"Gefangene werden nicht gemacht"
Erschütternde Ausstellung in der Topographie des Terrors über den Warschauer Aufstand vor 75 Jahren



Die Ausstellung im Außenbereich der Topographie des Terrors über den Warschauer Aufstand wurde vom Museum des Warschauer Aufstands gestaltet und war schon einmal 2014 zu sehen. Die Topographie des Terrors ist täglich bei freiem Eintritt von 10 bis 20 Uhr geöffnet.



Nach dem Überfall auf Polen am 1. September begann für das Land und seine Bevölkerung eine furchtbare Zeit der Unterdrückung und des Mordes.





Außer vielen Fotos und Drucken zeigt die Ausstellung auch Hinterlassenschaften aus der Zeit, da im besetzten Warschau eine Untergrundregierung existierte und gegen die Deutschen gekämpft wurde.



Insgesamt spricht die vom Museum des Warschauer Aufstands in Warschau gestaltete Ausstellung von fast 700 000 getöteten Militärangehörigen und Zivilisten. Die Hauptstadt wurde durch Bombardements und Sprengungen dem Erdboden gleichgemacht.



Wer die schlimmsten Henker von Warschau waren, zeigt in der Topographie des Terrors diese Bild- und Texttafel. Drei von fünf überlebten das Kriegende.



Vor dem Denkmal des Aufstands im Warschauer Getto ging der damalige Bundeskanzler Willy Brandt 1970 sichtlich erschüttert in die Knie.



Das Denkmal des Warschauer Aufstandes wurde am 1. August 1989 auf dem Krasinski-Platz vor dem Obersten Gericht in Warschau enthüllt.



Wer durch die Altstadt von Warschau geht, wird nicht in jedem Fall wissen, dass alle Gebäude einschließlich des Königsschlosses (rechts mit Turm) Neubauten nach alten Plänen sind.



Der Warschauer Kultur- und Wissenschaftspalast wurde zwischen 1952 und 1955 auf Anordnung Josef Stalins im Stil des Sozialistischen Klassizismus errichtet. Der einschließlich der mächtigen Radio- und Fernsehantenne 237 Meter hohe Wolkenkratzer hieß anfangs "Stalinpalast" und ist das höchste Gebäude des Landes. Forderungen aus Politikerkreisen und von der seit 2015 in Polen regierenden PiS-Partei, das Wahrzeichen der Hauptstadt und weitere Gebäude und Symbole aus der Zeit des Kommunismus zu beseitigen, hatten bisher keinen Erfolg. (Fotos: Helmut Caspar und Wolfgang Caspar mit Fotos aus dem heutigen Warschau)

Die Topographie des Terrors an der Niederkirchnerstraße in Berlin-Kreuzberg zeigt bis zum 13. Oktober 2019 eine Ausstellung über den Warschauer Aufstand vom 1. August bis 2. Oktober 1944. Zahlreiche Bild- und Schrifttafeln entlang einer in Fragmenten erhaltenen Kellermauer des in der Nazizeit als Gestapo- und SS-Zentrale genutzten Prinz-Albrecht-Palais schildern, was dem Überfall der deutschen Wehrmacht am 1. September 1939 folgte und wie Bewohner von Warschau am 1. August 1944 und danach mutig und den Tod vor Augen versuchten, sich ihrer Besatzer zu erwehren und einen eigenen Staat zu bilden. Sie taten dies in der Hoffnung, dass die in sicherer Entfernung "Gewehr bei Fuß" wartenden Roten Armee zu ihren Gunsten eingreift und dem Horror der deutschen Horden ein Ende bereitet, was aber Stalin nicht tat, der andere Pläne hatte.

Den sicheren Tod vor Augen, hatten sich bereits im April/Mai 1943 die Bewohner des Warschauer Ghettos erhoben, um ihre Deportation in die Vernichtungslager aufzuhalten. Obwohl ihre Lage angesichts der deutschen Übermacht aussichtslos, leisteten jüdische Männer und Frauen mehrere Wochen lang erbitterten Widerstand. Nach dem Kampf, bei dem die Deutschen Bomben, Granaten, Feuer und Giftgas einsetzten, wurden die wenigen Überlebenden des Gettos in den Vernichtungslagern ermordet. Der Warschauer Aufstand vor 75 Jahren wurde vom polnischen General Tadeusz Bór-Komorowski geführt, dem Befehlshaber der Armia Krajowa. Die Erhebung begann in der Hoffnung, dass die bereits in Vororten von Warschau "Gewehr bei Fuß" stationierten Einheiten der Roten Armee eingreifen werden. Doch Stalin hatte andere Pläne. Er strebte im befreiten Polen die Installierung eines moskauhörigen Regimes an, und dazu passte ein Sieg der von der Londoner Exilregierung gesteuerten Heimatarmee nicht. Deshalb überließ er die heroisch um Leben und Freiheit kämpfenden Aufständischen ihrem Schicksal.

Weiße Schrift auf rotem Grund

Wenige Tage nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 in der Wolfsschanze befahlen Hitler und sein Reichsführer SS Himmler einen Zerstörungs- und Rachefeldzug gegen die Kämpfer des Warschauer Aufstandes und alle Bewohner der Stadt. Sie alle seien zu ermorden, und es sollten auch keine Gefangenen gemacht werden, befahlen sie aus Furcht, das Beispiel könne Schule machen und andere Länder und Städte ermuntern, sich gegen die deutschen Besatzer zu erheben. "Warschau soll dem Erdboden gleichgemacht werden, um auf diese Weise ein abschreckendes Beispiel für ganz Europa zu statuieren", heißt es in einem in der Ausstellung mit weißer Schrift auf rotem Grund zitierten Befehl. Die Verwendung der beiden Farben ist sowohl Signal als auch Reverenz an die polnischen Flagge, die 1919 durch die Neugründung des polnischen Staates eingeführt wurden.

Die Ausstellung zeigt zunächst Bilder einer blühenden Metropole, die nach dem 1. August 1939 in das zum Zentrum des von der Wehrmacht besetzten und von Hans Frank diktatorisch und brutal beherrschten "Generalgouvernements" umgewandelt wurde, in dem dort lebende Juden in ein Getto abgedrängt und viele von ihnen in die deutschen Vernichtungslager auf polnischem Boden verschleppt und ermordet wurden. Nach dem Warschauer Aufstand war die Stadt an der Weichsel eine einzige Trümmerwüste, denn fast 80 Prozent der Bauten waren zerstört.

Hitler und Stalin hatten sich insgeheim am 23. August 1939 im Rahmen eines überraschend abgeschlossenen Nichtangriffspakts darüber geeinigt, Polen unter sich aufzuteilen. Damit war der Weg zum Überfall des Landes durch beide Mächte war frei. Wer sich ihren Armeen in den Weg stellte, wurde, ob Soldaten oder Zivilisten, verschleppt und ermordet. Die Existenz des geheimen Zusatzabkommens über die Abgrenzung von Interessenssphären im besetzten Polen wurde in Sowjetzeiten konsequent geleugnet und erst 1990 von Michail Gorbatschow zugegeben.

Völlige Vernichtung befohlen

Hitler und Himmler, sein Henker, befahlen zu Beginn des mit selbst gebastelten beziehungsweise aus Depots gestohlenen Waffen geführten Aufstandes, alle Bewohner von Warschau zu töten und keine Gefangenen zu machen. "Warschau soll dem Erdboden gleichgemacht werden, um auf diese Weise ein abschreckendes Beispiel für ganz Europa zu statuieren", befahl Himmler am 1. August 1944. In der Ausstellung wird der Reichsführer SS mit dieser zynischen Aussage vor Wehrkreisbefehlshabern und Schulungsoffizieren am 21. September 1944 so zitiert: "Außerdem habe ich gleichzeitig Befehl gegeben, dass Warschau restlos zerstört wird. Sie können sich nun denken, ich sei ein Barbar. Wenn Sie so wollen, ja, das bin ich, wenn es sein muss. Der Befehlt lautete: Jeder Häuserblock ist niederzubrennen und zu sprengen, so dass sich in Warschau keine Etappe mehr festnisten kann. Die paar Stäbe, die wirklich drin hausen müssen, Soldatenstäbe, gehen gern in den Keller runter. Das sind ja Frontsoldaten. Und Etappenschweine gehen ohnehin nicht gern dahin, wo die Leichen liegen. Scheußlich ist es dort." Generalgouverneur Hans Frank notierte in seinem Tagebuch am 5. August 1944: "Nach diesem Aufstand und seiner Niederschlagung wird Warschau dem verdienten Schicksal seiner völligen Vernichtung mit Recht anheimgefallen sein oder unterzogen werden."

Während die deutschen Besatzer im besiegten Polen Angst und Schrecken verbreiteten, Jagd auf Juden und Oppositionelle machten und unzählige Menschen ermordeten sowie eine brutale Germanisierungspolitik betrieben, bildeten sich in Paris eine polnische Exilregierung und eine Exilarmee, die von den Westalliierten als Bundesgenossen akzeptiert wurden. Die von W?adys?aw Raczkiewicz geleitete Exilregierung wich nach dem deutschen Einmarsch in Frankreich nach London aus und organisierte von dort den Widerstand in der Heimat. Da Stalin nicht bereit war, Fragen über das Massaker von Katyn an der polnischen Elite zu beantworten (siehe unten), kam es zum Bruch mit der polnischen Exilregierung. Um den NS-Terror zu brechen, kämpften im Untergrund polnische Widerstandsorganisationen wie die Armia Krajówa (Heimatarmee), die mit der Exilregierung in London kooperierte, sowie die von Stalin unterstützte kommunistische Volksarmee.

Rote Armee wartete in sicherer Entfernung ab

Lange, viel zu lange war der Warschauer Aufstand im kommunistischen Herrschaftsbereich ein Tabuthema, denn das abwartende Verhalten der Roten Armee angesichts höchster Not passte nicht in das offizielle Bild polnisch-sowjetischer Freundschaft, so wie der Kreml über Jahrzehnte hinweg die Existenz und barbarischen Folgen jenes geheimen Zusatzprotokolls zum Hitler-Stalin-Pakt vom 23. August 1939 leugnete. Die Ausstellung endet mit einer Abrechnung mit Stalin, der Gewehr bei Fuß zusah, wie die Aufständischen massakriert wurden beziehungsweise nach Auschwitz deportiert wurden, um umgebracht zu werden. Der sowjetische Diktator war an einem Sieg der von England aus geführten Aufständischen nicht interessiert und nahm in Kauf, dass die Deutschen die Stadt an der Weichsel zertrümmerten und insgesamt Männer, Frauen und Kinder auf brutalste Weise ermordeten.

Die notdürftig bewaffneten Soldaten der Heimatarmee sowie Zivilisten kämpften 63 Tage lang gegen die schwer bewaffneten Wehrmachts- und SS-Einheiten. Nach erbitterten Straßen- und Häuserkämpfen ergab sich Bór-Komorowski mit wenigen Überlebenden am 2. Oktober 1944. Die Nazipropaganda feierte die Niederschlagung als Sieg und als Warnung für andere okkupierte Länder. Nachdem Warschau dem Erdboden gleich gemacht war, stiftete Hitler als neue Auszeichnung das "Warschau-Schild", die aber nicht mehr verliehen wurde. Die polnische Hauptstadt ist nach dem Krieg aus Ruinen neu erstanden und entwickelte sich zu einer blühenden Metropole, wie man im letzten Teil der Dokumentation in der Topographie des Terrors sehen kann.

Die Ausstellung schildert ein bis heute traumatisch die Beziehungen zwischen Polen und der Sowjetunion beziehungsweise dem heutigen Russland bestimmendes Ereignis, das als Massaker von Katyn in die Geschichte eingegangen ist. Im April 1943 hatten deutsche Soldaten in der Nähe dieses Ortes bei Smolensk Massengräber mit den sterblichen Überreste von mehr als 4400 polnischen Offizieren entdeckt, die drei Jahre zuvor erschossen worden waren. Die Nazi-Propaganda hat das Verbrechen sofort und ausnahmsweise korrekt der Sowjetunion angelastet, was von dieser jedoch vehement zurück gewiesen wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg und während des Nürnberger Prozesses 1945/6 gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher haben die sowjetischen Ankläger den Spieß umgedreht und das Massaker den Deutschen in die Schuhe geschoben. Da das Verbrechen einen Schatten auf die Sowjetunion als eine Siegermacht im Zweiten Weltkrieg warf, haben die anderen Ankläger das Thema nicht weiter verfolgt.

Der Massenmord von Katyn

Die vom Leiter der Aktion Lawrenti Berija als "eingeschworene Feinde der Sowjetmacht, erfüllt vom Hass auf das Sowjetsystem" diffamierten Opfer des Massakers von Katyn waren zumeist polnischen Offiziere und Mitglieder der polnischen Intelligenz. Vom sowjetischen Geheimdienst ermordet, wurden sie vor Ort bei Smolensk verscharrt. Hier steht zur Erinnerung an die ungeheuerliche Bluttat ein Denkmal. Das Dokument für die Mordaktion wurde in einem auf Stalins Befehl eingerichteten Sonderarchiv des Zentralkomitees aufbewahrt. Es befand sich in einem versiegelten Umschlag in derselben Mappe wie das geheime Zusatzabkommen zum Hitler-Stalin-Pakt vom August 1939. Da auf dem Umschlag vermerkt war, dass der spätere Staatschef Juri Andropow ihn 1981 geöffnet hatte, nehmen Historiker an, dass auch andere Sowjetführer Kenntnis von "Katyn" hatten.

Die mit zahlreichen Fotos und Dokumenten, aber auch Sachzeugen aus der Zeit des Aufstands bestückte Ausstellung zeigt, wie Warschau gleich nach Kriegsende aus Ruinen neu erstanden ist und zu einer blühenden Metropole wurde. Sie schildert zugleich, dass die Schreckensherrschaft von Stalin und seinen polnischen Handlangern und ihre Rache an den antikommunistisch eingestellten Aufständischen tiefe Spuren hinterlassen haben. Die Besucher sehen, dass der Zusammenbruch des kommunistischen Systems vor nunmehr 30 Jahren in Polen und weiteren unter sowjetischer Oberhoheit stehender Staaten einschließlich der DDR nicht zuletzt auf den nie gebrochenen Widerstand freiheitsliebender Polen zu verdanken ist.

In Warschau erinnern verschiedene Denkmäler und Gedenkstätten, aber auch Museen an die Niederschlagung des Aufstands im Getto 1943 (links) sowie des Warschauer Aufstands 1944. Bereits 1946 wurde in den Trümmern des früheren Gettos ein erstes Ehrenmal in Form einer runden Steinplatte errichtet. Der jüdische, in Warschau geborene Bildhauer Nathan Rapaport schuf in Zusammenarbeit mit Leon Marek Suzin ein anderes Ehrenmal aus schwedischen Labradoritblöcken, aus denen Rüstungsminister und Architekt Albert Speer ein Siegesmal errichten wollte. Das am 19. April 1948 eingeweihte Ehrenmal besteht aus einer elf Meter hohen steinernen Stele mit einer bronzenen Skulpturgruppe davor und zwei bronzenen Menorahs (Leuchter) an den Seiten. Eine Kopie der Skulpturengruppe steht im Yad-Vashem-Museum in Jerusalem. Auf der Rückseite befindet sich ein Flachrelief mit der Darstellung des Zuges der Holocaust-Opfer. Weltweite Aufmerksamkeit erfuhr das Ehrenmal im Dezember 1970 durch den Kniefall des damaligen deutschen Bundeskanzler Willy Brandt.

Als Außenminister Heiko Maas am 1. August 2019 anlässlich des 75. Jahrestags des Warschauer Aufstands die polnische Hauptstadt besuchte und Blumen vor dem Denkmal legte, würdigte er die "unglaubliche Widerstandskraft der Polen" gegen die Grausamkeit der Nazis und sagte: "Für das, was Polen von Deutschen und in deutschem Namen angetan wurde, kann man nur tiefe Scham empfinden." Es erfülle ihn "mit Demut und Dankbarkeit", in Warschau bei den Gedenkfeiern zum Jahrestag des Aufstands dabei zu sein, sagte Maas. In Deutschland müsse noch mehr ins Bewusstsein gerückt werden, wie viele Menschen sich hier in Warschau Hitler entgegengesetzt haben, sagte er und regte an, in Berlin ein Denkmal zur Erinnerung an diese Erhebung vor 75 Jahren zu errichten.

6. August 2019

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