"Ham Se jedient?"
Wer in Preußen des Königs blauen Rock trug, stand in der Ansehensskala ganz oben



Bei seinen aus dem Adel stammenden Generälen und Offizieren fühlte sich Wilhelm II. am wohlsten. Allerdings hatte er im Ersten Weltkrieg, was Strategie und Taktik betraf, nicht mehr viel zu melden. Die Befehlshoheit nahmen ihm Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg (4. von rechts am Tisch sitzend) und seine Leute ab.



Wenn Paraden wie hier auf dem Potsdamer Lustgarten mit dem Stadtschloss im Hintergrund konnte sich der Kaiser vor Begeisterung kaum auf dem Pferd halten, wie Zeitgenossen beobachtet haben wollen.



"Leute, Ihr verwechselt mich immer noch das mir und mich! Aufgepasst! Im Dienst allemal mir - außer Dienst mich!" lässt der Vorgesetzte seine Untergebenen wissen. Satirische Zeichnung von Wilhelm Camphausen in den Düsseldorfer Monatsheften 1848.



Laut königlicher Kabinettsordre vom 26. Juni 1848 sollten Soldaten künftig mit "Sie" anredet werden. Auf der Karikatur lautet die Umsetzung durch den Vorgesetzten so: "Sie Müller am rechten Flügel da, Sie Esel Sie! Wenn Ihr nicht gerade steht, so haue ich Dich hinter die Ohren, dass Ihm die Schwarte knackt" Er Schaafskopf - Sie!"



Während der Kaiserzeit freut sich ein Fähnrich: "Wenn man eijentlich so überlegt, wie unsereins alljemein jefeiert wird und was man sich jetzt alles erlauben darf, so kommt man doch zu der Überzeugung: die sozialen Zustände unseres teuren Vaterlandes können immerhin noch als janz jesunde bezeichnet werden."



Nachdem 1906 der Coup des Hauptmanns von Köpenick aufgeflogen war, machte sich alle Welt über Befehlshörigkeit und Uniformgläubigkeit lustig. Karikaturisten verliehen der damals noch selbstständigen Stadt Köpenick ein neues Wappen, und auch der Kassenraub sowie die Erniedrigung des Bürgermeisters und seiner Beamten waren Spottbilder wert.



Wilhelm Voigt, der Hauptmann von Köpenick, hätte nach Meinung des auf alles, was mit "Preußen" zu tun hat, schlecht eingestellten Münchner Satireblatt Simplicissimus den Friedensnobelpreis verdient, weil er ausgesprochen genial den preußischen Militarismus vor aller Welt bloßgestellt hat. (Repros: Caspar)

Bei "Preußens" musste man mindestens den Rang eines Leutnants haben, um Ansehen zu besitzen. Wer das nicht war, und mochte er noch so viele Millionen besitzen beziehungsweise ein geachteter Künstler oder Wissenschaftler sein oder sich sonst wie Verdienste um das Vaterland erworben haben, gehörte nicht wirklich zu besseren Gesellschaft. Wer auf die Frage "Ham Se jedient?" positiv antworten konnte, hatte jenen Männern einiges voraus, die nicht beim Militär waren. Soldaten und Offiziere waren auf den Wilhelm I., den König von Preußen, vereidigt, der nach 1871 zugleich deutscher Kaiser war. Von ihnen wurde unbedingter Gehorsam und die pünktliche Erfüllung der Befehle erwartet. Räsonnieren über deren Sinn oder Unsinn war nicht erlaubt, und wer Nachfragen wagte, hatte nichts zu lachen. Um so mehr machten sich Satiriker und Karikaturisten sowohl über blasierte Offiziere, die in der Regel aus dem Adel stammten, und einfache, von diesen absichtlich in Dummheit gehaltene und nur abfällig als Strammsteher und Kanonenfutter angesehene Träger von des "Königs blauem Rock" lustig, wie man damals die so gefärbten Uniformen nannte.

Uniformträger wie Soldaten, Polizisten, Post- und Bahnbeamten, durften sich als etwas Besseres fühlen. Sie standen unter dem besonderen Schutz des Staates. Wer schlecht über sie sprach, handelte sich ein Verfahren wegen Beamtenbeleidigung ein. Wenn ein Polizist auftauchte, erwartete er Respekt sicher, wenigstens offiziell. Die öffentliche Präsenz der bekanntermaßen barschen und unfreundlichen Ordnungshüter war gewollt. Ihre Aufgabe war es, die traditionell zu Ungehorsam neigenden Berliner einzuschüchtern und sofort abzuführen, wenn sich Widerstand regte.

Kaisers Warnungen vor der "Kommune"

Berlin war voll von Uniformen, ständig sah man Soldaten durch die Stadt marschieren. Paraden und Manöver waren an der Tagesordnung. Wenn Staatsgäste kamen, führte der Kaiser seine schimmernde Wehr, wie man sagte, unter klingendem Spiel und Fahnenschmuck vor. Historiker haben ausgerechtet, dass nicht weniger als 14 Garderegimenter sowie weitere Einheiten in der Reichshauptstadt stationiert waren, ergänzt durch Garnisonen im Umkreis. Binnen kurzer Zeit konnten sie von dort herbei beordert werden, wenn die Monarchie in Gefahr war. Eisenbahnlinien gestatteten ihre schnelle Verlegung, wenn etwa revolutionäre Unruhen niedergeschlagen und Streiks gebrochen werden sollten. Kaiser Wilhelm II. pflegte seine Untertanen mit verbalen Attacken und Warnungen vor der "Kommune" zu ängstigen oder, und das kam auch vor, für seine Maßnahmen zu begeistern. So drohte er der Opposition im Reich in der "Zerschmetterer-Rede" von 1890 an, sie zu vernichten, und versprach allen herrliche Zeiten und einen Platz an der Sonne an, die unbedingt seinem waghalsigen Kurs folgen.

Von seinen Soldaten erwartete der Kaiser, dass sie im Notfall auf ihre Brüder und Schwestern schießen, wenn es von ihnen verlangt wird. Ein Ministererlass forderte 1898 von der Polizei und dem Militär, schon beim ersten Steinwurf von der Schusswaffe Gebrauch zu machen. So genannte Schreckschüsse über die Köpfe der Volksmenge hinweg seien zu unterlassen, außerdem hätten Soldaten und Gendarmen, "falls sie bei Straßentumulten und Volksversammlungen mit bewaffneter Hand einzuschreiten genötigt sind, bei der Anwendung der Hiebwaffe nicht mit flacher, sondern mit scharfer Klinge einzuhauen".

Pulver trocken, Schwert geschliffen

Wilhelm II. machte durch Säbelrasseln und gefährliche Donnerworte immer wieder unangenehm auf sich aufmerksam und erntete im In- und Ausland viel Spott. In Reden und Trinksprüchen wie "Das Pulver trocken, das Schwert geschliffen, das Ziel erkannt und die Schwarzseher verbannt" oder, an seine Soldaten gewandt, "Ihr müsst bereit sein, Tag und Nacht euer Leben in die Schanze zu schlagen, euer Blut vergießen für euren König" gab er die Richtung seiner auf Konfrontation mit den anderen Großmächten und den Kampf gegen innere Gegner ausgerichteten Politik an. Er erwarte, sagte er im Jahr 1900 anlässlich eines Streiks der Straßenbahnangestellten, "dass beim Einschreiten der Truppen mindestens fünfhundert Leute zur Strecke gebracht werden." Obwohl solche Forderungen oft in kleinem Rahmen erhoben wurden, gelangten solche Brandreden angesichts der Geschwätzigkeit am kaiserlichen Hof an die Öffentlichkeit gelangten und wurden sofort von der Opposition mit heftigen Gegenreaktionen bedacht wurden. Das galt auch für den Standpunkt des sich gelegentlich volkstümlich gebenden, seine Untertanen stets mit "Du" statt mit "Sie" anredenden Herrscher, die "Kompottschüssel für den Arbeiter" sei voll und er sehe keine Möglichkeit, deren prekäre Lage durch humanitäre Zugeständnisse sowie demokratische Beteiligung an der Macht durch Reformierung des Wahlsystems zu erleichtern.

Wie weit die Uniformhörigkeit gehen konnte, zeigte im Oktober 1906 der Aufsehen erregende Coup des Hauptmanns von Köpenick. Das Satireblatt "Simplicissimus" schlug vor, den ehemaligen Zuchthäusler mit dem Friedensnobelpreis auszuzeichnen, "weil es ihm auf so unnachahmliche Weise gelungen ist, den Militarismus lächerlich zu machen". Dem kurzzeitig festgesetzten Bürgermeister Georg Langerhans der damals noch selbstständigen Stadt Köpenick und seinen Untergebenen blieb das Lachen im Halse stecken, denn sie waren auf einen verlotterten Hochstapler reingefallen. Hinterher behaupteten sie, die Tat als die eines Geisteskranken durchschaut und nur deshalb still gehalten zu haben, um Blutvergießen zu vermeiden.

Frecher Coup des Hauptmanns von Köpenick

Der frühere Schuster Wilhelm Voigt hatte kaum Aussicht, im kaiserlichen Deutschland ein normales Leben zu führen. Verkleidet mit einer abgeschabten Hauptmannsuniform, die er bei einem Trödler in Potsdam gekauft hatte, schnappte er sich unterwegs ein paar Wachsoldaten und befahl ihnen, mit ihm nach Köpenick zu fahren, um dort auf Allerhöchste Anordnung eine Verhaftung vorzunehmen. Die Soldaten gehorchten, hatte man ihnen doch eingebläut, dass der Offizier gleich nach dem "lieben Gott" kommt und Befehlen eines Vorgesetzten unbedingt Folge zu leisten ist. Im Rathaus ließ sich Voigt von dem erschrockenen Bürgermeister Georg Langerhans die Stadtkasse aushändigen. Doch waren nicht die von Voigt erhofften zwei Millionen darin, sondern nur rund 4000 Mark. Ihren Empfang quittierte der Hochstapler als "Hauptmann im 1. Garderegiment v. Malsam", um dann schleunigst zu verschwinden. Ausweisformulare zu erbeuten, nannte Voigt später als eigentliches Ziel seiner Tat, wohl um sich in einem besseren Licht erscheinen zu lassen.

Natürlich flog der freche Coup schnell auf. Gegen den flüchtigen Voigt wurde Haftbefehl erlassen, Flugblätter und Plakate charakterisierten ihn als Mann mit eingefallenen Wangen, schiefer Nase, gebeugter Kopfhaltung und "so genannten O-Beinen". Im Prozess ab 1. Dezember 1906 machten die Ortsgewaltigen von Köpenick keine gute Figur. Aus Scham über seine unrühmliche Rolle in der Affäre erklärte Langerhans am 19. Oktober 1906 seinen Rücktritt, nahm aber auf Bitten des Magistrats am 24. Oktober 1906 seine Amtsgeschäfte wieder auf. Die Presse berichtete ausführlich und nicht ohne Sympathie über den frechen Kassenräuber, der zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Kaiser Wilhelm II. zeigte 1908 Großmut und amnestierte ihn. Wilhelm Voigt war ein populärer Mann. Er schlug sich, von der Polizei misstrauisch beobachtet, mit Auftritten auf Jahrmärkten und Tingeltangel-Tourneen durchs Leben, bei denen er immer wieder von seinem Abenteuer im Rathaus zu Köpenick schwadronierte. Durch den Verkauf von Postkarten, die er mit "H. v. K." unterzeichnete, verdiente er ein bisschen Geld. Der Überwachung überdrüssig siedelte Voigt nach Luxemburg über, wo der 73-Jährige 1922 starb.

17. Dezember 2020

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