Blutiger Frühling 1919
Bezirksmuseum Lichtenberg schildert dramatische Ereignisse vor hundert Jahren und würdigt die Opfer entfesselter Soldateska



Das Museum Lichtenberg in der Türrschmidtstraße 24 ist Dienstag bis Freitag sowie am Sonntag von 11 bis 18 Uhr geöffnet, Eintritt frei. Was sich vor einhundert Jahren in Lichtenberg blutig ereignete, schildern die bis 5. Mai laufende Ausstellung und ein dazu passendes Buch.



Die Ausstellung schildert in Bild und Schrift, was Regierungstruppen und Freikorpsleute in Berlin, und nicht nur hier, angerichtet haben. Dass sie und ihre Befehlsgeber nicht zur Verantwortung gezogen wurden, gehört zu den traurigen Tatsachen rund um die Geburt der Weimarer Republik.





Die schweren Zerstörungen durch Artilleriebeschuss sind auf hundert Jahre alten Postkarte dokumentiert. Regierungssoldaten und Freikorpsleute konnten sich auf Noskes Mordbefehl berufen und gingen brutal gegen Revolutionäre vor.



Das Lichtenberg Museum schildert wichtige Stationen der Stadt-, Bau-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte. Manche Exponate wurden für die Ausstellung von Betrieben und einzelnen Personen zur Verfügung gestellt.



Das Foto vor der Erlöserkirche erinnert an mutige Menschen, die sich dem Allmachtsanspruch der SED entgegen stellten.



Die wie ein Denkmal gegenüber dem Lichtenberg Museum auf ein Podest gestellten Säulen trugen einstmals die Stadthausbrücke im Ortsteil Rummelsburg/Nöldnerplatz. Dass man sie aufbewahrt und nicht verschrottet hat wie vieles andere aus der Berliner Vergangenheit, darf gelobt werden.



Die kleine Tafel am Haus Pfarrstraße 134 ist einer Zeichnung von Heinrich Zille nachempfunden, der hier mit seiner Familie 1887/8 gelegt hat.



Heinrich Zille nannte seine Zeichnung von 1880 einen ersten Versuch, etwas aus dem Arbeiterleben zu komponieren. (Fotos: Caspar)

Wenn in diesen Tagen an die Errungenschaften der Novemberevolution von 1918 und den Umsturz nach der Abschaffung der Monarchie vor einhundert Jahren erinnert wird, dann geht es nicht nur um die Gründung der Weimarer Republik, die Zulassung des Frauenwahlrechts und die Annahme einer neuen demokratischen Verfassung. Es wird auch blutiger Straßenschlachten, der Ermordung linker Politiker und der Verelendung großer Teile der Bevölkerung bis in die Mittelschichten hinein gedacht. Das Bezirksmuseum Berlin-Lichtenberg in der Türrschmidtstraße 24 unweit des nach einem von den Nazis ermordeten Widerstandskämpfer benannten S-Bahnhofs Nöldnerplatz zeigt bis zum 5. Mai die Ausstellung "Schießbefehl für Lichtenberg - das gewaltsame Ende der Revolution 1918/19 in Berlin".

Die brutale Niederschlagung von revolutionären Erhebungen durch Reichswehr, Freikorps und Polizei war damals zum Mittel der Politik geworden und wurde Muster für weiteres bewaffnetes Vorgehen der Reichsregierung und ihrer Büttel gegen Streiks und revolutionäre Erhebungen. Wenn von den "Goldenen Zwanzigern" geschwärmt wird, so die Lehre der dem "blutigen deutschen Frühling von 1919" gewidmeten Ausstellung, sollte nicht übersehen werden, dass die Geburt der Weimarer Republik mit viel Leid, Blut, Tränen und Rechtsbeugung verbunden war.

Lichtenberg war damals eine noch recht ländlich geprägte Kommune vor den Toren Berlins, die erst 1920 im Zusammenhang mit der Eingemeindung mehrerer Städten und Dörfer der Reichshauptstadt zugeschlagen wurde. Im März 1919 fanden vor den Toren der Reichshauptstadt Berlin die letzten gewaltsamen Auseinandersetzungen in der seit November 1918 währenden Revolution statt. Die Ausstellung zeigt historische Fotos von Straßenkämpfen, die sich revolutionäre Soldaten und Zivilisten mit den um "Ruhe und Ordnung" bemühten Regierungssoldaten lieferten. Deren Aufgabe war es, die als Kommunisten, Bolschewisten und Spartakisten kriminalisierte Gegenseite mit aller Macht niederzuschlagen. Bilder von damals zeigen durch Artilleriebeschuss zerstörte Wohnhäuser, in denen Freikorpsverbände so genannte Novemberverbrecher vermuteten.

Nazis schändeten Gräber

Auf den Seiten diesseits und jenseits der Barrikaden hat man mehr als eintausend Tote gezählt, die auf dem Friedhof der Märzgefallenen sowie dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde und dem Friedhof Marzahn sowie an anderen Orten bestattet wurden. Als die Nazis 1933 an die Macht kamen, tilgten sie die Erinnerung an die Opfer der Massaker im Frühjahr 1919 und schändeten die Gräber. In der DDR wurden die Novemberevolution und ihre Opfer für propagandistische Zwecke ausgenutzt. Die SED lenkte das ehrende Gedenken auf ihre Mühlen und machte aus den dramatischen Ereignissen von 1918 und 1919 einen Teil ihres Gründungsmythos.

Die in der Ausstellung ausgelegten Zeitungen, Bilder und Zeitzeugenberichte schildern die dramatischen Ereignisse von vor hundert Jahren und geben den Menschen ein Gesicht, die Opfer entfesselter Freikorpsverbände wurden. Sie und regierungsnahe Truppen gingen, einen Schießbefehl des sozialdemokratischen Reichswehrministers Gustav Noske in der Hand, auf Uniformierte und Zivilisten los und erschossen wahllos alle diejenigen, in denen sie die ihnen so sehr verhassten Spartakisten vermuteten. Ob sie zu den Linken im Lande gehörten oder nicht, war der Konterevolution gleichgültig. Noske, der von sich sagte, einer müsse der Bluthund sein, hatte am 10. März 1919 angewiesen, jede Person sei sofort zu erschießen, die im Kampf gegen die Regierungstruppen mit der Waffe in Hand angetroffen wird. Das wurde als Freibrief angesehen, ungehemmt auf alle loszugehen, die nicht dem Weltbild der bisherigen Eliten entsprachen.

Ausgangspunkt des auf Noskes Befehl basierenden Lichtenberger Massakers war das in regierungstreuen und rechtsgerichteten Zeitungen gestreute Gerücht, wonach 60 Beamte im Polizeirevier an der Alfredstraße ermordet worden sein sollen. Diese Falschmeldung heizte die Rachegelüste der Nosketruppen und Freikorpsleute weiter an. Sie nahmen absichtlich nicht zur Kenntnis, dass die Polizisten nach ihre Entwaffnung nach Hause geschickt wurden, sondern zogen durch Straßen und Häuser und griffen "Verdächtige" auf, nahmen willkürliche Verhaftungen vor und stellten Unbeteiligte an die Wand. Kleinlaut gestand die Presse ein paar Tage später ein, dass der "Lichtenberger Polizistenmord" und Geschichten von abgeschnittenen Ohren und Nasen Falschmeldungen waren.

Verbrechen nicht vergessen

Nach zeitgenössischen Berichten genügten schon eine Uniform, ein Parteibuch oder eine Patronentasche und manchmal nur ein Verdacht von Nachbarn oder Spitzeln, dass die als "Hunde" bezeichneten Gefangenen vors Standgericht geschleppt, gefoltert und erschossen wurden. Noskes Leute und die Freikorpsverbände eroberten um den 11. März 1919 eine Straße in Lichtenberg nach der anderen. Wer konnte, floh über Hinterhöfe und Dächer. Der "weiße Terror" übte blutige Rache und wusste sich durch die Reichsregierung geschützt. An der Friedhofsmauer an der Möllendorffstraße nahe der Frankfurter Allee starben elf Matrosen, eine Frau und vier Unbekannte. Mit ihnen wurden auch woanders Männer, Frauen und Jugendliche vor die Standgerichte gezerrt und nach kurzem Prozess erschossen. Die alte Ziegelwand wurde vor einiger Zeit restauriert und erinnert mit Schrifttafeln daran, was hier vor einhundert Jahren geschehen ist. Den Mördern ist nichts geschehen, doch "Lichtenberg" ist bis heute unvergessen. Die dramatischen Vorgänge dort vor einhundert Jahren und nicht nur diese zeigen, wie schnell der so genannte Volkszorn entfacht werden kann, was Lügenmeldungen bewirken und welche fatalen Folgen eine gegen die eigene Bevölkerung gerichtete Politik hat.

Ein Gutteil der Wohnbebauung in der Umgebung des Nöldnerplatzes ist teilweise mit Remisen und kleinen Werkstätten in den Hinterhöfen noch erhalten und bildet ein geschlossenes Ensemble. Nach 1990 wurde das gesamte Gebiet fast vollständig und denkmalgerecht saniert. An der Stadthausstraße gegenüber dem Lichtenberg Museum kann man denkmalhaft aufgestellte "Hartungschen Säulen" betrachten, die die früher die Stadthausbrücke gestützt haben. Benannt nach dem Berliner Architekten Hugo Hartung, wurden die verzierten gusseiserne Pendelstützen für stählerne Eisenbahnbrücken in den Jahren zwischen 1880 und 1910 verwendet. Sie wurden zunächst beim Bau der Berliner Stadtbahn, aber auch bei der Hochlegung der Anhalter Bahn sowie bei den meisten danach erstellten Brückenbauwerken eingesetzt. Die Hartungsche Säule ist ein wichtiges und stilprägendes Element der Berliner Eisenbahnarchitektur und damit auch eng mit der Berliner S-Bahn verbunden.

Erlöserkirche war Ort der DDR-Opposition

Unweit des Lichtenberg-Museums führt der Weg zur 1892 geweihten Erlöserkirche, die zur Evangelische Paul-Gerhardt-Kirchengemeinde Lichtenberg gehört. Das neogotische Gotteshaus war die erste der im Rahmen des großangelegten Bauprogramms der Kaiserin Auguste Victoria fertig gestellten Kirchenneubauten in den Randbezirken der Reichshauptstadt. In den 1980er Jahren wurde das Gotteshaus durch die Aktivitäten der Friedensbewegung bekannt, die in der DDR mit Repressalien konfrontiert war. Spitzel der Staatssicherheit und Polizei waren ständige "Gäste" auf dem Kirchgelände. Im Wendeherbst 1989 drängten sich hier tausende Menschen zu Protestveranstaltungen und Fürbittengottesdienste. Im Ostteil Berlins gibt es vor und in verschiedenen Gotteshäusern solche Hinweise, so an und in der Elisabethkirche, der Samariterkirche, der Gethsemanekirche und der Zionskirche.

Wo Heinrich Zille lebte und arbeitete

Die Berliner Ortslage Victoriastadt, auch bekannt als Kaskelkiez nach der quer durch das Gebiet führenden Kaskelstraße, ist ein Wohngebiet im Ortsteil Rummelsburg im Südwesten des Bezirks Lichtenberg. Der Name ist ein Ausdruck der engen Verbindung, die zwischen Preußen und dem Deutschen Reich Ende des 19. Jahrhunderts zum Vereinigten Königreich unter Königin Victoria bestand, der Großmutter von Kaiser Wilhelm II. Als historische Arbeitersiedlung hat die Victoriastadt das Bild vom alten Berlin der Gründerzeit stark geprägt. Der Dichter und Zeichner Heinrich Zille verbrachte hier fünf Jahre seines Lebens und nahm viele Eindrücke aus der Umgebung in seine Studien und Zeichnungen auf. An ihn wird im Lichtenberg Museum mit einer bescheidenen Tafel erinnert. 1887 zog Familie Zille in die Türrschmidtstraße, wo im Februar 1888 Sohn Hans das Licht der Welt erblickte.

1890 erfolgte der nächste Wohnungswechsel an den Mozartplatz, heute Geusenstraße. Dort bekam das Paar im Januar seinen dritten Nachwuchs, den Sohn Walter. 1892 erfolgte der endgültige Umzug nach Charlottenburg, wo "Pinselheinrich" bis zu seinem Tod 1929 lebte. In den Osten der Stadt - so auch nach Lichtenberg - kehrte der Zeichner des Berliner Proletariats häufig zurück, vor allem zu Studienzwecken für Bilder aus dem "Milljöh".

Bevor Heinrich Zille "der" Zille wurde, hat er in verschiedenen Betrieben und lithografischen Werkstätten in Lichtenberg gearbeitet. Als Musterzeichner gestaltete er Entwürfe für Damenmoden und Beleuchtungskörper, er schuf Porträts von Arbeitskollegen, aber auch Kitsch- und Werbemotive. Später erlernte er in der Lithografieanstalt "Winckelmann & Söhne" die unterschiedlichsten grafischen Techniken wie Herstellung von Klischees, Buntdruck, Zinkografie, Retusche, Ätzradierung, sowie Lichtdruck und Fotogravur. Am 4. Mai 1890 erfolgte, quasi vor der Haustür der Zilleschen Wohnung, die Grundsteinlegung der Erlöserkirche in Anwesenheit von Kaiserin Auguste Viktoria, der Gattin Wilhelms II., im Volksmund auch "Kirchen-Juste" genannt. In dieser Wohnung kam am 9. Januar 1891 Sohn Walter zur Welt. .

6. März 2019

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