Adolph Menzel, das Auge des 19. Jahrhunderts
Ausstellung des Berliner Kupferstichkabinetts zeigt eine wenig bekannte Seite im Schaffen des großen Malers und Grafikers



Adolph Menzel war ein populärer Künstler, er war schon zu Lebzeiten Kult, wie wir heute sagen würden. Die von Reinhold Begas geschaffene Bronzeskulptur schmückt Menzels Grab auf dem Dreifaltigkeits-Friedhof II in Berlin-Kreuzberg.



Zu seinem 80. Geburtstag ehrte das Satireblatt "Kladderadatsch" Adolph Menzel mit einem Blatt, das Figuren aus seinem grafischen Werk als Gratulanten zeigt. Rechts beäugen Zeitgenossen den Künstler von liebevoll bis kritisch.



Das farbige Widmungsblatt aus dem Jahr 1869 zum fünfzigjährigen Betriebsjubiläum der Heckmannschen Maschinenfabrik in Berlin zeigt Arbeiter in rauchigen Werkstätten. Zu der von Werner Busch, Claude Keisch, Anna Marie Pfäfflin und Georg Josef Dietz vorbereiteten und kuratierten Ausstellung, die sich mit diesen Bildern befasst, erschien im Michael Imhof Verlag Petersberg ein umfangreiches Begleitbuch.



In seinem mit Gemälden, Skizzen und Gipsabgüssen vollgestopften Atelier war Adolph Menzel sein eigener Herr. Gelegentlich musste er auf einen Stuhl oder eine Leiter klettern, um seinen Werken ganz nahe zu sein.



Für sein monumentales, mit zahlreichen Einzelporträts versehenes Krönungsbild fertigte Menzel zahlreiche Raum- und Porträtstudien an. Da der 1861 auf den Thron gelangte König Wilhelm I., seit 1871 Kaiser Wilhelm I., zahlreiche Änderungswünsche hatte, fiel Menzel die Ausführung nicht gerade leicht und war wohl auch mit Frustration verbunden.





Um das Bild "Das Flötenkonzert Friedrichs des Großen im Schloss Sanssouci" authentisch malen zu können, fertigte Menzel zahlreiche Vorstudien an, hier die ganz in sich versunkene Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth auf einem Pastell von 1851, darunter ein Saal im Schloss Rheinsberg als Beispiel für die von ihm betriebenen intensiven Studien an historischen Objekten.





In den Holzstichen zu Franz Kuglers Buch von 1840 hat Adolph Menzel das Bild von Friedrich den Großen und seiner Zeit nachhaltig geprägt, oben Porträts der Gelehrten Euler und Maupertuis, darunter der "Alte Fritz", der bei seinem Ritt durch Potsdam von jungen Leuten umjubelt wird. (Fotos/Repros: Caspar)

Wir kennen den Maler Adolph Menzel als Schöpfer großer Schlachten-, Historien- und Industriebilder und kleiner, ausdrucksstarker Illustrationen für Bücher über deutsche und preußische Geschichte, insbesondere über die Zeit König Friedrichs II., des Großen. Der 1815 in Breslau geborene und 1905 in Berlin verstorbene Künstler, den man wegen des ihm von Kaiser Wilhelm II. verliehenen Adelstitels auch "kleine Exzellenz" nannte, war aber viel mehr. Er war ein scharfer Beobachter seiner Mit- und Umwelt, ein genialer Zeichner von Menschen, Tieren und Landschaften und fantasievoller Buchillustrator. Seine Bleistiftstudien und farbigen Zeichnungen dienten ihm vielfach als Gedächtnisstützen und Vorlagen für seine Gemälde. Gelegentlich porträtierte er Menschen in seiner Umgebung, ohne dass sie einen genialen Maler und Grafiker in ihrer Nähe vermuteten.

Er schaute aus seinem Fenster und hielt Straßenszenen fest, begab sich in eine rauchige Fabrikhalle für seine Studien zum "Eisenwalzwerk" und war auch dabei, als sich König Wilhelm I. von Preußen 1861 in Königsberg erst sich und dann seine Gemahlin Augusta krönte. Unentwegt zeichnend, hielt er in seinem Skizzenblock die Einrichtung von Schlössen, Kirchen und Wohnräumen fest, und wenn er das gerade nicht tat und an der Staffelei stand, betrieb er eine umfangreiche Korrespondenz mit Familienangehörigen, Freunden und Auftragebern. Seine ausdrucksstarke Handschrift könnte man als Kompensation für das betrachten, was dem klein gewachsenen Künstler fehlte. Als bei einem Hofball der hünenhafte Kronprinz Friedrich, 1888 für 99 Tage Kaiser Friedrich III., den kleinen Menzel auf den Arm nahm, soll sich dieser entwunden und das Fest empört verlassen haben.

Werkschau in abgedunkelten Räumen

Der nur 150 Zentimeter hohe und daher in der Berliner und preußischen Gesellschaft mit ihrem Hang zu "langen Kerls" ungewohnt kleine Künstler war Autodidakt. Er bildete sich mit unermüdlichem Fleiß vom Handwerker im lithografischen Gewerbe zu einem alles überragenden Künstler, der mit seinen auf intensiven Studien an Originalobjekten und zeitgenössischen Porträts orientierten Buchillustrationen und Historiengemälden wesentlich das Bild vom friderizianischen Preußen geprägt hat. Die bis zum 19. Januar 2020 im Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz am Berliner Kulturforum laufende Ausstellung "Menzel. Maler auf Papier" nennt den genialen Maler und Grafiker "Auge des 19. Jahrhunderts". Für sie traf die Sammlung aus ihrem mehr als 6.000 Arbeiten umfassenden und damit weltweit größten Menzel-Bestand auf Papier eine repräsentative, unbedingt sehenswerte Auswahl.

In den wegen der Lichtempfindlichkeit der Bleistiftskizzen, Aquarelle und Gouachen abgedunkelten Sälen werden rund einhundert sauber eingerahmte Werke hauptsächlich aus dem Bestand des Kupferstichkabinetts gezeigt. Mit ihnen wird erstmals ein fundierter Gesamtüberblick über Menzels malerisches Werk auf Papier geboten. Der Maler nutzte die gesamte Palette seiner künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten. Zu sehen sind sowohl farbige Einzelstudien als auch durchkomponierte Darstellungen. Darunter befinden sich Vorarbeiten für berühmte Gemälde wie das im Auftrag von Wilhelm I. zwischen 1861 und 1865 gemalte Krönungsbild oder das "Flötenkonzert Friedrichs des Großen".

Obwohl es zu seinen Zeiten schon die Fotografie gab, derer sich andere Maler für ihre Bilder bedienten, ging Menzel ganz traditionell vor und schilderte mit flottem Strich und ausgewählten Farben seine Umgebung sowie Menschen, die sein Interesse erregten, und solche aus vergangenen Zeiten, die er für seine Historienbilder benötigte. Indem Buch von 1840, das Franz Kugler Friedrich II., dem Großen, widmete, beschrieb Menzel, welche in preußischen Schlössern befindliche Vorlagen er für die dort präsentierten Holzstiche genutzt hat. Gezeigt werden überdies Proben aus dem 1863 bis 1883 für Menzels Nichte Gretel und seinen Neffen Otto geschaffene "Kinderalbum", sowie Entwürfe zum Tafelgeschirr der Königlichen Porzellanmanufaktur Berlin für die Silberhochzeit des Kronprinzenpaares Friedrich (III.) und Viktoria 1883 sowie Ehrenblätter für Industrielle und andere Arbeiten.

Kreidezeichnungen, Aquarelle und Gouachen

Adolph Menzel nutzte für seine Arbeiten auf Papier verschiedene Techniken, ist in der Ausstellung zu erfahren. Anders als die Ölmalerei, die den Bildträger fast vollständig bedeckt, bezog der Künstler Papier und seine Färbungen in seine Illustrationen ein. In raffinierter Mischtechnik kombinierte er Kreidezeichnung, Aquarell und Gouachen und erzielte damit ungeahnte Effekte. Die Ausstellung zeigt, wie Menzel kleine Papierformate für seine Darstellungen aus dem Alltag nutzte, etwa den Brand in einer Fabrik, wie Nachschwärmer am Aschermittwoch betrunken nach Hause torkeln oder wie es in einem Biergarten zugeht. "Menzel ist ein Erzähler in Bildern. Er lenkt die Aufmerksamkeit des Betrachters auf Besonderheiten, aus Skurrilitäten oder auf besondere Konstellationen", heißt es auf einer Tafel in der Ausstellung.

"Menzel auf Papier" dokumentiert in zehn chronologisch geordneten Kapiteln die verschiedenen Techniken, derer sich der Künstler bediente. Ein besonderer Schwerpunkt bildet die Pastelltechnik, die seit Mitte der 1840er- bis Ende der 1850er-Jahre für ihn eine entscheidende Brücke vom Zeichnerischen zum Malerischen darstellte. Viele Grafiken gelangten 1992 aus der Alten Nationalgalerie, wo sie lange aufbewahrt worden waren, in den Bestand des Kupferstichkabinetts. Einige Darstellungen sind Neuerwerbungen. So befindet sich das Bilderpaar "Herr" und "Dame im Coupé" aus dem Jahr 1859 seit ewigen Zeiten im Besitz der Königlichen, seit 1918 Staatlichen Museen und ihrer Nationalgalerie. Die infolge des Zweiten Weltkrieges verlorene "Dame" konnte im Januar 2019 nach jahrzehntenlanger Abwesenheit in das Berliner Kupferstichkabinett zurück kehren. So ist das sichtlich aneinander desinteressierte Paar erstmals wieder seit über 70 Jahren in dieser Ausstellung vereint, was dort freudig als Sensation bezeichnet wird.

Die 2018 für das Kupferstichkabinett erworbenen "Schlittschuhläufer" entstanden unmittelbar nach Menzels erstem Frankreichaufenthalt im Jahr 1855 und zeugen von der Moderne, wie Menzel sie in Paris bestätigt fand und wofür in der Ausstellung die Leihgabe aus der Hamburger Kunsthalle "Erinnerung an Paris" steht. Eine Leihgabe des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg ist das kostbar gerahmte Bild "Platz für den großen Raffael" als Beispiel für Menzels Anwendung verschiedener Techniken. Begonnen wurde es 1855 als Pastell und vollendet vier Jahre später in Gouache. Seit den 1860er-Jahren dominierte eine ausgefeilte Gouache- und Mischtechnik in Menzels Schaffen. Eindrucksvolles Beispiel dafür ist der "Schutzmann im Winter" (1860/1865), eine blattfüllende Schilderung aus der Gegenwart. Das Bild galt, wie auch das für das Krönungsbild geschaffene Porträt des Oberregierungsrats Knerk als Kriegsverlust. Seit diesem Frühjahr zurück an den alten Ort, können die Werke nun wieder in den Räumen des Kupferstichkabinetts am Kulturforum gezeigt werden.

Bilder für Freunde des Vaterlands

Adolph Menzels Œuvre wird auf 180 Gemälde, 1.200 Druckgrafiken, 12.000 Zeichnungen als Einzelblätter und in Skizzenbüchern geschätzt, darunter Deckfarben- und Bleistiftbilder. Hinzu kommen rund 1.600 Briefe. Im Menzel-Jubiläumsjahr 2015 konnte das Stadtmuseum Berlin das achtseitige Manuskript einer frühen Autobiografie des Künstlers von 1865 erwerben. Eine spätere Autobiografie von 1874 betitelte der knapp 60-jährige Menzel selbstbewusst ganz lapidar mit "ich.", womit auch der Titel der in Zusammenarbeit mit der Adolph Menzel Gesellschaft Berlin e. V. präsentierten Dokumentation mit reichem Begleitprogramm gefunden war.

Ein Jahrhundert nach der Thronbesteigung Friedrichs II., des Großen, erschien 1840 das von dem Berliner Kunsthistoriker Franz Kugler verfasste und den "Freunden des Vaterlandes" gewidmete Werk "Geschichte Friedrichs des Großen". Versehen mit Illustrationen von Adolph Menzel, erlebte die Biographie zahlreiche Auflagen. Die Idee des Leipziger Verlegers J. J. Weber, das Buch von dem jungen Adolph Menzel illustrieren zu lassen, erwies sich als glücklich und verkaufsfördernd und trug wesentlich zum Ruhm des Künstlers bei. Als Menzel 1905 in Berlin starb, folgten Tausende seinem Sarg. Kaiser Wilhelm II. war selbst zur Trauerfeier für den Ritter des Schwarzen Adlerordens in der Rotunde des Alten Museums gekommen. Die Schleife an seinem Kranz trug die für den Monarchen charakteristische Aufschrift "Dem Ruhmesverkünder Friedrichs des Großen und seines Heeres", eine Widmung, die der "Kleinen Exzellenz" vermutlich nicht gefallen haben dürfte. Denn er verstand sich keineswegs als Apologet der Hohenzollern und schon gar nicht ihrer Soldaten, sondern als ein um höchste Authentizität bemühter, emsig arbeitender Darsteller von Geschichte und Gegenwart mit Stift, Pinsel und Skizzenblock.

Genaues Studium der historischen Quellen

Kuglers Buch über Friedrich den Großen und die vielen anderen Veröffentlichungen über Preußen und seinen bedeutendsten König verlangten nach Bildern. Zwar ist das Aussehen des Alten Fritzen schon in seiner Zeit durch Gemälde, Radierungen, Stiche und Medaillen verbreitet worden, doch erst Menzels Darstellungen vermittelten den Menschen des 19. Jahrhunderts eine lebendige Vorstellung von dem Herrscher und Persönlichkeiten seiner Zeit. Indem Menzel die steifen und zopfigen Darstellungen des ausgehenden 18. Jahrhunderts, wie sie vor allem von dem Berliner Grafiker Daniel Chodowiecki für Almanache und Anekdotenbücher geschaffen worden waren, überwand, setzte er neue Maßstäbe, was die Darstellung historischer Ereignisse und Gestalten betrifft.

Seine Methode, gleichsam mit Stift und Skizzenblock auf Quellensuche zu gehen, begründete Menzel in einer Nachbemerkung für Kuglers Friedrich-Biographie. Im "Historischen Nachweis zum Verständnis einiger Illustrationen" wies der Maler und Zeichner darauf hin, dass er "in betreff der Person Friedrichs II., Porträts aller Altersstufen vom vierten Jahre an" benutzt hat, ebenso habe er Bildnisse anderer Personen studiert und sich an authentischen Örtlichkeiten umgeschaut. "Alles, was der äußern Gestaltung des Lebens, dem Zeitgeschmack und den mannigfaltigen Wandlungen desselben in Baulichkeiten, Geräten, Kostümen und allgemeiner Sitte angehört, beruht auf Studien charakteristischer Vorbilder, wie sie teils im Originale selbst, teils in Abbildungen oder in schriftlicher Überlieferung auf unsere Zeiten erhalten haben." Wichtige Lokalitäten, namentlich die königlichen Schlösser, seien fast durchgehend nach der Natur aufgenommen worden, notiert Menzel. Nicht mindere Sorgfalt sei auf die richtige Darstellung der Uniformen verwandt worden, wobei der in Berlin aufbewahrte Fundus originaler Kleidungsstücke "zum ausgedehntesten Studium" genutzt wurde.

26. September 2019

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