Die Stunde Null in Sanssouci
Die Stunde Null in Sanssouci - Bei der Besetzung der Potsdamer Schlösser und Gärten vor 75 Jahren ging entgegen der Legende nicht alles mit rechten Dingen zu



Dass sich die Sowjetunion in ihrer Besatzungszone für die systematische Plünderung und Zerstörung ihrer Kulturbaute und Kunstwerke durch das NS-Regime nicht rächte und Schloss Sanssouci und weitere Bauten und Anlagen schützte, ist und bleibt eine große Leistung, die alle Ehre wert ist. Allerdings gehören in dieses Bild auch die Beutezüge durch Schlösser, Museen, Bibliotheken und Archive mit dem Auftrag, Objekte für ein großes, von Stalin geplantes Museum in Moskau zusammen zu suchen. Das "preußische Versailles" kam 1990 auf die Unesco-Liste des Weltkulturerbes.



Um Schloss Sanssouci vor Schaden zu bewahren, wurden im Zweiten Weltkrieg dessen Fenstertüren zugemauert und weitere Brand- und Splitterschutzmaßnahmen vorgenommen. Das bewegliche Inventar hat man sicherheitshalber in verschiedene Tresore, Keller und andere Schutzräume gebracht, wo sie von den alliierten Siegermächten aufgespürt und sichergestellt wurden. (Foto: Gerhard Caspar 1945)



Die Bildergalerie ohne Gemälde sollte zum Ärger des Schlösserchefs Ernst Gall in ein Theater verwandelt werden, was dem Bau aus der Mitte des 18. Jahrhunderts keineswegs gut bekommen wäre.



Erst nach dem Ende der DDR war es möglich, die ganze Wahrheit über die Rettung von Sanssouci 1945 zu erforschen und wie hier in einer Broschüre von 1999 der Preußischen Schlösserstiftung zu publizieren. Das Foto rechts zeigt das im Frühjahr 1945 durch Beschuss zerstörte Belvedere auf dem Klausberg, das in den 1990er Jahren rekonstruiert wurde. Da die Rote Armee den spätbarocken Aussichtsturm in der Nähe des Neuen Palais für einen Stützpunkt der Wehrmacht hielt, wurde er von Artillerie durchlöchert. Die Ruine war jahrzehntelang sich selbst überlassen und für spielende Kinde eine Gefahrenquelle.



Nach dem Ende der DDR hat man am Grünen Gitter, dem Eingang zum Park von Sanssouci, eine Bronzetafel mit lobenden Worten für die Rettung des königlichen Garten- und Schlösserparadieses entfernt. Die Maßnahme ist umstritten und sollte neu diskutiert werden. Vielleicht besinnt man sich in weniger aufgeregten Zeiten dessen, was wir den Befreiern von damals verdanken, und bringt die alte Tafel mit einem erklärenden Zusatz wieder an.



In den vergangenen Jahren wurden die als Wohnung fürstlicher Gäste Friedrichs des Großen 0ßewohnung genutzten Neuen Kammern neben Schloss Sanssouci sorgsam restauriert.



Große Anerkennung verdient, dass in der DDR schon frühzeitig große Anstrengungen unternommen wurden, die Wunden aus den letzten Kriegtagen an den Potsdamer Schlössern und den Gärten zu heilen. Links arbeitet ein Bildhauer um 1954 am Chinesischen Teehaus, rechts die Gotische Bibliothek am Heiligen See, deren Wiederaufbau 1998 abgeschlossen wurde.



Das Neue Palais und weitere Bauten im Potsdamer Gartenparadies blieben durch Schutzmaßnahmen der Roten Armee weitgehend verschont, doch mussten sie bedeutende Verluste bei den Ausstattungen hinnehmen.



Fachkundig rekonstruiert und restauriert zeigen sich die durch eine Siegeskolonnade verbundenen spätbarocken Communs hinter dem Neuen Palais. Die Universität Potsdam hat in den ehemaligen Wirtschaftsbauten aus der Zeit Friedrichs des Großen ihren Sitz. (Fotos/Repros: Caspar)

In DDR-Zeiten wurde keine Gelegenheit ausgelassen, die Verdienste der Roten Armee um den Schutz der Potsdamer Schlösser und Gärten und die sowjetischen Retter in den Himmel der deutsch-sowjetischen Freundschaft zu heben. Der Gardeleutnant Jewgenij Fjodorowitsch Ludschuweit, der als Kunsthistoriker und Mitglied der Trophäenkommission der Roten Armee Bauten und Kunstschätze im Besatzungsgebiet sicherte, aber auch deren Plünderung organisierte, wurde 1965 zum Ehrenbürger der damaligen Bezirksstadt Potsdam ernannt. Sein Verdienst war es, so die damalige Lesart, dass er mit seinen Leuten nach der Besetzung Potsdams am 28. April 1945 das preußische Gartenreich und seine Schlösser mit seiner "Parkarmee" weitgehend aus den Kampfhandlungen herausgehalten hat. Seine Aufgabe war es, als Mitglied der von Stalin mit der Requirierung von Kunstschätzen für ein großes Museum in Moskau beauftragten Trophäenkommission Gemälde, Skulpturen, Möbel und andere Hinterlassenschaften der Hohenzollern als Kriegsbeute zu sichern und diese in die Sowjetunion zu schicken. Der Ehrenname "Retter von Sanssouci" soll ihm peinlich gewesen sein, denn er wusste um die Vorgänge besser Bescheid als jeder andere.

Im Neuen Palais, das bis zur Novemberevolution von 1918 Sommerresidenz von Kaiser Wilhelm II. und seiner Familie war, und an anderen Orten wurden von den sowjetischen Siegern Kunstdepots angelegt. Von dort erfolgte mit der Eisenbahn, in besonderen Fällen auch mit Flugzeugen der Abtransport nach Moskau und Leningrad, heute Sankt Petersburg. Dass sich darüber hinaus Offiziere und Soldaten privat an Kulturgütern und anderen Wertgegenständen "bedienten" und dabei manche Kostbarkeiten zerstörten, ja dass es auch trotz sowjetischer Bewachung Vandalismus durch die Potsdamer Bevölkerung gab, wurde in DDR-Zeiten nur hinter vorgehaltener Hand erzählt. Das eine oder andere Souvenir etwa aus dem zerstörten und später abgerissenen Potsdamer Stadtschloss wurde nach einem Aufruf der Schlösserstiftung zurückgegeben, als die Planungen zum Wiederaufbau des Palastes im Herzen von Potsdam als Landtagsgebäude Gestalt annahmen und solche Relikte dringend für die Rekonstruktion innen und außen gesucht wurden.

Kritische Nachfragen in der DDR nicht erlaubt

Was sich 1945 in den Potsdamer Schlössern und Gärten, den Anlagen im Neuen Garten mit dem Marmorpalais und dem als Tagungsort der Potsdamer Konferenz im Sommer 1945 genutzten Schloss Cecilienhof, in Babelsberg, Berlin und darüber hinaus abspielte, wie der damalige Schlösserdirektor Ernst Gall und seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen um die Bauten und ihre Ausstattungen kämpften, kam erst nach dem Ende der SED-Herrschaft ans Licht. Jahrzehntelang wurde in der DDR die Legende von der uneigennützigen Rettung der Schlösser und Gärten durch die Rote Armee erzählt. Kritische Fragen nach dem Verbleib zahlloser Gemälde, Grafiken, Skulpturen, Porzellane, Möbel, Bücher und anderer Objekte wurden im Interesse der deutsch-sowjetischen Freundschaft verboten. Das Geschehen von damals schildert eine von Friedhild-Andrea Anders verfasste Publikation von 1999 der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg. Sie behandelt anhand von Dokumenten und Zeitzeugenberichten das Schicksal der Hohenzollernschlösser sowie die Auslagerung der Inventare und enthält detaillierte Angaben über den Kunstraub der Roten Armee und ihre Akteure.

In ihrem 2004 herausgegebenen Verlustkatalog "Gemälde I" nennt die Schlösserstiftung allein für Sanssouci 650 Gemälde, die in 81 Kisten verpackt und in die Sowjetunion verbracht wurden. Zur Beute gehörten ferner unzählige Skulpturen, Möbel, Porzellane, Bücher und andere Objekte. Viele Kunstobjekte aus Potsdam, Berlin und vielen anderen Orten kamen in den 1950er Jahren unter dem Motto "Der Menschheit bewahrt" in die DDR zurück. Nach wie vor beklagt die Preußische Schlösserstiftung tausende Kunstwerke, die in die Hohenzollernresidenzen gehören. Viele dort ausgestellte Gemälde, Skulpturen und andere Kunstwerke sehen sehr gut aus, stammen aber aus dem Fundus oder aus anderen Gebäuden. In den 1990er Jahren ließen sich die Verhandlungen zwischen Berlin und Moskau über die Rückgabe von Beutestücken analog zu der Aktion in den 1950er Jahren gut an. Doch alsbald setzten sich großrussische Hardliner und Nationalisten mit Wladimir Putin an der Spitze durch, die nichts mehr herausgeben wollten.

Duma in Moskau lehnte 1999 Rückführung ab

Die russische Duma lehnte vor über 20 Jahren alle Rückführungen ab, von einigen Ausnahmen wie den mittelalterlichen Glasmalereien in der Marienkirche zu Frankfurt an der Oder abgesehen. Das Gesetz, das die in der Sowjetunion beziehungsweise der Russischen Föderation befindlichen, aus Deutschland stammenden Kulturgüter zum Staatseigentum erklärte, wurde 1999 vom Verfassungsgericht bestätigt. Eine solche völkerrechtswidrige Inbesitznahme hatten nicht einmal Stalin und seine Nachfolger fertig bekommen, und so wird man, wenn sich nicht irgendwann einmal der Wind dreht, Kunstobjekte wie den aus Berlin stammenden Schatz des Priamos in Sankt Petersburg sehen können und hat die von Heinrich Schliemann entdeckten Goldarbeiten und anderen antike Fundstücke im Museum für Vor- und Frühgeschichte auf der Museumsinsel nur als Kopien vor Augen.

Die Schlösserstiftung fahndet nach mehr als 3000 Bildern, dazu kommen zahlreiche Skulpturen, Möbel, Porzellane, Grafiken, Bücher und andere Objekte. Manchmal geschehen noch Wunder. So kam vor einigen Jahren nach langer Abwesenheit das Gemälde "Italianisierende Landschaft mit Ruinen und Ziegen" des niederländischen Malers Jan Linsen aus dem frühen 17. Jahrhundert zurück und konnte an seinem angestammten Platz im königlichen Konzertzimmer des Schlosses Charlottenburg präsentiert werden. Das aus dem Besitz Friedrichs II. stammende Bild war 1946 mit anderen Kunstwerken von der Trophäenkommission der Roten Armee als Kriegsbeute in die Sowjetunion abtransportiert worden. Nachdem das Gemälde im Kunsthandel aufgetaucht war, gewann die Schlösserstiftung es mit Unterstützung des "Art Loss Register" in London zurück.

Ernst Gall tritt enttäuscht zurück

Wenn man sich in die Vorgänge vor 75 Jahren in Potsdam und speziell seinen Schlössern und Gärten vertieft, dann wird man sehen, dass die Besetzung alles andere als friedlich und freundschaftlich verlaufen ist. Es kam in der Stadt, und nicht nur dort, zu gezielten und willkürlichen Verhaftungen, Erschießungen und Deportationen. Gebäude unterhalb des Belvederes auf dem Pfingstberg wurden vom sowjetischen Geheimdienst zu Verhör- und Folterzentren umgewandelt. Wer den Sowjets irgendwie verdächtig vorkam oder von Nachbarn als Nazi angezeigt wurde, musste um sein Leben fürchten. Die Beamten und Angestellten der Schlösserverwaltung hielten sich bedeckt und taten, was Ludschuweit von ihnen verlangten. Ihnen und ihrem Chef Ernst Gall blieb nichts anderes übrig, sie mussten Listen der in Zentrallager zu überstellenden Kunstobjekte anfertigen und taten gut daran, sich jedweder Kritik zu enthalten. Gall, der nie Mitglied der NSDAP war und sich auch mit den Nazis nicht gemein gemacht hatte, legte am 28. Februar 1946 sein Amt nieder, weil es "Kräfte" gibt, die gegen ihn arbeiten und jedweden Einfluss untergraben. In seinem Schreiben an die Provinzialverwaltung der Mark Brandenburg nannte er als Beispiel den Umbau der Bildergalerie in ein Theater und als Beweis dafür, "dass die Provinzialverwaltung auf meine Kenntnisse, meine Erfahrungen und meine Mitwirkung keinen Wert mehr legt." Gall beklagte die "völlige Entfremdung", das heißt Trennung von Park und Garten Sacrow, Park und Schloss Babelsberg und des Neuen Gartens mit dem Marmorpalais aus der Verwaltung der ehemals Staatlichen Schlösser und Gärten und die "Wegführung" der wesentlichen Kunstwerke aus den dortigen Schlösser. Er sehe unter diesen Umständen keine Möglichkeit mehr, "in einem Arbeitsbereich, den ich mehr als fünfzehn Jahre habe, hinfort noch ersprießliche Arbeit zu listen." Dass Ernst Gall heute in Potsdam nur noch Fachleuten ein Begriff ist, sollte Anlass sein, ihm heute eine wissenschaftlich fundierte öffentliche Ehrung zuteil werden zu lassen.

Ruppiger Umgang mit wertvollem Kulturgut

Als sich der Kunsthistoriker und Denkmalpfleger aus Potsdam zurückzog und in den Westen ging, begannen, nebenbei gesagt, in der Sowjetischen Besatzungszone unter dem Motto "Krieg den Schlössern" Abrisse von Guts- und Herrenhäusern und deren von den Behörden tolerierte Plünderung durch Einheimische. Die Missnutzung und Neuausrichtung der Hohenzollernschlösser, gegen die Gall und seine Leute kämpften, passte ins politisch-ideologische Bild der Zeit des beginnenden Kalten Kriegs. Dass die sowjetischen Besatzer und ihre ostdeutschen Erfüllungsgehilfen wenig einfühlsam bei der Nutzung von Gebäuden und Parkanlagen vorgingen, zeigt der ruppige Umgang mit dem Neuen Garten, an dessen Rand ein Pionierhaus und Sportanlagen gebaut und in den 1950er Jahren sogar Marmorpalais in das Armeemuseum der DDR umgewandelt wurden. Das hat den Bauten und Parkanlagen alles andere als gut getan und wurde nach 1990 mit großen Mühen und Kosten aus der Welt geschafft werden. Viele Arbeiten sind auch heute noch nicht abgeschlossen.

Zwar wurden Schloss Sanssouci und das Neue Palais nicht beschossen, weil sich dort keine deutschen Truppen verschanzt hatten. Wo aber an hochgelegenen Punkten wie auf dem Normannischen Turm auf dem Ruinenberg, dem Belvedere auf dem Klausberg oder dem Belvedere auf dem Pfingstberg deutsche Beobachtungsposten und Feuerleitstellen vermutet wurden, kam die sowjetische Artillerie zum Einsatz. Da in den Communs hinter dem Neuen Palais Wehrmachtssoldaten stationiert waren, wurden auch diese zerschossen. Nachdem ein mutiger Schlossoberinspektor am 28. April 1945 den nach dem Siebenjährigen Krieg von Friedrich II., dem Großen, errichteten größten Schlossbau in Preußen der Roten Armee übergeben hatte, blieben diesem größere Zerstörungen erspart. Außerdem überlebten etwa tausend Menschen, die sich in den Kellern des Riesenpalastes versteckt hatten.

Bei allem, was damals geschehen ist, bleibt festzuhalten, dass die Eroberer an den Potsdamer Schlössern im Wissen um die mutwillige Zerstörung der Schlösser von Peterhof bei Leningrad durch die deutsche Wehrmacht keine Rache nahmen, sondern sie stehen ließen und so gut bewachten, wie es ihnen möglich war. Da dies nur unzureichend geschah, kam es zu Plünderungen auch durch Leute aus Potsdam. Wir sollten bei aller Dankbarkeit dafür, dass die königlichen Schlösser dank des Einsatzes beherzter sowjetischer Offiziere und Soldaten von größeren Schäden verschont wurden, nicht übersehen, dass der Preußischen Schlösserstiftung bis heute zahlreiche Kostbarkeiten fehlen. Was in ihren Bauten in Berlin, Caputh, Königs Wusterhausen, Oranienburg, Paretz, Potsdam, Rheinsberg und anderenorts an Wänden hängt und in den Paradekammern steht, sieht sehr gut aus, gehört aber nicht immer dorthin und sind vielfach nur Lückenfüller und Platzhalter für die aus der Russischen Föderation zurück ersehnten Originale.

10. Mai 2020

Zurück zur Themenübersicht "Geschichte, Zeitgeschichte, Ausstellungen"