"Nach Canossa gehen wir nicht"
Medaillen erinnern an den zwischen Staat und Kirche von Reichskanzler Otto von Bismarck geführten Kulturkampf



Auf drastische Art hält die undatierte, aber 1872 geprägte Bismarck-Medaille aus dem Jahr 1872 den Kulturkampf zwischen Staat und Kirche in Erinnerung.





Populäre Aussprüche des "eisernen Kanzlers" wurden in den Medien und auch auf Medaillen propagiert. Der Jubiläumstaler von 1890 darunter feiert in der Art preußischer Reichstaler den 75. Geburtstag des Reichstalers und preußischen Ministerpräsidenten.



Wer küsst dem anderen als erster die Schuhe, der Papst oder der Reichskanzler, und wer schlägt im Kulturkampf wen? Die Karikaturen aus den 1870-er Jahren lassen Fragen nach Sieg und Niederlage offen.



Die vielen Gesichter und Posen des Otto von Bismarck zeigt diese damals weit verbreitete Grafik.



Ungeachtet massiver Hetze wie hier in dem Naziblatt "Der Stürmer" schwenkten viele Geistliche beider Konfessionen nicht auf Hitlers Rasse- und Kriegspolitik über und lehnten die von ihm angeordneten Krankenmorde ab.



Die Gedenktafel an einem Haus in der Berliner Wilhelmstraße gegenüber der damaligen Gestapozentrale und heutigen Topographie des Terrors ehrt Vertreter der Bekennenden Kirche und die Opfer des totalitären Nazistaates. (Fotos/Repros: Caspar)

Die deutsche Reichseinigung von 1871 verlief alles andere als geräuschlos und konfliktfrei. Zwischen der preußisch-protestantisch geprägten kaiserlichen Zentralgewalt und der auf ihre Rechte pochenden katholischen Kirche entwickelte sich schon bald ein scharfer, über viele Jahre andauernder und von Reichskanzler Otto von Bismarck geschürter Konflikt, für den der Berliner Arzt und Mitbegründer der Deutschen Fortschrittspartei Rudolf Virchow den Begriff Kulturkampf prägte. Eines der wichtigsten Ziele des Reichskanzlers war, Staat und Kirche zu trennen. Er versuchte, unter dem Motto "Abwehr von staatsfeindlichen Übergriffen einzelner Personen und Parteien innerhalb der katholischen Kirche" die Kompetenzen der römisch-katholischen Kirche im Sozialbereich, bei der Krankenpflege und im Schulwesen einzuschränken. Außerdem wurden die Zivilehe eingeführt, die Tätigkeit von geistlichen Ordensgemeinschaften unterbunden und die Krankenpflege unter staatliche Aufsicht gestellt. Es versteht sich, dass der heftige Streit um staatliche Ansprüche und die Abgabe von Kompetenzen in der Publizistik eine große Rolle.

Otto von Bismarck hatte sich im Kulturkampf mit dem Vatikan in Rom und dem deutschen Episkopat angelegt, die auf ihre angestammten, manche sagten angemaßten Rechte nicht verzichten wollten. Mit seinem Vorgehen brachte der Reichskanzler und zugleich preußische Ministerpräsident die katholische Geistlichkeit und die Zentrumspartei sowie ganz allgemein viele im Hohenzollernstaat und weiteren Bundesländern lebenden Katholiken und den Klerus gegen sich auf. Sie fühlten sich von der preußisch-protestantischen Dominanz gegängelt und sahen in "Berlin" den Inbegriff alles Bösen.

Der Kaiser ist Herr im Reich

Eine 1872 von Johannes Lorenz geschaffene Medaille bringt den mit starken Worten und drastischen Bildern ausgetragenen Konflikt auf den Punkt. Sie zeigt auf der Vorderseite den Kopf des Kanzlers sowie die keinen Widerspruch duldende Umschrift DER KAISER IST HERR IM REICH UND MUSS ES BLEIBEN, während sich auf der Rückseite die mit einem Schwert bewaffnete Germania mit dem Papst um die Vorherrschaft streitet. Die gekrönte Symbolfigur des Deutschen Reiches beruft sich auf die Bibel, der Reichsadler zu ihren Füßen greift die Schlange an, die bedrohlich aus dem Gewand des Pontifex maximus kriecht.

Der Kulturkampf legte schwerwiegende Konflikte der kaiserlichen Zentralgewalt in Berlin mit großen Teilen der katholischen Bevölkerung offen. Durch Einführung des so genannten Kanzelparagraphen wurde Geistlichen eine Art Maulkorb umgehängt. Wer die "die Angelegenheiten des Staates in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstande einer Verkündigung oder Erörterung macht, wird mit Gefängnis oder Festungshaft bis zu zwei Jahren bestraft", legte ein Zusatz zum Strafgesetzbuch fest. Doch viele Geistliche nahmen lieber Haftstrafen in Kauf und fühlten sich als Märtyrer, als sich den Mund verbieten zu lassen und auf ihre Rechte und Pflichten zu verzichten.

Otto von Bismarck erklärte mit Blick auf die Unterwerfung des römisch-deutschen Kaisers Heinrich IV. unter den Willen von Papst Gregor VII. im Jahr 1077. "Nach Canossa gehen wir nicht, weder körperlich nicht geistig". Der Reichskanzler und sein Herrn, Kaiser Wilhelm I., waren fest entschlossen, den Kulturkampf zu gewinnen, koste es was es wolle. Sie wussten, dass sich die Päpste und die deutschen Könige beziehungsweise römisch-deutschen Kaiser im Mittelalter darüber gestritten hatten, wer wen zu Bischöfen und Äbten machen kann. König Heinrich IV., der von 1056 bis 1106 regierte und ab 1084 römisch-deutscher Kaiser war, pokerte hoch, als er 1075 den Erzbischof von Mailand und zwei andere Bischöfe in ihre Ämter einsetzte. Der Papst wehrte sich gegen Eingriffe in seine Befugnisse, und so kam es zum Investiturstreit zwischen ihm und dem deutschen König. Dieser erklärte Gregor VII. wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten bei der Papstwahl für abgesetzt, worauf der Pontifex maximus seinen Kontrahenten wegen "ungeheuerlichen Hochmuts" mit dem Bann belegte und aus der Kirche stieß, womit jedermann vom Treueid gegenüber dem Herrscher entbunden war.

Darauf wandte sich ein Teil der deutschen Fürsten von ihrem exkommunizierten Oberhaupt ab. Heinrich IV. wurde aufgetragen, sich binnen Jahr und Tag von dem Bann zu lösen, doch das konnte nur bedeuten, dass er vor dem Papst zu Kreuze kriecht. In die Enge getrieben, trat er im Büßergewand den sprichwörtlichen Gang nach Canossa an und musste in der Kälte vor der Burg warten. Der Papst ließ sich herab und erlöste im Januar 1077 seinen weltlichen Gegner vom Kirchenbann, und so erlangte der gedemütigte Heinrich IV. wieder seine Handlungsfreiheit zurück.

Ewiger Frieden mit der Kurie?

In seinem Buch "Gedanken und Erinnerungen" blickte Bismarck wenig optimistisch in die Zukunft. Nach seinem Dafürhalten seien der Papst und seine Anhänger zur Zusammenarbeit nicht bereit. "Ein ewiger Friede mit der römischen Kurie liegt nach den gegebenen Lebensbedingungen ebenso außerhalb der Möglichkeit wie ein solcher zwischen Frankreich und dessen Nachbarn." Der Reichskanzler wurde von allen Seiten angegriffen, bisherige Freunde distanzierten sich von ihm, und auch um seine Gesundheit war es nicht gut bestellt. "Die Reizbarkeit, die zur Überschreitung der sonst üblichen Formen und Grenzen führt, wird unbewusst dadurch verschärft, dass in der Politik und in der Religion keiner dem Andersgläubigen die Richtigkeit der eignen Überzeugung, des eignen Glaubens konkludent nachweisen kann und dass kein Gerichtshof vorhanden ist, der die Meinungsverschiedenheiten durch Ruhe verweisen könnte", schrieb Bismarcks. Entgegen seiner Prognose gelang nach dem Tod seines Gegenspielers Papst Pius IX. im Jahr 1878 und dem Amtsantritt von Leo XIII. ein gewisser Ausgleich der Interessen, wobei die staatliche Schulaufsicht und die Zivilehe weiterhin bestehen blieben.

Nach der Novemberrevolution 1918 und der Umwandlung des deutschen Kaiserreiches in die Weimarer Republik bemühte sich der Vatikan um den Abschluss eines Konkordats mit der Reichsregierung. Auf Länderebene konnte der Apostolische Nuntius Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII., solche Staatskirchenverträge mit Bayern, Preußen und Baden abschließen, während die Verhandlungen auf der Reichsebene nicht voran kamen. Das nach langen Verhandlungen am 20. Juli 1933 in Rom unterzeichnete Reichskonkordat legte unter anderem die Freiheit des Bekenntnisses und der öffentlichen Ausübung der katholischen Religion sowie die Sorge des Staates für die Geistlichen analog zu den Staatsbeamten fest. Geschützt wurden ferner das Beichtgeheimnis, aber auch Kirchengemeinden und andere Kirchenorganisationen als Körperschaften des öffentlichen Rechts. Das Reichskonkordat legte den Schutz von kirchlichem Eigentum, Vermögen, Rechten und gottesdienstlichen Gebäuden fest und bestimmte, dass staatliche Leistungen nur "im freundschaftlichen Einvernehmen" abgeschafft werden können. Weitere Bestimmungen betrafen die Arbeit der theologischen Fakultäten sowie den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach.

Die Vereinbarungen mit dem Heiligen Stuhl mochten Kritiker des NS-Staates ruhig stellen und ihr Misstrauen gegen den als unchristlich und kirchenfeindlich angesehenen NS-Staat dämpfen. Allerdings rückte das Regime nach und nach vom Konkordat ab und ging mit brutalen Mitteln zum offenen Kirchenkampf über. Zahlreiche Geistliche beider Konfessionen wurden wegen oppositioneller Haltungen und Kritik am so genannten Krankenmord, der verharmlosend Euthanasie genannt wurde, sowie ihrer Hilfe für verfolgte Juden verfolgt und bestraft.

Päpstliche Enzyklika "Mit brennender Sorge"

Die kirchenfeindlichen Vorgänge im Deutschen Reich blieben dem Vatikan nicht verborgen. In seiner Enzyklika "Mit brennender Sorge" prangerte Papst Pius XI. die Verstöße gegen das Reichskonkordat von 1933 und die Verfolgung von Geistlichen an. Das päpstliche Sendschreiben wurde insgeheim vervielfältigt und am 21. März 1937 zeitgleich in allen katholischen Kirchen verlesen, eine Unbotmäßigkeit, die Hitler und seine Leute bis zur Weißglut reizte. "Mit brennender Sorge und steigendem Befremden beobachten Wir seit geraumer Zeit den Leidensweg der Kirche, die wachsende Bedrängnis der ihr in Gesinnung und Tat treubleibenden Bekenner und Bekennerinnen inmitten des Landes und des Volkes, dem St. Bonifatius einst die Licht- und Frohbotschaft von Christus und dem Reiche Gottes gebracht hat." Wer nach angeblich altgermanisch-vorchristlicher Vorstellung das düstere unpersönliche Schicksal an die Stelle des persönlichen Gottes rücke, schrieb der Papst weiter, der leugne Gottes Weisheit und Vorsehung, die kraftvoll und gütig von einem Ende der Welt zum anderen waltet und alles zum guten Ende leitet.

Die Anklage aus Rom richtete sich gegen den Germanen- und Herrenmenschenkult der Nationalsozialisten, der vor allem von der SS gepflegt wurde, weshalb deren Angehörigen der Austritt aus der Kirche zur Pflicht gemacht wurde. Der Papst gab den bedrängten Gläubigen im Deutschen Reich am Ende seines Sendschreibens diese tröstlichen Worte auf den Weg: "Er, der Herz und Nieren durchforscht, ist Unser Zeuge, daß Wir keinen innigeren Wunsch haben als die Wiederherstellung eines wahren Friedens zwischen Kirche und Staat in Deutschland." Nach Kriegsbeginn mühte sich das NS-Regime um eine Art Burgfrieden mit den Kirchen, weshalb Hetze und Verfolgung von Geistlichen zurückgingen, aber nicht eingestellt wurden. Hitlers großer Rachefeldzug an unbotmäßigen Christen blieb dank des Kriegsverlaufs aus, aber Millionen Menschen, ob Gläubige oder Nichtgläubige, erlitten einen furchtbaren Tod, dabei sah sich Hitler nach eigenem Bekunden als Werkzeug der "Vorsehung" und beschwor diese bei jeder sich bietenden Gelegenheit.

Im Unterschied zur Katholischen Kirche gab es viele evangelische Theologen, die sich als "Deutsche Christen" den Nazis an den Hals warfen und versuchten, die Bibel zu "entjuden". Ein 1938 in Eisenach gegründetes Institut und eine systemkonforme Bibelgesellschaft durchsuchten das Alte und das Neue Testament auf jüdische Elemente, um eine nazikonforme Volksbibel zu erstellen. Außerdem sollte Pfarrern, Lehrern und Kirchenmännern die NS-Sicht auf das Christentum vermittelt werden. Die Vorkämpfer der Bibelreinigung forderten, die Kirchen müssten sich konsequent von allem Jüdischen trennen. Den Deutschen Christen gegenüber stand die Bekennende Kirche gegenüber, deren Vertreter durch die Justiz und die Gestapo mit Zuchthaus bedroht und vielfach ermordet wurden.

30. September 1976

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