"Nur der Unwissende hasst die Kunst"
Das vor zehn Jahren wiedereröffnete Neue Museum auf der Museumsinsel kombiniert historische Substanz mit modernen Bauformen / Erinnerungen an Heinrich Schliemann und den Schatz des Priamos



Das Neue Museum und die Alte Nationalgalerie mit dem Reiterdenkmal des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. wurden nach dem Alten Museum auf dem Lustgarten errichtet, es folgten zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Kaiser-Friedrich-Museum und heutige Bode-Museum sowie das Pergamonmuseum. Der jüngste und letzte Bau auf der Berliner Museumsinsel ist die James-Simon-Galerie, von der man unterirdisch durch die Archäologische Promenade in weitere Bauten gelangt.



Da das Treppenhaus des Neuen Museums total zerstört war, hat David Chipperfield eine neue Lösung gefunden mit antiken Reliefs an den Wänden.





Der Zypernsaal und der Rote Saal, in dem früher das Kupferstichkabinett untergebracht war, sowie weitere Räume wurden, so weit es überhaupt möglich war, nach allen Regeln der Denkmalpflege wiederhergestellt.





Der preußische Staat finanzierte im 19. Jahrhundert Ausgrabungen im alten Ägypten, was die Archäologen mitbrachten, kann im Neuen Museum besichtigt werden.



Fundstücke aus Keramik und Metall sowie Grabbeigaben und andere Hinterlassenschaften längst vergangener Völker ziehen bewundernde Blicke auf sich.







Heinrich Schliemann schenkte 1881 den berühmten, aus vielen Goldgegenständen bestehenden Schatz des Priamos dem damaligen Völkerkundemuseum. Weil das "Troja-Gold" 1945 von der Roten Armee nach Moskau als Kriegsbeute mitgenommen wurde und sich immer noch dort befindet, können im Neuen Museum nur Kopien ausgestellt werden. Die Grafik oben aus dem Jahr 1874 zeigt, was in diesem Fund enthalten war. (Fotos/Repro: Caspar)

Das Neue Museum, die letzte Kriegsruine auf der Museumsinsel, wurde von 1999 bis 2009 nach Plänen des britischen Architekten David Chipperfield zu neuem Leben erweckt. Im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört, war das Gebäude, in dessen Giebel die ins Deutsche übersetzte lateinische Inschrift "Nur der Unwissende hasst die Kunst" prangt, jahrzehntelang ohne Dächer und mit offenen Mauern Wind, Frost und Wetter ausgesetzt. In der Endzeit der DDR gab es Pläne, das zwischen 1841 und 1859 von dem Architekten Friedrich August Stüler im Auftrag des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. errichtete Gebäude unter Zuhilfenahme alter Fotos und Pläne weitgehend in alter Schönheit zu rekonstruieren. Von diesem Plan rückten die Staatlichen Museen zu Berlin in den neunziger Jahren ab. 1997 gewann Chipperfield, seinem Prinzip des "behutsamen Weiterbauens" folgend, einen Wettbewerb für den Wiederaufbau des Neuen Museums als Kombination von altem Gemäuer und originaler Innenausstattung mit modernen, dem Altbau jedoch angepassten Zutaten.

Beim Neuen Museum blieb so weit als möglich die historische Substanz erhalten, was alt und was neu ist kann auch der Laie gut erkennen. Der erhaltene Bestand - Wand- und Deckenbilder, Säulen, gusseiserne Träger, Mosaikfußböden und Wandreliefs - erfalten ihre künstlerische Wirkung. Absichtlich wurden Kriegsbeschädigungen nicht übertüncht und nach alten Fotos und Zeichnungen ergänzt, sondern sind in ihrem torsohaften Zustand gut erkennbar. David Chipperfield und seine Kollegen haben nach eigenen Aussagen für jeden Raum ein eigenes Konzept entwickelt, "um den Zauber des alten Stülerbaues zu neuem Leben zu erwecken und den Geist des 19. Jahrhunderts in unsere Zeit hinüber zu retten. Alle Bau- und Restaurierungsmaßnahmen erfolgten in enger Abstimmung mit der Denkmalpflege, ein Prinzip, das auch bei den anderen Bauvorhaben auf der 1999 zum UNESCO-Weltkulturerbe erhobenen Museumsinsel gilt. Wo keine originale Substanz mehr vorhanden war, wurden in Anlehnung an das Original neue, gut zur Umgebung passende Lösungen entwickelt.

Von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart

Beim Neuen Museum war der Grad der Zerstörung sehr unterschiedlich. Einer der am besten erhaltenen Räume ist der Niobidensaal, bei dem fast alle Ausmalungen, Fußbodenmosaiken und vergoldeten Deckenträger erhalten waren. Hingegen gingen an anderer Stelle durch Kriegsbomben, Brand und Witterungseinflüsse ganze Gebäudeteile verloren, so der Nordwestflügel und der Südkuppelsaal, aber auch das eindrucksvolle Treppenhaus. In diesen Räumen haben Chipperfield und weitere Architekten neue Bauformen in Anlehnung an die historischen Volumina und Strukturen geschaffen. Es gibt Säle noch mit Resten der Ausstattung des 19. Jahrhunderts, an anderen Orten überraschen auch Mischformen und ganz moderne Gestaltungen.

Im Neuen Museum sind das Ägyptische Museum mit Papyrussammlung, das Museum für Vor- und Frühgeschichte und die Antikensammlung untergebracht. Die Ausstellung spannt den Bogen von der ältesten Menschheitsgeschichte bis zur Gegenwart. Der Rundgang endet mit Fundstücken, die bei Abrissarbeiten und Ausgrabungen in Berlin gefunden wurden. Zu sehen ist nicht nur, was in der historischen Innenstadt bei Abrissarbeiten und Ausgrabungen entdeckt wurde, sondern auch was die Außenbezirke zu bieten haben. So wird gezeigt, wie Archäologen im Ortsteil Biesdorf arbeiten und was ihre Untersuchungen ergeben haben. Glanzstücke sind fein gearbeitete Gegenstände aus der Bronzezeit und eine Goldmünze des römischen Kaisers Caracalla aus der Zeit um 215 nach Christus. Ein kleines Loch oberhalb des Kopfes dieses Herrschers zeigt, dass unbekannte Besitzer sie zu Schmuckzwecken benutzt haben. Wie das Goldstück in unsere Gegend gelangte, kann nicht gesagt werden. Bei anderen Ausgrabungen weiter nördlich sind ebenfalls antike, über Handelswege oder bei Kriegszügen aus fernen Gegenden in den Norden gelangte Goldmünzen geborgen worden.

Blick durch Virtual-Reality-Brillen

Das mit moderner Museums- und Sicherheitstechnik ausgestattete Haus wurde im Oktober 2009 wiedereröffnet. Ausgestattet mit der Büste der altägyptischen Königin Nofretete und einem spitzen, zu Zeremonialzwecken verwendeten Goldhut aus der Bronzezeit, ferner mit Herscherfiguren und Grabbeigaben aus dem Land der Pharaonen sowie Kostbarkeiten aus der Welt der Griechen und Römer und zahlreichen Bronze-, Silber- und Goldfunden aus Mitteleuropa strahlt das Neue Museum seither am Berliner Museumshimmel. Anlässlich der Wiedereröffnung vor zehn Jahren machen die Staatlichen Museen mit Hilfe von Virtual-Reality-Brillen erstmals den geradezu prunkvollen Zustand der Treppenhalle mit seinem im Zweiten Weltkrieg zerstörten Bilderzyklus wieder erlebbar. Zwei 360-Grad-Filme führen Besucherinnen und Besucher in eine Zeit, als die Wandseiten der Halle in ihrer kompletten Länge und bis in rund acht Metern Höhe bemalt waren und das Weltbild des 19. Jahrhunderts und die Grundgedanken des Museums zeigten.

Die Berliner Museumsinsel zwischen Spree, Kupfergraben und Lustgarten entstand ab 1830 als "Freistätte der Kunst und Wissenschaft". Bis die "Tempelstadt der Künste", so eine andere Bezeichnung für das Ensemble mit wirkungsvoller Förderung des preußischen Königshauses entstand, war das Areal hinter dem Lustgarten eine Brache, besetzt von Gärten und Lagerflächen. Im frühen 19. Jahrhundert erkannten kluge Köpfe, dass die Fläche nicht weit vom königlichen Schloss viel zu wertvoll ist, als dass man sie für die genannten profanen Zwecke verwenden sollte. Planungen, die königlichen Sammlungen öffentlich zugänglich zu machen und durch großzügige Ankäufe durch den Staat sowie Schenkungen von privater Seite auszustatten, gehen ins späte 18. Jahrhundert zurück, konnten aber erst nach den Befreiungskriegen von 1813 bis 1815 verwirklicht werden.

Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wurden die Berliner Museen geschlossen, ihre wertvollsten Bestände hat man ausgelagert. Bei den Bombenangriffen erlitten die Bauten auf der Museumsinsel zum Teil starke Schäden, danach hat man sie mit Ausnahme des besonders stark getroffenen Neuen Museums saniert und restauriert, so gut es ging. Nach der Wiedervereinigung 1990, die den Zusammenschluss der über beide Teile Berlins verstreuten Museen und Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz ermöglichte, wurde die Generalsanierung der "Insel" in Angriff genommen. Sie steht seit 20 Jahren auf der Unesco-Liste des Weltkulturerbes, was die Stiftung Preußischer Kulturbesitz zu besonders vorsichtigem Umgang mit der historischen Bausubstanz verpflichtet.

Warten auf den Schatz des Priamos

Im Neuen Museum gibt es manche Lücken, die beim ersten Hinsehen nicht sogleich ins Auge fallen. Das betrifft vor allem den von Heinrich Schliemann, dem Ausgräber des antiken Troja, den Berliner Museen geschenkte "Schatz des Priamos", der gleich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs auf Stalins Befehl von der Roten Armee als Kriegsbeute nach Moskau mitgenommen wurde und seither im Puschkinmuseum unter Verschluss gehalten wird. Bisher zwischen der deutschen und der russischen Regierung geführte Verhandlungen um die Rückführung der goldenen Preziosen führten bisher zu keinem Ergebnis, so dass das Museum für Vor- und Frühgeschichte sich mit Kopien, freilich sehr guten, begnügen muss. Schliemann schenkte die trojanischen Funde 1881 "dem Deutschen Volke zu ewigem Besitze und ungetrennter Aufbewahrung in der Reichshauptstadt". In einem Brief bedankte sich Kaiser Wilhelm I. bei dem zum Berliner Ehrenbürger ernannten Ausgräber und legte fest, dass die von Schliemann zum "Schatz des Priamos" erklärten trojanischen Funde in dem Museum für Völkerkunde für immer ausgestellt werden soll.

Während des Zweiten Weltkriegs zunächst in einem Berliner Banktresor und dann im Flakturm im Ortsteil Tiergarten, bekannt auch als Zoobunker, eingelagert, fielen die drei mit dem trojanischen Gold gefüllten Kisten der Kunstbeutekommission der Roten Armee in die Hände. Der damalige Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte, Wilhelm Unverzagt, konnte den Abtransport nicht verhindern. Offiziell hat die sowjetische Seite behauptet, dass die Preziosen als Kriegsverlust angesehen werden müssen, weshalb die Suche nach ihnen zwecklos ist. Erst in den späten 1980er Jahren sickerte durch, dass sich der Schatz im Moskauer Puschkinmuseum befindet, und so lohnte es sich nicht, seine Existenz weiter zu leugnen. Berliner Museumsvertreter haben ihn 1994 vor Ort gesehen, doch ihrem Antrag, ihn zurückzugeben, wurde nicht entsprochen. Stattdessen hat man die Fundstücke 1996 erstmals in einer großen Schliemann-Ausstellung in Moskau öffentlich gezeigt. Seither sind die Goldgefäße und der Schmuck, mit dem sich Schliemanns Frau Sophia porträtieren ließ, im Puschkinmuseum gezeigt. Wer also die Originale sehen möchte, muss dorthin fahren, aber die Kopien im Neuen Museum tun es auch.

10. Oktober 2019

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