Vaterlandslose Gesellen
Politische Polizei überwachte und drangsalierte bereits im 19. Jahrhundert Freiheitskämpfer und Gegner der Monarchie





Die Grafiken aus dem 19. Jahrhundert schildern eine polizeiliche Haussuchung bei einer politisch missliebigen Person sowie wie Verdächtige unter den Tränen ihre Familien auf die Wache abgeführt werden.



Polizistenwitze und -karikaturen erheiterten die Menschen in der Kaiserzeit und nicht nur damals. Hier wird ein "armer Sünder" abgeführt, daneben macht sich ein "Bulle" in Berlin vor dem sprichwörtlichen Eckensteher Nante klein.



Als "politisch gefährliche Individuen" eingestuft wurden unter anderem der Komponist Richard Wagner, der Verfasser regimekritischer Gedichte und Angeklagter im Kölner Kommunistenprozess von 1859 Ferdinand Freiligrath sowie August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, der Dichter des Deutschlandlieds mit der Endzeile "Einigkeit und Recht und Freiheit / Für das deutsche Vaterland! / Danach lasst uns alle streben / Brüderlich mit Herz und Hand! / Einigkeit und Recht und Freiheit / Sind des Glückes Unterpfand. / Blüh im Glanze dieses Glückes, / Blühe, deutsches Vaterland!"



Flankiert von Spitzeln und Sicherheitsbeamten löst ein Polizist in der Kaiserzeit eine Arbeiterversammlung auf. Das Sozialistengesetz, das von 1878 bis 1890 galt, und andere Gesetze und Verordneten öffneten der behördlichen Willkür Tür und Tor.



In einem Schwarzen Kabinett, ausgestellt 2012 in Branitz bei Cottbus, wurden heimlich Briefe und Dokumente, die im Siebenjährigen Krieg zwischen Sachsen, Preußen und anderen Ländern kursierten, geöffnet, abgeschrieben und ausgewertet, um der Politik der jeweils anderen Seite auf die Schliche zu kommen.







Obwohl die DDR-Verfassung das Postgeheimnis garantierte, kontrollierte die Staatssicherheit ein- und ausgehende Briefe und Pakete sowie Telefonanrufe und überhaupt die Kommunikation der Bewohner des zweiten deutschen Staates und darüber hinaus. In der heute zur Gedenkstätte umgewandelten Zentrale des MfS an der Ruschestraße in Berlin-Lichtenberg sind Apparate zur illegalen Öffnung von Briefen mit Hilfe von Wasserdampf sowie zum Abfotografieren von Schriftstücken ausgestellt. (Repros/Fotos: Caspar)

Die großen Hoffnungen, die in die Revolution von 1848/49 gelegt wurden, erfüllten sich für viele Menschen nicht. Weder wurde Deutschland einig Vaterland, wie es in der Hymne der früheren DDR hieß, noch verschwand die unselige Fürstenherrschaft mit ihrem starren Oben und Unten, Arm und Reich auf dem Müllhaufen der Geschichte. Die polizeiliche Überwachung und die Zensur von Presse und Verlagen aus der Zeit des Vormärz blieben bestehen und wurden weiter ausgebaut. Wer von den Behörden als "vaterlandsloser Geselle" ausgemacht wurde, verlor Lohn, Brot und Freiheit, fand sich in Fahndungslisten wieder, stand unter polizeilicher Beobachtung und war Diffamierung und Willkürmaßnahmen ausgesetzt. Vor und nach der Reichseinigung von 1871 pflegten die Feudalaristokratie, Bourgeoisie, Richterschaft und Polizei alles, was nach Kommunisten, Sozialisten, Sozialdemokratie, Arbeiterbewegung, Republikaner, Gottlosen und Freisinnigen "roch" und irgendwie "rot und gemeingefährlich" war, pauschal als vaterlandslose Gesellen abzutun. Wer den Begriff benutzte, musste sich mit diesen Gruppen und ihren Zielen nicht auseinandersetzen, sondern schwang nur die Keule der Diffamierung, drohte mit Polizeiwillkür und Freiheitsentzug und versuchte, die Probleme durch Gewalt und zu ideologische Beeinflussung zu lösen, was auf Dauer aber nicht gelang.

Kriminelle als bezahlte Zuträger

Wie das in Berlin praktiziert wurde, hat Ernst Drohnke in seinem Buch "Berlin" von 1846 eingehend beschrieben, das 1987 mit einem Nachwort von Irina Hundt im Verlag Rütten & Loening Berlin neu herausgegeben wurde. Was der Journalist schrieb, trug ihm alles andere als das Wohlwollen der Obrigkeit ein, im Gegenteil. Er wurde "kommunistischer Tendenzen" beschuldigt und 1845 aus Preußen ausgewiesen. Doch statt sich damit abzufinden, hat er die Verfolgung und Ausgrenzung, derer er und andere Regimegegner ausgesetzt waren, in seinen "Polizei-Geschichten" angeprangert. Sein 1846 wegen eines zu erwartenden Zensurverbots in Frankfurt am Main veröffentlichtes Berlin-Buch ist eine grandiose, an die durch ihre Anklageschrift "Dies Buch gehört dem König" Bettina von Arnim und Schriftsteller, Mediziner und Revolutionär Georg Büchner geschulte Bestandsaufnahme der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Zustände in Berlin während der frühen Industrialisierung und der Zeit des Vormärz, also der Periode vor der Revolution von 1848/49.

In seinem Kapitel "Der Großmogul" dokumentiert Dronke drastisch, wie die Polizei Berlin, Preußen und darüber hinaus mit einem Netz von Zuträgern und Spionen überzogen hat und sich auch der Hilfe von Kriminellen und andern "Vigilanten" bedient, um staatsgefährdende Meinungen und Pläne auszukundschaften und Gegenmaßnahmen durchzuführen. In ihrem Auftrag mischten sich Spitzel unter politisch missliebige Zeitgenossen und meldeten eifrig alles weiter, was ihnen auffiel und zu Gerichtsverfahren, Ausweisung, Berufsverbot und weiteren "Maßregeln" führte. "Diese Leute mögen das, was gehört, oft auch was sie nicht gehört, ihren Vorgesetzten hinterbringen, denn ihre Stellung erheischt, wie schon bemerkt, deutliche Beweise ihrer Ergebenheit", stellt Dronke fest. Was er vor eineinhalb Jahrhunderten beschrieb, mutet noch sehr archaisch an und war nichts im Vergleich mit dem, was sich das Ministerium für Staatsicherheit hinsichtlich der Drangsalierung und Überwachung der DDR-Bewohner erlaubte! Dass sein Buch 1987, in der Endphase des zweiten deutschen Staates, als Neuausgabe erschien, ist erstaunlich, denn der Text liest sich stellenweise so, als sei er eine Beschreibung der dort herrschenden Zustände. Indem der Verfasser und nicht nur er, die Machenschaften von Polizei und Justiz öffentlich machte und auch Namen besonders eifriger Schnüffler und Rechtsbrecher nannte, zog er sich deren Zorn zu.

Postkontrolle im Schwarzen Kabinett

Dronke schildert so anschaulich, als hätte zugeschaut, Gesinnungsschnüffelei, Haussuchungen, politische Prozesse und geheime Postkontrolle, die in so genannten Schwarzen Postkabinetten erfolgte. "Unter den Postbeamten befinden sich Leute, welche von der Polizei besoldet und verpflichtet sind, sowohl diejenigen Briefe, welche den Adressen nach reglementmäßig hierzu gehören, als auch diejenigen, welche ihnen selbst von Interesse scheine, aus den Arbeitsschränken der Postexpeditionen an sich zu nehmen. Der Vorsteher des schwarzen Kabinetts erhalten diese zur ,Perlustration'". Auch die Versiegelung der Briefe ist für die Schnüffler kein Hindernis. Was verdächtig ist, musste abgeschrieben werden und zu den Akten getan, die man für weiter Maßnahmen und Untersuchungen angelegt hatte. Danach hat man die Briefe so präpariert, als seien sie unverletzt, und in den normalen Umlauf gegeben. Dass die Polizei spezielle Graveure beschäftigte, welche die Petschafte zu Versiegeln herstellen, hält Dronke für möglich, kann es aber nicht beweisen. Wenn ein Siegel erbrochen werden musste, pflege man ein neues mit dem Hinweis "Aufgesprungen angekommen" anzubringen.

Briefschnüffelei hatte in Preußen und anderen Ländern eine lange Tradition. Sogar ganz hoch gestellte Persönlichkeiten wie die Schwägerin von Ludwig XIV., Liselotte von der Pfalz, waren davor nicht gefeit. Sie wusste, dass der Inhalt ihrer Briefe von der Geheimpolizei des Sonnenkönigs mitgelesen werden und diesem mitgeteilt werden. Um die Schnüffler zu ärgern, benutzte sie in ihrer Kritik an hochstehende Personen und an den Zuständen am Hof zu Versailles immer wieder drastische Worte. Manchmal aber schrieb sie, was sie zu sagen habe, könne sie nur unter vier Augen bereden. Sie leistete sich auch den Spaß, die Beamten in den "Schwarzen Kabinetten" durch erfundene Geschichten an der Nase herumzuführen.

Siegel erbrochen und Briefe abgeschrieben

Um zu erfahren, was die gegnerische Seite tut und plant, schickten die Höfe in Berlin und Dresden währende der Schlesischen Kriege ihre Spione aus und ließen es sich viel Geld kosten, um Informationen über deren geheime Machenschaften zu bekommen. So verschaffte sich Friedrich II., der Große, über den Kanzleiangestellten Friedrich Wilhelm Menzel in Dresden gegen Geldzahlungen vertrauliche Nachrichten, die für seine Kriegsplanungen wichtig waren. Hatte lange der sächsische Premierminister Heinrich Graf von Brühl als Meister der Spionage gegolten, so waren es preußische Geheimagenten, die ihn an Raffinesse und Skrupellosigkeit übertrafen. Sie saßen über einen längeren Zeitraum quasi an der Hoftafel in Dresden und hörten mit, was in der Regierung besprochen und beschlossen wurde. Der in preußischen Diensten stehende Spion wurde gefasst, angeklagt und verurteilt. Nach 33 Jahren Haft auf der Festung Königstein starb Menzel 1796. Wie es beim heimlichen Erbrechen von Siegeln und Lesen von Dokumenten zuging, schilderte Ausstellung, die 2012 im Marstall des Pückler-Schlosses Branitz bei Cottbus unter dem Titel "Friedrich der Große und Graf Brühl. Geschichte einer Feindschaft" gezeigt wurde. Dort war ein nach französischem Vorbild eingerichtetes "Schwarzes Kabinett" zu sehen, in dem abgefangene Briefe geöffnet und die von Agenten zusammen getragenen und weitere Informationen für die Regierung wahlweise nach Berlin und Dresden weitergeleitet wurden.

Träger der Ideen und Leidenschaften der Revolution

Wer einhundert Jahre später ins Visier der Behörden geriet, wurde im "Anzeiger für die Politische Polizei Deutschlands. Ein Handbuch für jeden Polizeibeamten" zur Fahndung ausgeschrieben und mit deftigen Worten bedacht. Das 1855 publizierte Buch gab sich nach eigenen Worten als eine möglichst vollständige Zusammenstellung aller Individuen aus, "welche auf irgend eine Weise in der Zeit vom 1. Januar 1848 bis jetzt als Feinde der Regierungen, der Ruhe und Ordnung, wie als Träger der Ideen und Leidenschaften der Revolution auch auszeichneten, an die Spitze desfallsiger Bewegungen sich stellten, mehr als Masseninteressen an den politischen Ereignissen dieser Tage nahmen und diese Anteilnahme in äußere Erscheinungen der Opposition übertreten ließen". Im Fahndungsbuch standen Personen, die nach Meinung der damaligen Regierungen Verbrechen politischen Charakters begangen oder geplant haben sollen. In drei Kategorien unterteilt, wurden "größtenteils gefährliche Subjekte" beziehungsweise politisch nur bedenkliche Individuen in den Anzeiger aufgenommen, mit dem Denunziantentum Tür und Tor geöffnet wurde. Gemeint waren unter anderem der Schriftsteller und Dramaturg Karl Gutzkow, der Satiriker Adolf Glaßbrenner, der Publizist Arnold Ruge, der Literat und Autor einer voluminösen Berlin-Geschichte Adolf Streckfuß und viele andere als Personen. Ehemalige Barrikadenkämpfer, liberale und regimekritische Abgeordnete, Burschenschaftler, Freisinnige und Personen, die die Monarchie abschaffen wollten und eine bürgerliche Verfassung forderten, unterlagen der polizeilichen Überwachung, die bedeutende Aktenberge produzierte.

Unter den "politisch gefährlichen Individuen" befand sich auch der Komponist Richard Wagner, der als "einer der hervorragendsten Anhänger der Umsturzparthei, welcher wegen Theilnahme an der Revolution in Dresden im Mai 1849 steckbrieflich verfolgt wird." Sollte er sich von Zürich aus nach Deutschland begeben, soll er verhaftet und an das Königliche Stadtgericht zu Dresden abgeliefert werden. Als "Literat der bedenklichsten Art" stand Adolf Glaßbrenner für sein Gedicht über die Revolution von 1848 "Die Toten an die Lebenden" im Fahndungsbuch. Ferdinand Freiligrath handelte sich für den Aufruf "Die Throne gehn in Flammen auf, die Fürsten fliehn zum Meere! / Die Adler fliehn; die Löwen fliehn; - die Klauen und die Zähne! - / Und seine Zukunft bildet selbst das Volk, das souveräne!" das Prädikat "Pestbeule in der Geschichte der deutschen Literatur" ein. Der Dichter des Deutschlandlieds, Heinrich Hoffmann von Fallersleben, hatte die Ehre, im Fahndungsbuch als Feind der bestehenden Ruhe und Ordnung, als ein Feind der Fürsten und Regierungen bezeichnet zu werden.

Was die Geschichte lehrt...

Zu den Berliner Beamten, die sich bei der Überwachung und Verfolgung der Verdächtigen besonders hervor taten, gehörten bis 1848 Polizeipräsident Julian von Minutoli und nach ihm Karl Ludwig Friedrich von Hinckeldey, der 1856 an den Folgen eines Duells starb. Er trat im November 1848, wenige Monate nach der Märzrevolution, sein Amt an und baute dort die Abteilung 1 als Kampfzentrale aus. Um Lücken in der Überwachung über Ländergrenzen zu schließen, regte Hinckeldey 1851 an, die deutschen Bundesstaaten sollten einen Polizeiverein zur Überwachung aller deutscher Staaten bilden. Diese Idee wurde begierig aufgegriffen, und so kamen die führenden Beamten in der Folgezeit regelmäßig zusammen und tauschten ihre Erkenntnisse und Informationen sowie Pläne zur Verfolgung so genannter Hochverräter, Liberaler, Republikaner, Sozialisten und Kommunisten und anderer politisch Verdächtiger in Form von Wochenberichten und Fahndungslisten aus. Die Geschichte zeigt, dass die ausgeklügeltsten Überwachungs- und Repressionsmaßnahmen nicht den erhofften Effekt hatten, denn freiheitliches Denken und die Sehnsucht nach der Veränderung der herrschenden Verhältnisse ließen sich weder im altpreußischen Staat noch in der Kaiserzeit und danach ganz unterdrücken.

15. Dezember 2020

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