben der Bürger oder die öffentliche Ordnung dadurch gefährden, dass sie sich einer geregelten Arbeit hartnäckig entziehen, obwohl sie arbeitsfähig sind, oder wer der Prostitution nachgeht oder wer sich auf andere unlautere Weise Mittel für seinen Unterhalt verschafft mit Verurteilung auf Bewährung oder mit Haftstrafe, Arbeitserziehung oder mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft wird. Zusätzlich konnte bei leichten Fällen auf Aufenthaltsbeschränkung sowie staatliche Kontroll- und Erziehungsaufsicht erkannt werden. War die betreffende Person als asozial und arbeitsscheu bekannt oder bereits wegen eines Verbrechens gegen die Persönlichkeit, Jugend und Familie, das sozialistische, persönliche oder private Eigentum, gegen die allgemeine Sicherheit oder die staatliche Ordnung bestraft, um die damalige Diktion zu verwenden, waren Arbeitserziehung oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren fällig.

Zwangsarbeit unter unwürdigen Bedingungen

Mit der Beschäftigung von Gefangenen als billige Arbeiter hatte der deutsche Arbeiter-und-Bauern-Staat kein Problem. Tausende Menschen mussten in den Haftanstalten Köpenick und Rummelsburg, im Zementwerk Rüdersdorf und an anderen Orten in und um Berlin sowie draußen in der Provinz unter unwürdigen Bedingungen schuften. Wider Willen halfen sie, die DDR-Wirtschaft am Leben zu erhalten und die Pläne zu erfüllen. "Ostalgiker" hören diese und andere beschämende Wahrheiten ungern, doch können sie die Fakten nicht vom Tisch wischen. Ob sie nun für die Textilreinigung REWATEX Wäsche wuschen, Schnaps für den VEB Bärensiegel herstellten, Geräte für die Knorr-Bremse und die Elektro-Apparate-Werke herstellten oder in Rüdersdorf Zement produzierten, um einige Beispiele zu nennen - von der Zwangsarbeit profitierten auch namhafte Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland, in Westberlin und im kapitalistischen Ausland. Zahlreiche sowohl über den Versandhandel vertriebene als auch im ostdeutschen Intershop für Westgeld angebotene Erzeugnisse stammten aus diesen Quellen. Der Umfang dieser anrüchigen, für beide Seiten aber profitable Kooperation wurde erst nach der Wiedervereinigung (1990) bekannt und auch von Unternehmen wie Ikea, Quelle, Neckermann und Aldi zähneknirschend zugegeben.

Zustände "unter aller Sau"

Experten haben ermittelt, dass in mindestens 250 DDR-Betrieben neben normalen auch Gefangene beschäftigt waren. Für sie gab es in den Fabriken spezielle Abteilungen, außerdem wurde in DDR-Gefängnissen unter unbeschreiblich schlechten Bedingungen Zwangsarbeit geleistet. Für westliche Firmen sowie als Zwischenhändler tätige SED-Einrichtungen war die Zwangsarbeit ein blendendes Geschäft, über die der Mantel des Schweigens gebreitet wurde. Denn wer wollte im Westen schon zugeben, dass die dort billig verkauften Möbel, Strumpfhosen, Schreibmaschinen, Fotoapparate, Motorradteile, Fernseher und Radios, ja auch Bettwäsche und sogar Haushaltskerzen aus solchen trüben Quellen stammen. Vielfach brachten veraltete Maschinen die Gefangenen in Lebensgefahr oder ruinierten ihre Gesundheit. Außerdem waren vielfach die hygienischen Zustände in den betreffenden Fabriken "unter aller Sau", wie Betroffene im Rückblick erklärten.

In der DDR waren der Export dieser Waren und die Arbeit von Gefangenen für den Klassenfeind offiziell kein Thema. Doch sorgten westliche Medien und Gerüchte in der Bevölkerung, dass nicht alles unter Verschluss blieb. Angesichts der billigen Preise, die dem DDR-Außenhandel für diese und weitere Exportwaren bezahlt wurden, sahen die Abnehmer im deutschen Westen gern über die schwierigen, oft menschenunwürdigen Bedingungen hinweg, unter denen sie hergestellt wurden. Die Erträge gingen in die Millionen Valutamark, also Westmark. Die vom VEB Bärensiegel für den Metro-Konzern, Underberg, Cinzano, Verpoorten und andere Abnehmer produzierten Spirituosen ließen sich auch die Bewohner der von der Außenwelt abgeschotteten Wohnsiedlung des SED-Politbüros in Wandlitz und weitere Spitzenfunktionäre gut schmecken. Damit nicht genug wurde in DDR-Gefängnissen gewonnenes Blutplasma für Deutsche Mark an westdeutsche Abnehmer geliefert. Als die Bundesregierung in den achtziger Jahren versuchte, den Import von Möbeln, Strumpfhosen und andern Erzeugnissen aus der DDR im Interesse der heimischen Wirtschaft einzuschränken, wusste sie sehr wohl, unter welchen Bedingungen diese Waren in DDR-Gefängnissen hergestellt wurden.

Westen profitierte vom Osten

Ins Gefängnis konnte man schnell kommen, man musste nichts gestohlen oder jemand umgebracht haben, es reichte schon ein unbedachtes Wort am Arbeitsplatz, ein Witz in der Zeitung, und schon war eine Anklage wegen Verleumdung des Staates und der SED und ihrer "führenden Persönlichkeiten" fällig. Nach dem Ende der DDR wurde bekannt, dass politische Häftlinge mit Kriminellen zusammen arbeiten mussten. Sie mussten mehr als "freie" Beschäftigte zu leisten, verdienten aber wesentlich weniger als diese. Offiziell gab es in der DDR keine politischen Häftlinge, wer sich aus welchen Gründen und mit welcher Intensität auch immer gegen den Staat und die ihn beherrschende SED auflehnte, galt als Krimineller, wurde aber schlechter behandelt als Diebe, Mörder und Betrüger, wie zahlreiche Betroffene auch heute aus leidvoller Erfahrung berichten.

Auch die Deutsche Reichsbahn, ein Staatsbetrieb der DDR mit einem aus dem schon lange untergegangenen Deutschen Reich stammenden Namen, beschäftigte Gefangene beim Bau und der Verlegung von Eisenbahngleisen sowie bei der Herstellung von Güterwagen und anderen Erzeugnissen. Im Jahr sollen es fünfhundert "Politische" gewesen sein. Manche Zwangsarbeiter waren bei Fluchtversuchen aus der DDR geschnappt worden oder weil sie politische Witze gerissen hatten. Die Arbeit war hart, zwölf Stunden von Montag bis Samstag war die Norm. Gearbeitet wurde unter primitiven Umständen ohne Schutzkleidung mit bloßen Händen und für wenig Geld. Wie die Historiker Christopher Kopper, Susanne Kill und Jan Henrik Peters in ihrem Buch "Die Reichsbahn und der Strafvollzug in der DDR. Häftlingszwangsarbeit und Gefangenentransport in der SED-Diktatur" (Klartext-Verlag Essen 2016, ISBN 978-3-8375-1436-0) schildern, erlebten viele politischen Gefangenen die Zwangsarbeit als besonders demütigend.

Die von der Deutschen Bahn AG in Auftrag gegebene Studie lässt Zeitzeugen zu Wort kommen. Sie berichten etwa darüber, wie Gefangene für Arbeitsverweigerung bestraft wurden und was ihnen von ihrem kargen Lohn übrig blieb. Wenn die Reichsbahn 120 Ostmark pro Gefangenen zahlte, dann behielt der Strafvollzug einen Großteil davon ein, um seine Kosten zu reduzieren. Den Gefangenen blieben gerade mal 50 Mark im Monat. Die Deutsche Bahn AG hat Forderungen von ehemaligen Zwangsarbeitern bei der Deutschen Reichsbahn zurück gewiesen und verweist auf die Politik, die sich dieser Frage stellen sollte.

9. Januar 2019

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