"Nah am Leben"
Staatliche Gipsformerei stellt in der James-Simon-Galerie auf der Berliner Museumsinsel aus



Eine Auswahl aus dem einzigartigen, noch nie in dieser repräsentativen Form gezeigten Fundus der Staatlichen Gipsformerei wird bis zum 1. März 2020 in der Sonderausstellung "Nah am Leben" anlässlich zur Eröffnung der James-Simon-Galerie, dem neuen Eingangsgebäude der Staatlichen Museen auf der Berliner Museumsinsel, gezeigt. Zur Ausstellung gibt es ein umfangreiches begleitendes Vortragsprogramm. Der Katalog zur Ausstellung kostet 42 Euro. Geöffnet ist die James-Simon-Galerie täglich von 9.30 bis 18.30 Uhr, am Donnerstag bis 20.30 Uhr.





Den Weg in die Ausstellung weist die originalgetreue Nachbildung der berühmten Büste der Nofretete, die dank James Simon nach Berlin gelangte und deren Original wenige Schritte weiter im Neuen Museum bewundert werden kann.



Aus der Gipsformerei stammt diese mit kräftigen Schnüren zusammengehaltene Form.





Die 1506 in Rom entdeckte Marmorgruppe des Laokoon ist eine Gipskopie aus dem 19. Jahrhundert. Die von Schadow geschaffene Prinzessinnengruppe und andere Skulpturen sind dunkel gefärbt. Da sie zur Herstellung von negativen Gussformen dienten, hat man sie mit Ölfarbe imprägniert.



Meisterwerke der Antike, die vor 200 Jahren fürstliche Schlösser, großbürgerliche Villen und Museen geschmückt haben, wurden meisterhaft kopiert und sind kaum von den Originalen zu unterscheiden. Die Abgüsse werden selten in einem Stück hergestellt, sondern müssen aus vielen Einzelstücken zusammengesetzt werden, damit sie ein großes Ganzes bilden. Hier Kopien antiker und mittelalterlicher Meisterwerke der Bildhauerkunst. (Fotos: Caspar)

Seit 200 Jahren stellt die Gipsformerei der Staatlichen Museen hochwertige Repliken von Bildhauerarbeiten aller Art her. Von Zeit zu Zeit finden Führungen durch die Werkstätten statt, bei denen man Formen für die Nachbildungen von Reliefs, Büsten und vollplastischen Figuren betrachten kann. Die ältesten Gussformen stammen noch aus der Zeit des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III., der 1819 das anfangs von dem Bildhauer Christian Daniel Rauch geleitete Institut gründete. Das traditionsreiche Haus ist die weltweit größte Kunstwerkstatt dieser Art und steht mit Museen und Sammlern auf allen Kontinenten in Verbindung, die hier Repliken berühmter Skulpturen bestellen. Mit Hilfe der Gussformen können antike, mittelalterliche und neuzeitlicher Kunstwerke in einem komplizierten Verfahren in Gips nachgebildet werden. Das macht die sorgfältig bemalten und patinierten Stücke teuer, aber sie sind allemal preiswerter und besser zu haben als die kostbaren Originale. Wer möchte, kann auch Bronzefiguren bestellen. Allerdings gehen diese Aufträge an externe Kunstgießereien.

Als weltweit größte, noch heute aktive Museumsformerei besitzt die Königliche, seit 1918 Staatliche Gipsformerei mit Sitz an der Sophie-Charlotte-Straße 17-18 unweit des S-Bahnhofs Westend im Berliner Bezirk Charlottenburg über 7000 Mastermodelle, inwendig mit Ölfarbe bestrichene Gussformen und andere zur Herstellung und farblichen Fassung der Kopien nötigen Utensilien. Die ältesten Formen stammen noch aus der Zeit von Friedrich Wilhelm III.

Kopien des Laokoon und von Schadows Prinzessinnen

Die neue Ausstellung "Nah am Leben", mit der die James-Simon-Galerie auf der Berliner Museumsinsel am 30. August 2019 eröffnet wurde, erschließt in einem repräsentativen Querschnitt den Bestand und stellt ihm Objekte aus anderen Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin sowie Leihgaben aus dem In- und Ausland gegenüber. Zu sehen sind neben Gipsabgüssen antiker, mittelalterlicher und neuzeitlicher vollplastischer Skulpturen sowie Reliefs. Außerdem kann man Gussformen und Details von Figuren betrachten, die zu einem großen Ganzen zusammengefügt werden. Ausgestellt sind Totenmasken bekannter und unbekannter Persönlichkeiten sowie Tierfiguren. Besondere Schaustücke sind die 1506 in Rom gefundene und in den Vatikanischen Museen gezeigte Marmorgruppe des Laokoon, das von Johann Gottfried Schadow geschaffene Doppelbildnis der aus Mecklenburg-Strelitz stammenden Prinzessinnen Luise und Friederike von Preußen sowie Spitzenstücke der antiken und mittelalterlichen Bildhauerkunst, aufgestellt auf flachen Sockeln beziehungsweise aneinandergereiht in Regalen.

Star unter den Gipskopien ist zweifelsohne die berühmte Büste der altägyptischen Königin Nofretete, deren vielbewundertes, seinerzeit von James Simon den Berliner Museen gestiftetes Original im Neuen Museum auf der Museumsinsel bewundernde Blicke auf sich zieht. In der Gipsformerei wird das Porträt der "berühmtesten Berlinerin", wie man manchmal sagt, in einem komplizierten Verfahren so genau nachgeformt und bemalt, dass man Mühe hat, das Original von der Kopie zu unterscheiden. Nachdem der Große Saal des Pergamonmuseums und weitere Räume wegen umfangreicher Bauarbeiten geschlossen sind, werden auf der anderen Seite des Kupfergrabens Stücke der Antikensammlung in einer temporären Ausstellung parallel zum Pergamonpanorama von Yadegar Asisi gezeigt. Da die kostbaren Reliefplatten des Pergamonaltars nicht ausgebaut werden können, ist die Gipsformerei mit originalgetreuen Nachbildungen eingesprungen.

Rückkehr zu den historischen Wurzeln

Mit der Ausstellung kehrt die Gipsformerei zu ihren historischen Wurzeln zurück, denn die 1819 gegründete Königlich-Preußische Gipsgussanstalt war in den 1830er-Jahren im Sockelgeschoss des nach Schinkels Plänen erbauten Alten Museums am Lustgarten, dem königlichen Schloss gegenüber, untergebracht. Die Manufaktur belieferte das Neue Museum, die Skulpturensammlung und andere Berliner Institute und solche weiter entfernt mit ihren Erzeugnissen. Die Schau unterstreicht, dass unsere Vorstellungen von "großer" Kunst schon immer über das Medium Gips transportiert wurden. "In der Ausstellung wird die buchstäbliche Überhöhung der Skulpturen dadurch gebrochen, dass hier nicht etwa Originale oder weiße Gipsabgüsse aufmarschieren, sondern wiederum die dem Werkstattbetrieb entlehnten Mastermodelle mit ihren historischen Einschreibungen uns Spuren eines jahrhundertelangen Gebrauchs."

Nach dem Sieg in den Befreiungskriegen von 1813 bis 1815 gegen das napoleonische Frankreich wurden in Preußen Kunst, Wissenschaft, Bildung und Wirtschaft in der Erwartung gefördert, daraus Gewinn für den Staat, seine Wirtschaft, Kultur und allgemein die Bürger zu schlagen. In der Zeit des Klassizismus war das Interesse an antiken Skulpturen groß. Da Gipsabgüsse damals teuer aus Italien importiert werden mussten, hoffte die Regierung, mit der Herstellung von Abgüssen eine neue Einnahmequelle zu erschließen. Das anfangs Königlich Preußische Gipsgussanstalt genannte Institut wurde 1830 den Königlichen Museen angegliedert. Seine Bedeutung wuchs parallel zu ihrer Entwicklung, denn jedes neue Sammlungsgebiet fand sich auch in den Angebotslisten der Formerei wieder. Ebenso führte die Zusammenarbeit mit der Akademie der Künste, der Berliner Universität und weiteren Institutionen sowie archäologischen Forschungsprojekten zu Erwerb und Herstellung einmaliger Formen. Die Kopien, ob aus Gips strahlend weiß oder farbig gefasst, ob aus Metall oder wetterbeständigen und Kunststoff bestehend, werden von Museen, Privatleuten und andere Bestellern gebraucht, wenn sie solche Nachbildungen besitzen oder ausstellen möchten. Eine Auswahl steht zum Verlauf im Ausstellungsraum in Berlin-Charlottenburg bereit.

Bei der Wiederherstellung der zerstörten Quadriga auf dem Brandenburger Tor taten Gussformen und Modelle der Charlottenburger Manufaktur gute Dienste, als die berühmte Figurengruppe in den späten 1950-er Jahren wiederhergestellt wurde. Nachdem der Große Saal des Pergamonmuseums und weitere Räume wegen umfangreicher Bauarbeiten geschlossen sind, können auf der anderen Seite des Kupfergrabens Stücke der Antikensammlung in einer temporären Ausstellung betrachtet werden. Da die Reliefplatten des Pergamonaltars nicht ausgebaut werden können, springt die Gipsformerei mit originalgetreuen Nachbildungen ein.

Bedeutender Fundus von 7000 Formen

In den ersten Jahrzehnten nach seiner Gründung war das Institut noch Teil der Rauch'schen Werkstatt und hatte keinen eigenständigen Produktionsort. Nach Umzügen in das Sockelgeschoss des Alten Museums am Berliner Lustgarten beziehungsweise in das Gießhaus in der Münzstraße wurde 1891 ein eigens für die Gipsformerei errichteter Neubau in der Charlottenburger Sophie-Charlotten-Straße bezogen, wo sich bis heute Formwerkstatt, Malerateliers, das Lager für die historischen Formen und Modelle sowie ein Verkaufsraum befinden.

Die Schau in der James-Simon-Galerie spannt den Bogen vom Abguss eines Krokodils über Lebend- und Totenmaske bis zu Beispielen für Abformungen von lebendigen und toten Körpern. Sie schildert die Rolle, die Abformungen dem Leben und dem Tod buchstäblich am kommen, und beantwortet die Frage, warum man sie zu allen Zeiten hergestellt und geliebt hat. Neben den plastischen Objekten zeigt sie Gemälde, Bücher, Druckgrafiken, Fotos und Videos und verdeutlicht damit den Wert von Abformungen in der langen Geschichte der bildenden Kunst.

24. September 2019

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