Sedan, Versailles, Paris und die Folgen
Der Militärhistoriker Klaus-Jürgen Bremm analysiert Vorgeschichte, Verlauf und Folgen des Deutsch-französischen Kriegs von 1870/71



Wie schon sein berühmter Onkel Napoleon I. anno 1815, hoffte auch der zweite Kaiser dieses Namens auf die triumphale Rückkehr nach Frankreich. Doch dazu kam es nicht mehr nach Ausrufung der Republik, denn die politischen Verhältnisse hatten sich grundlegend verändert, obwohl die Zahl der Monarchisten in Frankreich nicht klein war und große Unzufriedenheit mit den herrschenden Verhältnissen bestand.



Napoleon III. kommt ohne das Parlament nicht aus, Karikatur in Vanity Fair September 1869. Wilhelm Busch karikiert den Kaiser als Kartoffel, rechts Spottmünze auf seine Entmachtung nach der Schlacht von Sedan am 2. September 1870, der im Deutschen Reich als Feiertag begangen wurde.



König Wilhelm I. nimmt von einem Parlamentär einen Brief Napoleons III. entgegen, in dem er sich am 2. September 1870 in preußische Gefangenschaft begibt.



Kaiser und Kanzler sind in ernstem Gespräch versunken. In diesem Moment war nicht abzusehen, dass sich der Krieg noch lange hinziehen wird.



Die Denkmäler zur Erinnerung an die so genannten Einigungskriege 1864, 1866 und 1870/71 in Bernau, Berlin (Siegessäule), Luckenwalde und an vielen anderen Orten werden durch die antike Siegesgöttin Viktoria bekrönt.



Die ruhmvollen Reliefs, Bilder und Inschriften lassen kaum erkennen, welches Leid hinter den Namen der Gefallenen und den Namen von Schlachten steht. Das farbige Mosaik im Sockel der Siegessäule verherrlicht den Kronprinzen Friedrich (III.), Bismarck und andere Größen ihrer Zeit.



Im Deutsch-französischen Krieg wurde Mann gegen Mann gekämpft, und wer nicht sofort getötet wurde, starb auf dem "Feld der Ehre" unter großen Schmerzen oder kam, wenn er Glück hatte, in Gefangenschaft. Um die Hinterbliebenen hat sich der Staat kaum gekümmert.



Wilhelm I. telegrafierte am 2. März 1871 freudig-erregt seiner Gemahlin Augusta die Ratifizierung des mit Frankreich ausgehandelten Frieden. Druck von Ernst Litfaß in Berlin. Die Allegorie zeigt die triumphierende Germania mit der Kaiserkrone und dem Lorbeerzweig in den Händen über "alten Germanen" schwebend, die sich ewige Freundschaft und Waffenbrüderschaft beschwören.



Die französische Allegorie schildert, wie Gallia, die Symbolfigur des unterlegenen Frankreich, 1871 von den Siegern zur Unterschrift unter den Frankfurter Frieden gezwungen wurde.



Im ersten Halbjahr 1871 kamen zahlreiche auf Pariser Barrikaden kämpfende Kommunarden ums Leben, doch auch sie veranstalteten unter ihren Gegnern Blutbäder. Niemand soll sich seiner Sache sicher sein, eines Tages wird sich Frankreich am deutschen Kaiser Wilhelm I. für begangenes Unrecht rächen, sagt eine englische Zeichnung aus dem Jahr 1871 voraus. (Fotos/Repros: Caspar)

Obwohl der französische Kaiser Napoleon I. 1815 von den Siegermächten der Befreiungskriege unentrinnbar ins Exil auf die Atlantikinsel Sankt Helena verbannt wurde, wo er am 5. Mai 1821 mit nur 52 Jahren starb, blieb er doch im eigenen Land und darüber hinaus populär. Bei der Verehrung, die dem ersten Kaiser der Franzosen angesichts der rigiden, auf die Wiederherstellung der Verhältnisse vor der Revolution von 1789 gerichtete Restaurierungspolitik der wieder an die Macht gelangten Bourbonenkönige Ludwig XVIII. und Charles X. entgegen gebracht wurde, verwundert es nicht, dass sich Angehörige der Familie Bonaparte bereit hielten, um irgendwann die Macht im Lande wieder zu ergreifen.

Das gelang nach einigen misslungenen Versuchen dem 1808 geborenen Prinzen Charles Louis Napoleon Bonaparte, einem Neffen des ersten Napoleon. Er war ein Sohn von Louis Napoleon, den sein kaiserlicher Bruder 1806 auf den holländischen Thron gesetzt hatte, damit er dort französische Interessen vertritt. 1832 wurde der 24jährige Prinz Charles Louis Napoleon von seinen Anhängern zum Oberhaupt der Familie und zum Erben seines Onkels Napoleon I. erklärt. Als Kronprätendent fühlte sich der umtriebige, als Abenteurer und Scharlatan beschriebene Prinz berufen, das 1814/15 untergegangene Kaisertum wiederherzustellen und zu neuem Glanz zu führen.

Erst Präsident, dann Kaiser

Nach dem Sturz des letzten Bourbonenkönigs Louis Philippe in der Februarrevolution 1848 versuchte hatte der aus England in seine Heimat zurückgekehrte Prinz versucht, auf parlamentarischem Wege an die Macht zu kommen. Im Dezember 1848 wählten die Franzosen ihn mit deutlicher Mehrheit zum Präsidenten der Zweiten Republik. Da seine Amtszeit auf vier Jahre begrenzt und eine Wiederwahl nicht möglich war, führte er am 2. Dezember 1851 einen Staatsstreich durch und ließ sich im Anschluss für zehn Jahre diktatorische Vollmachten übertragen. Durch ein Plebiszit vom 21. November 1852 wurde die Republik in das Zweite Kaiserreich umgewandelt, und so er rief sich am 2. Dezember 1852 als Napoleon III. zum erblichen Kaiser der Franzosen aus. Der Tag war sorgsam ausgewählt, denn am 2. Dezember 1804 hatte sich der aus Korsika stammende General und Erste Konsul Napoleon Bonaparte in der Pariser Kathedrale Notre Dame in Anwesenheit von Papst Pius VII. zum Kaiser der Franzosen mit dem Namen Napoleon I. gekrönt. 2021 wird man in Frankreich den 250. Geburtstag des in Korsika geborenen Aufsteigers feiern und ihn dabei hoffentlich nicht nur als großen Staatsmann, Modernisierer und Heerführer feiern, sondern auch als skrupellosen Eroberer, Menschenschinder und Kunsträuber charakterisieren.

Im Ergebnis des von Preußen und Frankreich auf unterschiedliche Weise provozierten Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71 war es mit der Kaiserherrlichkeit vorbei. Nach der Niederlage seiner Armee in der Schlacht bei Sedan am 2. September 1870 geriet Napoleon III. in preußische Gefangenschaft. Der schwerkranke Monarch hatte sich mit den Worten "Mein Herr Bruder, da ich inmitten meiner Truppen nicht sterben konnte, bleibt mir nichts, als meinen Degen in die Hände Ew. Majestät zu legen. Ich bin Ew. Majestät geneigter Bruder." König Wilhelm I. von Preußen nahm die Kapitulation an, traf den kaiserlichen Gefangenen für ein paar Worte, wies ihm ein angemessenes Domizil im Schloss Wilhelmshöhe bei Kassel an und ließ ihn alsbald nach England ausreisen. Dort starb der Ex-Monarch am 9. Januar 1873 mit 65 Jahren und wurde in Farnborough, einer Stadt in der Grafschaft Hampshire, bestattet.

Mit dem Besen in den Orkus der Geschichte gekehrt

Auf Napoleon III., und nicht nur ihn, könnte zutreffen, was Johann Wolfgang von Goethe in den "Zahmen Xenien" um 1795 schrieb: ",Warum denn wie mit einem Besen / wird so ein König hinausgekehrt?' / Wären's Könige gewesen, / sie stünden noch alle unversehrt." Der Dichter meinte wohl, dass es Könige und ihresgleichen gibt, die sich um das Wohl ihrer Mitmenschen kümmern und von ihnen geliebt werden, und solche, die nur so tun und vor allem sich, ihr Fortkommen und ihre Macht im Auge haben und alles andere als vorbildlich und königlich handeln. Diesen Leuten geschieht ganz recht, dass man sie mit einem Besen in den Orkus der Geschichte kehrt, lautet die Lehre dieses Zitats aus der mit Friedrich Schiller verfassten, alles andere als zahmen Sammlung von Denk- und Weisheitssprüchen, mit denen die Dichter die Gebrechen ihrer Zeit und die mancher Zeitgenossen kritisch aufs Korn nahmen.

In seinem neuen Buch "70/71 - Preußens Triumph über Frankreich" (wgb Theiss Darmstadt 2019, 335 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 25 Euro, ISBN 978-3-8062-4019-1) schildert der Militärhistoriker Klaus-Jürgen Bremm, wie es vor 150 Jahren zum Deutsch-französischen Krieg kam und wie sein Verlauf war, welche Schlachten geschlagen wurden und was die Soldaten beider Kriegsparteien und die von Mord, Brandschatzung, Plünderung und Vergewaltigung betroffene Zivilbevölkerung erleiden mussten. Wir erfahren von Strategen und Schlachtenlenkern, die hier siegten und dort versagten, und vom qualvollen Tod der allein gelassenen Soldaten auf dem "Feld der Ehre", wie man damals sagte. Der Verfasser schildert Massaker und andere Kriegsverbrechen, über die die damalige Propaganda schwieg. Der Autor geht der Frage nach, warum sich am 2. September 1870 der schwerkranke, vergeblich den Tod auf dem Schlachtfeld suchende und von allen Hoffnungen verlassene Kaiser Napoleon III. dem preußischen König Wilhelm I. gefangen gab und was sich nach diesem spektakulären Akt der Unterwerfung in Frankreich, in Preußen und anderen deutschen Monarchien sowie im europäischen Ausland zutrug. Das Buch bietet eine Fülle von sorgsam recherchierten Informationen über das Innenleben des napoleonischen Frankreich und des wilhelminischen Preußen, führt deren Protagonisten vor und schildert, wie auf beiden Seiten der Hass gegen die anderen geschürt wurde und welche Folgen diese Politik hatte.

Die Zeichen stehen auf Sturm

Das Buch beginnt mit der Pariser Weltausstellung im Sommer 1867, von der sich der gelegentlich als Operettenkaiser verspottete Napoleon III. als Gastgeber nach erheblichen außenpolitischen Schlappen internationale Anerkennung, Aufwertung und innere Konsolidierung seines erodierenden Regimes versprach, wie Bremm schreibt. Die politische Bilanz der durch den Besuch von Kaisern und Königen "geadelten" Weltausstellung fiel dürftig aus, alle Bauten waren nach kurzer Zeit verschwunden. Die Zeichen standen auf Sturm, Napoleon III. suchte und brauchte Erfolge und nahm die Querelen um die Neubesetzung des spanischen Königsthrons durch den katholischen Prinzen Leopold von Hohenzollern zum Anlass, den in Bad Ems zur Kur weilenden König Wilhelm I. als Oberhaupt des Hohenzollern-Clans zum Verzicht auf die Kandidatur zu drängen. Daraus leitete Otto von Bismarck, damals preußischer Ministerpräsident, den Versuch einer Erpressung ab und gab diese Sicht mit der von ihm durch Kürzung im Ton verschärften "Emser Depesche" der Welt bekannt.

Der darüber erboste Kaiser der Franzosen erklärte am 19. Juli 1870 dem durch die Heeresreform von 1859/60 massiv gestärkte Preußen und seinen Verbündeten den Krieg. Schlecht vorbereitet und geführt, taumelte Frankreich in einen Kampf, der bereits am 2. September 1870 in Sedan mit der Kapitulation und der Gefangennahme des Kaisers hätte beendet werden können, wenn nicht auf beiden Seiten der Wunsch nicht übermächtig gewesen wäre, ihn auf Biegen und Brechen fortzusetzen. Wie Klaus-Jürgen Bremm an vielen Beispielen zeigt, herrschte bei den Franzosen Chaos. Die Truppen konnten nicht schnell genug mit der Eisenbahn von einem Ort zum anderen gebracht werden, die Überlegenheit der französischen Chassepot-Gewehre kam durch Verzettelung der Kräfte sowie Unfähigkeit und Kompetenzstreitigkeiten der Anführer nicht zum Tragen.

Kaiserproklamation in Versailles

Interesse verdient die Vorgeschichte der Proklamation König Wilhelms I. zum deutschen Kaiser im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles. Der Preuße hielt von dieser "Standeserhöhung", wie man sagte, nicht viel, ließ sich aber nach Erhalt eines ihn dazu drängenden Briefs umstimmen, den Bismarck dem bayerischen König Ludwig II. gegen Zahlung einer horrenden Bestechungssumme quasi in die Feder diktiert hatte. Zuhause erlebte der "Heldenkaiser" eine Serie jubelnder Huldigungen, und mit ihm wurde auch Otto von Bismarck als "Schmied des Reiches" viel Ehre zuteil. Die Zahl der Denkmäler, die beiden Protagonisten der Reichseinigung von 1871 gewidmet wurden, war unübersehbar. Allerdings gingen viele Monumente dieser Art, aber auch Kriegerdenkmäler seither verloren.

Die von Preußen geführten deutschen Heere beließen es nicht bei der Eroberung französischer Festungen und der Gefangennahme zahlloser Soldaten und ihrer Vorführung im jubelnden Berlin, sondern gingen zur Belagerung und Beschießung von Paris über. Auf den Schlachtfeldern wurde weiterhin massenhaft gestorben, und wer nicht gleich erschossen oder erschlagen wurde, starb einen elenden Tod, ohne dass die wenigen Sanitäter helfen konnten. Die Schilderungen vom einsamen Sterben der als Kanonenfutter für fremde Ziele missbrauchten Soldaten, aber auch was auf beiden Seiten der Zivilbevölkerung angetan wurde, gehören zu den besonders schwer zu verkraftenden Kapiteln des Buches. Was sich jenseits der Hauptquartiere in besetzten Schlössern und glänzenden Paraden, der Ordensverleihungen und Empfänge tat, steht in scharfem Kontrast zu dem, was der Krieg an Leid, Tod und Zerstörung angerichtet hat. Die nach 1871 einsetzende Heldenverehrung auf deutscher Seite war für die Verwundeten und Invaliden und ihren vielfach in Not lebenden Familien nur ein schwacher Trost. Wie immer in solchen Kriegen zahlte am Ende das einfache Volk die Zeche.

Friedensvertrag von Frankfurt am Main

Der Friedensvertrag von Frankfurt am Main zwischen dem Deutschen Reich und der besiegten Republik Frankreich zementierte die im Vorfrieden von Versailles festgelegten Demarkationslinie sowie die Verpflichtung Frankreichs zur Reparationszahlung von fünf Milliarden Goldfrancs innerhalb von drei Jahren. Drei Departements sowie die Befestigungen von Paris blieben von deutschen Truppen besetzt, bis die Zahlung der Reparationen gewährleistet war. In Artikel 2 des Friedensvertrages wurde den Einwohnern der abgetretenen Gebiete wurde gestattet, ihren Wohnsitz nach Frankreich zu verlegen. Weitere Artikel enthalten Bestimmungen zur Behandlung der Kriegsgefangenen, über Handelsverträge und die in den abzutretenden Gebieten befindlichen Eisenbahnen.

Frankreich entrichtete seine Zahlungen schneller als geplant. Ein Teil des Bargeldes in Form von Goldmünzen als Reichskriegsschatz im Wert von 40 Millionen Talern oder 120 Millionen Mark wurde im Juliusturm der Spandauer Zitadelle eingelagert. Nach der Zahlung der letzten Rate verließen am 16. September 1873 die letzten deutschen Truppen französisches Territorium. Die als Wiedervereinigung mit Deutschland bezeichnete Annexion von Elsaß-Lothringen und die hohe Reparationssumme belasteten das deutsch-französische Verhältnis schwer. Die Rückgewinnung der abgetretenen Gebiete war ein Leitmotiv der französischen Revanchepolitik. In beiden Ländern gab es starke Kräfte, die die jeweils andere Seite als "Erzfeind" diffamierten und behaupteten, die deutsch-französische Erbfeindschaft werde immer und ewig bestehen.

Ziele der Pariser Kommune

Während des deutsch-französischen Kriegs, in dem die Armeen Kaiser Napoleons III. beziehungsweise der Republik eine Niederlage nach der andern hinnehmen mussten, errichteten französische Sozialisten und Kommunisten in der eingekesselten und von den Deutschen beschossenen Hauptstadt die Pariser Kommune. Dieser revolutionäre Stadtrat übte vom 18. März bis 28. Mai 1871 die Macht aus und versuchte, gegen den Willen der in Versailles tätigen, von Adolphe Thiers geleiteten konservativen Zentralregierung, die Hauptstadt nach sozialistischen Vorstellungen zu verwalten. Bei der Niederschlagung der "Commune de Paris" wurden tausende ihrer Anhänger niedergemacht, doch auch die Eroberer hatten hohe Verluste zu beklagen. Bei den verbitterten Kämpfen gingen zahlreiche öffentliche Gebäude, unter ihnen der als Museum genutzte Tuilerienpalast, in Flammen auf. Die Kommunarden und ihre Gegner erschossen zahlreiche Geiseln, und wer bei der Niederwerfung der Kommune nicht gleich umkam oder danach hingerichtet wurde, den haben die Sieger in die französischen Kolonien deportieren lassen, wo viele von ihnen elend zugrunde gingen.

Der deutsch-französische Krieg bedeutete für Frankreich eine herbe Niederlage und große Schmach. Das Land, das sich für unbesiegbar hielt und von anderen dafür bewundert und gefürchtet wurde, war im Innersten getroffen. Frankreich musste auf Betreiben von Otto von Bismarck Elsass-Lothringen abtreten, das in ein Reichsland verwandelt wurde und unter preußische Verwaltung kam. Dem Reichskanzler kam die Entstehung der Republik Frankreich gelegen, weil er glaubte, dass diese im monarchisch geprägten Europa nicht bündnisfähig ist. Wie sich zeigte, schlossen Kaiser und Könige, vom Deutschen Reich abgesehen, mit den Franzosen Militär- und andere Abkommen, die im Ersten Weltkrieg von 1914 bis 1918 ihre volle Kraft entfalteten. So bestanden zwischen Paris und Sankt Petersburg geradezu freundschaftlich zu nennende Beziehungen, die zu stören die deutsche Diplomatie nicht vermochte.

Machtvoller Ruf nach Revanche

Viele Franzosen konnten und wollten sich mit den Ergebnissen des Krieges nicht abfinden sondern drängten auf Revanche. Einer der Wortführer dieser machtvollen Bewegung war der Rechtsanwalt und Politiker Léon Gambetta. Als entschiedener Gegner Napoleons III. hatte er sich zunächst gegen die Kriegserklärung an Preußen ausgesprochen. Doch als im Sommer 1870 der Krieg begann, kämpfte er umso entschiedener für die französische Sache und profilierte sich als Patriot und Verteidiger des Vaterlandes. Am 4. September 1870, zwei Tage nach der Entscheidungsschlacht bei Sedan, rief Gambetta in Paris die Dritte Republik aus und übernahm in der neuen Regierung der nationalen Verteidigung den Posten des Innen- und Kriegsministers. Während der deutschen Belagerung von Paris floh er auf spektakuläre Weise mit einem Ballon nach Tours und versuchte vergeblich von dort, die französische Armee zur Fortsetzung des Krieges zu motivieren. Als er sah, dass seine Aufrufe nichts fruchteten, trat er von seinem Posten zurück, verlor aber das Ziel nicht aus den Augen, es den Deutschen eines Tages heimzuzahlen. In dieser Situation gab er die zum geflügelten Wort gewordene und auch heute manchmal verwendete Parole "Immer daran denken, nie davon sprechen!" aus.

Als Gründer der einflussreichen Zeitung "La République Française" kämpfte Gambetta entschieden gegen alle Versuche, in Frankreich wieder die Monarchie einzuführen und ein Mitglied der Familie Bonaparte auf den Thron zu setzen. Als Abgeordneter, Vorsitzender der Deputiertenkammer und 1881 kurzzeitig als Ministerpräsident tätig, warb der "zornige Verrückte", wie ihn seine Gegner nannten, für die Revision des Friedensvertrags von 1871 mit dem Deutschen Reich nicht durch kriegerische sondern durch politische Mittel. Nachdem sich Gambetta angeblich beim Reinigen einer Pistole verletzt hatte, starb er am 31. Dezember 1882 im Alter von nur 44 Jahren an einer Blutvergiftung. Frankreich hält den Vertreter des Revanchismus hoch in Ehren, sein Herz wurde 1920 in das Pariser Pantheon, die Grabstätte berühmter Franzosen und Ruhmeshalle, überführt.

28. Juli 2020

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