Unbeschreibliche Gräuel im Kongo

König Leopold II. von Belgien musste 1907 seine Privatkolonie Kongo aufgeben, jetzt richtet sich die Volkswut auf sein Denkmal in Brüssel





Eine Kautschukschlange mit dem Kopf von Leopold II. windet sich auf der Karikatur des englischen "Punch" von 1906 um einen Bewohner des Kongo und nimmt ihm alle Kraft. Das in der Nähe eines Parks in Brüssel aufgestellte Reiterdenkmal ehrt den königlichen Kolonialherren aus dem Hause Sachsen-Coburg und Gotha, der Belgien von 1865 bis 1909 regierte.







Zahlreiche Karikaturen aus der Zeit vor und nach 1900 greifen die von Kolonialmächten angerichteten Gräuel und die Ausbeutung unterjochter Länder an.



Wer von den deutschen Kolonialtruppen bei der Niederschlagung des so genannten Boxeraufstandes in China hervorgetan hat, konnte mit einer solchen Medaille mit dem gegen einen Drachen kämpfenden Reichsadler und dem Monogramm Kaiser Wilhelms II. ausgezeichnet werden. Er hatte seine Soldaten ausdrücklich mit dem Befehl nach Asien geschickt, keine Gefangenen zu machen und kein Pardon zu geben. (Repros: Caspar)

Als der belgische König Leopold II. am 2. Dezember 1907 die ihm persönlich unterstehende Kolonie Kongo seinem eigenen Land verkaufte, tat er das nicht freiwillig. Seit Jahren schon stand der geschäftstüchtige Herrscher in der nationalen und internationalen Kritik, um die er sich offenbar aber nicht scherte. Geldgierig, wie der aus dem Haus Sachsen-Coburg und Gotha stammende, mit vielen anderen Dynastien verwandte Monarch nahm unbeschreibliche Gräuel in seiner "Privatkolonie", die 45 mal größer als das eigene Königreich war, in Kauf, ja er förderte den Terror sogar, um sich an der Ausbeutung des Kongo und seiner Bewohner zu bereichern. Der Monarch hatte sich das afrikanische Gebiet aufgrund von Schutzverträgen angeeignet, die mit 450 Häuptlingen abgeschlossen worden waren. Auf einer internationalen Kongo-Konferenz in Berlin 1885/86 wurde die Kolonie von anderen Mächten als "unabhängiger und neutraler Staat unter der Souveränität des Königs der Belgier" anerkannt. Daraus leitete Leopold II. ab, dort mit Hilfe skrupelloser Beamter und Militärs schalten und walten zu dürfen wie es ihm beliebt. Er richtete überall Militärstationen ein und heuerte einheimische Büttel an, die von weißen Offizieren kommandiert wurden und auf deren Befehl schreckliche Verbrechen an ihren Landsleuten begingen.

Schwarze Leben zählen

Im Zusammenhang mit der aktuellen Debatte über rassistische Verbrechen und Diskriminierungen zahlreicher Menschen in den USA und die sich aus dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd in Minneapolis weltweit entwickelnden "Black Lives Matter"-Bewegung (BLM, "Schwarze Leben zählen") und bilderstürmerischen Aktivitäten wird jetzt auch in Belgien gefordert, auch das Reiterdenkmal des wohl schlimmsten aller belgischen Könige in Brüssel zu stürzen. Es soll verschwinden, weil der König vor und nach 1900 die Kongolesen gezwungen hat, unter menschenunwürdigen Bedingungen in den Wäldern und auf Plantagen Naturkautschuk zu sammeln, der in Europa profitabel für Auto- und Fahrradreifen sowie andere Zwecke weiter verarbeitet wurde. Zum "System Leopold" gehörte, dass die unterjochten Dorfbewohner genötigt wurden, eine bestimmte Menge Naturkautschuk abzuliefern, weil man ihnen sonst die Hütten abbrannte.

Um Angst und Schrecken zu verbreiten und den Druck aufrecht zu erhalten, hackten des Königs Söldner nicht schnell und gut genug arbeitenden Einheimischen die Hände ab. Die anderen sollten daraufhin mit noch zu mehr Eifer den begehrten Rohstoff beschaffen und sich vor jedem Aufbegehren fernhalten. Wenn Kolonialsoldaten "Neger" erschossen hatten und Gewehrkugeln nachgezählt wurden, musste sie Hände der Getöteten vorweisen, sonst bekamen sie selber Schwierigkeiten. Eine weitere Geldquelle des geldgierigen Monarchen mit dem langen Bart war die Belieferung der übrigen Welt mit Elfenbein, das damals als "weißes Gold" hoch gehandelt wurde. Niemand hat gezählt, wie viele Elefanten dieser Geldquelle geopfert wurden. In seinem 1899 veröffentlichten Buch "Herz der Finsternis" schilderte der ehemalige Kapitän Joseph Conrad aus eigenem Erleben die brutalen Methoden, mit denen belgische Handelsgesellschaften und das Militär im Kongo vorgingen. Conrad sah, wie Soldaten Körbe voller abgeschlagener Hände in die Stützpunkte schafften um sie zu zählen, und er musste auch erleben, dass wie im tiefsten Mittelalter Köpfe von Hingerichteten auf Pfählen aufgepflanzt wurden.

Grauenvolle Nachrichten aus dem Reich der Finsternis

Dass im Kongo ein menschenverachtendes System von Zwangsarbeit existiert und hunderttausende, manche sprechen von Millionen Männer, Frauen und Kinder ums Leben kamen, kümmerte den König wenig. Er versuchte vergeblich, die seinem Ansehen wenig dienlichen grauenvollen Nachrichten aus dem Reich der Finsternis zu unterdrücken. Nach und nach aber drangen Informationen von den Kongo-Gräueln nach außen. Dafür sorgten Missionare und Menschenrechtsaktivisten, deren von grauenvollen Fotografien untermauerten Berichte vor allem in Großbritannien und den USA große Empörung erregten.

Bilder von Kongo-Bewohnern mit abgehackten Händen oder Füßen machten damals die Runde, außerdem ergaben Untersuchungen die Richtigkeit der Anschuldigungen, die gegen Leopold II. und sein Schreckensregime erhoben wurden. So blieb der Regierung nichts anderes übrig als zu handeln. Der Monarch wurde zwei Jahre vor seinem Tod veranlasst, sein afrikanisches Privatreich an den belgischen Staat zu verkaufen. Er strich umgerechnet acht Millionen Goldmark ein und blieb als einer der ganz besonders skrupellosen Monarchen des 19. und frühen Jahrhunderts in böser Erinnerung. Nach und nach wurden in der nunmehr Belgisch-Kongo genannten Kolonie die brutalen Zwangsmethoden gegenüber der einheimischen Bevölkerung aufgegeben. Erst 1910 hat man dort die Zwangsarbeit abgeschafft.

Bisher kein Thema in den Schulen

Belgisch-Kongo mit der Hauptstadt Kinshasa erreichte 1960 unter dem Namen Kongo-Kinshasa seine Unabhängigkeit und heißt heute Republik Zaire. Bis heute ist dort die Erinnerung an die grauenhaften Menschenrechtsverletzungen lebendig. Doch auch Belgien erinnert sich mehr und mehr seiner Kolonialgeschichte, wie das Vorgehen von Menschenrechtsaktivisten gegen Leopold II. und seine Denkmäler zeigt. Da man offenbar das Reiterdenkmal Leopolds II. nicht stürzen kann, hat man es mit frechen Sprüchen und blutroter Farbe beschmiert. Überall im Lande aufgestellte Büsten Leopolds II. allerdings wurden erst bemalt und dann publikumswirksam vom Sockel gestoßen. Dass Philippe, der heutige König der Belgier, die Nachkommen jener unterdrückten und ausgebeuteten Völker im fernen Afrika um Vergebung gebeten und ihnen Entschädigungen angeboten hat, ist nicht bekannt, wird aber von Menschenrechtsaktivisten gefordert.

In Belgien bedurfte es erst des Todes von George Floyd, dass man sich breiter als bisher mit der eigenen Kolonialgeschichte befasst. Die afrikanischstämmige Community, Zivilgesellschaft und Historiker hatten schon länger auf die Notwendigkeit dieser Art der "Bewältigung der Vergangenheit" hingewiesen, wie wir in Deutschland mit Blick auf die Verbrechen des Nationalsozialismus sagen. Doch passiert war bisher wenig. Belgische Schüler wissen kaum etwas darüber, wie grausam die Schergen Leopolds II. im Kongo gewütet haben. Stattdessen ist immer noch das Märchen vom königlichen Menschenfreund kolportiert, der Zivilisation, Sitte und Moral in das schwarze Afrika gebracht hat. Eine Bürgerbewegung fordert, der Verehrung für den blutbesudelten König der Belgier ein Ende zu setzen. Jetzt sieht es so aus, als seien Politiker bereit, die eigene Kolonialgeschichte nun auch in die Lehrpläne der Schule aufzunehmen. Dazu würde gehören, dass das Afrikamuseum bei Brüssel die belgische Kolonialgeschichte besser als bisher dokumentiert.

Requisiten des wilhelminischen Kolonialismus

Dass sich auch das Deutsche Reich als einer der letzten Staaten mit Kolonialbesitz an Kriegen, Massakern und Ausplünderung beteiligte, war lange im heutigen Deutschland kein Thema und wird neuerdings unter dem Motto "Wider den Rassismus" thematisiert und führt zu Überlegungen, wie man mit Kolonialdenkmälern und ebensolchen Straßenbezeichnungen umgehen sollte. In Hamburg hatten Studenten bereits 1961 gegen das als "kompromittierendes Requisit des wilhelminischen Kolonialismus" kritisierte Denkmal des deutschen Afrikaforschers und Kolonialbeamten Hermann von Wissmann protestiert. Das Bronzedenkmal zeigt den Reichskommissar und Befehlshaber der ersten deutschen Kolonialtruppe wie stolz ein König mit seinem Säbel posierend. Wissmann war 1889 und 1890 verantwortlich für die Niederschlagung eines Aufstandes ostafrikanischer Küstenbewohner. Es dauerte es sechs Jahre, bis die Figur vom Sockel gerissen wurde. Allerdings ließ der Hamburger Senat es bald wieder aufstellen. Nachdem 1968 Studenten die Bronze in einer öffentlichen Aktion abermals gestürzt hatten, verzichtete die Stadtregierung auf die Wiederaufstellung und lagerte das umstrittene Denkmal im Keller der Sternwarte Bergedorf ein. Suche springen In ein Antikolonialdenkmal verwandelt hat Bremen einen riesigen Elefanten aus Backstein. Er war 1931 als Reichskolonialehrendenkmal 1931 errichtet worden und war Wallfahrtsort der damaligen Kolonialbewegung. Erst 1989 gelang es, dem Kolonialdenkmal einen neuen Sinn zu geben.

20. Juni 2020

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