Ritt auf der Kanonenkugel
Neue Münze würdigt Baron von Münchhausen, dem der Erfolg seiner Lügengeschichten den Rest seines Lebens vergällte



Der von Frantisek Chochola eingereichte Entwurf für die Münchhausen-Ausgabe wird in der Staatlichen Münze Berlin ausgeführt. Foto: BVA/Wuthenow



Seine Lügengeschichten brachten dem Freiherrn von Münchhausen zweifelhaften Ruhm ein. Er hatte sich nicht vorstellen können, dass sie publiziert und wie hier die Fabeln mit dem Zopf und der Kanonenkugel auch illustriert werden.



Der Münchhausen-Brunnen mit dem halben Pferd entstand 1962/1963 im Park des Gutshof derer von Münchhausen. Er wurde von Bruno Schmitz anlässlich der 675-Jahrfeier von Bodenwerder gefertigt. Das Hinterteil des halben Pferdes kann man an der Weserpromenade bewundern. (Repros: Caspar)

Was hat er nicht alles erlebt und gemeistert, wo war er nicht, wen hat er nicht gekannt, wer war seinen Märchen nicht erlegen? Generationen von Lesern haben sich an den Erzählungen des Lügenbarons Hieronymus Carl Friedrich von Münchhausen erfreut und ihnen zugleich kein Wort geglaubt. Der aus dem Herzogtum Braunschweig-Lüneburg stammende Adlige stand als Offizier in russischen Diensten, nahm an Kriegszügen gegen die Türken teil und erzählte, in die Heimat zurückgekehrt, Gästen und Freunden von unglaublichsten Abenteuern. Natürlich waren sein Ritt auf der Kanonenkugel, die Jagd nach einem achtbeinigen Hasen, der Flug mit Enten, die er mit Speck gefüttert hatte und zum Aufflattern brachte, der Lauf mit den Siebenmeilenstiefeln in nur einer Stunde von Konstantinopel nach Wien oder der Ritt auf dem Pferd durch eine fahrende Kutsche reine Erfindungen. Auch die Art und Weise, wie sich der Herr Baron am eigenen Schopf aus dem Sumpf zog und auf einer Bohnenstange zum Mond kletterte, um eine dorthin geschleuderte Axt aus Silber wieder zurückzuholen, waren zur Erheiterung seiner Zuhörer erdacht und, nebenbei gesagt, physikalisch, biologisch, mental und überhaupt eine einzige Absurdität.

Die Bundesrepublik Deutschland ehrt 2020 den Freiherrn von Münchhausen, der vor 300 Jahren in Bodenwerder geboren wurde und 1797 ebendort starb, durch eine neue Gedenkmünze im Wert von 20 Euro. Die Jury entschied sich für den vom Hamburger Designer Frantisek Chochola eingereichten Entwurf, dem sie perspektivische Tiefenwirkung und Klarheit bescheinigt. "Der Ritt auf der Kanonenkugel gerät durch eine Vielzahl von Optionen zu einem Flug durch Raum und Zeit. Dramaturgisch wird dieser Flug Münchhausens zum farbigen Höhepunkt des Münzraums. Die Modellierung der Münze ist spielerisch vielschichtig und detailreich." Die Erwähnung von Farbe bezieht sich auf die tatsächlich blau eingefärbte Uniform mit roten Aufschlägen, die der Lügenbaron trägt. Damit ist die Münchhausen-Ausgabe die zweite Farbmünze der Bundesrepublik Deutschland. Vorangegangen war die schwarz-weiß-rot eingefärbte 20-Euro-Münze zum dreißigsten Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung.

Tapferkeit und Geistesgegenwart

Seinen Erzählungen zufolge wollte sich Münchhausen mit Hilfe einer Kanonenkugel davon überzeugen, wie es um eine von seinen Truppen belagerte Festung steht. Auf dem Flug dorthin begegneten ihm türkische Kanonenkugeln. Da überlegte der Freiherr, dass es ihm nicht gut ergehen würde, wenn er in die Hände des Feindes gerät. Deshalb wechselte er flugs die Richtung und kehrte, jetzt auf einem türkischen Geschoss sitzend, gesund und munter zur eigenen Truppe zurück. Die "Münchhausiaden" wären längst vergessen, hätte man sie nicht aufgeschrieben und 1785 zuerst in England, ein Jahr später in Deutschland veröffentlicht. Dies geschah gegen den Willen des phantasiebegabten Aufschneiders aus uraltem Adel. Die von dem Dichter und Göttinger Professor für Ästhetik Gottfried August Bürger herausgegebene "Wunderbare Reise zu Wasser und zu Lande, Feldzüge und lustige Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen" wurde zum Volksbuch. Druckort war laut Buchtitel zwar London, doch in Wirklichkeit kamen die Hirngespinste in Göttingen heraus. Bürger gab sich nicht als Editor zu erkennen, fügte aber den Geschichten seines Helden noch weitere haarsträubende Episoden hinzu.

Hieronymus Carl Friedrich von Münchhausen war über den zweifelhaften Erfolg seiner Erzählungen alles andere als begeistert. Bei seiner vornehmen Familie und adligen Standesgenossen, die sich zunächst kräftig amüsiert hatten, stieß er auf Ablehnung. Der Freiherr fand sich in der Ecke eines elenden Schwadroneurs und Aufschneiders wieder und starb einsam und verbittert auf seinen Gütern in Bodenwerder bei Hameln. Die deutsche Verfilmung von 1943 mit Hans Albers als Reiter auf der Kanonenkugel machte Kinogeschichte, nicht zuletzt, weil der Streifen der erste Spielfilm der Ufa in Farbe war. Die neue Gedenkmünze wird laut Prägebuchstabe A in der der Staatlichen Münze Berlin und erhält auf dem glatten Münzrand in vertiefter Prägung die aus dem Buch von Gottfried August Bürger stammende Inschrift MIT TAPFERKEIT UND GEGENWART DES GEISTES?.

1400 Buchausgaben in 48 Sprachen

Bodenwerder im heutigen Landkreis Holzminden sind die Geschichten des Freiherrn von Münchhausen im Gegensatz zu ihrem Urheber gut bekommen. Hier begegnet man auf Schritt und Tritt dem berühmt-berüchtigten Sohn der Stadt. So kann man ihm, in Bronze gegossen, vor dem Münchhausen-Museum zuschauen, wie sein halbiertes Pferd vorn trinkt und hinten Brunnenwasser heraussprudeln lässt. Angeblich hat der Lügenbaron beide Hälften seines "Litauer" genannten Pferdes durch Lorbeerblätter wieder zusammengefügt, weshalb er nach eigenen Worten "im Schatten des immergrünen Laubs" durch die Lande reiten und sich überall gebührend bestaunen lassen konnte. Erinnerungsstücke aus dem persönlichen Besitz Hieronymus von Münchhausen sowie Bilder und Dokumente zeichnen im Münchhausen-Museum wichtige Stationen seines Lebensweges nach. Einen weiteren Schwerpunkt bilden die 1400 Buchausgaben in 48 Sprachen und Illustrationen aus zwei Jahrhunderten, die bis heute Menschen jeden Alters überall auf der Welt faszinieren.

Der neue, in Silber beziehungsweise Neusilber geprägte Münchhausen-Münze passt gut zu einer Serie von deutschen Prägungen zur Erinnerung an die Märchensammler und Sprachforscher Jacob und Wilhelm Grimm. Sie begann 2016 mit Rotkäppchen und dem Wolf und wurde dann mit den Bremer Stadtmusikanten (2017) sowie Froschkönig (2018), dem Tapferen Schneiderlein (2019) und dem Wolf und den sieben Geißlein (2020) fortgesetzt. Für die kommenden Jahre stehen diese Themen fest: Frau Holle (2021), Rumpelstilzchen (2022) und Hans im Glück (2023).

26. August 2019

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