Verwanzen, zersetzen, vernichten
Stasi-Museum Berlin dokumentiert in neuer Ausstellung widerwärtige Praktiken des DDR-Geheimdienstes





Die Freiluftausstellung vor dem Eingang zu Mielkes ehemaligem Amtssitz schildert das Ende des SED- und Stasistaates und schildert auch, was aus den riesigen Aktenbergen wurde, die der Geheimdienst in nahezu 40 Jahren angehäuft hat.







Dokumentiert werden im Berliner Stasi-Museum die perfiden Mittel und Methoden, wie Mielkes Leute den "Klassengegner" unterwanderten, bespitzelten, mundtot machten und in manchen Fällen auch in den Tod trieben und liquidierten. Die Fotos zeigen ein Gerät zum Fotografieren von Schriftstücken und Apparate zum Öffnen von Briefen.



In der Ausstellung sind Abhör- und Tonaufnahmegeräte zu sehen. Was abgehört wurde, hat man aufgeschrieben und gegen Dissidenten verwendet. Wie Mielkes Schlapphüte im Inneren und im Ausland den Leuten mit welchen Geräten hinterher schnüffelten, kann man ebenfalls vor Ort betrachten. Viele Geräte wurden 1989/90 vernichtet, zum Glück aber nicht alle.



Bei seinem legendären Auftritt verstieg sich Mielke am 13. November 1989 in der Volkskammer zu der Behauptung "Ich liebe doch alle, alle Menschen" und erntete höhnisches Gelächter. Das Video ist in den ehemaligen Amtsräumen des ostdeutschen Geheimdienstchefs zu sehen und zu hören. Rechts der Arbeitsplatz des allmächtigen Ministers. (Fotos/Repro: Caspar)

Wer von der Stasi, der Geheimpolizei der DDR, als feindlich-negativ eingestuft wurde, hatte nichts zu lachen. In den Verdacht des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) konnten Personen kommen, die politische, gegen das SED-Regime gerichtete Witze erzählten, einen Ausreiseantrag gestellt hatten, mit westlichen Journalisten sprachen, Umwelt- und Kirchengruppen angehörten, unter dem Motto "Schwerter für Pflugscharen" den Wehrdienst verweigerten und sich überhaupt nicht systemkonform verhielten, erkennbar an langen Haaren und einer auffälligen Kleidung, die es nicht im HO-Laden und im Konsum zu kaufen gab. Verdächtig waren auch junge Leute, wenn sie so genannte Ami-Musik hörten und danach tanzten. In den Blick von "Horch und Guck" kamen und bestraft wurden auch DDR-Bewohner, die so genannte Wirtschaftsverbrechen begangen hatten, den Geheimdiensten des "imperialistischen Klassenfeindes" Informationen lieferten und sich abfällig über die "führenden Persönlichkeiten von Partei und Staat" äußerten und sie zum Teufel wünschten.

Als feindlich-negativ wurde unter anderem das Erörtern und Befürworten feindlicher Argumente, Auffassungen und Theorien, die Verächtlichmachung der Politik von Partei und Regierung, das Lesen und Austauschen ideologisch zersetzender Literatur und von "Schundliteratur", aber auch antikommunistischer Publikationen einschließlich solchen von rechts- und linksextremistischen Organisationen, Gruppen und Kräfte, ferner feindlich-negative Witze, Lieder, Losungen und Sprechchöre eingestuft. Das galt auch für die Ablehnung des Wehrkundeunterrichts und des Wehrdienstes an der Waffe, die Weigerung, in die FDJ und andere Organisationen und der demonstrative Ausritt aus der FDJ sowie die Übernahme westlicher Moralauffassungen und Lebensweisen, worunter wörtlich Punk, Rocker, Popper und Tramper verstanden wurden. Die Bandbreite der Verbote war breit und ließ viel Spielraum. So konnte schon jemand in Verdacht geraten und in den Knast kommen, der beim Lesen des Romans "1984" von George Orwell oder des Buches "Archipel Gulag" von Alexander Solschenizyn, der Jugendillustrierten "Bravo" oder von Micky Maus-Heften und, ganz schlimm, des Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL erwischt wurde.

Gruselgeschichten auf drei Etagen

Die Bandbreite der gegen Partei und Staat gerichteten Tätigkeiten und Einstellungen war groß. Nahezu jeder konnte in Verdacht geraten, nicht nur der Nachbar auf der Etage in der Plattenbausiedlung oder die Kollegin nebenan am Arbeitsplatz. Es konnte auch unangepasste Parteimitglieder und Funktionäre treffen sowie solche, die sich bei der Führung durch unbotmäßige Forderungen nach mehr Demokratie und die Abkehr von einer Wirtschaftspolitik unbeliebt machten und die nicht den utopischen Vorstellungen von Honecker und seines Wirtschaftssekretärs Günter Mittag folgen wollten.

Wie das MfS auf Opposition der unterschiedlichsten Art und wie sie einzelne Menschen geradezu "fertig" machte und Gruppen unterwanderte, schildert eine neue Sonderausstellung im Stasi-Museum an der Ruschestraße in Berlin-Lichtenberg. Das Museum befindet sich im Haus 1 auf dem Gelände des früheren Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR. Hier residierte Minister Erich Mielke, ein Mann, der durch krankhaftes Misstrauen und cholerischen Ausfälle selbst seine engsten Mitarbeiter in Angst und Schrecken versetzte und von ihnen absolute Gefolgschaft verlangte, über alle Bescheid wissen wollte und keinen Widerspruch duldete. Das Haus entstand in den Jahren 1960/61 und ist umgeben von Plattenbauten, in denen einzelne Abteilungen des MfS untergebracht waren. Heute werden hier Führungen veranstaltet, und auf dem Hof ist eine Freilichtausstellung aufgebaut, die mit Bildern und Dokumenten über die friedliche Revolution in der DDR sowie den Mauerfall und seine Folgen bis zur Wiedervereinigung beider deutscher Staaten am 3. Oktober 1990 berichtet. Auf drei Etagen kann man sich über die Geschichte und Struktur des Geheimdienstes informieren, der sich laut tönend als "Schild und Schwert der Partei" bezeichnete und in der Tradition des sowjetischen Geheimdienstes Tscheka stand, weshalb die Stasi deren Chef Feliks Dzierzynski wie einen Heiligen verehrte und sich selbst als Tschekisten bezeichnete.

"Mielke in den Knast"

Von seinen original mit den alten Möbeln und Bildern erhaltenen Amtsräumen aus dirigierte Mielke in enger Abstimmung mit den Parteichefs Walter Ulbricht und ab 1971 Erich Honecker seine hauptamtlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sowie das riesige Heer von Informellen Mitarbeitern (IM), die für solche Zersetzungsmethoden und andere Maßnahmen eingesetzt waren. Nach Honeckers Entmachtung am 18. Oktober 1989, dem Fall der Mauer am 9. November 1989 und dem Rücktritt der von Willi Stoph geleiteten Regierung büßten auch Mielke und sein wie ein Spinnennetz die DDR überziehendes Ministerium Macht und Schrecken ein. Ungeheuerliche Dinge kamen ans Tageslicht, überall gab es Forderungen wie "Stasi in den Schacht" und "Mielke in den Knast". Heimlich und in aller Eile haben Stasileute brisante Dokumente und Gerätschaften vernichtet oder beiseite geschafft, doch blieben unendlich viele Beweisstücke und kilometerlange Aktenordner erhalten, deren Auswertung ein mit den Jahren sich vervollständigendes Bild vom Funktionieren der "Krake Stasi" ergibt. Eine gruselig anmutende Auswahl dieser Hinterlassenschaften wird seit vielen Jahren im Stasi-Museum und jetzt auch in der Sonderausstellung in der dritten Etage des Mielke-Baus gezeigt.

Manch ein Besucher hat in Mielkes Amtsräumen ein Déjà-vu beim Anblick von Minikameras in den schwarzen Stasitäschchen und Beuteln mit darin befindlichen Tonaufnahmegeräten, durch die sie einst ausspioniert wurden. Auf heimlich aufgenommenen Fotos sind Umweltgruppen und Kirchgemeinden zu sehen, die über den Zustand der DDR ganz bestimmt nicht im Sinne der SED diskutieren. Zu sehen sind Fotos und Lehrfilme der Stasi zu der Frage, wie man sich verkleidet und was Spitzel zu tun haben, die heimlich in Wohnungen nach geistiger "Konterbande" suchen. An einer Reihe trauriger Schicksale schildert die Sonderausstellung, wie ins Visier der Stasi geratene Menschen systematisch drangsaliert und zersetzt wurden. Dazu gab es die geheime Dienstanweisung 1/76 "Entwicklung und Bearbeitung von Operativen Vorgängen". Auf 61 Seiten wird aufgeschlüsselt, wie das MfS bei der "Bekämpfung subversiver Tätigkeit" vorzugehen hat und wie es durch verschiedene politisch-operative Aktivitäten auf feindlich-negative Personen sowie ihre Einstellungen und Überzeugungen in der Weise Einfluss nimmt, "dass diese erschüttert und allmählich verändert werden bzw. Widersprüche sowie Differenzen zwischen feindlich-negativen Kräften hervorgerufen, ausgenutzt oder verstärkt werden."

Berufliche Misserfolge, Selbstzweifel, Mobbing

Erklärtes Ziel war, um weiter den Stasi-Jargon zu verwenden, "die Zersplitterung, Lähmung, Desorganisierung und Isolierung feindlich-negativer Kräfte, um dadurch feindlich-negative Handlungen einschließlich deren Auswirkungen vorbeugend zu verhindern, wesentlich einzuschränken oder gänzlich zu unterbinden bzw. eine differenzierte politisch-ideologische Rückgewinnung zu ermöglichen." Das sah in konkreten Fällen so aus, das ins Visier der Stasi gelangte Personen heimlich oder zur Abschreckung und Verunsicherung ganz offen beobachtet und gegenüber Familienangehörigen, Freunden und Kollegen in Misskredit gebracht wurden. Dabei taten eindeutig-zweideutige Telefonanrufe, gefälschte Briefe und Fotos, Gerüchte über außereheliche Beziehungen und sexuelle Ausschweifung und kriminelle Aktivitäten ebenso Dienst wie die Anschuldigung, die betreffende Person sei als Spitzel für die Stasi tätig. Das wurde in einschlägigen Gruppen als Grund angesehen, sich von dieser zu distanzieren, es sei, der Coup wurde durchschaut.

Organisiert wurden berufliche Misserfolge durch künstlich eingebaute Fehler etwa in ein Architekturprojekt oder negative Gutachten über ein Buchmanuskript oder eine Dissertation. Ziel all dieser Maßnahmen war es, die betreffende Person auf den richtigen, den sozialistischen Weg zu bringen, und wenn das nicht gelang, sie zu isolieren, so dass sie, den ganzen Tag und auch nachts drangsaliert, gemobbt und an sich zweifelnd und in Depression verfallen, keinen "Schaden" mehr anrichtet. Als die Stasi in einer mecklenburgischen Kirchgemeinde den Diebstahl von "Tafelsilber" inszenierte, das für 6000 Mark im VEB Münze der DDR verkauft wurde, hat man die Absicht bemerkt, und so stieß die Aktion ins Leere.

Durch Zersetzung quasi in den Wahnsinn und dann auch in den Selbstmord getrieben wurde eine Ärztin, die sich in der Friedensbewegung betätigte und deren Fall in der Ausstellung geschildert wird. Während ihrer Abwesenheit brachten Stasileute in ihrer Wohnung absichtlich alle möglichen Dinge durcheinander mit der Botschaft: "Wir sind überall, wissen alles von dir, du entgehst uns nicht". Wenn die entsetzte und verunsicherte Frau im Bekanntenkreis davon erzählte, hat man ihr nicht geglaubt. Das Ziel der Stasi, die Frau in Angst und Schrecken zu versetzen, war erreicht. Sie zog sich aus der Friesenbewegung zurück und beging 1990 Selbstmord. Ob je die Täter zur Rechenschaft gezogen wurden, geht aus dem Ausstellungstext nicht hervor. Weitere Beispiele in der Ausstellung zeigen, wie auch Kinder für Zersetzungsmaßnahmen instrumentalisiert wurden.

Auch Kinder mussten leiden

Der ebenfalls von Zersetzungsmaßnahmen betroffene Bürgerrechtler Wolfgang Templin berichtete im Rückblick: "Die Drangsalierungen gegen unseren Sohn und der Versuch, uns die Kinder zu entziehen, waren für uns sehr belastende Situationen. Ich hatte mit meiner Berufssituation gelebt, aber es gab für mich keinen akzeptablen Grund, dass durch unser Engagement jetzt noch die Kinder betroffen wurden. Da stellte sich für uns die Frage, ob wir um der Kinder willen in eine Normalität zurückkehren." Der Aktivist in kirchennahen Friedens- und Menschenrechtsgruppen blieb bei seiner Haltung. Das ehemalige SED-Mitglied verlor seine Stelle als Mitarbeiter am Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR, erhielt Berufsverbot und arbeitete zwischenzeitlich als Putzhilfe, Waldarbeiter und Heizer.

Um Wolfgang Templin unter Druck zu setzen, führte das MfS gegen ihn den Operativen Vorgang "Verräter" durch. Er bekam unter anderem Anfragen auf eine angeblich von ihm geschaltete Kontaktanzeige sowie "Unterhaltsforderungen" bezüglich eines angeblich außerehelichen Kindes von ihm. Am 25. Januar 1988 wurde Templin als Teilnehmer an Protestaktionen im Rahmen der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration in Berlin mit seiner Frau Lotte und weiteren Oppositionellen wie Bärbel Bohley, Stephan Krawczyk und Freya Klier wegen "landesverräterischer Agententätigkeit" verhaftet und zur Ausreise in die Bundesrepublik gezwungen. Dort studierte er weiter und war nach dem Ende der DDR als Publizist und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR - BStU - tätig.

Geöffnet ist das Stasi-Museum Ruschestraße 103 Haus 1 in 10365 Berlin-Lichtenberg (Nähe U-Bahnhof Magdalenenstraße) täglich von 10 bis 18 Uhr, am Wochenende von 11 bis 18 Uhr, Internet www.stasimuseum.de.

13. Januar 2019

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