"Wo gehobelt wird, da fallen auch Späne"
Neuer Film über deutsche Kommunisten, die Stalins Erschießungskommandos und den Archipel Gulag überlebt haben und in der DDR darüber schweigen mussten





Antonia kommt über den Verlust eines großen Teils ihres Lebens und von lieben Menschen nicht hinweg und kann sich kaum jemand öffnen, nicht einmal dem Arzt ihrer Tochter, gespielt von Robert Stadlober. Dieser hat ein Auge auf Antonia geworfen, kommt aber am Ende mit ihren traumatischen Erlebnissen in der Sowjetunion nicht klar.



Stalin im Hintergrund ist bei allem, was der Parteifunktionär Silberstein tut, dabei, auch als er von den heimgekehrten Gefangenen eine Schweigeverpflichtung verlangt.





Wie ein Gott wurde Stalin in der DDR verehrt. Vor einiger Zeit wurde in der Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen an den Kult um den "Vater aller Werktätigen" erinnert. Dessen Denkmäler verschwanden nach Chrutschschows Enthüllungen von 1956 mit großem Zeitverzug. In der Ausstellung wurde auch diese von Stalin abgezeichnete Todesliste gezeigt.



Keine Demonstration in der frühen DDR, ohne dass nicht Stalinbilder und -zitate mitgeführt wurden. Viele verblendete Menschen glaubten das, was die Partei ihnen tagaus, tagein predigte.



Millionen stehen hinter ihm, suggeriert dieses Plakat mit dem niemals alternden Diktator. In Wahrheit war er schon längst ein Wrack, aber eines, der alle im Griff hatte und vor dem alle Angst hatte.



Beim Aufstand in Ungarn 1956 wurden wie hier in Budapest Stalin-Denkmäler gestützt, anschließend walzten sowjetische Panzer jeden Widerstand nieder.



Besonders allergisch und blutig reagierte Stalin, hier in weißer Uniform des Generalissimus auf der Potsdamer Konferenz im Sommer 1945, wenn jemand sein militärisches Genie in Zweifel zog. (Fotos/Repros: Caspar)

Der Film "Und der Zukunft zugewandt" kam unlängst in die Kinos, eine Geschichte um deutsche Kommunisten, die Stalins Folterhöllen, Erschießungskommandos und sibirischen Arbeitslagern entkamen und, in die DDR zurückgekehrt, über ihre schrecklichen Erlebnisse nicht sprechen durften. "Besorgte Genossen" wiesen sie dort an, die Jahre ihrer Haft auszublenden und zu erzählen, wenn sie gefragt werden, wo sie so lange waren, sie hätten irgendwo in einem Dorf am Aufbau des Sozialismus im Land von Lenin und Stalin geholfen und es sei ihnen gut ergangen. Auf den "Genossen Gott" durfte auf keinen Fall ein Schatten fallen. Sein Terror- und Mordregime war in der DDR offiziell kein Thema. SED-Chef Walter Ulbricht, der Stalins Terror im Unterschied zu vielen seiner Genossen wohlbehalten überstand, behauptete steif und fest, als Chruschtschows Enthüllungen von 1956 über Stalins Verbrechen durchsickerten, in der DDR habe es nie und nimmer Personenkult gegeben. Deshalb brauche man sich auch nicht mit irgendwelchen Massenmorden und Arbeitslagern zu befassen.

Dem Regisseur Bernd Böhlich, der einst beim DDR-Fernsehen tätig war, war 1988 bei einem Dreh für einen "Polizeiruf" der Geburtsort Kolyma der Schauspielerin Swetlana Schönfeld aufgefallen. Dorthin, ins ferne Sibirien, hatte Stalin missliebige, als angebliche Volksfeinde und Spione abgestempelte Menschen deportieren lassen, sofern sie nicht schon vorher von seinem Geheimdienst ermordet wurden. Unzählige Gefangene des von Alexander Solschenizyn so drastisch beschriebenen "Archipel Gulag" starben an Hunger und Krankheiten. Unter ihnen waren auch Deutsche, von denen wenige konnten nach dem Krieg in die Heimat zurückkehrten. Die dramatische Lebensgeschichte der Mutter von Swetlana Schönfeld stand bei dem Drehbuch Pate. Der Filmtitel ist ein Zitat aus Johannes R. Bechers DDR-Hymne "Auferstanden aus Ruinen".

Zu Unrecht in Sibirien gefangen

Zu Unrecht im Sibirien gefangen und zur Zwangsarbeit beim Holzfällen abkommandiert, kehren die überzeugte Kommunistin Antonia Berger (gespielt von Alexandra Maria Lara) 1952 mit ihrer Tochter sowie zwei weitere Leidensgenossinnen auf Betreiben von Arthur Pieck, des Sohns vom Staatspräsidenten, in die DDR zurück, nach Fürstenberg, aus dem nach Stalins Tod am 5. März 1953 Stalinstadt gemacht wurde. Dort müssen sich die drei Genossinnen schriftlich verpflichten, über das im nordwestrussischen Straf- und Arbeitslager Workuta erlittene Leid absolutes Stillschweigen bewahren. Dass sie sich niemandem anvertrauen dürfen, ist für die drei Frauen furchtbar belastend. Aus einer von ihnen platzt es heraus: "Ich bin nicht mehr eure Genossin". Die beiden anderen fügen sich zähneknirschend.

Zu Beginn des Films wird gezeigt, wie der ebenfalls in einem Lager nebenan gefangen gehaltene Vater von Antonias Tochter, ein Ingenieur, von sowjetischen Wachleuten erschossen wird. Er hatte das schwerkranke Mädchen besucht und wollte zurück in sein Lager. Darüber und über andere schreckliche Erlebnisse, über die sie heimlich Tagebuch führte, darf Antonia nicht sprechen. Auch ihre Mutter, die sie von Fürstenberg aus besucht, hält sie an ihrer schwer auszuhaltenden Lebenslüge fest. Parteidisziplin geht über alles. In Zeiten schlimmster Qual und Hoffnungslosigkeit hatte sie mutig nach vorn gesehen und tut es auch jetzt in der DDR, die für sie Heimat ist und weil sie an den Sozialismus "trotz alledem" glaubt. In den dreißiger Jahren als kommunistische Agitatorin in die Sowjetunion emigriert, musste sie, als Agentin abgestempelt, Stalins Terror erleiden und schwankt, nach ihrer überraschenden Rückkehr als Kulturfunktionärin tätig, zwischen selbst auferlegter Loyalität und tiefer Enttäuschung.

"Wahrheit ist, was uns nützt"

"Wahrheit ist das, was uns nützt!", fordert die Partei, deren Funktionäre sich auf der einen Seite liebevoll um die Heimkehrerin kümmern, auf der anderen Seite aber absolute Linientreue fordern. Zur Kulturhausleiterin ernannt und mit ihrer langsam gesundenden Tochter in einer Neubauwohnung mit warmem Wasser aus der Wand lebend, fügt sich Antonia. Sie will auf keinen Fall dem von imperialistischen Feinden bedrohten Staat der Arbeiter und Bauern und der SED schaden. "Was hinter euch liegt, hat nichts mit Kommunismus zu tun, die Revolution ist kein Wunschkonzert, wo gehobelt wird, da fallen auch Späne", behauptet der Agitationssekretär Leo Silberstein (Stefan Kurt). Antonia will alles richtig machen, probt mit Kindern für einen Auftritt bei einer Landwirtschaftskonferenz, die für 1953 in dem neu erbauten "Haus des Volkes" stattfinden soll und zu der auch Walter Ulbricht erwartet wird. Der aufbrausende, engstirnige SED-Mann Schuck verlangt in rüdem Ton bei einer Theaterprobe, dass Antonia auf das fröhliche, alles andere als klassenkämpferische Kinderstück mit einer Ballettmusik des angeblich sowjetischen, in Wahrheit aber russischen Komponisten Peter Tschaikowski verzichtet und sozialistischen Agitprop zum Thema Kollektivierung und Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften aufführt. Das geschieht dann auch und wirkt ausgesprochen lächerlich.

Als Stalin am 5. März 1953 stirbt und die sowjetisch beherrschten Länder in Trauer versinken, trinken Antonia und ihre beiden Leidensgenossinnen von damals Sekt. Prompt werden die Drei von ihrem Nachbarn angezeigt. Antonia kommt in U-Haft, muss sich rechtfertigen und wird aber wieder freigelassen. Der Film endet, wie sie ihre Tagebuchaufzeichnungen aus dem Lager verbrennt und irgendwo draußen in der DDR-Provinz ein neues Leben bei ihrer Mutter beginnt, die von der 1951 in Kolyma geborenen Swetlana Schönfeld gespielt wird. Zwischendurch erfährt sie, dass Robert Zeidler (Robert Stadtlober), der sich als Arzt um ihre kranke Tochter gekümmert hatte und mit dem sich eine Liebesbeziehung entwickelte, zurück nach Hamburg gegangen war. Nach dem Lesen von Antonias Tagebüchern war er vom "kommunistischen Glauben" abgefallen und sah für sich in der DDR keine Zukunft mehr.

Indoktrination, Bespitzelungen und Verrat

Die Darstellung der DDR wirkt in dem Film irgendwie konstruiert, ja stellenweise komisch. Einerseits herrscht eine Atmosphäre von Indoktrination, Bespitzelungen und Verrat, andererseits wird indem Film mit Saufereien, Stammtischgesprächen und Wohnkomfort so etwas wie heile Welt zelebriert, etwa wenn das Leben in der neu erbauten Stalinstadt vorgeführt wird und die Akteure in Maßanzügen stecken. Sieben Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg sah es in der "Zone" kaum so lustig, sauber und geregelt aus wie in diesem Film. Unsichtbar ist der SED-Chef. Doch ist er mit seinen Anordnungen und Befehlen allgegenwärtig, alle haben Angst vor ihm und nehmen Haltung an, wenn sein Name fällt. Am Beginn und Ende des Dramas telefonieren die inzwischen gealterte Antonia und der Arzt von damals unter dem Eindruck des Mauerfalls am 9. November 1989 über sich und die Politik. Leider wird nicht klar, wie die beiden all die Jahre Kontakt gehalten haben und was Antonia in dieser Zeit getan hat.

Was ebenfalls nicht mehr in dem Film vorkommt und ihn wohl auch überfordert hätte, ist der 17. Juni 1953. Stalins Vasallen in Ostberlin steckte die mit sowjetischer Waffenhilfe blutig niedergeschlagene Volkserhebung tief in den Knochen. Der von der SED ausgerufene "Neue Kurs" brachte keine Erleichterung, die Daumenschrauben wurden noch mehr angezogen, die Staatssicherheit verhaftete in Stalinscher Manier unzählige Menschen aufgrund fadenscheiniger Beschuldigungen. Die Kollektivierung auf dem Lande und andere Zwangsmaßnahmen führten zu der bisher umfangreichsten Fluchtbewegung in den Westen über die damals noch offene Grenze.

Nichts als Lügen und Verharmlosungen

Einzelheiten über den Personenkult und Dogmatismus in der Sowjetunion, wie man euphemistisch Stalins Verbrechen umschrieb, ließen sich nach dem Tod des Diktators auf Dauer nicht verheimlichen. Niemand in der Parteispitze wagte eine ehrliche Auseinandersetzung mit eigenem Versagen, obwohl Kritik und Selbstkritik das Lebenselixier eines jeden Kommunisten sein sollten. Das Volk und die Parteigenossen wurden erst mit Schweigen über Stalins blutige Diktatur und dann häppchenweise mit Lügen und Verharmlosungen abgespeist. Zähneknirschend räumte die Parteiführung ein, es habe "Verletzungen der sozialistischen Gesetzlichkeit" gegeben, doch blieben Angaben über Umfang und Art der Verbrechen aus. Der allmächtige Parteichef Ulbricht versuchte es derweil mit Spott. Vor der Berliner Parteiorganisation machte er sich über "junge Genossen" lustig, "die die im Parteilehrjahr bestimmte Dogmen auswendig gelernt haben und nun erleben, dass einige Dogmen nicht mehr ins Leben passen. Aber jetzt sagen manche nicht etwa, der Dogmatismus ist nicht richtig, sondern da stimmt etwas im Leben nicht." Mit dem Hinweis, Stalin sei kein "Klassiker" mehr, würgte er alle Diskussionen ab.

Jeden konnte der Verfolgungswahn treffen

Auf Stalins Konto gehen unzählige Menschen, einheimische Untertanen, Bewohner okkupierter Länder, so genannte Partei- und Volksfeinde, angebliche Trotzkisten und Saboteure, Agenten imperialistischer Staaten, wie es damals hieß, und verkappte Faschisten, wie auch immer die Beschuldigungen in den Schauprozessen beziehungsweise kurzen Verfahren ohne Rechtsbeistand und Entlastungszeugen lauteten. Die Opfer des "Roten Rades", wie Alexander Solschenizyn seinen Romanzyklus über Russland und die Sowjetunion nach Abschaffung der Zarenherrschaft nannte, schwanken zwischen drei und 25 Millionen. Alle Schichten waren von Stalins Verfolgungswahn betroffen - große und kleine Funktionäre, Marschälle und Generale ebenso wie unbekannte Soldaten, Bauern, Handwerker, Arbeiter, Intelligenzler, Künstler, Akademiker ebenso wie einfache Menschen ohne Schulbildung. Unbeirrt zu Stalin stehende Personen waren darunter und solche, die seine Machenschaften durchschauten und ein kritisches Wort wagten. Besonders allergisch reagierte der selbsternannte Generalissimus, wenn man es wagte, im Zweiten Weltkrieg sein Feldherrngenie in Zweifel zu ziehen und Militärs lobend zu erwähnen, die mehr als er am Sieg über Hitlerdeutschland beteiligt waren und so seinen "Stern" zu verdunkeln drohten.

In der Regel haben willige Helfer des Regimes Millionen Gefangene aufgrund von Denunziationen nach kurzem Prozess oder auch ohne Urteil an die Wand gestellt, manche landeten im Arbeitslager. Eifrig und oft in vorauseilendem Gehorsam befolgten die Schergen die Befehle des "Vaters aller Werktätigen und obersten Lehrers", doch kam es vor, dass es ihnen schon bald ebenso an den Hals ging wie ihren Opfern. Stalins Henker überboten einander darin, wer die meisten Exekutionen vorzuweisen hat. Ohne genau hinzusehen, hat der Diktator ihm vorgelegte Todeslisten abgezeichnet. Die Urteile standen schon fest, bevor am 19. August 1936 in Moskau vor dem Militärtribunal ein Verfahren gegen 16 ehemalige hohe Parteifunktionäre eröffnet wurde. Folgerichtig wurden die früheren Politbüromitglieder Lew Kamenjew, Grigori Sinowjew und weitere ehemalige Weggefährten des sowjetischen Diktators Josef Stalin erschossen. Stalin beschuldigte sie, Anhänger des im Exil lebenden früheren Revolutionsführers Leo Trotzki, eines engen Kampfgefährten des Partei- und Staatsgründers W. I. Lenin, zu sein und auf den Untergang des Stalinschen Systems hinzuarbeiten.

Der sowjetische Politiker, Diplomat, Botschafter in London und Historiker Iwan Michailowitsch Maiski sagte seinen Peinigern diese Verse ins Gesicht: "Unterm Steingewölbe auf eiserner Pritsche / Da lieg ich einsam, vergessen, allein…/ Bin eingekerkert… Von wem? Nicht von Feinden! / Es sperrten die eigenen Freunde mich ein! / O Bürger Richter!" Seht doch her klaren Blickes, / Die ganze Wahrheit, wie die Pflicht Euch gebot: / Denn vor Euch steht kein Feind, kein Verbrecher. / Nein, ein wahrer sowjetischer Patriot" (zitiert nach dem Buch von Arkadi Waksberg "Die Verfolgten Stalins. Aus den Verliesen des KGB" (Rowohlt Taschenbuch Verlag Reinbek bei Hamburg 1993, S.83.).

Weißgardistisches Gezücht und Lakaien der Faschisten

Angeblich hätten die als "weißgardistisches Gezücht" diffamierten Angeklagten den Kapitalismus in der Sowjetunion wiederherstellen wollen. Außerdem hätten sie als Agenten westlicher Staaten antikommunistische Wühlarbeit geleistet und seien nichts als "nichtswürdige Lakaien der Faschisten". Den Angeklagten wurden durch Folter so genannte Geständnisse abgepresst, sie hatten keine Chance, ihr politisches Handeln zu erklären und sich zu verteidigen. Rücksicht auf frühere Verdienste um die russische Revolution von 1917 und beim Aufbau der jungen Sowjetmacht wurde nicht genommen. Entlastende Argumente kamen erst gar nicht zur Sprache, und die Schlussworte der Angeklagten mit Bekenntnissen zum Kommunismus verhallten ungehört.

Generalstaatsanwalt Andrej Wyschinski warf zu Prozessbeginn den ehemaligen Funktionären Terrorakte gegen die Führer der KPdSU und die Sowjetregierung, die Ermordung von Stalin und weiterer hoher Politiker, Spionage im Auftrag imperialistischer Staaten vor. Der Chefankläger beschimpfte die Angeklagten als "Lügner, Clowns, elende Pygmäen, Möpse und Kleffer, die sich über den Elefanten erbosten." Stalin ließ die Schauprozesse sorgsam vorbereiten und wurde von seinen Aufpassern auf dem Laufenden halten. Endlich konnte er sich als alleiniger Erbe von Lenin positionieren. Die öffentlichen Verhandlungen sollten abschreckend wirken und anderen Oppositionellen, die mit dem rigorosen Modernisierung- und Kollektivierungskurs des Diktators nicht einverstanden waren, zeigen, wohin es führt, wenn man sich ihm anlegt. Zugleich sollten die Verfahren die Menschen noch fester an ihn binden. Da sich Stalin als Führer des Weltproletariats verstand und über die in vielen Ländern tätigen kommunistischen und Arbeiterparteien bestimmen wollte, dienten die Schauprozesse auch der Disziplinierung von Parteiführern außerhalb der Sowjetunion.

Rechtsstaatlichkeit vorgegaukelt

Den Verfahren von 1936 und folgenden Jahren waren andere, weniger bekannte Prozesse mit ähnlichen Ergebnissen vorangegangen, etwa solche gegen Kulaken und ehemalige Großgrundbesitzer, gegen Exilrussen sowie Wissenschaftler, die nicht ins ideologische Konzept des "roten Zaren" passten und seinen Allmachtsphantasien im Wege standen. Den Völkern der Sowjetunion und dem Ausland wurde 1936 und danach ein rechtsstaatliches Verfahren aufgrund der sowjetischen Verfassung und der Strafgesetze vorgegaukelt, und manche westlichen Prozessbeobachter machten in ihren Berichten diesen Schwindel mit. Doch wie 20 Jahre später Stalins Nachfolger im Amt des Parteichefs, Nikita Chruschtschow, in seiner berühmten Geheimrede auf dem XX. Parteitag der KPdSU erklärte, waren die Schauprozesse alles andere als dem Recht und Gesetz verpflichtet. Stalin habe Kollektivität in der Führung und in der Arbeit "absolut" nicht ertragen, stellte Chruschtschow fest, der mit jener Rede die so genannte Entstalinisierung einleitete.

Stalins Zorn traf, wie in dem Film zu sehen ist, auch deutsche Kommunisten, die vor den Nazis in die Sowjetunion geflohen waren und vielfach aus dem Regen in die Traufe kamen. Einige in die frühe DDR entlassene Häftlinge machten Karriere, so Werner Eberlein, seines Zeichens russisch-deutscher Chefdolmetscher unter Ulbricht sowie von 1986 bis 1989 Mitglied des SED-Politbüros. Sein Vater Hugo Eberlein war Ende 1918 Mitbegründer der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Im sowjetischen Exil fiel er, wie viele andere deutsche Emigranten auch, Stalins Terrorregime Opfer. Die Parteidisziplin verbot Werner Eberlein, über das Schicksal seines Vaters und seine eigene Zeit in Sibirien zu sprechen. Ein anderer Rückkehrer war Gustav Sobottka, der einen Sohn in deutscher KZ-Haft verlor und den anderen in Stalins Folterkellern. In seinem Lebenslauf aber machte er beide Sohne wider besseren Wissens zu Opfern des NS-Regimes. Das Schweigen zahlte sich aus, dem SED-Funktionär und "Verdienten Bergmann" war eine Ehrenpension sicher.

Genozid am eigenen Volk

Stalins Massenmorde wurde als "Genozid am eigenen Volk" bezeichnet, aber er hatte Vorbilder, wie man in dem oben erwähnten Buch von Arkadi Waksberg lesen kann. In Lenins Befehlen wimmelt es von Ausdrücken wie "auf der Stelle umbringen", "schonungslos ausmerzen", "bürgerliches Gesindel", "konterrevolutionäres Geschmeiß", "imperialistische Lakaien". In diesem Stil nannte später der oberste Ankläger Wyschinski die Angeklagten der Moskauer Schauprozesse von 1936 bis 1939 "wildgewordene Hunde", die zu erschießen seien. "Die Verräter und Spione, die unsere Heimat dem Feinde verschachern wollten, müssen wie räudige Hunde erschossen werden. Unser Volk fordert das eine: Zertretet das verfluchte Otterngezücht. Die Zeit wird vergehen, Unkraut und Disteln wird die Gräber der verhassten Verräter überwuchern, die auf ewig von den ehrlichen Sowjetmenschen, dem ganzen Sowjetvolk geächtet sein werden", heißt es in einer der 1951 auch in der DDR publizierten Gerichtsreden von Stalins oberstem Henker, der in einem Atemzug mit Roland Freisler, dem Präsidenten des nationalsozialistischen Volksgerichtshofs, genannt werden muss.

Bezeichnenderweise forderte die DDR-Justizministerin Hilde Benjamin, genannt "das rote Fallbeil", die Reden des sowjetischen Generalstaatsanwalts als Schulungsmaterial bei der Juristenausbildung zu verwenden, weil sie "nicht nur grundlegende Erkenntnisse der Theorie des Staates und des Rechtes, sondern auch der Staats- und Rechtspraxis" vermitteln. Das sagt einiges über das politische Klima in der DDR aus, in dem Verfolgte des Stalin-Regimes mit ihren Traumata allein gelassen wurden und manche daran zerbrachen.

9. September 2019

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