Afroamerikaner im Würgegriff der Polizei
Brutale Übergriffe in den USA weiten sich zu einer globalen Bewegung aus, die auch vor Denkmälern nicht Halt macht



Beim antikommunistischen Aufstand in Ungarn wurde am 23. Oktober 1956 das riesige Stalindenkmal auf dem Paradeplatz in Budapest mit Schweißgeräten zerlegt und gestürzt. Unter den Augen der Weltpresse und mit Hilfe amerikanischer Soldaten kam am 9. April 2003 in Bagdad das riesige Denkmal des irakischen Diktators Saddam Hussein zu Fall.



In Columbus, der Hauptstadt des US-Staates Ohio, wurde die Marmorfigur von Christopher Columbus vor einem örtlichen College geschändet, und in London musste die Bronzefigur von Winston Churchill "eingehaust" werden, damit sie nicht beschädigt, beschmiert oder gar umgestürzt wird.



In Richmond, Virginia, der Hauptstadt der Konföderierten Staaten von Amerika, ehren verschiedene Monumente prominente Befehlshaber und Teilnehmer der Südstaaten, die im Bürgerkrieg gegen die nördlichen Staaten kämpften. Sie waren zwischen 1890 und 1929 von Nachkommen dieser Kämpfer für die Sklaverei und eine Abspaltung der südlichen Staaten vom Norden gestiftet und aufgestellt worden. Vor hundert Jahren nahm kaum jemand Anstoß an diesen Monumenten, jetzt aber hat man viele um der Gerechtigkeit und historischen Wahrheit willen vom Sockel geholt oder will es noch tun.



Enthauptet wurde das Columbusdenkmal in Boston. Historiker und Bürgerrechtler greifen ihn wegen seines gewaltsamen Umgangs mit den amerikanischen Ureinwohnern an und fordern eine Neubewertung seiner Person und Taten.



Gestürzt wurde in Bristol die blutrot beschmierte Statue eines Sklavenhändlers und Wohltäters aus dem 17. Jahrhundert.





Der Kopf des 1990 im Ostteil von Berlin abgebauten Lenindenkmals am damaligen Leninplatz, dem heutigen Platz der Vereinten Nationen, war viele Jahre im Köpenicker Forst vergraben und kam vor einigen Jahren in eine Skulpturenausstellung auf der Spandauer Zitadelle. Dort wird auch ein in der "Wendezeit" demontiertes Kampfgruppendenkmal aus DDR-Zeiten. (Fotos/Repros: Caspar/Brent Flanik/Tom Saunders/Wikipedia/

Die Tötung des Afroamerikaners George Floyd, dem am 25. Mai 2020 in Baltimore (USA) von einem auf seinem Hals knienden weißen Polizisten über acht Minuten lang die Luft abgeschnürt wurde, hat weltweite Proteste ausgelöst, die noch lange nicht beendet sind. Große Wut richtet sich dabei auf Reiterdenkmäler und Standbilder von Politikern, Generalen und anderen Personen, denen man nachsagt, gerechtfertigt oder nicht, sie seien Sklavenhalter, Rassisten, Sezessionisten und Feinde der Demokratie gewesen und hätten es nicht verdient, dass man sie auf hohen Sockeln ehrt. Mit großer Medienbeteiligung wurden Büsten und Standbilder erst beschmiert und beschädigt, dann aber umgestürzt und an Seilen durch die Straßen geschleift. Das kannte man bisher nur aus osteuropäischen Ländern, wo Stalindenkmäler von aufgebrachten Menschen entweiht und vernichtet wurden, oder aus dem Irak, wo 2003 die Entmachtung des Diktators Saddam Hussein mit der Beseitigung der ihm gewidmeten Denkmäler und von Großplakaten unter dem Jubel seiner bisherigen Untertanen verbunden war.

Begonnen hatte der aktuelle Ikonoklasmus, wie Bildersturm und Denkmalsturz auch genannt werden, in den USA nicht nur erst mit dem gewaltsamen Tod von George Floyd. Schon früher wurde als Reaktion auf rassistische Übergriffe oft mit Todesfolge auf Afroamerikaner, Latinos, Asiaten und andere Gruppen verlangt, Reiterdenkmäler und Standbilder von Südstaatengeneralen und Politikern zu beseitigen, die im amerikanischen Bürger- und Sezessionskrieg von 1861 bis 1865 gegen den Norden gekämpft hatten, um die Sklaverei weiter aufrecht zu erhalten und die Vorherrschaft der Weißen abzusichern. Mehrere amerikanische Bundesstaaten und Städte haben Maßnahmen gegen Polizeibrutalität beschlossen. Präsident Trump hat zwar ein Dekret unterzeichnet, das unter anderem den Würgegriff von Polizisten bei festgenommenen Personen verbietet, aber übergriffige Polizisten vor Strafe schützt. Dieser nachsichtige Umgang mit gewalttätigen Sicherheitsleuten wird von Bürgerrechtlern als völlig ungenügend und rassistisch motiviert abgelehnt, weshalb im Lande der Ruf nach schärferen Gesetzen ergeht. Da sich in den USA Millionen Feuerwaffen in Privathand befinden, ist die Demilitarisierung eine gigantische Aufgabe, an der frühere Präsidenten gescheitert sind. Von Trump ist keine Einsicht und Hilfe zu erwarten. Selbst die schlimmsten Amokläufe und Massaker haben ihn und seinesgleichen dazu gebracht, die auf uralte Traditionen zurück gehenden Waffengesetze zu verschärfen.

Rassisten aus dem Kapitol entfernen

Die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, rief dazu auf, Bronzestatuen von Rassisten, Sklavenhaltern, Sezessionisten und Feinden der Demokratie aus dem Kapitol in Washington zu entfernen, so auch die von Jefferson Finis Davis, der von 1861 bis 1865 der einzige Präsident der Konföderierten Staaten von Amerika und damit Führer der Südstaaten im Sezessionskrieg war und an verschiedenen Orten der Vereinigten Staaten durch Standbilder geehrt wird. Nach der Wahl von Abraham Lincoln zum 16. US-Präsidenten und der Sezession South Carolinas hatte Davis am 21. Januar 1861 den Austritt Mississippis aus der Union und verließ den Senat. Nach der Abspaltung fünf weiterer Südstaaten von der Union wurde er am 9. Februar 1861 vom provisorischen Konföderiertenkongress zum provisorischen Präsidenten gewählt und am 18. Februar 1861 im Staatshaus von Alabama in Montgomery als erster und einziger Präsident der Konföderierten Staaten von Amerika vereidigt. Nach der Niederlage der Konföderiertenarmee konnte Davis seine sechsjährige Amtszeit jedoch nicht mehr beenden.

In der US-Hauptstadt Washington haben Demonstranten die Statue eines Konföderierten-Generals in Brand gesetzt. Das Denkmal, das an den Brigadegeneral Albert Pike erinnert, wurde vom Sockel gerissen. Dazu skandierten dutzende Menschen den Slogan der Anti-Rassismus-Bewegung, "Black lives matter". Präsident Trump verurteilte die Aktion und griff zugleich die Sicherheitsbehörden der Hauptstadt an. Die Polizei komme ihrer Aufgabe nicht nach, behauptete er und forderte, die Demonstranten sollten sofort festgenommen werden. Beim Versuch von Demonstranten, die Statue eines spanischen Conquistadors in der US-Stadt Albuquerque zu stürzen, wurde ein Protestler von einem Mann angeschossen, der die Aktion verhindern wollte.

Amerikanische Militärs und Menschenrechtsaktivisten fordern, die nach Konföderierten-Offizieren benannten Militärbasen umzubenennen, weil sie Symbole für Rassismus und die politische Spaltung in der Bürgerkriegsära sind. Präsident Trump wies die Forderungen umgehend zurück. Seine Regierung denke nicht daran, Militärstützpunkte umzubenennen, weil sie Teil des großen amerikanischen Vermächtnisses und einer "Geschichte des Gewinnens" sind. Eine Regierungssprecherin bekräftigte, die Umbenennung der Stützpunkte sei für Trump ein rotes Tuch. Sollte der Kongress ein entsprechendes Gesetz verabschieden, werde er es nicht unterzeichnen, ließ der Präsident verkünden, der von seiner rassistischen und nationalistischen Einstellung keinen Hehl macht.

Columbus und Churchill im Visier

In Frankreich haben Vandalen, wie man dort Bilderstürmer mit Blick auf Zerstörung von Kunstwerken in der Spätantike nannte, während der Revolution von 1789 Königsstatuen umgestürzt, eineinhalb Jahrhunderte zuvor ging es im Zuge der Reformation und während der Religionskriege Heiligenfiguren an den Kragen, und auch fromme Bilder und Bücher wurden in ungebremstem Glaubenseifer dem Feuer übergeben. Die Nationalsozialisten verbrannten politisch und rassistisch nicht in ihr weltanschauliches Konzept passende Bücher und verbannten "entartete" Gemälde und Skulpturen aus den Museen. Bei den aktuellen Bilderstürmereien gehen Bürgerrechtler und Weltverbesserer nicht selten undifferenziert zur Sache. So musste in London ein Bronzedenkmal des Premierministers Winston Churchill durch eine Holzverschalung vor Schmierereien und Abriss geschützt werden, obwohl jeder weiß, welche großen Verdienste sich gerade dieser der Politiker im Kampf gegen Hitlerdeutschland erworben hat. Ihm wird seine Tätigkeit als britischer Innenminister, des Ersten Lords der Admiralität und Schatzkanzler sowie zu Beginn seiner Karriere als Unterstaatssekretär für die Kolonien angekreidet. Daraus abgeleitet werden ihm in den britischen Besitzungen verübten Gräuel persönlich angelastet. Bei der aktuellen Diskussion wird allerdings die Frage gestellt, wer wichtiger ist, der junge Kolonialpolitiker oder der gereifte, seine Landsleute zum Kampf gegen die Nazigefahr anspornende alte Premierminister.

Nicht nur Politikern wie Churchill geht es an den Kragen, auch der italienische Seefahrer Christoph Columbus, der 1492 auf dem Weg nach Indien die Neue Welt entdeckte, ist nicht mehr unumstritten. Seine Geschichte wird in allen amerikanischen Schulen als große zivilisatorische Leistung voller Wagemut gelehrt. Jetzt aber gibt es kritische Fragen an ihn und seine Männer, denn Untersuchungen zeigen, dass er und andere Seefahrer und Abenteurer seine Nachfolger viele Menschen in den unterworfenen Ländern versklavten. Die Kontroversen gibt es nicht nur in Ohio, wo das Columbusdenkmal in der Hauptstadt Columbus geschändet wurde, sondern überall in den USA. Dort gibt es sogar einen Nationalfeiertag, den Columbus Day immer am 12. Oktober, den aktuell viele Menschen gern abschaffen lassen würden.

Sklavenhändler und Menschenfreund

In Columbus/Ohio wurde die Statue von Christoph Columbus von Demonstranten beschädigt und mit Farbe besprüht. Viele Parolen enthalten die Buchstaben und Zahl "FUCK 12", was "Fick die Polizei" und 12 im Slang für Polizei steht. Ob die Stadt Columbus umbenannt wird, ist unwahrscheinlich. Enthauptet wurde Christoph Columbus in Boston. Nachdem der Figur in der Nacht der Kopf abgetrennt worden war, erklärte die Stadtverwaltung, man befürworte die Tat nicht, wolle sich aber mit Blick auf die aktuellen Diskussionen in Boston und dem Rest der USA Zeit lassen, die geschichtliche Bedeutung der Statue und des Mannes, den sie darstellt, neu zu bewerten.

Das Reiterdenkmal für Robert E. Lee, den Befehlshaber der Konföderierten im amerikanischen Bürgerkrieg, steht noch. Der Gouverneur von Virginia kündigte zwar an, dass er die Statue entfernen wolle, aber es wurde eine Klage eingereicht, um zu verhindern, dass sie von den Nachkommen jener Personen entfernt wird, die die Statue vor Jahrzehnten bezahlt haben und der Regierung von Virginia geschenkt haben. Ein Richter setzte die Entfernung vorübergehend aus, bis festgestellt wurde, ob die Regierung dazu rechtlich befugt ist. In New Orleans, viel weiter südlich von Virginia, sind bereits 2017 entfernt worden.

In der englischen Stadt Bristol wurde gegen Rassismus demonstriert und ein Denkmal für Edward Colston zu Fall gebracht und unter Jubelgeschrei im Fluss Avon versenkt. Der Sklavenhändler lebte im 17. Jahrhundert, stammte aus einer wohlhabenden Händlerfamilie und spendete als Menschenfreund großzügig an Schulen und Krankenhäuser. Jürgen Zimmerer, Professor für die Geschichte Afrikas in Hamburg und einer der profiliertesten Forscher zum Kolonialismus, sprach im Deutschlandfunk zu dem Thema. Er hält den Umgang mit der Statue für gerechtfertigt, spricht sich aber gleichzeitig dafür aus, Erinnerungspolitik und Gedächtnisarbeit zu betreiben. "Colston war Wohltäter in Bristol, aber auch Ausbeuter und Verkäufer von Menschen in Afrika. Diese Ehrung war zu unterbinden, weil sie Rassismus fördert, Rassismus verherrlicht und Leute beleidigt. Und man hat das auch einfach zu lange ignoriert." Auf seinen Aufruf angesprochen, solche Kolonialdenkmäler zu sammeln, sagte Zimmerer, ihm gehe es nicht um ihren Sturz, sondern um eine Kartografie des kolonialen Erinnerns auch für Deutschland zu erstellen. "Wir wollen wissen, wo haben wir eigentlich überall Denkmäler, Gedenktafeln, Erinnerungsorte, die an den Kolonialismus verweisen?" In der Debatte falle ihm auf, dass wir gebannt in die USA starren mit ihren könföderierten Generälen. "Wir starren jetzt nach Großbritannien, wo die größte Statue gestürzt wurde, und denken, das ist das Problem der anderen - wie wir oft denken, der Rassismus ist das Problem der anderen. Und mir war es wichtig zu sagen, wie Black Lives Matter betont: Rassismus ist auch in Deutschland ein Riesenproblem. Und ich wollte darauf hinweisen, dass eben auch diese koloniale Erinnerung in die deutschen Städte, in die deutschen Gebäude eingewoben ist, ohne dass wir uns dessen bewusst sind."

Geschichten hinter der Fassade

Die Historikerin Bettina Brockmeyer hat die weltweit stattfindenden Denkmalstürze als bedeutsam für die Auseinandersetzung mit Kolonialismus und Rassismus bezeichnet. Entscheidend sei nicht, ob man die Denkmäler noch brauche. "Wir müssen vielmehr die Geschichten dahinter erzählen", sagte sie im Deutschlandfunk. Auf die Frage, ob auch in Deutschland Kolonial-Denkmäler fallen sollten, sagte Brockmeyer, es sei uns hierzulande noch gar nicht bewusst, wie viele Zeugnisse aus der Zeit des Kolonialismus es gebe. "Es finden sich in Dörfern und Städten durchaus diverse Denkmäler, mit denen es umzugehen gilt. Man kann sie nicht unkommentiert stehen lassen." Es sei jedoch nicht allein eine wissenschaftliche Frage, was mit diesen Zeugnissen passiere, sondern auch eine gesellschaftspolitische. Schließlich helfe die Beschäftigung mit dem Kolonialismus enorm, die Wurzeln des Rassismus zu verstehen. Kolonialismus und Rassismus seien eine enge Verbindung eingegangen. Mit dem Kolonialismus sei der Rassismus von der Ideologie in die Praxis gelangt. Denkmalstürze seien so gesehen "notwendig und wichtig", könnten aber nicht der einzige Weg sein. Man müsste die Statuen umdeuten oder als Kunstprojekte nutzen. Bliebe zu sagen, dass ein Kolonialistendenkmal mehr oder weniger grundsätzliche Debatten über das koloniale Erbe hierzulande und anderswo nicht ersetzt.

Gerade wird bekannt, dass der U-Bahnhof Mohrenstraße einen neuen Namen bekommen soll. Die bisherige Bezeichnung geht auf die am preußischen Hof als Diener oder als Musiker in der Armee verwendeten, als Sklaven aus Afrika verschleppten "Mohren" zurück. Wenn man allerdings ganz genau sein wollte, müssten zahlreiche Gemälde aus der Barockzeit aus den Galerien entfernt werden, wo "Schwarze" die Schleppen von Königinnen und die Helme von Königen tragen und überhaupt als dekorative Zutat erscheinen, was damals nicht anstößig war und heute ist. Associated Press)

21. Juni 2020

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