Schnaps gegen Cholera
Als 1831 Berlin von der "asiatischen Hydra" heimgesucht wurde, reagierten die Behörden hilflos und Ärzte unbedacht



Der "Totentanz" in der Berliner Marienkirche, ein 22 Meter langes und etwa zwei Meter hohes Wandgemälde aus dem späten 15. Jahrhundert, gehört zu den bedeutendsten Kunst- und Sprachdenkmälern der Mark Brandenburg. Experten sehen bei dem Fries einen Zusammenhang mit der Pest, die 1484 im mittelalterlichen Berlin-Cölln grassierte und viele Todesopfer forderte. In der Reformationszeit, als ein großer Bildersturm die Kirchen leer fegte, hat man ihn überstrichen. Erst im Spätherbst 1860 wurde der Reigen weiß gewandeter "Tode" mit 28 Vertretern geistlicher und weltlicher Stände von dem Architekten Friedrich August Stüler freigelegt.



Die Berliner Charité verdankt ihre Gründung im Jahr 1710 der Furcht des Königs vor einer aus Osteuropa vordringenden Seuche.



Das Denkmal auf dem Robert-Koch-Platz unweit der Berliner Charité zeigt den unermüdlichen Warner und Mahner Robert Koch in einem langen Gelehrtenmantel und ist ein Werk des Bildhauers Louis Tuaillon aus dem Jahr 1916.



Preußens König Friedrich Wilhelm III. drohte mit dem Gesetz vom 15. Juni 1831 seinen Untertanen, welche die Quarantäne-Maßnahmen der Behörden umgehen und weitere Anordnungen ignorieren, harte Sanktionen bis zur Todesstrafe an. Viel genutzt hat das aber nicht. Das satirische Blatt zeigt eine so genannte Cholera-Präservativ-Frau, die vorbeugende Mittel feil bietet. Vielen Betrachtern dürfte das Lachen im Halse stecken geblieben sein.



Unter den Cholera-Opfern war der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Ihm hatte es nicht genutzt, dass er vor der Epidemie in sein Gartenhaus im damals noch vor der Stadt gelegenen Kreuzberg flüchtete, denn er erlag ihr dort, drei Wochen nach der Feier seines 61. Geburtstags, am 14. November 1831. Die von Gustav Bläser geschaffene Bronzebüste aus dem Jahr 1872 ehrt ihn unweit der Humboldt-Universität. Robert Koch zeigt auf der Karikatur um 1900, wie man so genannte Spaltpilze in Schach hält.



James Hobrecht hat als Stadtbaurat für Straßen- und Brückenbau sowie Chefingenieur der Kanalisation wie kaum ein anderer das Berliner Stadtbild geprägt. Das Foto zeigt den Bau eines Kanalstrangs unter dem Alexanderplatz.



Das gusseiserne Schild schmückt die Fassade eines nach dem Zweiten Weltkrieg als Lapidarium genutzten Pumpwerks am Halleschen Ufer 78 im Bezirk Kreuzberg. Hier wurden die Abwässer aus der damaligen Friedrichstadt, der Dorotheenstadt, aus Alt-Cölln und dem Tiergartenviertel gesammelt. Das Radialsystem III war an eine Kanalanlage von insgesamt über 80 Kilometern Länge angeschlossen. Seine Fertigstellung am 1. Januar 1878 gilt als offizielles Datum für die Inbetriebnahme der Berliner Kanalisation.



Die Hanse- und Handelsstadt Hamburg wurde sicher auch wegen seiner internationalen Verbindungen wiederholt von Seuchen heimgesucht und hatte viele tausend Todesopfer zu verzeichnen. Die Medaille aus dem Jahr 1832 zeigt, wie ein Engel, ein flammendes Schwert in der Hand, die Pest besiegt. Das ovale Wappen auf beiden Seiten mit dem Adler über dem Bären weist nach Berlin. Indem der Künstler das Wappen veränderte, stellte er Bezüge zu Pestausbrüchen in Hamburg und Breslau im selben Jahr her.



Die Silbermedaille wurde zur Ehrung der Helfer in der Not anlässlich der Überwindung der Cholera 1892 vom dankbaren Hamburg geprägt. (Fotos/Repros: Caspar)

Pestsäulen, Pestkreuze und an Kirchenwände gemalte Totentänze erinnern uns daran, dass in vergangenen Jahrhunderten der "Schwarzen Tod" Millionen Menschen dahingerafft hat. Bereits in der Antike war die epidemisch auftretende, durch Bakterien übertragene Beulenpest und Lungenpest gefürchtet. So brach im Jahr 430 vor Christus im überbevölkerten Athen und darüber hinaus während eines Kriegs gegen Sparta eine aus dem Orient eingeschleppte Seuche aus und forderte viele Menschenleben. Im Mittelalter konnten sich die Bakterien durch Ratten und Mäuse rasant verbreiten. Begünstigend wirkte, dass die Menschen eng und unter schlechten hygienischen Bedingungen zusammen lebten, ein Thema, das bis heute in vielen Gegenden der Welt virulent ist. Der auch "Geisel der Menschheit" genannten Pest fielen Mitte des 14. Jahrhunderts in Europa 30 bis 40 Millionen Menschen zum Opfer, das war etwa die Hälfte der Bevölkerung. Auch in späterer Zeit hat es verheerenden Ausbrüchen, so 1630 in Italien, 1665 in England, 1720 in Frankreich, 1831 in Osteuropa und Deutschland und 1895 in China und Japan.

Die Schuld an den Katastrophen suchte man mangels besseren Wissens in gottloser und sündhafter Lebensweise, brachte sie aber auch mit dunklen Machenschaften von Hexen und Zauberern in Verbindung. Vor allem beschuldigte man Juden, Verursacher der Pest zu sein, und so blieben schreckliche Pogrome nicht aus, bei denen zahllose Menschen ums Leben kamen. Bei der aktuellen Corona-Krise werden imaginäre Weltregierungen und Geheimdienste sowie geldgierige Konzerne und andere Mächte beschuldigt, die Pandemie ausgelöst zu haben. Im Internet und den sozialen Medien kursieren die abenteuerlichsten Verschwörungstheorien, denen nicht wenige Menschen blind glauben.

Charité 1710 vom König gegründet

Die Gefahren konnten erst nach und nach gebannt werden, als man regional und weltweit sanitäre Schutzmaßnahmen einführte, die bakteriellen Ursachen der Pest erkannte und Schutzimpfungen durchführte. Ein Blick in die Vergangenheit lehrt, dass Regierungen und Gesundheitsbehörden vielfach erst aktiv wurden, als die Seuchen unzählige Opfer gefordert hatten. Bei Gefahr igelten sich Fürsten und ihre Familien, Patrizier und andere zur reichen und einflussreichen Oberschicht gehörenden Personen ein und überließen ihre Untertanen dem Großen Sterben. Um das Ausbreiten der Pest von Ostpreußen in die Mark Brandenburg zu unterbinden, ließ Preußens König Friedrich I. im Jahr 1710 an der Oder Brücken und Straßen sperren, um sich und seine Hauptstadt zu schützen. Was sich im Osten seines Reiches abspielte, war dem Herrscher und seiner Kamarilla egal.

Vorsorglich ließ der König vor den Toren seiner Haupt und Residenzstadt Berlin ein Pesthaus errichten. Obwohl "Spreeathen", wie man seit dem frühen 18. Jahrhundert die Stadt zu loben pflegte, von der Seuche verschont blieb, wirkte sich die Investition segensreich aus. Denn aus der bescheidenen Krankenanstalt entwickelte sich nach und nach die weltberühmte Charité, an der viel auch über Infektionskrankheiten geforscht und für den Infektionsschutz erreicht wurde. Robert Koch, einer ihrer berühmtesten Ärzte, schrieb einmal, er wünsche, "dass im Kriege gegen die kleinsten, aber gefährlichsten Feinde des Menschengeschlechts, eine Nation die andere immer wieder überflügeln möge". Das Zitat ist in den Sockel eines Marmordenkmals geschlagen, das Koch sitzend darstellt und auf einem nach ihm benannten Platz in der Nähe der Charité steht.

Feiern und saufen, als sei nichts geschehen

Europa, Preußen und Berlin wurden immer wieder von Seuchen heimgesucht, so auch im Jahr 1831 von der Cholera. Versuche, die aus Indien stammende und über Russland und Polen eingeschleppte Epidemie an der Oder aufzuhalten und die Hauptstadt abzuschirmen, erweisen sich als nutzlos. Die Verwaltung reagierte hilflos und mit ungeeigneten Mitteln, so etwa mit der Vorschrift, Straßenpassanten durch lautes Klingeln vor dem Transport von Cholera-Kranken und den Toten zu warnen. Nur unwillig nahmen die Berliner wahr, was da auf sie zukommt. Sie konnten sich die Leichenberge nicht vorstellen und feierten wie bisher, besuchten Restaurants, Theater und Feste und deckten sich vorsorglich mit Schnaps als bestes Mittel gegen die Seuche und die trostlose Zeit ein. Versteht sich, dass allerhand Scharlatane und Quacksalber auf den Plan traten und den Leuten angeblich hilfreiche Wässerchen und Pillen andrehten. König Friedrich Wilhelm III. wich mit seinem Hof zeitweilig nach Charlottenburg aus, wo er sich sicher fühlte, igelte sich aber bald wieder in seinem Palais an der Straße Unter den Linden ein und wartete ab. Ob das von ihm erlassene Strafgesetz und seine Drohungen bis hin zur Todesstrafe bei Übertretungen etwas gefruchtet haben, ist nicht zu erkennen, denn selbst Vertreter der Ärzteschaft verhielten sich unvorsichtig. Ihre guten Ratschläge beachteten die "Götter in Weiß", wie aus damaligen Berichten hervor geht, nur ungenügend.

Die vielen Leichenwagen und Begräbnisse, die hektischen Maßnahmen der Gesundheitspolizei und die Transporte mit den schwarz gekleideten Kranken- und Totenträgern sowie ihr Geläut, Absperrungen an den Stadttoren und Strafandrohungen ließen sich ebenso wenig ignorieren wie Reinigungsmaßnahmen der "Seuchenknechte" und die Vermummung besorgter Bürger, über die sich damalige Witzblätter lustig machten. Da die Cholera 1831/32 und in den Jahrzehnten danach nicht nur das in schrecklichen Wohnverhältnissen lebende Berliner Proletariat ergriff, sondern auch "höhere Stände", brach Panik aus. Das war nicht nur in Berlin so, sondern auch in vielen anderen Städten quer durch den Kontinent. Ignorantes Verhalten und ungeeignete Gegenmaßnahmen die "asiatische Hydra", wie man die Cholera auch nannte, der allein in Berlin 1.426 Menschen zum Opfer fielen.

Unbeirrt Vorwürfe gegen Behörden und Mediziner

Der bekannte Publizist Varnhagen von Ense schrieb Ende August 1831 seinem Schwager nach Hamburg: "Die Leute scheinen sich das Wort gegeben zu haben, an das wirkliche Dasein der Krankheit noch gar nicht zu glauben. Man leugnet die Sache mit Bestimmtheit, verlacht die Ärzte, die sich so grob getäuscht hätten, behauptet fröhliche Stimmung, lässt den König über voreilige Bekanntmachung sehr böse sein und dergleichen." Varnhagen von Ense berichtet weiter, dass Ärzte fröhlich Geburtstag feierten, kaum dass sie die Sektion von Cholera-Toten beendet hatten. Seiner Schwester Rosa Maria gegenüber stellte der streitbare Schriftsteller und Zeitkritiker am 27. Oktober 1831 Berliner Medizinern kein schmeichelhaftes Zeugnis aus: "Unsere hiesigen Ärzte [...] zeigen sich im ganzen nicht von sehr vorteilhafter Seite in dieser Krisis, am wenigsten die großbenannten und hochbetitelten, die lieber auf dem obrigkeitlichen Stuhl oder im vornehmen Saal als am Krankenbett sitzen und die Belohnungen und Ehrenauszeichnungen sich gelüsten lassen, welche vielleicht von Untergebenen verdient werden. Das medizinische Licht über die Cholera wird von hier aus nicht ausgehen, es müssten denn im Stillen junge Männer sinnen und arbeiten, deren Namen man noch gar nicht kennt. Schon dass keiner unserer Ärzte die Krankheit, welche man erwartete, an ihren früheren Aufenthalten zu sehen bemüht gewesen, sondern alle ihre Bekanntschaft hier abgewartet, gereicht der Behörde wie jedem Einzelnen zum Vorwurf." Varnhagen von Ense kreidet den Ärzten und Behörden an, dass sie an Irrlehren festhielten und mit Leidenschaft jede Gegenmeinung "wie eine politische Opposition" unterdrücken. Die amtliche Ansicht halte sic h fest "wie die päpstliche gegen Galilei, und wer in der Kirche auf Würden hofft, muss wenigstens im Schein die Sonne um die Erde laufen lassen."

Das Übel an der Wurzel bekämpfen

Vieles besserte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts, man versuchte, das Übel an der Wurzel zu bekämpfen und hatte einigen Erfolg. Beim Ausbau der Infrastruktur, Kanalisation und Wasserversorgung konnte in Berlin viel erreicht werden. Dennoch sollen in Preußen zwischen 1831 und 1894 mehr als 300.000 Menschen allein an der Cholera gestorben sein, die sich hier und anderenorts immer wieder zurück meldete. Andere Seuchen wie Tuberkulose und Diphtherie, die man "Würgeengel der Kinder" nannte, forderten weitere Opfer. Längst nicht jeder infizierte Mensch erkrankte, aber viele waren potenzielle Bakterienüberträger, so wie heute zahllose Menschen das Coronavirus in sich tragen und bei Kontakten mit anderen unbewusst weiter tragen. Dass es Zusammenhänge zwischen bakterienverseuchten Fäkalien und der Trinkwasserversorgung einerseits und Massenerkrankungen andererseits gab, stand für Robert Koch, Rudolf Virchow und andere Mediziner fest, denn schmutziges Abwasser, das in Flüsse und Bäche abgeleitet wurde, kehrte vielerorts ungereinigt über die Wasserleitungen in die Haushalte zurück. Deshalb wurde in Berlin streng auf die Ableitung über unterirdische Kanäle hinaus auf die Rieselfelder vor der Stadt geachtet. Viele dieser nach einem Plan von James Hobrecht mit erheblichem Finanzaufwand gebauten Leitungen tun bis heute ihren Dienst.

Die Verdienste des Stadtbaurats James Hobrecht, von Robert Koch, Rudolf Virchow und vielen andern um Berlin, seine Infrastruktur und seine hygienischen Zustände im 19. und 20. Jahrhundert können nicht hoch genug gelobt werden. Hobrechts Generalbebauungsplan sah die Neuordnung der Stadt innerhalb ihrer Grenzen und die Bebauung des Berliner Umlandes im Zuge der Stadterweiterung vor. Hobrecht und seine Helfer konnten an Erfahrungen anknüpfen, die unter Kaiser Napoleon III. beim zum Teil rabiaten, viele historische Bauten opfernden Umbau von Paris nach Plänen des Präfekten Georges-Eugène Haussmann sowie bei der Entrümpelung von London unter Königin Victoria erzielt wurden.

Seuchen waren in Hamburg ein trauriges Thema

Die von Hobrecht entworfene Straßenstruktur ist noch heute an vielen Stellen erkennbar ist. Ihm gelang es, das Wachstum der über ihre eigentlichen Grenzen hinauswuchernden historischen Stadt und ihrer Nachbarstädte in geregelte Bahnen zu lenken und ihr urbane Dichte und Repräsentanz zu verleihen. So konnte der innovative Stadtbaurat verhindern, dass Berlin in eine zersiedelte Industrielandschaft ohne klare Stadtkante ausuferte. Wegweisend war Hobrechts revolutionäres Entwässerungskonzept für die junge Reichshauptstadt, das von 1874 bis 1884 umgesetzt wurde. Bis dahin hatte man Abwasser und Fäkalien auf Straßen und über Gräben entsorgt. In der Stadt muss es übel gerochen haben. Hobrecht sorgte dafür, dass ein unterirdisches Kanalsystem gebaut wurde, durch das die Abwässer an die Peripherie geleitet und dort durch Verrieselung gereinigt wurden. Die Anlage der Rieselfelder, für die sich der berühmte Rudolf Virchow in unzähligen Parlamentsreden und Eingaben eingesetzt hatte, war überaus wichtig für die Bewahrung der Einwohner vor Seuchen. Allerdings stellte sich im Laufe der Zeit diese Art der Entsorgung des Abwassers als zunehmend für Menschen und Umwelt belastend heraus, weshalb man nach anderen Lösungen suchte und weniger nachteilige Klärwerke baute. Fest steht, dass die Anlage der übel riechenden Rieselfelder allemal besser war als die mit Fäkalien und Unrat versetzten Abwässer in die Spree und andere Flüsse zu leiten.

In Hamburg hat man alle Warnungen ignoriert und auch keine Lehren aus früheren Seuchenausbrüchen gezogen, deren es in der langen Geschichte der Freien und Hansestadt mit weitreichenden Handelsbeziehungen nicht wenige gab. So kam es im Sommer 1892 in dem Stadtstaat an der Elbe zu einem furchtbaren Cholera-Ausbruch. 8600 Menschen starben, nachdem Cholera-Bakterien aus der Elbe in Wasserleitungen und Brunnen gelangt waren. Senat und Bürgerschaft hatten sich jahrzehntelang auf den Bau einer Filteranlage nicht einigen können und bekamen nun eine grausige Quittung. Auch vermochten es die Stadtväter nicht, die unhaltbaren Wohn- und Hygienezustände in den Altstadtbereichen zu überwinden und menschenwürdige Lebensbedingungen zu schaffen. Der damals zu Hilfe gerufene Robert Koch kommentierte die Verhältnisse mit diesen Worten: "Ich habe noch nie solche ungesunden Wohnungen, Pesthöhlen und Brutstätten für jeden Ansteckungskeim angetroffen wie in den sogenannten Gängevierteln, die man mir gezeigt hat, am Hafen, an der Steinstraße, an der Spitalerstraße oder an der Niedernstraße. [...] Ich vergesse, dass ich mich in Europa befinde."

27. März 2020

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