Als Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg anno 1640 mit 20 Jahren den brandenburgischen Thron bestieg, tobte noch der Dreißigjährige Krieg. Erst 1648 konnte er mit dem Frieden von Münster und Osnabrück beendet werden. Die Kurmark zählte zu jenen Regionen im Römisch-deutschen Reich, die von schrecklichen Truppendurchzügen, Plünderungen und Brandschatzungen, Seuchen, Entvölkerung und Tod betroffenen waren. Dessen ungeachtet gehörte der vor 400 Jahren, am 16. Februar 1620, in der Doppelstadt Berlin-Cölln geborene Herrscher mit der charakteristischen Hakennase zu den Gewinnern des bis dahin schlimmsten aller Kriege. Mit einer Reihe neu gewonnener, freilich über das ganze Reich verstreuter Ländereien konnte der Kurfürst sein Territorium nahezu verdoppeln. Wie er es schaffte, sein sich von Königsberg im fernen (Ost-)Preußen bis fast an den Rhein mit vielen Unterbrechungen erstreckendes Land politisch, wirtschaftlich und kulturell zu stärken, es durch Zuzug von Fremden zu bevölkern, den Städten zu neuem Leben zu verhelfen und die Haupt- und Residenzstadt Berlin-Cölln auszubauen, beschreibt der Historiker Jürgen Luh in einem zum 400. Geburtstag dieses Herrschers erschienenen Buch "Der Große Kurfürst - Sein Leben neu betrachtet" (Siedler Verlag München 2020, 335 Seiten und einige Abbildungen, gebunden 25 Euro, ISBN 978-3-8275-0096-0).
Ängste und Selbstzweifel
Über den von der borussischen Geschichtsschreibung als Gründer des preußischen Staates gepriesenen Kurfürsten gibt es Berge von biographischen Abhandlungen. Seine Porträts sowie Münzen und Medaillen sind in Schlössern und Museen ausgestellt, sein von Andreas Schlüter geschaffenes Reiterdenkmal aus Bronze stand früher auf der Berliner Schlossbrücke und schmückt heute den Ehrenhof des Schlosses Charlottenburg. Ein Barockdenkmal in Rathenow verherrlicht ihn in der Art römischer Imperatoren. Friedrich Wilhelms Urenkel König Friedrich II., der Große, lobte ihn über den Klee als Gründer der preußischen Monarchie und unerschrockenen Kämpfer für das Wohl seines Volkes. Dabei war Friedrich Wilhelm, wenn man sein Leben und seine Taten überschaut, ein Mann, der mehr zauderte und grübelte als dass er kraftvoll und überlegt gestaltete, an Mann voller Ängste und Selbstzweifeln und einer, der Bündnisse ebenso schnell schloss wie der sie kündigte.
Im Krieg gegen die Schweden hat man ihm dringend benötigte Hilfe von außen verweigert. Wieder einmal sah er sich unter Wert behandelt. Als ihm am 18. Juni 1675 bei Fehrbellin nordwestlich von Berlin der entscheidende Sieg über die Schweden gelang, schrieb dies der Fünfundfünfzigjährige nicht seinen Offizieren und Soldaten zu, sondern seinem Feldherrngenie und seinem unerschütterlichen Vertrauen in Gott zu. Verschiedene Medaillen verherrlichen mit Schlachtendarstellungen und Allegorien diesen Triumph. "Dies ist vom Herrn geschehen und wunderbar in unseren Augen" zitiert eine dieser Prunkprägungen aus dem Psalm 118.
Festungsbau in Berlin
In den Niederlanden politisch und kulturell geprägt und positiv von seiner Gemahlin Luise Henriette von Nassau-Oranien beeinflusst, startete der Kurfürst nach dem Dreißigjährigen Krieg in seinem am Boden liegenden Land ein umfangreiches Wiederaufbauprogramm, das Unsummen verschlang. Das entvölkerte Berlin wurde zur Festung ausgebaut, Verschönerungsmaßnahmen nach holländischem Vorbild wie die Anlage des Lustgartens und der Straße Unter den Linden wurden begonnen. Die Bevölkerung musste zur Sicherung der Doppelstadt durch einen Festungsgürtel Erdarbeiten ausführen und Geld bezahlen. Die Berliner taten dies mit großem Unmut, aber der Landesherr, über mögliche Belagerungen durch feindliche Mächte besorgt, ließ nicht mit sich reden und schlug Widerstand mit militärischer Gewalt nieder. Wenige Jahre nach seinem Tod am 9. Mai 1688 wurden die Bastionen wieder abgetragen. Auf der anderen Seite ist dem Großen Kurfürsten zu danken, dass er 1685 mit dem "Edikt von Potsdam" französische Hugenotten ins Land holte. Dieser Zuzug erwies sich als segensreich, weil die Glaubensflüchtlinge den Einheimischen nicht nur feine Sitten beibrachten sondern das Land kulturell und intellektuell aufrüsteten und auch die etwas dröge heimische Küche mit neuen Speisen und die regionale Sprache mit neuen Wörtern bereicherten.
Neuer Blick auf die Geschichte
Da Friedrich Wilhelm unter einer Art Minderwertigkeitskomplex litt, war er bemüht, seinen adligen Stammbaum weit zurück bis in die Antike zu verlängern, was natürlich bei der relativen Jugend des Hauses Hohenzollern vermessen war. Er erlaubte sich den Luxus einer Hochseeflotte, um aus seinem Land, holländischem Vorbild nacheifernd, eine See- und Handelsmacht zu machen und sich gegenüber etablierten Seefahrernationen zu positionieren. Allerdings schlugen Versuche fehl, auf Dauer in Afrika Fuß zu fassen, sondern kosteten nur viel Geld. Der Große Kurfürst die Früchte seiner Herrschaft nicht ernten. Er starb nach 48jähriger Regentschaft mit 68 Jahren und hinterließ ein gut geordnetes Land und einen reichen Staatschatz, der aber alsbald von seinem Sohn Friedrich III., ab 1701 König Friedruch I. "in" Preußen, verschleudert wurde. Wer sich mit brandenburgisch-preußischer Geschichte befasst und vielleicht auch das Schloss Charlottenburg besucht, wird, mit neuen Informationen über den Großen Kurfürsten, Schlüters imposantes Reiterdenkmal mit neuen Augen betrachten.
24. Januar 2020
Zurück zur Themenübersicht "Berlin, Potsdam, Land Brandenburg"