Kleine Glücksbringer aus Bronze
Die über 600 in Breslau aufgestellten Zwerge haben einen ernsten politischen Hintergrund





Das Breslauer Rathaus und der Rathausplatz (Rynek) mit seinen wertvollen Bauten wurden bald nach dem Zweiten Weltkrieg in alter Schönheit wieder aufgebaut.



Auf der Dominsel stehen prächtige Kirchen und der Palast des Erzbischofs von Breslau. Die Bauten bieten von der anderen Seite der Oder einen wunderbaren Anblick. Die Spitzen des Doms wurden 1991 den Türmen wieder aufgesetzt.







Über 600 Zwerge aus Bronze sollen quer durch Breslau verteilt sein. Der kleine Druckerwichtel begrüßt die Besucher der Dominsel, in der Altstadt erfreuen bärtige Feuerwehrleute, der deftige Weintrinker und viele andere Wichtel Einheimische und Touristen.



Das historische Wappen auf Breslauer Gullydeckeln und an anderen Orten enthält den Buchstaben W für Wratislawia.



Der preußische Adler an einem Barockportal am Plac Solny trägt auf der Brust das Monogramm König Friedrichs II., der in den Schlesischen Kriegen dem Haus Habsburg die reiche Provinz Schlesien abgejagt hatte.





Das Denkmal in der Nähe der Universität ehrt den deutschen Pfarrer und Widerstandskämpfer gegen das Naziregime Dietrich Bonhoeffer, der 1906 in Breslau geboren wurde. Der gleiche Torso aus Bronze (unten) schmückt in Berlin Platz vor der Zionskirche, an der der Theologe 1932 gepredigt und konfirmiert hat. (Fotos: Caspar)

Wrocław, das bis 1945 Breslau hieß, ist zu jeder Jahreszeit eine Reise wert. Ende des Zweiten Weltkriegs vom Nazigauleiter Karl Hanke zur Festung erklärt, sollte die aus vielen Inseln bestehende schlesische Stadt Bollwerk gegen die heran nahende Rote Armee sein, was sie aber schon wegen ihrer besonderen Geografie und wegen der vielen Brücken über die Oder niemals sein konnte. Siebzig Prozent der Bauwerke wurden bei den letzten Kämpfen zerstört, in einigen Stadtteilen waren es sogar neunzig Prozent. Der Wiederaufbau der historischen Gebäude begann bereits in den frühen 1950er Jahren. Dabei wurden die verlorenen beziehungsweise beschädigten Häuser nach allen Regeln der Denkmalpflege kunstvoll restauriert, einschließlich von Wappen und Skulpturen aus der deutschen, speziell der preußischen Zeit seit den Schlesischen Kriegen, in denen König Friedrich II. die reiche Provinz dem Haus Habsburg abgejagt hatte. Auch andere Städte der damaligen Volksrepublik Polen erhielten ihr historisches Gesicht zurück, anders als in der benachbarten DDR, wo noch erhaltene Bausubstanz weitgehend beseitigt beziehungsweise dem Verfall preisgegeben und durch gesichtslose Neubauten ersetzt wurden.

Bei Rundgängen durch die Hauptstadt der Wojewodschaft Niederschlesien sieht man überall auf Straßen und Plätzen, manchmal auch an Fenstern und Türen kleine Zwerge aus Bronze. Über 600 dieser lustigen Gnome soll es in der Stadt geben. Manche sind vom vielen Anfassen und Reiben blank geputzt. Angeblich hat man Glück und Geld, wenn man sie berührt. Sie werden als hilfreiche Wichtel gedeutet und gestaltet, denn angeblich sollen sie in alten Zeiten den Bewohnern der Stadt bei alltäglichen Dingen geholfen haben sollen. Sie wären dann vergleichbar mit den Heinzelmännchen, die nachts in Köln als winzige Hausgeister Arbeiten der Stadtbewohner verrichteten. Als die fleißigen Kobolde mit der Zipfelmütze dabei beobachtet wurden, sollen sie auf Nimmerwiedersehen verschwunden sein, lautet die Sage.

Subversiv-ironische Kritik am kommunistischen Regime

Die Breslauer Zwerge sind weitaus mehr als nur Witzfiguren und dienstbare Geister, die Menschen Geschenke bringen, mit ihnen manchmal aber auch Schabernack treiben. Sie haben einen ausgesprochen politischen Hintergrund und kamen erst im Zusammenhang mit Studentenprotesten in den 1980er Jahren auf. Oppositionelle haben sie anfangs nur gezeichnet und erst 20 Jahre später die kleinen Figuren aufgestellt. Die Oppositionsbewegung "Orange Alternative" hatte während des am 13. Dezember 1981 von den Kommunisten ausgerufenen Kriegsrechts unter dem Motto "Zwerge aller Länder vereinigt euch" zu Demonstrationen in Zwergenkostümen aufgerufen. Die Wichtelmänner drückten eine subversiv-ironische Kritik am kommunistischen Regime aus und bekräftigten das Verlangen der Bevölkerung nach demokratischen Zuständen. Den politischen Hintergrund werden heute nur noch Einheimische kennen, Touristen muss man ihn erläutern. Vorbild der Breslauer Wichtel soll die um 1969 bis 1974 aktive niederländische Kabouterbewegung gewesen sein, die sich gegen Konsumwahn und Umweltverschmutzung richtete und auf spielerische Weise den Mythos von den listigen und hilfreichen Zwergen fortführte.

Das polnische Militärregime unter General Wojciech Jaruzelski wollte die Demokratiebewegung um die von Lech Walesa angeführte Gewerkschaft Solidarność zerschlagen. In der Volksrepublik ging die Militarisierung der Verwaltung, Wirtschaft, Kultur und Medien mit der Aufhebung der Bürgerrechte sowie einer massenhaften Verhaftungs- und Repressionswelle einher. Zwar sah die polnische Verfassung die Bildung eines von hochrangigen Offizieren gebildeten Militärrats nicht vor, dennoch musste alles, was die Regierung tat, von diesem bestätigt werden. Ämter, Betriebe, der Rundfunk und das Fernsehen und andere Institutionen wurden von Militärs besetzt. Offiziere in Uniform verlasen die von ihnen verfassten Fernsehnachrichten. Die Bewegungs- und Versammlungsfreiheit wurde massiv eingeschränkt, Schulen und Universitäten hatte die Militärregierung geschlossen, um den dort versammelten Oppositionsgeist zum Schweigen zu bringen. Für das ganze Land galt eine Ausgangssperre. Für einen Monat waren die Telefonverbindungen zwischen den Großstädten des Landes vollständig unterbrochen, um Kontakte zwischen einzelnen Zentren der von Danzig ausgehenden Freiheitsbewegung Solidarność unterbinden. Später wurden in allen Fernmeldeämtern automatische Ansagen geschaltet, um Benutzern mit der Durchsage "Kontrolliertes Gespräch" Angst zu machen.

Buchdrucker, Feuerwehrmänner und Polizisten

Nach Beendigung des auch mit schweren wirtschaftlichen Schäden und dem Aufblühen des Schwarzmarkthandels verbundenen Kriegsrechts am 22. Juli 1983 wurden die ohne Gerichtsurteil internierten Oppositionellen freigelassen, doch blieben tausende "Staatsfeinde" weiter in Haft. Auch nach Aufhebung des Kriegsrechts bestand im Inneren der Volksrepublik weiterhin großer Druck. Nach wie vor wurden Demonstrationen niedergeschlagen, und die polnische Stasi fahndete nach Vertretern der Solidarność-Bewegung. Wie bisher unterlagen die Medien einer scharfer Zensur. Der polnische Staatssicherheitsdienst zählte, ähnlich wie in der DDR, 70.000 Planstellen und Zehntausende von Informanten. Das war die höchste Zahl seit dem Ende des Stalinismus. Die Repressionen ließen allmählich nach, nachdem in der UdSSR die Politik von Glasnost und Perestroika unter Michail Gorbatschow um sich griff.

Im Sommer 2001 tauchten in Breslau die ersten Zwerge als Projekt von Studenten der örtlichen Kunsthochschule auf. 2004 wurde der der Künstler Tomasz Moczek beauftragt, zwölf dieser Figuren anzufertigen. Im August 2018 wurden über 600 aus Bronze gegossene und etwa 30 cm hohe Wichtel gezählt. Viele stehen oder sitzen allein auf der Straße, doch gibt es auch Gruppen von Zwergen und am Nationalen Musikforum sogar ein ganzes Orchester. Die Tätigkeiten der lustigen Zipfelmützenträger vielfältig. Manche bringen süße Sachen in einen Laden und lecken an einer Eiswaffel, andere sind mit dem Fotoapparat unterwegs, dann sieht man Buchdrucker wie zur Gutenbergzeit bei der Arbeit und Feuerwehrleute im Einsatz. Andere klettern an Seilen an Fenstern oder grinsen die Leute an. Dann gibt es grimmig dreinschauende Polizeizwerge mit Handschellen und solche, die den Betrachtern das Breslauer Wappen entgegen halten sowie Buchleser, Straßenmusiker, Wasserspender und andere Figuren. Obwohl sie ganz klein sind, erkennt man sie schon von Weitem an den Menschentrauben, die sich um die zum Fotografieren versammeln. Anlässlich der 55-jährigen Städtepartnerschaft zwischen Breslau und Dresden wurde 2014 in der sächsischen Landeshauptstadt ein Zwerg mit den Wappen beider Städte aufgestellt. Seit 2019 hält ein weiterer Glücksbringer an der Treppe zum Ratskeller am Neuen Rathaus in Dresden Wache. Ein Koffer und eine Sonnenblume weisen ihn als Reisenden mit guten Absichten aus.

Orange Alternative bietet den Kommunisten die Stirn

Die "Orange Alternative" erreichte in Polen nicht nur durch ihre Veranstaltungen größeren Bekanntheitsgrad. Während der zweiten Hälfte der 1980er Jahre, als das kommunistische System seinem Untergang entgegen torkelte, erlangten Graffiti mit den für demokratische Zustände ohne Waffen kämpfenden Zwergen Berühmtheit als Sinnbild der Opposition in der Volksrepublik unter den Bedingungen des Kriegszustandes. Die Graffiti wurden über Farbflecken gemalt, mit denen das Regime Freiheitsparolen der Solidarność-Bewegung unkenntlich zu machen versuchte. Gemalt an die Wände in zahlreichen Städten des Landes, hat man die Aktion die größte Malereiausstellung unter freiem Himmel in Polen bezeichnet. Millionen Menschen hatten sie täglich vor Augen, das Regime hatte den Bildchen wenig entgegen zu setzen. Ob Graffitimaler und andere Oppositionelle verhaftet und bestraft wurden, kann ich nicht sagen. Da und dort sieht man auf Fotos von 1945, wie die bei den letzten Kämpfen des Zweiten Weltkriegs zerstörte Altstadt ausgesehen hat. Breslau wurde wunderbar wieder aufgebaut. Gut zu sehen ist das am Rynek, dem Großen Rathausplatz, der zu Weihnachten mit zahlreichen Buden vollgestellt war.

30. Dezember 2019

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