In Stellvertretung des Kaisers
In Sachsen und der Pfalz feierten die Kurfürsten die kurzzeitige Übernahme eines zeremoniellen Amts



Die Goldene Bulle von 1356 regelte unter anderem, welche Ämter die zur Königs- und Kaiserwahl berechtigten Kurfürsten ausüben. Das Foto zeigt ein Exemplar aus dem Staatsarchiv in München, das vor einigen Jahren in Berlin gezeigt wurde. Benannt ist das Gesetzeswerk nach dem goldenen Siegel (Bulle), mit dem die Handschrift beglaubigt wurde.



Auf dem farbigen Holzschnitt von 1493 sind die geistlichen und weltlichen Kurfürsten mit ihren Wappen und Abzeichen abgebildet.



In der "Saxonia numismatica" von Wilhelm Ernst Tentzel sind die kostbaren Statthaltertaler des Kurfürsten Friedrich des Weisen abgebildet und beschrieben.



Die Medaille von Hans Krafft aus dem Jahr 1522 diente Friedrich Wilhelm Hörnlein als Vorlage für das hochseltene Dreimarkstück von 1917 zur Vierhundertjahrfeier der Lutherschen Reformation.



Wegen der "unschicklichen" Stellung des Gottesnamens am Schwanz des Pferdes, auf dem Kurfürst Johann Georg II. von Sachsen reitet, musste der Vorderseitenstempel des Vikariatstalers von 1657 neu geschnitten werden.



Auf den Talern von 1792 und 1740 fungieren die Kurfürsten von der Pfalz als Reichsvikare in den südlichen Ländern des römisch-deutschen Reichs. Zusätzlich ist auf dem Taler von 1740 Karl Albert von Bayern abgebildet, der für kurze Zeit als Karl VII. römisch-deutscher Kaiser war und schon 1745 starb. (Fotos: Caspar)

Sachsens Kurfürst Friedrich III., genannt der Weise, zählte zu den mächtigsten Fürsten des damaligen römisch-deutschen Reichs. Zeitweilig war er kaiserlicher Statthalter in Norddeutschland, was auf aufwändig gestalteten Münzen und Medaillen dokumentiert wurde. Nach dem Anschlag der 95 gegen den Ablasshandel und andere Umtriebe der Papstkirche gerichteten Thesen des Kirchenrebellen Martin Luthers an die Schlosskirche zu Wittenberg im Jahr 1517 schwang sich Friedrich der Weise zum Beschützer des Kirchenrebellen auf und verbarg ihn eine Zeitlang auf der Wartburg vor den Häschern Kaiser Karls V. Spätere Kurfürsten brillierten nach dem Tod des jeweiligen Reichsoberhaupts mit so genannten Vikariatstalern, die sie als dessen Stellvertreter bis zur Wahl des nächsten Reichsoberhaupts ausweisen.

Die Goldene Bulle, das berühmte Reichsgesetz von 1356, legte nicht nur das Procedere fest, wie der römisch-deutsche König beziehungsweise später der Kaiser gewählt wird und welches die Privilegien der dazu auserkorenen geistlichen und weltlichen Kurfürsten sind. Es bestimmte auch zwei Herrscher zu Reichsvikaren für den Fall des Todes des Reichsoberhauptes. Der Kurfürst von Sachsen sollte bis zur Wahl eines neuen Oberhaupts kaiserliche Aufgaben in Ländern sächsischen Rechts ausüben, der Pfalzgraf bei Rhein tat das gleiche in Franken, Schwaben und der Rheinregion. Wie in Sachsen so wurde auch in der Pfalz die Übernahme des Reichsvikariats auf Münzen und Medaillen gefeiert, wenngleich nicht so umfangreich wie in Kursachsen.

Vorbild für Dreimarkstück von 1917

Auf den sächsischen Vikariatsmünzen aus den Jahren 1612 bis 1792 erscheint der Kurfürst als "Provisor et Vicarius", doch eigentlich beginnt die Serie bereits im Jahre 1507. Bis 1522 ließ Kurfürst Friedrich der Weise Statthaltertaler und Statthaltermedaillen prägen. Sie entstanden zu Lebzeiten Kaiser Maximilians I. beziehungsweise von Karl V., haben also mit deren Ableben nichts zu tun. Möglicherweise wollte der machtbewusste Wettiner mit der Emission der künstlerisch und wegen der zum Teil hohen Reliefs technisch anspruchsvollen Prägungen die ihm zustehende Würde eines "Locumtenens generalis" betonen. Eine dieser Schaumünzen diente 1917 dem Dresdener Stempelschneider Fritz Hörnlein als Vorbild für den Stempel des berühmten Dreimarkstücks anläßlich der Vierhundertjahrfeier der Reformation.

Geprägt wurden die sächsischen Vikariatsmünzen, darunter auch solche aus Gold im Werte von mehreren Dukaten, in folgenden Jahren: 1612 unter Johann Georg I. zum Tod der Kaiser Rudolf II. und 1619 Matthias;

1656 und 1657 unter Johann Georg II. zum Tod Kaiser Ferdinands III.;

1711 unter Friedrich August I. (August dem Starken) zum Tod Kaiser Josephs I.;

1740, 1741, 1742 unter Friedrich August II. zum Tod der Kaiser Karl VI. sowie 1745 Karl VII.;

1790 unter Friedrich August III. zum Tod der Kaiser Joseph II. und 1792 Leopold II.

Beispiele aus dem silbereichen Sachsen

Die Gestaltung der sächsischen Vikariatsmünzen unterscheidet sich im 17. Jahrhundert nicht wesentlich von den Kursmünzen. Die Kurfürsten reiten hoch zu Ross und sind mit den Insignien ihres hohen Amtes versehen - Kurhut auf dem Kopf, langer Hermelinmantel, geschultertes Schwert. Zwischen den Pferdefüßen ist das das kursächsische Wappen mit gekreuzten Schwertern und Rautenkranz zu erkennen. Die lateinischen Inschriften nennen die wichtigsten Besitztitel des Kurfürsten, der laut Goldener Bulle das Amt des Erzmarschalls ausübt. Die aktuelle Tätigkeit nach dem Ableben des Reichsoberhauptes wird als Vicarius benannt. Da die silberreichen Kurfürsten von Sachsen die Vikariatsmünzen in verschiedenen Werten und größeren Auflagezahlen prägen ließen, kommen sie im Handel relativ häufig vor und sind in vielen Sammlungen vertreten.

Auf den Vikariatsmünzen von 1711 erscheint August der Starke in der Manier der Barockzeit als Reiter eines sich aufbäumenden Pferdes. Auf der Rückseite erkennt man auf zwei Tischen die beiden Kronen, die der Wettiner trägt - die des polnischen Königs seit 1697 und die des Kurfürsten von Sachsen seit 1694, ergänzt durch den Hinweis auf das nach dem Tod Kaiser Josephs I. ausgeübte Amt des Reichsvikars. Die in größerer Zahl von Friedrich August II., dem Sohn und Nachfolger Augusts des Starken, geprägten Vikariatsmünzen zeigen außer dem vorderseitigen Brustbild des Herrschers auf der Rückseite den kaiserlichen Doppeladler mit dem polnisch-sächsischen Wappen auf der Brust. Der Taler von 1742 adaptiert das Reiterbild Augusts des Starken und präsentiert auf der Rückseite einen leeren Thron mit den kaiserlichen Insignien darauf. Die letzten kursächsischen Vikariatsmünzen von Friedrich August III., der sich ab 1806 König Friedrich August I. von Sachsen nannte, bilden noch einmal den kaiserlichen Doppeladler ab, der das kursächsische Doppelwappen auf der Brust trägt.

Missgeschick des Stempelschneiders

Schaut man sich die Vikariatsmünzen des 17. Jahrhunderts genauer an, so fallen bei der Ausgabe von 1657 zwei Inschriftenversionen auf. Beide zeigen den reitenden Kurfürsten, jedoch beginnt die lateinische Umschrift "Deo et Patriae" (Für Gott und Vaterland) im ersten Fall beim Schwanz des Pferdes, im anderen Fall bei dessen Kopf. Dass der Graveur einen neuen Stempel schneiden musste, hatte eine religiöse Ursache. Denn strenggläubige Theologen hatten beanstandet, dass der Gottesname in der Nähe eines Pferdeschwanzes angerufen wird. Ob der unvorsichtige Graveur gemaßregelt wurde und wegen seines Missgeschicks auf eigene Rechnung einen neuen Stempel anfertigen musste, ist nicht überliefert.

Nach dem Tod Karls VI. am 20. Oktober 1740 war der römisch-deutsche Kaiserthron erneut leer. Da der Habsburger keinen männlichen Erben hatte, trat die bereits 1713 erlassene "Pragmatische Sanktion" in Kraft, und so übernahm die Kaisertochter Maria Theresia die Herrschaft über die habsburgischen Erblande sowie in Ungarn und Böhmen. Der Tod von Kaiser Karl VI. kam zur Unzeit, denn im gleichen Jahr 1740 war der erst achtundzwanzigjährige Friedrich II. preußischer König geworden. Auf militärischen Ruhm erpicht, brach er einen Krieg vom Zaun, um Maria Theresia reiche Provinz Schlesien abzujagen. Es begann der erste von drei Schlesischen Kriegen, die nach erbitterten Kämpfen am 15. Februar 1763 mit dem Frieden von Hubertusburg abgeschlossen wurden.

Die unklaren Machtverhältnisse im Reich nutzte Kurfürst Karl Albert von Bayern, um sich zum neuen römisch-deutschen Kaiser wählen zu lassen. Allerdings konnte sich dieser Karl VII. sich nicht lange der Reichskrone erfreuen, denn er starb bereits am 20. Januar 1745 in München, und sein minderjähriger Sohn und Nachfolger Maximilian III. Josef verzichtete auf die Nachfolge als Reichsoberhaupt, schloss Frieden mit Österreich und versprach, Franz Stephan von Lothringen, dem Gemahl der Maria Theresia, seine Stimme zur Kaiserwahl zu geben. Noch im gleichen Jahr erkannte Friedrich II. von Preußen in seiner Eigenschaft als Kurfürst von Brandenburg im Frieden von Dresden Franz I. als Kaiser an.

Bayerische und pfälzische Ansprüche

Ähnlich wie die sächsischen Vikariatsmünzen sind die unter der Herrschaft des Kurfürsten Karl Albert von Bayern geprägten Vikariatsmünzen von 1740 sowie die Geldstücke gestaltet, die ihn als Kaiser Karl VII. präsentieren. Der Bayer begründete seinen Anspruch auf die Kaiserkrone mit der Heirat mit der Erzherzogin Maria Amalia, einer Tochter von Kaiser Joseph I. Für ihn, den Schwiegersohn des Kaisers, stand in völliger Überschätzung seiner Möglichkeiten und Ressourcen fest, eines Tages Universalerbe der habsburgischen Monarchie zu werden, weshalb er 1740 im Schatten des ersten Schlesischen Kriegs den Österreichischen Erbfolgekrieg vom Zaun brach und dabei von Frankreich unterstützt wurde. Seine Ansprüche unterstreichend, schmückt das bayerische Wappen die Brust des kaiserlichen Doppeladlers auf Münzen von 1740.

Ein ebenfalls 1740 in Mannheim geprägter Vikariatstaler zeigt das Doppelbildnis von Karl Albert von Bayern sowie von Karl Philipp, dem Kurfürsten von der Pfalz. Die Prägung dieser Gemeinschaftsmünze erzielte einiges Aufsehen, hängt sie doch mit einer Vereinbarung unter Verwandten zusammen. Die am 15. Mai 1724 abgeschlossene Wittelsbachische Hausunion bestimmte die gemeinsame Ausübung des Reichsvikariats durch den Kurfürsten von Bayern als Erzschatzmeister und den Kurfürsten von der Pfalz, der sich offiziell Pfalzgraf bei Rhein nannte und das Amt des Erztruchsessen innehatte. Als beide Herrscher nach dem Ableben von Kaiser Karl VI. bekannt gaben, gemeinsam das Reichsvikariat ausüben zu wollen, widersprachen evangelische Stände im Norden mit dem Hinweis, jene Übereinkunft von 1724 sei weder vom Kaiser noch vom Reich anerkannt. Vor allem Sachsens Kurfürst Friedrich August II., der Sohn und Nachfolger Augusts des Starken, sah sich in seinen Rechten beschnitten, weil es nunmehr drei statt zwei Reichsvikare gab.

Die diplomatischen Verwicklungen wurden überwunden, und so nahm der Sachse seine Rechte als zeitweiliger Stellvertreter des Kaisers in Norddeutschland und die beiden Wittelsbacher die ihrigen im deutschen Süden wahr. Karl Albert und Karl Philipp werden auf der Rückseite als Vikare für die rheinischen und schwäbischen Gebiete und für die fränkischen Rechts genannt, und auf der Brust des Reichsadlers prangen ihre mit Kurhüten belegten Wappenschilder, verbunden durch die Kette des Ordens vom Goldenen Vlies. Als nach dem Tod von Kaiser Joseph II. 1790 der Kaiserthron in Wien erneut vakant wurde, ließ Kurfürst Maximilian III. Joseph von Bayern weitere Vikariatmünzen prägen, die ebenfalls den doppelköpfigen Reichsadler mit bayerischem Brustschild zeigen. Ähnlich verfuhr man 1792 nach dem Tod von Kaiser Leopold II.

4. April 2019

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