Frischekur für die Nikolaikirche
Turmfassade des als Museum genutzten mittelalterlichen Gotteshauses wird bis Ende 2020 saniert





Das zur Siebenhundertfünfzigjahrfeier Berlins 1987 komplettierte und als Museum genutzte Gotteshaus mit den auffälligen Spitztürmen ist umgeben von neuen, mittelalterlich anmutenden Giebelhäusern.



An der Nikolaikirche predigte im 17. Jahrhundert der Theologe und Dichter geistlicher Lieder Paul Gerhardt, und als Kantor war Johann Crüger hier tätig. Die Amtseinführung der nach der neuen Stadtverordnetenversammlung am 6. Juli 1809 ließ die Kirche zu einem Ort der Demokratie und Symbol freiheitlichen Denkens werden. Das macht sie uns besonders wertvoll.



Seit 1995 gehört das Museum Nikolaikirche zur Stiftung Stadtmuseum Berlin. Eine umfangreiche Dauerausstellung und sich ablösende Sonderausstellungen gewähren interessante Einblicke in die über 800-jährige Geschichte der Stadt.





In der Nikolaikirche haben wertvolle Grabmäler aus der Barockzeit den Krieg überstanden, so die prächtige, 1725 von Johann Georg Glume geschaffene Grabkapelle für den Minister Johann Andreas von Krautt und rechts das edel dekorierte Epitaph eines weitern preußischen Höflings.



Wegen der aktuellen Corona-Pandemie sind das Ephraimpalais und alle anderen Häuser des Stadtmuseums und weitere Museen und Kultureinrichtungen in Berlin geschlossen.







Das nach Seidenfabrikanten benannte Knoblauchhaus neben der Nikolaikirche birgt eine hochkarätig mit Möbeln, Bildern und Kunsthandwerk bestückte Ausstellung über die Biedermeierzeit in Berlin.



Bei Grabungen im Außenbereich der Nikolaikirche gefundene Bestattungen werfen ein interessantes Licht auf das Leben und Sterben der Urberliner im 12. und 13. Jahrhundert.



Von Archäologen und Bauleuten gefundene Reste ihrer kostbaren Ausstatung können in der Nikolaikirche betrachtet werden.(Fotos/Repros: Caspar)

Wer erinnert sich heute noch daran, wie es vor 40 Jahren, also 1980, rund um die Berliner Nikolaikirche ausgesehen hat? Die Kriegsruine bot ein trauriges Bild, es standen nur die Umfassungsmauern des im Zweiten Weltkrieg zerbombten Gotteshauses. Das gesamte Areal war eine Wüste, nur wenige Gebäude aus früheren Zeiten standen noch. Wer das Glück hatte, in das Innere der Nikolaikirche zu gelangen, sah überall Schuttberge und schaute hinauf in den blauen Himmel. So weit es in den Nachkriegsjahren möglich war, hatten Museumsleute, Restauratoren und Bauarbeiter steinerne Grabmäler geborgen und ins Depot gebracht in der Hoffnung, dass die Kirche eines Tages "aus Ruinen" auferstehen wird, wie es in der alten DDR-Hymne heißt. Dem standen aber Forderungen der SED-Bezirksleitung entgegen, sie und die Reste er alten Bebauung abzureißen und das Gelände ganz neu mit Wohn- und Geschäftshäusern zu besetzen.

Nur Experten wissen noch, dass es die Ruine der seit 1938 in staatlichem Besitz befindlichen Nikolaikirche eigentlich nicht mehr geben dürfte. Die mächtige Ruine störte in DDR-Zeiten die Partei- und Staatsführung und sollte abgerissen werden. Sie wollte den Gründungsort der Stadt in einen Gondelteich verwandeln, und auf dem ehemaligen Schlossplatz in der Nähe wollte man nach Moskauer Vorbild ein riesiges "Haus der Kultur und des Volkes" errichten. Vor allem der damalige SED-Bezirkschef Paul Verner machte sich für die Beseitigung der selbst noch in ihrem torsohaften Zustand ohne die spitzen Türme eindrucksvollen Nikolaikirche stark. Zum Glück besannen sich die DDR-Oberen eines Besseren und reservierten das Areal für einen noch zu schaffenden "politisch-kulturellen Bereich".

Verbindung von Alt- und Neubauten

Das Gotteshaus und das nach ihm benannte Nikolaiviertel erlebten in den 1980er Jahren als Konglomerat von Alt- und Neubauten seine Wiedergeburt. Eingeweiht wurde es 1987 zur Siebenhundertfünfzigjahrfeier Berlins. Der damalige SED-Generalssekretär und Staatsratsvorsitzende der DDR Erich Honecker und die ostdeutschen Medien lobten unisono die Leistungen der Bauarbeiter und Architekten, die Altes und Neues auf wunderbare Weise harmonisch miteinander verbunden haben, sowie die Staatspartei und ihren Generalsekretär, die das alles möglicht ermöglicht hätten. Schaut man genau hin, dann stehen echte Altbauten wie die Nikolaikirche, das Knoblauchhaus und das Kurfürstenhaus neben dem wieder aufgebauten Ephraimpalais und der Gerichtslaube und ganz neuen Plattenbauten, denen Giebel nach Art norddeutscher Backsteinhäuser verpasst worden waren.

Die Stiftung Stadtmuseum nutzt die im frühen 13. Jahrhundert begonnene und danach immer wieder umgebaute und erweiterte Nikolaikirche als Dependance des Märkischen Museums für ihre von den Anfängen bis zur Barockzeit reichenden stadtgeschichtliche Ausstellung. Weitere museal genutzte Häuser sind das barocke Ephraimpalais und das biedermeierliche Knoblauchhaus. Viele andere Bauten sind bewohnt oder werden gastronomisch und gewerblich genutzt. Als Gotteshaus und Begräbnisort des Berliner Adels und der gehobenen Bürgerschaft besaß die prächtig ausgestatte Nikolaikirche große regionale und überregionale Bedeutung.

Ausgewechselte Steine und neu verputzte Fugen

Am 20. März 2020 begann der Aufbau eines Gerüsts rund um die Turmfassaden der denkmalgeschützten Nikolaikirche. Ziel ist die Sanierung durch die Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM), die die Aufbauarbeiten in etwa fünf Wochen abschließen will. Danach werden die aus Feldstein gemauerten Geschosse auf behutsame Weise restauriert und neu verfugt. In einem zweiten Bauabschnitt werden bis Jahresende die Backsteine an den oberen Geschossen untersucht und saniert. Wie das geht, konnte man vor einiger Zeit an der Außenfassade der Marienkirche, wenige hundert Meter von der Nikolaikirche entfernt, beobachten. Dort haben Spezialisten ebenfalls die Steine untersucht und, wo es notwendig war, gegen andere ausgetauscht sowie die Fugen sachkundig geschlossen. An der Außenfassade der Nikolaikirche spiegeln sich die verschiedenen Bauperioden wider. Errichtet im 13. Jahrhundert, wurde das Gotteshaus immer wieder ergänzt, umgebaut oder saniert. So stammen die heutigen Zwillingstürme über den vier mittelalterlichen Feldsteingeschossen erst aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, zuvor musste die Kirche mit nur einem ihrer Türme auskommen. Beim Wiederaufbau bekam sie beide Türme zurück.

Bei der Sanierung der Nikolaikirche haben Archäologen vom Landesdenkmalamt inne Relikte der sakralen Ausstattung und draußen Überreste von zahlreichen Toten in einer Tiefe bis zu drei Metern gefunden. Die Grabstätten gehören zu einem Friedhof, der erst im frühen 18. Jahrhundert aufgegeben wurde. Die dicht übereinander geschichteten Gräber schmiegen sich eng an die gebogene Chorwand an und lassen einen Blick in die frühe Geschichte der Stadt zu. Nach Berechnungen der Bodendenkmalpfleger könnten hier etwa 400 Bestattungen liegen. "Das deutet auf drangvolle Enge hin und wirft ein interessantes Licht auf wenig komfortable Lebensverhältnisse im alten Berlin" sagte damals der Archäologe Uwe Michas, der auch Ausgrabungen in der Marienkirche und in der Klosterkirche betreute. Da und dort deuten Verfärbungen im Boden auf Bestattungen in Särgen. Sie sind schon längst vergangen, lediglich eiserne Griffe erinnern noch an sie. Geradezu elektrisiert war Michas angesichts des Schädels eines etwa 60jährigen Mannes, der in mittelalterlicher Zeit massive Verletzung vielleicht durch Schwerthiebe erhielt. Dass er die Verwundung überlebte, deuten verheilte Schlagspuren an. Viel Freude an seiner Genesung dürfte dieser offenbar sehr kräftige Mann nicht gehabt haben, denn nach einer Erholungsphase wurde er durch einen weiteren Hieb tödlich niedergestreckt. Da der Mann noch fast alle seine Zähne besaß, könnte er zum gehobenen Bürgertum gehört haben, das im Mittelalter blutige Fehden mit raubenden und mordenden Rittern austrug. Seit 1995 gehört das Museum Nikolaikirche zur Stiftung Stadtmuseum Berlin. Eine umfangreiche Dauerausstellung und sich ablösende Sonderausstellungen gewähren interessante Einblicke in die über 800-jährige Geschichte der Stadt. Der sechzigjährige Mann mit den Schädelverletzungen wenigstens muss als Methusalem gegolten haben. Sein geradezu biblisches Alter erreichte zu seiner Zeit kaum jemand.

Kreuzgewölbe mit alter Technik gemauert

Beim Wiederaufbau der Nikolaikirche stellte die Schaffung der Kreuzgewölbe eine große Herausforderung dar. Sie wurden nach alter Handwerkerkunst Ziegel für Ziegel ohne technische Hilfsmittel gemauert, wenn man von den elektrischen Aufzügen absieht. Bei der Ausgestaltung der Gewölbe über der eindrucksvollen Hallenkirche und der Seitenkapellen entschloss sich das damalige Institut für Denkmalpflege der DDR zu ungewohnt bunten Farben, über die seinerzeit gestritten wurde. Doch konnten Restauratoren den Nachweis erbringen, dass die roten, grünen, blauen, gelben und schwarzen Fassungen authentisch sind. Aufmerksamkeit verdienen die in Seitenkapellen stehenden beziehungsweise an den Pfeilern hängenden Epitaphien aus Stein oder Holz, die die Kirche zu einem Pantheon der führenden Berliner Familien machen. Unter ihnen Kunstwerken befinden sich reich figurierte Grabplatten aus der Renaissance- und Barockzeit sowie das mit einem vergoldeten Doppelbildnis und der Figur des Todes geschmückte Grabmal des Goldschmieds Daniel Männlich, eines der wenigen Werke, das der Hofbildhauer Andreas Schlüter für Berliner Bürger geschaffen hat.

Die Ursprünge der Nikolaikirche reichen in das frühe 13. Jahrhundert, die Gründungszeit Berlins, zurück. Propst Symeon, der 1237 und 1244 in Urkunden zum erstenmal Urkunden mit seinem Namen und Hinweisen auf die Schwesterstädte Cölln und Berlin unterzeichnete, predigte in der Nikolaikirche, deren um 1230 aus Granitquadern gebildeter Westbau aus der Frühzeit der Stadt stammt. Wenn man alte Darstellungen betrachtet, sieht man, dass die Nikolaikirche über Jahrhunderte nur einen Turm besaß, während ein bescheidener Dachreiter die Stelle des anderen einnahm. Im Zuge einer umfassenden Erneuerung der Nikolaikirche hat der damalige Stadtbaumeister Hermann Blankenstein um 1876 auf den Turmunterbau zwei schlanke Spitzen setzen lassen. Die Turmspitzen, die die Nikolaikirche heute schmücken, sind denen von Blankenstein nachempfunden.

Stadt ist älter als lange angenommen

Zu den herausragenden Resultaten der Grabung zählte vor einigen Jahren auch ein unscheinbares Stück grauer Keramik, das aus einer tiefen Erdschicht ans Tageslicht kam. Es handelt sich um den Ausguss eines flaschenförmigen Gefäßes, das nach ersten Untersuchungen aus dem frühen 13. Jahrhundert oder sogar noch aus slawischer Zeit stammen könnte. "Als offizielles Gründungsdatum der Doppelstadt Berlin-Cölln gilt das Jahr 1237, doch wie dieser Fund beweist, lebten hier im heutigen Nikolaiviertel offenbar Menschen schon längere Zeit vor dieser ersten urkundlichen Erwähnung", wertet Michas dieses interessante Indiz für die sehr frühe Besiedlung der Stadt in vorgeschichtlicher Zeit. Die Anthropologin Jeanette Fester leitete von den bisher ausgegrabenen sterblichen Überresten ab, dass im Umkreis der Nikolaikirche auffällig viele Frauen und Kinder beerdigt wurden. Die Fundumstände deuteten darauf hin, dass man vielleicht aus Sparsamkeits- oder Zeitgründen gleich mehrere Kinderleichen zu den Erwachsenen in die Särge gelegt hat. Anzunehmen sei, so Fester, dass man sich in Pestzeiten schnell der Verstorbenen entledigte. Die Gefahren, die von solchen Bestattungen im unmittelbaren Wohnbereich ausgingen, waren noch nicht bekannt. Die Archäologen versprechen sich neue Erkenntnisse über die Altersstruktur der Urberliner, ihre vor allem durch mangelhafte Ernährung bedingten Krankheiten, das zahlenmäßige Verhältnis von Männern und Frauen oder auch über die hohe Kindersterblichkeit und ihre Ursachen.

Auch an anderen Grabungsstätten im alten Berlin wie um Umkreis der Marienkirche und des Heiliggeisthospitals an der Spandauer Straße konnten die Archäologen und Anthropologen ähnliche Beobachtungen machen. Sie sind auch deshalb wichtig, weil Urkunden und Chroniken über das Zusammenleben der Menschen und wie sie sich angesichts von Gefahren aller Art über Wasser gehalten haben, kaum etwas berichten.

21. März 2020





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