"Gruß und Kuss Dein Julius"
Berliner Museum für Kommunikation würdigt die vor 150 Jahren eingeführte Postkarte und ihren Erfinder Heinrich von Stephan



Der Bau des Kaiserlichen Reichspostamtes und Reichspostmuseums an der Ecke Mauerstraße 69-75 / Leipziger Straße in Berlin von 1893 bis 1898 nach Plänen der Architekten Carl Schwatlo und Ernst Hake geht auf eine Initiative von Heinrich von Stephan zurück. Seiner wird im heutigen Museum für Kommunikation und aktuell in der Ausstellung zum 150jährigen Jubiläum der von ihm eingeführten Postkarte gedacht.



Die am Eingang zur Schatzkammer im Museum für Kommunikation ausgestellt Glückwunschadresse feiert Heinrich von Stephan als bedeutenden Postbeamten.





Mit bunten Postkarten konnte man 1895 dem Reichskanzler Otto von Bismarck ehrfurchtsvolle Glückwünsche senden, auf dem Blatt daneben wird des 1888 nach nur 99 Regierungstagen qualvoll an Kehlkopfkrebs verstorbenen Kaiser Friedrich III. gedacht.





Der "Gruß aus Peking" macht sich über Chinesen lustig, die von deutschen Truppen unterworfen wurden. Der Aufdruck daneben gibt zu wissen, dass das Hotel Kölner Hof zu Frankfurt am Main "judenfrei" ist. Vor einigen Jahren hat das Museum für Kommunikation eine Sammlung antisemitischer Hetzpostkarten unter dem Titel "Abgestempelt" gezeigt.



Zahllose Postkarten ernsten, lustigen, informatorischen und geschäftlichen Inhalts wurden den unterschiedlichsten Post- und Briefkästen anvertraut.





Wer in alten Zeiten bei der Post arbeitete, genoss Ansehen und Schutz und war aufwändig gestalteten Abzeichen zu erkennen. Das Museum an der Leipziger Straße in Berlin ehrt zahlreiche Postreiter, Postboten und andere bei der Post beschäftigte Menschen. (Fotos: Caspar)



Vor ihrer Einführung am 1. Oktober 1869 galt die Postkarte noch als "unanständige Form der Mitteilung auf offenem Postblatt". Dessen ungeachtet trat sie, auf einen Nerv der Zeit treffend, schon bald ihren Siegeszug in Preußen, Deutschland und der Welt an. Wie die zum 150-jährigen Jubiläum im Museum für Kommunikation an der Leipziger Straße in Berlin eingerichtete Sonderausstellung "Mehr als Worte. 150 Jahre Postkartengrüße" zeigt, erfüllte das beidseitig beschreibbare, mit einer Marke versehene Pappblatt das Bedürfnis der Menschen nach schnellem und einfachem Informationsaustausch. Vergessen waren bald schon Befürchtungen, neugierige Postboten und neidische Nachbarn könnten mitlesen und die Informationen gegen die Absender und Empfänger verwenden. Nachdem Stephan das "Postblatt" entwickelt hatte, dauerte es noch fünf Jahre, bis der rechteckige Karton mit aufgedrucktem Postwertzeichen zu einem halben Silbergroschen auf der Vorderseite und dem Raum für Mitteilungen auf der Rückseite als "Correspondenzkarte" an Berliner und weiteren Postschaltern ausgegeben wurde. 45468 dieser Novitäten gingen am ersten Tag weg wie warme Semmeln.

Vater der Correspondenzkarte, wie man vor 150 Jahren zur Postkarte sagte, war der preußische und deutsche Generalpostmeister Heinrich von Stephan. Als er am 8. April 1897 mit erst 66 Jahren nach längerem Leiden starb und mit einem Staatsbegräbnis geehrt wurde, schwankte das Urteil über ihn zwischen "Ressortpatriot mit Eigenmächtigkeiten" (Bismarck) und "anregender, kluger Ratgeber von eiserner Energie" (Kaiser Wilhelm II.). Bismarck nannte den obersten Postmeister des Reiches "König Stephan" und sah in ihm einen Emporkömmling, "der über jede Reform gleich in 10 Zeitungen die Glocken läuten" lasse. Wie sollte sich doch der "eiserne Kanzler" über Stephan und sein Erbe irren!

Zu geschäftlichem und geselligem Gebrauch

Der am 7. Januar 1831 in der pommerschen Stadt Stolp geborene Beamte hatte 1865 der 5. Deutschen Postkonferenz die Einführung der Postkarte vorgeschlagen. In dem Schreiben, das in der bis zum 5. Januar 2020 laufenden Sonderausstellung in der ersten Etage unter einer in alle Einzelteile zerlegten Postkutsche gezeigt wird, beschreibt der Geheime Postrat, wie dieses Blatt aussehen und wie groß es sein soll, zu welchen Anlässen es verwendet wird und welche Vorteile es für Absender und Empfänger hat. "Dem Publikum dürfte die Einrichtung, zumal wenn die anfängliche Scheu vor offenen Mittheilungen bei näherer Einsicht von der Sache überwunden sein wird, für viele Gelegenheiten und Verhältnisse willkommen sein. […] Hinsichtlich einer großen Zahl von Bestellungen, Benachrichtigungen etc. würde die Uebermittlung ,per Postblatt' wahrscheinlich bald in die geschäftliche Usance, wie in den geselligen Gebrauch übergehen."

Ziemlich bald nach Einführung der Postkarte - die erste soll laut Aussage in der Ausstellung am 1. Oktober 1869 von Perg bei Linz nach Kirchdorf verschickt worden sein und kann als herausragendes Belegstück mit weiteren Preziosen in der unterirdischen Schatzkammer des Museums betrachtet werden - haben einfallsreiche Leute erste Bilder auf eine Seite gedruckt. Die Ausstellung präsentiert etwa 500 Schaustücke aus der Sammlung der Museumsstiftung Post- und Telekommunikation, die mit mehr als 200.000 Exemplaren eine der größten Postkartensammlungen Deutschlands besitzt. Viele Belegstücke kombinieren Stadt- und Gebäudeansichten und weitere Motive mit kurzen Grüßen etwa der Art "Gruß und Kuss Dein Julius" und Hinweisen, dass man hier an einem besonders bemerkenswerten Ort gewesen ist.

Von der Kaiserzeit bis zur Gegenwart

Der Rundgang beginnt in der Kaiserzeit, als Postkarten einen Höhenflug sondergleichen erlebten, und er endet in der Gegenwart, wo man Postkarten meist aus dem Urlaub verschickt, sich ansonsten mit Telefon, Smartphone und auf andere Weise verständigt. Mit den Postkarten konnte man sich einfach und schnell mit wenigen Worten verständigen, Lebenszeichen versenden, Glückwünsche aussprechen und sich mit anderen verabreden. Die Ausstellung bietet die ganze Bandbreite dessen, was man seit 150 Jahren und danach für ein Porto von wenigen Pfennigen dem Briefkasten anvertraute. Da gab es patriotische Postkarten mit Bildnissen des Kaisers und seiner Familie sowie Szenen aus der "gehobenen Gesellschaft" und von prominenten Personen aus Theater und Film, aber auch solche vom Alltag der Soldaten und welche, die mit ihren Bildern auf politische Ereignisse eingehen. Geschildert wird der Alltag in Stadt und Land, und es werden auch Postkarten erotischen Inhalts gezeigt. Meist in Frankreich hergestellt, hat man sie nicht verschickt, sondern "unterm Ladentisch" getauscht. Gezeigt werden aus der Kaiserzeit stammende antisemitische Hetzpostkarten, auf denen kategorisch verkündet wird, dass dieses oder jenes Seebad oder Hotel "judenfrei" ist. Postkarten mit Bildern aus den damaligen deutschen Kolonien sind in der Ausstellung ebenso vertreten wie so genannte Jux- und Scherzpostkarten als Belege für oft derben Humor. Weitere Beispiele feiern Errungenschaften von Verkehr und Technik und bringen herausragende Werke der bildenden Kunst unters Volk.

Im Ersten Weltkrieg kamen Feldpostkarten hinzu, und auch Propagandakarten taten ihren Dienst, indem sie den Feind niedermachten und so die eigene "Wehrkraft" zu stärken versuchten. Aus der Zeit des Nationalsozialismus stammt gedruckte Propaganda, welche die "Volksgemeinschaft" schmieden half und faschistische Ideologie verbreitete. Einige von KZ-Häftlinge an Angehörige verschickte, von der Kommandantur streng zensierte Postkartengrüße sind ebenso ausgestellt wie vorgedruckte "Lebenszeichen", mit denen von Bombenangriffen im Zweiten Weltkrieg betroffene Menschen ihren Familien und Freunden signalisierten, dass sie wohlauf sind und wo sie sich im Moment befinden. Die Ausstellung endet mit Ausflügen in die bunte Postkartenwelt im geteilten sowie ab 1990 im geeinten Deutschland und lädt ein, den Rundgang in weiteren Räume fortzusetzen, in denen das Thema Kommunikation mit Büchern und Zeitungen sowie Hilfe von Telegrafen und Telefonen, Radio und Fernsehen und weiteren Mitteln belegt und kommentiert wird.

Ungewöhnliches Organisationstalent

Vermutlich hätten die Postkarte, die Telegrafie und das Telefon, einheitliche Posttarife und die Rohrpost sowie viele andere Errungenschaften des 19. Jahrhunderts auch ohne Heinrich von Stephans Zutun irgendwann ihren Siegeszug angetreten. Doch dank der Energie, Zähigkeit und Fantasie des Generalpostmeisters des Deutschen Reichs bekamen diese Neuerungen frühzeitig eine Chance und wurden Allgemeingut auf allen Kontinenten. Für den technischen Neuerungen gegenüber stets aufgeschlossenen Wilhelm II. war Stephan auch deshalb wichtig, weil er schnelle Verbindungen zu den deutschen Kolonien herstellte und die Flottenpolitik seines kaiserlichen Herrn unterstützte.

Bei der Regierung in Berlin, die die Bedeutung gut funktionierender Münz-, Verkehrs- und Postverhältnisse diesseits und jenseits der deutschen Grenzen wohl zu schätzen wusste, besaß der technikbegeisterte Stephan großes Ansehen. Man überhäufte ihn mit Orden und Titeln. 1870 ernannte Otto von Bismarck noch in seiner Eigenschaft als preußischer Ministerpräsident den Technokraten zum Generalpostmeister des Norddeutschen Bundes. Sechs Jahre später, nach der Verschmelzung des Reichstelegrafenwesens mit der Reichspost, wurde er zum Generalpostmeister befördert, später zum Staatssekretär des Reichspostamtes und 1895 zum Staatsminister. Mit jungen Jahren in das preußische Generalpostamt zu Berlin gelangt, bewies Stephan ungewöhnliches Organisationstalent und Pioniergeist und kletterte unaufhaltsam auf der Beförderungsleiter empor. Gegen den Willen phantasieloser Beamter modernisierte er den Dienstbetrieb bei der preußischen Post, schrieb ein Lehrbuch für Postbeamte, den man "Kleinen Stephan" nannte, forschte und publizierte über die Geschichte der Post in Preußen.

Zeiten tiefgreifender Umwälzungen

Entschlossene, weit in die Zukunft denkende Persönlichkeiten wie Heinrich von Stephan wurden gebraucht in einer Zeit, da die deutschen Fürstentümer und freien Städte "mit Blut und Eisen" unter der Hegemonie der Hohenzollern zu einem Kaiserreich zusammengeschweißt wurden. Heinrich Stephan, der 1885 von Kaiser Wilhelm I. für seine Verdienste um Thron und Reich geadelt wurde, lebte in Zeiten tiefgehender Umwälzungen. Alte Zöpfe wurden abgeschnitten, lieb gewordene Gewohnheiten über Bord geworfen. Nur so ließ sich der organisatorische und technologische Rückstand gegenüber anderen Ländern aufholen.

Noch vor der Bildung des Kaiserreiches im Jahr 1871 betrieb Stephan die Ablösung der 350 Jahre alten Thurn und Taxis'schen Postverwaltung, die in seinen Augen "bei den im deutschen Postwesen herrschenden, verworrenen, partikularistischen Verhältnissen eine besonders verhängnisvolle Rolle" gespielt hat. 1867 liquidierte er gegen eine Entschädigung von drei Millionen Talern die alte Thurn-und-Taxi-Post, deren Hauptsitz die von preußischen Truppen besetzte reichsfreie Stadt Frankfurt am Main war. Er saß mit am Tisch, als die Überwindung von Binnen- und Außengrenzen, die Vereinheitlichung von Münzen, Maßen und Gewichten, von Zöllen, Post- und Transporttarifen beraten wurde. Er bombardierte die Regierung mit Denkschriften, forderte im Interesse der ungehinderten Entwicklung von Handel, Wirtschaft und Gedankenaustausch die Überwindung postalischer Schranken. "Die Taxen müssen möglichst billig, einfach, leicht anwendbar und dem Publikum verbindlich sein und im richtigen Verhältnis zur Leistung (der Post) stehen", verlangte er.

Internationaler Postvertrag

Die Vereinheitlichung des Postwesens im Norddeutschen Bund mit der Einführung der Briefgebühr von einem Silbergroschen und einheitlichen Gebühren für den Paket-, Geld- und Zeitungsverkehr war das Modell für Maßnahmen nach der Reichseinigung von 1871, als Stephan die verschiedenen Landesposten in die einheitliche Reichspost zu überführen hatte. Das namentlich in ländlichen Bereichen übliche Briefzustellgeld wurde abgeschafft. Hier richtete Stephan Poststellen ein, die den Zustellverkehr erheblich vereinfachten. Die Post bekam nicht nur neue Pflichten, sondern wurde auch entlastet. So wurde ihr die traditionelle Personenbeförderung abgenommen.

Unter Stephans Federführung wurde 1873 in Berlin der Entwurf eines internationalen Postvertrags ausgearbeitet. Der Generalpostmeister nutzte dabei die Erfahrungen Deutschlands im Postverkehr mit Österreich, Dänemark, Spanien und anderen Ländern. Vorgesehen war die Einführung international geltender einheitlicher Posttarife für Briefe, Drucksachen, Warenproben und Geschäftspapiere. Klarheit, Übersichtlichkeit und vor allem niedrige Preise waren in Stephans Verständnis Voraussetzungen, Handel und Verkehr wirkungsvolle Impulse zu vermitteln. Da ein internationales Abkommen eifersüchtig gehütete Hoheitsrechte einzelner Länder berührte, hatte Stephan nicht geringe Widerstände zu überwinden.

Um den Eindruck zu vermeiden, dass sich das von vielen Ländern durch imperiales Gehabe und dem Griff nach Kolonien beargwöhnte kaiserliche Deutschland als Vormund anderer Staaten aufspielt, wurde der von Stephan schon lange vorbereitete internationale Postkongress nicht in Berlin, sondern auf neutralem Boden im schweizerischen Bern veranstaltet. Am 9. Oktober 1874 konnte nach hartem Ringen der "Allgemeine Postvertrag" unterzeichnet werden. Ihm traten 21 Regierungen bei. 1878 gaben sich die mittlerweile 33 Mitgliedsstaaten den Namen Weltpostverein, und der Allgemeine Postvereins-Vertrag hieß von nun an "Weltpostvertrag". Auf Heinrich von Stephans Initiative geht auch die Gründung des Berliner Postmuseums an der Leipziger Straße/Ecke Mauerstraße zurück, das heute als Museum für Kommunikation auch das Andenken seines Gründers pflegt.

4. September 2019

Zurück zur Themenübersicht "Ausstellungen, Museen, Denkmalpflege"