Blechmünzen und Talerkabinette
Michael Lilienthal nahm 1735 eine Bewertung von seltenen und häufigen Silberstücken vor, andere Autoren brachten "Münzbelustigungen" heraus



Johann Heinrich Schultze etablierte die Numismatik 1738 an der Universität in Halle, und Johann David Köhler wurde durch seine Zeitschrift "Wöchentliche Historische Münzbelustigungen" berühmt.



Viele Münzen wie dieser Salzburger Rübentaler von 1504 landeten schon bald nach ihrer Herstellung wieder im Schmelztiegel, was sie zu heute hoch bezahlen Raritäten macht.



Der Talerkatalog von Michael Lilienthal machte Sammlern des 18. Jahrhunderts Appetit, sich mit großen Silbermünzen zu befassen und ihre Entstehungsgeschichte kennenzulernen. Um zu unterstreichen, was unter den Talern seltsam, also selten, und was gemein, also häufiger ist, zitiert der Verfasser den berühmten Münzkundler und Professor an der Universität Altdorf, Johann David Köhler, den Herausgeber der "Wöchentliche Historische Münzbelustigungen".





In einem 1709 in Halle an der Saale ("Wendisch Halle") veröffentlichten Münzbuch setzt sich Johann Peter Ludewig mit mittelalterlichen Brakteaten und anderen Münzen "mittlerer Zeiten" auseinander. Johann Georg Leuckfeld brachte 1721/1723 ein umfangreiches Werk in drei Teilen über "viele alte rare Bracteaten und Blech-Müntzen" der Halberstädter Bischöfe, der Erzbischöfe von Magdeburg und der Äbtissinnen von Quedlinburg heraus, das bis heute trotz seines Alters und weiterer Forschungen als unentbehrliches Standardwerk angesehen wird.





Gelehrte Abhandlungen, Münzkataloge und numismatische Zeitschriften wurden in der Barockzeit gern mit allegorischen Darstellungen geschmückt. Da und dort findet man auch wortreiche Widmungen an große und kleine Potentaten, im unteren Bild galt sie dem römisch-deutschen Kaiser Franz I., der mit Maria Theresia verheiratet war und eine bedeutende Münzsammlung besaß. Der Kupferstich stammt aus dem 1761 in Nürnberg publizierten Buch "Das neu eröfnete Münzcabinet" von Johann Friedrich Joachim.



Beliebt waren in numismatischen Schriften des 18. Jahrhundert allegorische Darstellungen wie diese in der "Saxonia numismatica" von Wilhelm Ernst Tentzel sowie mit den drei Monetae und Chronos, dem Gott der Zeit und der Geschichtsschreibung im Buch "Das neu eröfnete Münzcabinet" von Johann Friedrich Joachim, Nürnberg 1761. (Fotos/Repros: Caspar)



Waren zunächst antike Münzen bei Sammlern beliebt und wurden sie, wenn man keine Originale bei der Hand hatte, auch schon mal nachgeahmt oder frei erfunden, so wandte man sich im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts auch neueren Münzen zu - erst denen aus dem Mittelalter und dann dem zeitgenössischen Metallgeld. So genannte Taler-, Dukaten- und Groschenkabinette kamen in Mode, für die man auch Kataloge mit ausführlichen Beschreibungen gedruckt hat. Langsam etablierte sich die Numismatik als akademische Disziplin. Im Jahre 1738 starteten an der Universität in Halle an der Saale die ersten Vorlesungen über antike Münzen. In ihnen erfuhren Studenten, warum die Gepräge aus grauer Vorzeit als Geschichtsquellen unschätzbare Bedeutung besitzen.

In alten Zeiten war das Münzensammeln nur solchen Personen vorbehalten, die es sich leisten konnten, alte Silbertaler oder Golddukaten beiseite zu legen, um sich an ihrem Anblick zu erfreuen. Dieses Gebaren fand nicht immer Beifall bei den Zeitgenossen. Manche hielten Münzsammler schlicht für verrückt und hatten kein Verständnis dafür, dass sie die "geprägte Form", um einen Begriff des begeisterten Medaillensammlers und -kenners Johann Wolfgang von Goethe zu benutzen, beiseite legten und über sie Bücher und Zeitschriftenartikel verfassten. Für sie hat man unter diesem Namen dicke Kataloge mit barock-weitschweifigen und sich heute kurios lesenden Beschreibungen gedruckt. Die manchmal mit Kupferstichen ausgestatteten Folianten sind heute große bibliophile Kostbarkeiten, doch haben sie begrenzten wissenschaftlichen Wert, denn natürlich ist die Forschung über sie hinweggegangen, und es gibt bessere und neuere Werke, die viel umfassender über das numismatische Erbe längst vergangener Staaten informieren.

Mittelalterliche Blechmünzen im Blick

Geschichtliches Interesse fanden im frühen 18. Jahrhundert die "Blechmünzen" genannten Brakteaten des Mittelalters und anderes Silbergeld aus grauer Vorzeit, aber auch die seit dem späten 15. Jahrhundert geprägten Taler und vergleichbare Geldstücke. Dass man sich mit solchen Münzen befasste, war damals neu und gewöhnungsbedürftig, denn Taler gab es erst seit gut 300 Jahren, und viele Stücke, die wir heute als Raritäten schätzen und teuer bezahlen, klapperten damals in gewöhnlichen Geldbeuteln und waren relativ gut zu beschaffen. Allerdings waren in diesem Zeitraum ungezählte Stücke im Schmelztiegel auf Nimmerwiedersehen verschwunden.

Es gab Sammler, die an ihnen Gefallen fanden so wie man auch heute Münzen unserer Tage sammelt. Wenn sie Glück hatten, konnten sie erstklassige Münzen zum Metallwert und vielleicht für ein geringes Aufgeld kaufen. Mit einiger Ausdauer ließ sich so eine schöne Sammlung zeitgenössischer und auch älterer Silberstücke anlegen. Von solchen glücklichen Umständen können wir heute nur noch träumen. Wer Münzen und Medaillen sammelt, braucht gute Literatur, und so ist es nur natürlich, dass man dieses Bedürfnis in der Barockzeit durch Herausgabe von Katalogen meist ohne Abbildungen befriedigte. Eines dieser Bücher wurde von dem Pfarrer Michael Lilienthal verfasst und trägt den barock-langatmigen Titel "Vollständiges Thaler-Cabinet das ist Historisch-critische Beschreibung derjenigen zweylöthigen Silber-Münzen, welche unter dem Namen Der Reichs-Thaler bekannt sind". Der Band umfasst in der dritten Auflage von 1735 nicht weniger als 450 Seiten und dazu noch drei unpaginierte Register.

Vom Papst und Kaiser zu kleinen Standesherren

Das Buch erfasst mehr als 1500 Taler und talerförmige Münzen, doch hat man aus Kostengründen auf Abbildungen im Kupferstich verzichtet. Die Aufzählung beginnt bei den Geprägen der römisch-deutschen Kaiser und der russischen Zaren, geht über zu den Münzen aus den damaligen Königreichen Frankreich, England, Schweden, Ungarn, Böhmen, Dänemark, Polen und Preußen. Der Katalog erfasst die Taler der deutschen Kurfürsten, gefolgt von den geistlichen Fürsten mit dem Papst an der Spitze. Mit Geprägen von Fürsten, Markgrafen, Pfalzgrafen und anderen, oft ganz kleinen und unbedeutenden Standesherren sowie mit städtischen Münzen schließt das Nachschlagewerk ab. So gut es geht, wird jedes Stück beschrieben, und so ist es mit einiger Mühe möglich, bestimmte Objekte zu identifizieren. Lilienthals Katalog ist schon lange überholt, es besitzt aber kulturgeschichtliche Bedeutung, weil es das Interesse von Sammlern an einer bestimmten Münzgattung, eben den Talern, unterstreicht und damit geschichtliches Interesse und Jagdeifer weckt.

Viele Stücke, die der Autor hätte kennen müssen, sind nicht erfasst. Offenbar hat er nur das beschrieben, was er selbst gesammelt hat beziehungsweise das, was ihm aus der zeitgenössischen Literatur bekannt war. Die Lückenhaftigkeit ist verzeihlich, denn man muss bedenken, dass die numismatische Forschung in seiner Zeit noch wenig entwickelt war und sich der Verfasser mit seiner Fixierung auf Taler und ähnliche Silbergepräge quasi auf Neuland bewegte. Uns steht heute ein großartiges Reservoire alter und neuer Fachliteratur zur Verfügung, welche die Münzen in einen geldgeschichtlichen und landeskundlichen Kontext stellt und ziemlich alles erfasst, was in einer bestimmten Zeit, in einem Territorium oder einer Stadt aus unterschiedlichsten Gründen geprägt wurde.

Lilienthals Buch sei ausdrücklich erwähnt, weil es neben den Beschreibungen auch interessante Hinweise für Sammler von Talern und Bewertungskriterien enthält. Zunächst setzt sich der Verfasser mit Kritikern auseinander, die seine Beschreibungen entweder als zu kurz oder als zu ausführlich empfinden und ihm vorhalten, bestimmte Territorien stärker zu betonen und andere zu vernachlässigen, ein Vorwurf, mit dem auch heutige Autoren leben müssen. Wer je ein Buch veröffentlicht hat, kennt solche Einwände. Im Fall des "Vollständigen Thaler-Cabinets" gibt der Verfasser zu bedenken, dass gewisse Territorien, etwa Sachsen und Lüneburg, mehr Taler geprägt haben als andere, weshalb deren Taler häufiger vorkommen als jene aus Ländern, die auf diesem Gebiet zurückhaltender waren, aus welchen Gründen auch immer.

Nichts ist erdichtet, alles ist belegt

Lilienthal sagt von sich, er habe nichts erdichtet, alles sei belegt. Er referiere nur das, was andere Autoren zu verantworten haben. "Der Verfasser ist zwar ein Evangelischer Prediger, aber deshalb gar kein Liebhaber von Chiquanen, welche Leute einander, der Religion halber, machen", schreibt er mit einem kritischen Seitenblick auf Theologen, die zu seiner Zeit ihre Glaubensrichtung mit Zorn und Eifer zu propagieren und zu verteidigen meinten. Auch zur Kritik, er habe "vielen Thalern den Ruhm und das Prädicat der Rarität beygelegt, ob sie es gleich nicht verdienten", nimmt er Stellung. Für uns gut nachvollziehbar räumt er ein, dass es sehr misslich sei, ein sicheres Urteil über die Häufigkeit dieses und jenes Talers zu fällen. "Ein Buch, und so auch ein Thaler, kann an einem Ort sehr rar, am andern aber häufig zu finden seyn. Er kann zu gewisser Zeit, wenn er nemlich gesucht wird, seltsam seyn, zu einer andern Zeit aber gemeiner seyn." Das kann man durchaus unterschreiben, deshalb möchten Numismatiker auch heute wissen, in welchen Auflagen ihre Stücke geprägt wurden. Doch diese Zahlen haben nur relative Bedeutung, denn es muss bei der Bewertung immer auch bedacht werden, was von einer ehemals hohen Auflage tatsächlich übrig geblieben ist.

Die stets mit einem Kupferstich auf dem Titelblatt versehenen "Historischen Münzbelustigungen" stellten zwischen 1729 und 1750 Woche für Woche eine Münze oder Medaille oder manchmal auch eine Gruppe von ihnen vor und kommentierte sie ausführlich. Natürlich gab es Nachahmungen dieses erfolgreichen Periodikums, etwa die "Nürnbergischen Münzbelustigungen", die "Bayerischen Münzbelustigungen", die "Sammlung merkwürdiger Medaillen", die "Brandenburgischen historischen Münzbelustigungen" und andere Journale, in denen seltene oder sonst wie "curiöse" Taler und andere Münzen sowie Medaillen vorgestellt wurden.

Interessante Einteilung zwischen normal und rar

Der an seinem Geburtshaus in Colditz (Freistaat Sachsen, Muldentalkreis) mit einer einem Kupferstich nachempfundenen Gedenktafel geehrte Johann David Köhler war eine wissenschaftlich-numismatische Kapazität, und daher hatte sein Bewunderer Michael Lilienthal auch keine Bedenken, dessen Bewertungskriterien in seinem Talerbuch nachzudrucken. Köhler und Lilienthal zufolge sind 1. die ausländischen Taler insgemein seltener als die einheimischen, ausgenommen die französischen Taler sowie die sächsischen und lüneburgischen. 2. sind die Taler aus dem 15. und frühen 16. Jahrhundert unstreitig unter die raren zu zählen, ausgenommen die Schlickischen Joachimsthaler und die alten sächsischen Klappmützentaler. 3. sind die Taler der geistlichen Stände in Deutschland seltener als die der weltlichen, von den salzburgischen Talern abgesehen. 4. sind die Taler mit vielen Köpfen rarer als mit einem, ausgenommen die Stücke aus Sachsen. 5. sind die Taler mit einer Fürstin darauf, mit Ausnahme der russischen Münzen, selten, ebenso solche mit Mann und Frau darauf oder mit Mutter und Sohn. 6. "Die Thaler von ausgestorbenen Häusern oder Örtern, so das Münz-Regale verloren haben, machen sich ebenfalls rar." Das gleiche gilt 7. für Herren, die nur kurze Zeit regiert haben, und 8. für Fürsten und Herren, "so einen unglücklichen Ausgang ihres Unternehmens und Lebens gehabt", also auf nicht natürlichem Wege Regierungszeit und Leben beendet haben.

Der Punkt 9 zählt "symbolische Taler" zu den Raritäten, die in verschiedener Zeit nacheinander geprägt wurden und doch zusammen gehören, schwer zusammen zu bringen, und 10. "Thaler, so andern zum Schimpf geschlagen sind, oder dadurch man auf andre gestichelt hat, machen sich rar", womit Spottmünzen und umgravierte Stücke satirischen Inhalts gemeint sind. 11. werden Taler, "worauf sehr notable Fehler der Eisenschneider, oder besondre Zeichen von gerissenen Stempeln zu sehen, oder welche andre sonderliche Marquen haben, für rar erachtet, weil man allerhand Praesagia und Bedeutungen daraus macht". Für selten werden an zwölfter Stelle jene Taler erachtet, welche einen besonderen Beinamen wie Brömsen-Taler oder Bettler-Taler tragen.

Viele Augen sehen mehr als zwei

Lilienthal setzt diesen zwölf Regeln weitere hinzu und nennt an 13. Stelle Taler kleiner Fürsten und Herren, die seltener als die der großen sind, ausgenommen die der Mansfelder Grafen, die eigene Silberbergwerke besaßen. Selten sind ferner 14. alle Gedächtnistaler, die anlässlich von Geburten, Vermählungen, Begräbnissen ("wenn nur nicht zu viel Schrift darauf ist"), Huldigungen, Siegesfeiern ("Victorien"), Friedensschlüssen, Bündnissen, Einweihungen, Orden usw. geschlagen wurden. 15. werden Taler, "von welchen man eine curieuse Historie, und wenn es auch nur ein fabelhaftes Mährlein wäre, erzehlen kan", als rar erachtet. An 16. Stelle dieser Liste wird darauf hingewiesen, dass ein sauberes Gepräge, zierliches Wappen, curieuse Randschriften und sonderliche Denksprüche Taler zu Raritäten machen. Zum Schluss hebt Lilienthal an 17. Stelle hervor, dass als selten erachtet wird, was vor Kaiser Ferdinand I., in Frankreich vor Ludwig XIV., in England vor Carl II., in Dänemark vor Christian IV. geprägt wurde. Das gilt auch für alle polnischen Taler (außer die von Sigismund III. und Wladislaw) und die königlich-preußischen, "ob sie gleich neu sind".

Am Schluss der Vorrede zu seinem Talerbuch tut Lilienthal das, was Autoren manchmal auch heute tun, er bittet um Nachsicht, wenn das eine oder andere Stück fehlen sollte, und fordert die Leser auf, Nachträge und Verbesserungen einzusenden, damit "also das Thaler-Cabinet immer vollständiger werden möge". Der Verfasser zitiert noch einmal Johann David Köhler, dem auch wir uns gern anschließen wollen: "Viele Augen sehen mehr als zwey. Auch das reichste Münz-Cabinet hat nicht alles, und steckt manchmal was bey einem Privato [einem Privatmann, H. C.], das einem grossen Fürsten abgehet. Vereinigte Arbeit aber, und zusammen getragener Fleiß hilft vielen Defecten ab, und machet alles vollkommen".

20. Juli 2019

Zurück zur Themenübersicht "Münzen und Medaillen"