Kaisers Schimpf und Kaisers Schande
Spottmedaillen im Dienst von Selbstdarstellung, Hetze und Gegenpropaganda



Als man nicht mehr ein Verfahren wegen Majestätsbeleidigung befürchten musste, haben Unbekannte Silbermünzen durch Löten und Gravieren den abgehalfterten Kaiser Wilhelm II. dem Spott preisgegeben.



Karl Goetz beteiligte sich 1914 mit dieser und weiteren Medaillen an der Hetze gegen den "Erbfeind Frankreich", hier dargestellt als Rachesäerin.



"Die Welt will betrogen sein, also wird sie betrogen", verkündet die querovale Plakette von Karl Goetz aus dem Jahr 1920 mit der deutschen Generalität und dem Kaiser, der gesenkten und an den Händen gefesselt Hauptes hinter einem mit den Stützen seiner untergegangenen Herrlichkeit gefüllten Streitwagen hinterher laufen muss.



Das Versprechen Wilhelms II., er führe die Deutschen "herrlichen Zeiten entgegen", hat Goetz auf drastische Weise aufs Korn genommen.



Auf fragwürdige Weise kommentiert diese Goetz-Medaille die Frage, wer Schuld am Ersten Weltkrieg hat und wer von ihm profitiert.



Nicht nur die alten Machthaber wie Wilhelm II. mit Narrenkappe mussten Hohn und Spott ertragen, auch Reichspräsident Friedrich Ebert als "neuer Kaiser" wurde auf der Goetz-Medaille von nicht verschont.



Die Deutschen müssen die Suppe auslöffeln, die ihnen "die da oben" eingebrockt hatten. Zu den Folgen des Ersten Weltkriegs gehörten die Besetzung und Ausbeutung des Ruhrgebiets durch französische Besatzer, drastisch dargestellt auf einer nicht signierten Medaille aus dem Jahr 1923. (Fotos: Caspar)

So lange Kaiser Wilhelm II. und die deutschen Bundesfürsten an der Macht waren, konnten Kritiker und Satiriker ihnen kaum etwas am Zeug flicken. Sehr schnell waren die Gerichte mit Anklagen wegen Majestätsbeleidigung zur Stelle. Nach dem Ende der Kaiserherrlichkeit vor hundert Jahren im Ergebnis der Novemberevolution konnte eine Aufarbeitung der Verfehlungen und Verbrechen des untergegangenen Regimes beginnen. Und so war es auch nicht verwunderlich, dass auch das Medium der Münzen und Medaillen genutzt wurde, um Kaisers Schimpf und Kaisers Schande satirisch aufzuarbeiten. Aus dieser Zeit sind Stücke unter dem Stichwort "Wilhelm mit Zylinder" bekannt.

Gemeint ist der deutsche Kaiser und preußische König Wilhelm II., der von 1888 bis zu seiner Abdankung am 9. November 1918 regierte und nach dem Ersten Weltkrieg komfortabel im holländischen Exil bis zu seinem Tod am 4. Juni 1941 lebte. Indem fleißige Metallhandwerker das Porträt des Monarchen auf Zwei-, Drei- und Fünfmarkstücken veränderten, etwa indem man einen kleinen Zylinder aus Silberblech auf seinen Kopf lötete oder dem Kaiser durch Gravur eine Tabakspfeife oder Zigarre in den Mund steckte, nahm man ihm den Nimbus eines Herrschers von Gottes Gnaden und machte aus ihm eine Zivilperson wie jede andere auch. Wann die Silberstücke umgraviert oder anderweitig verändert wurden, ist nicht bekannt. Wer sich der Mühe unterzog, machte Münzen mit ihrer seinerzeit recht hohen Kaufkraft unbrauchbar, aber es muss für sie einen Markt gegeben haben.

Damals machte das Spottgedicht "O Tannebaum, o Tannebaum, / Der Wilhelm hat in Sack gehaun. / Er kauft sich einen Henkelmann / Und fängt bei Krupp als Dreher an" seine Runde, und auf Postkarten hat man den traurigen Abgang des Kaisers nicht nur auf derbe Weise karikiert, sondern auch satirische Medaillen geprägt oder gegossen. Sie zeigen, wie "Wilhelm der Letzte" von der Fahne geht, sich in Richtung Niederlande aus dem Staub macht und bei seinen ehemaligen Untertanen Trauer, Chaos und Wut hinterlässt. Ein Strafverfahren vor einem internationalen Tribunal blieb Wilhelm II. erspart, bis zu seinem Tod im Jahr 1941 lebte er komfortabel in Huis Doorn bei Utrecht, ließ sich mit Majestät ansprechen und schickte Hitler 1940 ein Dankschreiben dafür, dass die Wehrmacht Frankreich binnen kurzer Zeit besiegt hat, was dem deutschen Heer im Ersten Weltkrieg unter dem Oberbefehl des Kaisers trotz furchtbarer Verluste an Menschen und Kriegsmaterial nicht gelungen ist.

Schmachvolle Fahnenflucht des Kaisers

Von Selbstkritik nicht angekränkelt, wies der Ex-Kaiser jede Schuld am Ersten Weltkrieg und dem Untergang seines Reiches zurück, ja er behauptete, immer nur den Interessen seines geliebten Vaterlandes gedient zu haben. "Dreißig Jahre ist die Armee mein Stolz gewesen. Ich habe für sie gelebt und an ihr gearbeitet. Und nun nach vier glänzenden Kriegsjahren mit unerhörten Siegen musste sie unter dem von hinten gegen sie geführten Dolchstoß der Revolutionäre zusammenbrechen, gerade in dem Augenblick, als der Friede in Greifnähe stand! Und dass in meiner stolzen Flotte, meiner Schöpfung, die Empörung zuerst offen zutage getreten ist, hat mich am tiefsten ins Herz getroffen."

Es versteht sich, dass sich Spötter unterschiedlichster Couleur über den ehemals mächtigsten Mann im Deutschen Reich hermachten und ihn an seinen größenwahnsinnigen Äußerungen maßen. Besonders drastisch gehen Medaillen des Münchner Künstlers Karl Goetz mit dem Monarchen um, der vor einhundert Jahren abdanken musste und ins holländische Exil floh. Meisterhaft hat er es verstanden, mit seinen Arbeiten die Fragen und Probleme seiner Zeit satirisch und oft maßlos übertreibend auf den Punkt zu bringen. Während des Ersten Weltkriegs betrieb Goetz unverhohlene Militärpropaganda, die der Obersten Heeresleitung gefallen haben dürfte. Seine bis zum Ende der Inflation 1923 geschaffenen satirischen Medaillen reichen von der maßlosen Glorifizierung deutscher "Erfolge" auf den Schlachtfeldern und der Verklärung des Todes auf dem "Feld der Ehre" für Kaiser, König, Gott und Vaterland bis zur bitteren Abrechnung mit dem Kaiser und seinen Generalen, die unfähig waren, das Deutsche Reich zum Sieg zu führen.

Komfortables Leben fern der Heimat

Der Münchner Medaillenkünstler trug nach 1918 dazu bei, dass sich die Gräben zwischen den Deutschen und ihren bisherigen Kriegsgegnern nicht schlossen, sondern sich weiter vertieften. Politiker, die sich nach der Niederlage von 1918 um die Erfüllung der Bedingungen des Versailler Friedensvertrag bemühten, wurden von ihm als vaterlandslose Gesellen und skrupellose Erfüllungspolitiker verunglimpft. Damit folgte Goetz dem Geist seiner Zeit, und mit dieser Sicht war er nicht allein. Goetz-Medaillen stellen darüber hinaus Franzosen als widerliche "Untermenschen" dar, die es nur auf deutsche Frauen und Mädchen abgesehen haben und den Besiegten jenseits des Rheins am liebsten den Hals umdrehen möchten.

Karl Goetz schildert auf anderen Medaillen die schmachtvolle Fahnenflucht des Ex-Kaisers in die Niederlande, was von seinen markigen Sprüchen in besseren Tagen und wie er es sich fern der Heimat, auf einem dicken Geldsack sitzend, gemütlich macht. Der Kaiser sah den Krieg in rosigen Farben, während die überwiegende Mehrheit der Deutschen diesen an der Front und in der Heimat als schreckliche, blutige Katastrophe erlitt. Nach anfänglicher Kriegsbegeisterung unter dem Motto "Jeder Schuss ein Russ, jeder Stoß ein Franzos, jeder Tritt ein Britt" hatten die unter Hunger und Krankheiten leidenden, durch immer neue Katastrophenmeldungen von den Fronten entnervten Deutschen jede Lust verloren, das blutige Ringen noch einen Tag mitzumachen. Sogar Kronprinz Wilhelm räumte in seinen "Erinnerungen" (Stuttgart und Berlin 1922) ein, er habe Anfang 1917 den Eindruck gewonnen, "dass die Kriegsmüdigkeit sehr groß sei, und schon damals sah ich, wie das Berliner Straßenbild sich in bedrohlicher umgestaltet hatte".

Kein Platz an der Sonne

In den dramatischen Novembertagen 1918, als die Niederlage des Deutschen Reichs und seiner Verbündeten im Ersten Weltkrieg nicht mehr abzuwenden war, wurde in der Umgebung des kaiserlichen Oberbefehlshabers über dessen weiteres Schicksal diskutiert. Außerhalb jeder Realität war die Vorstellung, Wilhelm II. könnte an der Spitze seiner Truppen nach Berlin reiten und im revolutionären Hexenkessel wieder "Ruhe und Ordnung" herstellen. Ebenso abwegig war die Idee, der Kaiser möge auf dem Schlachtfeld den Heldentod suchen und damit die Monarchie und seine eigene Ehre retten. Wilhelm II. und die Oberste Heeresleitung zogen den Gang ins Exil vor, und so erfolgten am 10. November 1918 die Flucht des Kaisers in die Niederlage und Aufnahme durch Königin Wilhelmina. Einen Tag zuvor hatte Prinz Max von Baden, der letzte noch vom Kaiser ernannte Reichskanzler, erklärt, dieser habe dem Thron entsagt, und auch der Kronprinz habe seinen Verzicht erklärt. Aufgabe einer verfassungsgebenden deutschen Nationalversammlung werde sein, "die künftige Staatsform des deutschen Volkes, einschließlich der Volksteile, die ihren Eintritt in die Reichsgrenzen wünschen sollten, endgültig festzustellen". Nach der durch eine amtliche Bekanntmachung verkündeten Entthronung wurde in Berlin die Republik ausgerufen.

Wilhelm II. schrieb 1921, er habe seinem Volk einen Bürgerkrieg ersparen wollen. Um Blutvergießen zu verhindern, habe er zwar der Kaiserwürde entsagt, nicht aber als König von Preußen abdanken und als solcher bei der Truppe bleiben wollen. Dem Reichskanzler Max von Baden sei gesagt worden, sein, Wilhelm II., Entschluss müsse erst reiflich erwogen und formuliert werden. "Kurz darauf kam aus Berlin die Nachricht, es sei zu spät". Während der Ex-Kaiser in Doorn bei Utrecht um sich einen kleinen Hofstaat scharte und sich auch die anderen ehemaligen Bundesfürsten aufs komfortable Altenteil zurückzogen, haben seine ehemaligen Untertanen auf verschiedene Weise ihre Enttäuschung über den seit 1888 regierenden Monarchen zum Ausdruck gebracht, der einmal versprochen hatte, er wolle sie "herrlichen Zeiten" entgegenführen und Deutschland einen "Platz an der Sonne verschaffen".

Hoffnung auf Rückkehr nach Berlin

Nie hat der seines Throns verwiesene Kaiser die Hoffnung aufgegeben, "ein neues Deutsches Reich unter mir zu erobern" und es jenen ordentlich zu zeigen, die ihm die Krone raubten und ihn zwangen, ins Exil zu gehen. Zwar habe er nicht alles richtig gemacht, behauptete der Entthronte, aber die Richtung habe gestimmt. "Ich brachte bewusst meine Person und meinen Thron zum Opfer, in der Meinung, dadurch den Interessen meines geliebten Vaterlandes am besten zu dienen. Das Opfer ist umsonst gewesen". Obwohl sich einige Hohenzollernprinzen und andere Fürstlichkeiten während der Weimarer Republik mit den zur Macht drängenden Nazis gemein machten in der Hoffnung, mit ihrer Hilfe die Monarchie wieder einführen zu können, wusste sich Adolf Hitler dieses "Geschmeiß", wie er sagte, vom Leib zu halten, denn Abgabe von Macht und Einfluß kam für ihn nicht infrage.

Als der Exkaiser 82-jährig am 4. Juni 1941 in Doorn starb, schickte Hitler einen Kranz. Dass Wilhelm II. ihm 1940 gönnerhaft für den "von Gott geschenkten gewaltigen Sieg" der deutschen Wehrmacht über Frankreich gratuliert hatte und dabei an die militärischen Erfolge Kaiser Wilhelms I. und Friedrichs des Großen erinnerte, hatte nach 1945 unangenehme Folgen für die Hohenzollern. Denn die Niederländer beschuldigten den toten Monarchen der Kollaboration mit Nazideutschland und konfiszierten seinen Besitz als "Feindvermögen". So wurden die nach 1918 mit der Eisenbahn herbeigeschafften rund 15 000 Kunst- und Alltagsgegenstände aus den Schlössern in Berlin und Potsdam niederländisches Staatseigentum und können in der Stiftung Haus Doorn besichtigt werden.

1. März 2019

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