Engelsgeduld des Königs hatte Grenzen
Beziehung zwischen Friedrich II. von Preußen und Voltaire war von Freundschaft und Abneigung geprägt



Von 1750 bis 1753 in Berlin und Potsdam freundlich aufgenommen und illustrer, freilich auch recht teurer Gast der königlichen Tafelrunde im Schloss Sanssouci, legte sich der aus seiner Heimat wegen aufklärerischer sowie religions- und regimekritischer Schriften verbannte Franzose mit seinem preußischen Gastgeber und "Bruder im Geiste" an. Die Medaille wurde 1770 geprägt.



Der Kupferstich zeigt das Voltaires Konterfei. Friedrich II. stiftete die von Antoine Houdon 1778 geschaffene Marmorbüste der Berliner Akademie der Wissenschaften, deren Mitglied Voltaire war.



Immer wieder hat sich Adolph Menzel mit Voltaire beschäftigt und zeitgenössische Gemälde für seine Buchillustrationen herangezogen.



In seinem Zorn forderte der enttäuschte König von Voltaire einen Orden, den Kammerherrenschlüssel und ein Pensionspatent zurück. Adolph Menzel hat diese Insignien und ein Porträt des berühmten Franzosen für ein Buch von Franz Kugler über Friedrich II. geschaffen.



Eine Sitzfigur des alten, abgemagerten und gebeugten Voltaire war 2012 in einer Ausstellung am Berliner Kulturforum zu sehen, die Friedrich II. als "Homme de lettre", als Schriftsteller würdigte.



Voltaire ist im Pantheon zu Paris bestattet, ihm widmete Lessing 1779 diese hintergründig formulierte Grabschrift: "Hier liegt - wenn man euch glauben wollte, / Ihr frommen Herrn! - der längst hier liegen sollte. / Der liebe Gott verzeih' aus Gnade / Ihm seine Henriade, Und seine Trauerspiele, / Und seiner Verschen viele: / Denn was er sonst ans Licht gebracht, / Das hat er ziemlich gut gemacht."



Im 19. Jahrhundert wurden Friedrich der Große enthusiastisch verehrt, und mit ihm die großen Geister, die er an seinen Hof geladen hatte oder mit denen er korespondierte. Die Grafik zeigt den König und Voltaire sitzend, um sie herum diskutieren in einer Bibliothek weitere Freunde und Vertraute. (Fotos/Repros: Caspar)

Nicht erst bei den Nazis gab es aus politischen und rassistischen Gründen Bücherverbrennungen. Auch davor wurden immer wieder Bücher und Manuskripte ins Feuer geworfen, um einen Schriftsteller und sein Werk zu treffen und als schändlich und gotteslästerlich zu brandmarken. Ein solches Autodafé fand 1753 in Berlin statt. Über abfällige Äußerungen seines Gastes, des französischen Schriftstellers Voltaire, erbost, ließ Preußens König Friedrich II. eine von diesem verfasste Spottschrift öffentlich verbrennen. Der "Philosoph von Sanssouci" verdammte mit dieser Aktion freien, kritischen Geist durch Feuer und Henkershand. Der König von Preußen, den man alsbald einen Großen nannte, schätzte zwar Voltaires Klugheit, Wortgewandtheit und seinen beißenden Spott, und die beiden parlierten und korespondierten über Gott und die Welt. Doch da der eine ein despotisch regierender wirklicher König und der andere nur ein König in der Sphäre des Geistes war und sich von den Mächtigen seiner Zeit nichts bieten ließ, auch nichts von Friedrich II., blieben Konflikte nicht aus.

Zwar sagte man dem berühmtesten aller Preußenkönige tolerantes Denken in Religionsfragen und Streben nach Humanität und Aufklärung nach, doch wenn es darauf ankam, ließ er nicht zu, dass jemand an seiner autoritären Art zu regieren Anstoß nimmt oder Leute beleidigt, die ihm nahe stehen. Selber ein großer Spötter und Zyniker, war er hochempfindlich, wenn jemand an seinem Image kratzte. Solange das außerhalb seines Machtbereichs geschah, musste der König Schmähungen und Unterstellungen ertragen. Aber wehe, er wurde der Schreiber oder auch Karikaturisten habhaft, dann hagelte es schwere Strafen an Leib und Leben. "Er hat viel Geist; Kenntnisse nicht soviel als man ihm nachsagt; ist hervorragend nur im Militärischen, von dem er imstande ist jeden möglichen Vorteil zu ziehen. […] Er ist gar ein böser Spötter, sticht den, der im missfällt, verstößt oft gegen die Gebote der Politik […] behandelt fast alle Welt wie Sklaven. Alle seine Untertanen werden in den härtesten und schmählichsten Fesseln gehalten", lautete eines der Urteile von Voltaire über seinen zeitweiligen Freund. Der flötenspielende und baufreudige Monarch nahm die Bewertung hin, weil es nach seiner Meinung zum Wesen eines Mannes in öffentlicher Stellung gehört, "dass Kritik und Satire und oft sogar Verleumdung ihn aufs Korn nehmen."

Schätze des Geistes, ein genialer Verfasser

Voltaire war nicht die einzige schillernde Person, die in Berlin und Potsdam Gastfreundschaft und einträgliche Posten genossen, er war aber der berühmteste und einer, mit dessen Namen sich der sehr auf seine Reputation und seine Stand in der Riege der europäischen Herrscher bedachte König von Preußen schmückte. "Ihre Werke sind, wenn man so sagen darf, Schätze des Geistes, Schriften, die mit so viel Geist, Feinheit und Kunst gearbeitet sind, dass ihre Schönheiten jedesmal, wenn man sie liest, neu erscheinen. Ich glaube in ihnen den Charakter eines genialen Verfassers erkannt zu haben, der unserer Zeit und dem menschlichen Geiste Ehre macht. [...] Sie sprechen in einem außerordentlich schmeichelhaften Tone mit mir, überhäufen mich mit Lobsprüchen und geben mir Beinamen, die nur großen Männern zukommen, so dass ich unter dieser Last erliegen muss. Mein Reich würde sehr klein sein, wenn es nur Untertanen von Ihrem Verdienst haben sollte", schrieb Kronprinz Friedrich am 8. August 1736 und 7. April 1737 an Voltaire. 1740 König geworden, teilte er seinem Vertrauten Charles Etienne Jordan begeistert mit: "Ich habe Voltaire gesehen, auf dessen Bekanntschaft ist so neugierig war; aber ich hatte gerade das Fieber. - Er ist so beredt wie Cicero, so angenehm wie Plinius und weise wie Agrippa, mit einem Wort: er vereinigt in sich alle Tugenden und Talente eines der größten Männer des Alterthums. Sein Geist arbeitet unaufhörlich und jeder Tropfen Dinte, der aus seiner Feder fließt, wird zu einem Bonmot."

Friedrich ist außer sich vor Zorn

Die Begeisterung des förmlich angebeteten Voltaire schlug mit den Jahren als Gast des Königs in Skepsis und Kritik um. Dennoch bewahrte er dieser Ausnahmeerscheinung am europäischen Fürstenhimmel bis zu seinem Tod Respekt. Angeblich soll der Franzose, dessen eigentlicher Name François-Marie Arouet war, in eine Finanzaffäre verwickelt gewesen sein. Als er den ebenfalls aus Frankreich stammenden Berliner Akademiepräsidenten Pierre Louis Moreau de Maupertuis (1698 bis 1759) angriff, der vom König protegiert wurde, und über ihn außerhalb Preußens sogar eine Spottschrift gegen ihn veröffentlichte, war das Maß voll. Friedrich II. entzog seinem Gast die Gunst, und um zu zeigen, wer Herr im Hause ist, ließ er jene gegen Maupertuis gerichtete Streitschrift "La Diatribe du Docteur Akakia" öffentlich auf dem Gendarmenmarkt und weiteren Plätzen der Haupt- und Residenzstadt Berlin verbrennen. Über eine angebliche oder wirkliche Bemerkung des Königs "Ich brauche ihn noch höchstens ein Jahr; man presst die Orange aus und wirft die Schale weg" erbost, schickte Voltaire seinem Gastgeber und Financier den ihm verliehenen Verdienstorden, ein Pensionspatent und einen goldenen Kammerherrenschlüssel mit diesen tieftraurigen Worten zurück: "Die ich empfangen, zart beglückt, / Ich sende sie zurück mit Schmerzen, / So wie ein Liebender mit tief zerissnem Herzen / Zurück das Bildnis der Geliebten schickt."

Friedrich hatte ihn zu diesem Schritt aufgefordert. Außer sich vor Zorn, teilte er dem zur Kur außerhalb Preußens weilenden Verfasser der gegen Maupertuis gerichteten Schmähschrift und weiterer Enthüllungen über das angebliche homosexuelle Lotterleben am preußischen Hof im Januar 1753 mit, ein Konsistorium habe darüber debattiert, ob Voltaires "Sünde" todeswürdig sei oder nicht. Sämtliche Doktoren hätten dafür gestimmt, dass das, was sich Voltaire wiederholtermaßen erdreistet hat, "außerordentlich todeswürdig" sei. "Trotzdem glaubt Seine Majestät im Vollbesitze der ihm verliehene Gnade Beelzebubs Sie, wenn auch nicht vollständig, so doch wenigstens zum Teil absolvieren." Am 16. März 1753 ließ der König Voltaire, den er so lange verehrt hatte, wissen: "Ich bin weder so töricht noch so eitel wie gewisse Schriftsteller, und literarische Ränke scheinen mir eine Schmach für die Literatur zu sein. Darum achte ich Ehrenmänner, die sich damit beschäftigen, nicht weniger hoch. Nur die Cliquenhäupter sind in meinen Augen verächtlich. Damit bitte ich Gott, dass er Sie in seinen heiligen und würdigen Schutz nehme."

Vorwürfe und Schmeicheleien

Der König überwand mit der Zeit Ärger und Enttäuschung, doch das alte vertrauensvolle Verhältnis zwischen ihm und Voltaire war gestört, und der durch die Bücherverbrennung gekränkte Schriftsteller verließ Preußen auf Nimmerwiedersehen. "Manches Bittere, in Versen und in Prosa, folgte noch auf diese Vorfälle; und dennoch sahen sich beide Männer in kurzer Frist zum Austausche ihrer Gedanken angetrieben", heißt es in Franz Kuglers berühmter Friedrich-Biographie mit Illustrationen von Adolph Menzel aus dem Jahr 1840. "Nur im Anderen fand jeder sich ergänzt, und die Vorwürfe machten wieder der schmeichelhaftesten Anerkennung Platz." Den früheren Freund zurückzuberufen, kam den König nicht in den Sinn. Zu sehr gingen ihm die abfälligen Bemerkungen den Strich. Der Monarch und der Philosoph legten nach Vermittlung durch die Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth, Friedrichs Schwester, ihren Zwist bei und pflegten bis ins Alter einen ausgiebigen Briefwechsel.

Vertieft man sich in die Briefe und Streitschriften Friedrichs II. von Preußen, dass der später "der Große" genannte Monarch schon als Kronprinz tief und weit zu denken und gut zu formulieren verstand. Vergleicht man aber seine in diesen Schriften fixierten Vorstellungen mit dem, was er nach seiner Thronbesteigung 1740 als erster Diener seines Staates, wie er sich selber nannte, als Philosoph von Sanssouci und als Heerführer tat, dann sieht man, dass Theorie und Praxis oft weit auseinander klafften. Oder um Voltaire zu zitieren: "Er schrieb in aller Aufrichtigkeit, zu einer Zeit, da er noch nicht Staatsoberhaupt war und sein Vater ihm die despotische Gewalt nicht eben liebenswert erscheinen ließ. Er pries damals aus ganzem Herzen Mäßigung und Gerechtigkeit, und in seiner Begeisterung sah er jede Usurpation als Verbrechen an. Aber es lag in seiner Natur, immer genau das Gegenteil dessen zu tun, was er sagte und schrieb, nicht aus Verstellung, sondern weil er in einer Stimmung schrieb und sprach und in einer ganz anderen handelte." In Preußen habe es zu Zeiten Friedrich II. ungeheuer viel Bajonette und sehr wenig Bücher gegeben, der König habe Sparta stark ausgeschmückt, aber Athen habe er in seinem Kabinett untergebracht, hat Voltaire beobachtet, und 1743 notierte er mit Blick auf seinen Gastgeber: "Seine Sorge richtet er nun darauf, die Stadt Berlin auszustatten, eines der schönsten Opernhäuser zu bauen und Künstler aller Art kommen zu lassen; denn er wollte sich mit allen Mitteln und so billig wie möglich Ruhm erwerben. [...] Die Dinge änderten sich zusehends: Sparta ward zu Athen." Anders fiel das Urteil des Franzosen im Siebenjährigen Krieg (1756 bis 1763) aus. "Luc möchte gern Frieden. Wäre es denn ein so großes Unglück, ihm den zu gewähren und so ein Gegengewicht gegen Deutschland zu bewahren? [...] Luc bleibt immer Luc; bringt nach wie vor sich und andere in Verlegenheit, setzt Europa in Erstaunen und überschwemmt es mit Blut, macht es arm und macht Verse dazu." Mit Luc war der König von Preußen nach einem Menschenaffen im Pariser Zoo gemeint, und dies in einer Zeit, als Preußen am Rand des Untergangs stand und der König an Selbstmord dachte.

Feind der Fehler, Liebhaber der Wahrheit

Für seinen 1764 in Pisa verstorbenen Vertraute Francesco Graf von Algarotti, seines Zeichens italienischer Schriftsteller, Kunstkritiker und Kunsthändler, ließ der König ein prächtiges Grabmal errichten, und auch ein anderer Gast an seinem Hof, der immer wieder mit Spott bedachte Schriftsteller und Kammerherr Jean-Baptiste de Boyer, Marquis d'Argens, bekam 1771 auf des Königs Kosten im fernen Toulon ein Grabdenkmal mit der lateinischen Inschrift ERRORIS INIMICUS, VERITATIS AMATOR (Feind der Fehler, Liebhaber der Wahrheit). Mit beiden Grabmälern drückte der königliche Stifter sein Bedauern über zugefügte Schmähungen aus, doch fielen die Ehrungen bescheidener aus im Vergleich zu den Standbildern aus Marmor, die der König hochrangigen Generalen seiner Armee auf dem Berliner Wilhelmplatz errichten ließ und die heute in der Kleinen Kuppelhalle des Bode Museums auf der Berlinert Museumsinsel stehen.

Feierliche Messe in Berliner Hedwigskirche

Friedrich II., der ewige Spötter, brachte es nicht über sich, Freunden und Vertrauten zu deren Lebzeiten um Verzeihung für zugefügtes Unrecht und Schmähungen zu bitten. Das tat er einzig bei Voltaire, der am 24. Juli 1750 seinem Freund, dem Botschafter Charles-Augustin d'Argental, schrieb: "Einhundertfünfzigtausend siegreiche Soldaten, keine Beamten (Advokaten, Schranzen), aber Oper, Schauspiel, Philosophie, Poesie, ein Held, der Philosoph und Poet ist, Größe und die drei Grazien, Grenadiere und die neun Musen, Trompeten und Geigen, Gastmahl des Platon, Geselligkeit und Freiheit!" Als Voltaire am 30. Mai 1778 in Paris gestorben war, hat man dem berühmten Aufklärer und Schriftsteller in seiner französischen Heimat die ihm zustehenden Ehrungen verweigert und sogar verboten, das man seine Stücke aufführt. Da war es der König von Preußen, der in der katholischen Hedwigskirche am Berliner Opernplatz (heute Bebelplatz) für den wortgewaltigen Kritiker der Kirche eine feierliche Messe halten ließ und eine Würdigung für den Mann verfasste, der ihn vor vielen Jahren verlassen hatte und den er aber nie vergessen hat. In seiner "Eloge de Voltaire", die der König in der Akademie der Wissenschaften zu Ehren ihres verstorbenen Mitglieds verlesen ließ, heißt es: "Himmlischer Voltaire bitte für uns."

8. April 2019

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