Panische Angst vor Veränderung
Der vor 250 Jahren geborene Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. verweigerte seinem Volk die versprochene Verfassung



Preußens König Friedrich Wilhelm III. regierte ungewöhnlich lange von 1797 bis 1840 und wurde knapp 70 Jahre alt. Die farbige Grafik zeigt ihn (rechts) im Gespräch mit Zar Alexander I. von Russland und Kaiser Franz I. von Österreich.



Friedrich Wilhelm III. und Luise pflegten ein vorbildliches, nahezu bürgerlich zu nennendes Familienleben, das ihnen und ihren Kindern half, große Bedrohungen zu überstehen. Das Bild zeigt sie, ihren Mann und Zar Alexander I., wie sie sich 1805 am Grab Friedrichs II. in der Potsdamer Garnisonkirche ewige Freundschaft schwören.



Vergeblich versuchte Königin Luise 1807 in Tilsit, Napoleon I. für Preußen milde Friedensbedingungen abzuhandeln. Farbige Darstellung um 1900



Nach dem Aufruf "An Mein Volk" strömen 1813 die Männer zu den Waffen. Hier werden Freiwillige in den Krieg verabschiedet. Der Jüngste in der Ecke grämt sich, dass er nicht auch kämpfen darf.



Als mittelalterliche Ritter kostümiert, sind der preußische König, der österreichische Kaiser und der russische Zar fest entschlossen, ihren Untertanen verfassungsgemäße Zustände vorzuenthalten. (Fotos/Repros: Caspar)

Preußens König Friedrich Wilhelm III. war, um mit Bertolt Brecht zu sprechen, kein "großes Licht". Der vor 250 Jahren, am 3. August 1770, in Potsdam geborene Monarch führte sein Land in den 43 Jahren seiner Herrschaft durch Höhen und Tiefen und machte es nach den Befreiungskriegen von 1813 bis 1815 zu einem der führenden Mächte im damaligen Europa. Preußen avancierte zu einer Wirtschaftskraft, wurde ein Hort der Kultur, Kunst und Wissenschaft. Dieser erfreulichen Entwicklung steht die schlimme Unterdrückung der Presse- und Meinungsfreiheit und der Verfolgung von Menschen gegenüber, die für Freiheit, Demokratie und nationale Einheit kämpften.

Aus panischer Angst vor sozialen Unruhen, ja vor revolutionären Zuständen wie nach 1789 in Frankreich brach der König von Preußen nach den Befreiungskriegen sein Versprechen, seinen Untertanen eine Verfassung zu geben. Da dieses Staatsgrundgesetz die Allmacht der Monarchie und des sie stützenden Adels beschnitten und dem Volk Mitbestimmungsmöglichkeiten eingeräumt hätte, gab es am Berliner Hof massiven Widerstand gegen jede Art von Konstitution. Der König fühlte sich mit dem wortbrüchigen Rückzieher von seinen Waffenbrüdern, dem russischen Zaren Alexander I. und dem österreichischen Kaiser Franz I., bestärkt, die ähnlich wie in Preußen auf solche Forderungen antworteten, indem sie die Daumenschrauben anzogen und jede Form sozialen und politischen Aufbegehrens mit Waffengewalt und durch ein ausgeklügeltes Polizei- und Spitzelsystem unterdrückten. Friedrich Wilhelm III. unterlag Einflüsterungen reaktionärer Freunde, Berater und Politiker. Unter ihnen war Großherzog Georg von Mecklenburg-Strelitz, ein Bruder der preußischen Königin Luise, der die Umwandlung seines kleinen Landes in eine konstitutionelle Monarchie verhinderte und in diesem Sinne auch seinen Berliner Schwager bestärkte. Sie hätten am liebsten das Rad der Geschichte zurück gedreht und die Verhältnisse vor 1789 restauriert, was natürlich nicht gelang.

Luise als preußische Madonna

Der preußische König war ein Mann von Pflichtbewusstsein und Prinzipientreue. Mit Luise von Mecklenburg-Strelitz verheiratet, führte der unsichere, zu Melancholie und Selbstzweifeln neigende Monarch ein vorbildliches Ehe- und Familienleben. Das Paar hatte zehn Kinder, von denen vier bald nach der Geburt starben. Der unerwartete Tod seiner geliebten Luise, die 1810 mit nur 34 Jahren starb, stürzte ihn, seine Kinder und das ganze Land in eine tiefe Krise. Die schöne Königin avancierte in den Befreiungskrisen zu einem Leitstern ihrer Untertanen, ja zur "preußischen Madonna", in deren Geist Soldaten und Zivilisten mutig und kraftvoll von einem Sieg zum anderen eilten.

Friedrich Wilhelm III. sah sich nach der preußischen Niederlage im Krieg gegen Frankreich 1806/7 zu den nach den Politikern Stein und Hardenberg genannten Reformen gezwungen, die ihm unter normalen Umständen nie in den Sinn gekommen wären. Bei den Friedensverhandlungen von Tilsit im Sommer 1807 versuchte Königin Luise vergeblich, dem siegreichen Kaiser der Franzosen einige Zugeständnisse abzuringen. Doch kein Bitten, keine Träne half, Friedrich Wilhelm III. büßte die Hälfte seines Landes und seiner Untertanen ein, und sein Heer wurde von 200 000 auf 42 000 Mann reduziert. Preußen musste immense Kontributionen zahlen und stöhnte unter der französischen Besatzung.

Aufruf "An Mein Volk"

Als sich im russischen Feldzug das französische Kriegsglück zu einem militärischen Desaster wendete, fasste der König von Preußen Mut und forderte Anfang 1813 mit dem Aufruf "An Mein Volk" seine Untertanen zum Kampf gegen die Fremdherrschaft auf. Man kann sich vorstellen, dass dem König diese Worte nicht leicht fielen: "Wir erlagen der Uebermacht Frankreichs. Der Friede, der die Hälfte Meiner Unterthanen mir entriss, gab uns seine Segnungen nicht; denn er schlug uns tiefere Wunden als selbst der Krieg. Das Mark des Landes ward ausgesogen, die Hauptfestungen bleiben vom Feinde besetzt, der Ackerbau ward gelähmt, sowie der sonst so hoch gebrachte Kunstfleiß unserer Städte. Die Freiheit des Handels ward gehemmt und dadurch die Quellen des Erwerbs und des Wohlstandes verstopft. Das Land ward ein Raub der Verarmung. Durch die strengste Erfüllung eingegangener Verbindlichkeiten hoffte Ich Meinem Volk Erleichterung zu bereiten, und den französischen Kaiser endlich überzeugen, daß es sein eigener Vortheil sey, Preußen seine Unabhängigkeit zu lassen. Aber Meine reinsten Absichten wurden durch Uebermuth und Treulosigkeit vereitelt, und nur zu deutlich sahen wir, daß des Kaisers Verträge mehr noch wie seine Kriege uns langsam verderben mussten."

Jetzt sei der Augenblick gekommen, fuhr der König fort, wo alle Täuschung über unseren Zustand aufhört. "Brandenburger, Preußen, Schlesier, Pommern, Litthauer! Ihr wisst, was Ihr seit fast sieben Jahren erduldet habt; Ihr wißt, was euer trauriges Loos ist, wenn wir den beginnenden Kampf nicht ehrenvoll enden. Erinnert Euch an die Vorzeit, an den großen Kurfürsten, den großen Friedrich. Bleibt eingedenk der Güter, die unter Ihnen Unsere Vorfahren blutig erkämpften: Gewissensfreiheit, Ehre, Unabhängigkeit, Handel, Kunstfleiß und Wissenschaft. - Gedenkt des großen Beispiels unserer mächtigen Verbündeten, der Russen; gedenkt der Spanier, der Portugiesen. Selbst kleinere Völker sind für gleiche Güter gegen mächtigere Feinde in den Kampf gezogen und haben den Sieg errungen. Erinnert Euch an die heldenmüthigen Schweizer und Niederländer."

Große Opfer würden von allen Ständen gefordert, und nicht gering die Zahl und die Mittel unserer Feinde, fuhr der König fort. Dies sei der letzte, entscheidende Kampf für unsere Existenz, unsere Unabhängigkeit, unsern Wohlstand. Es gebe keinen anderen Ausweg als einen ehrenvollen Frieden oder einen ruhmvollen Untergang, "weil ehrlos der Preuße und der Deutsche nicht zu leben vermag." Dieser Satz wurde zum geflügelten Wort und ist später immer wieder bei ähnlichen patriotischen Appellen verwendet worden. Wie sich bald herausstellte, verweigerte Friedrich Wilhelm III. seinen Untertanen die versprochene Mitbeteiligung an der Politik. Eisern hielt er am feudalen Ständestaat fest und ließ freiheitliche Regungen im Bürgertum und an den Universitäten mit Gewalt unterdrücken.

Reaktionäre setzen sich durch

In der Hoffnung auf Beteiligung an der Macht eilten zahllose Preußen zu den Waffen und opferten ihr Leben und Gut, um das Land aus dem Würgegriff der Franzosen zu befreien. Nach der Völkerschlacht bei Leipzig am 18. Oktober 1813 musste sich der Kaiser mit seinen Truppen nach Frankreich zurückziehen und wurde 1814 nach weiteren Schlachten abgesetzt. Die Schlacht von Waterloo in Belgien entschied endgültig sein Schicksal. Im Vollgefühl seiner nunmehr gefestigten Macht kündigte Friedrich Wilhelm III. am 22. Mai 1815 eine "Repräsentation des Volkes" an. Viele Menschen begrüßten diesen Vorstoß, denn die Zeit war reif, den Handlungen des Königs und der Regierung einen grundgesetzlichen Rahmen zu geben, also sein Selbstherrschertum einzuschränken.

Doch die Eliten fürchteten um ihre Vorrechte in der preußischen Ständegesellschaft. Eine Gruppe erzreaktionärer Politiker forderte von ihrem König, den Verfassungsplan fallen zu lassen und auch gleich die als lästig empfundenen Stein-Hardenbergschen Reformen zu annulieren. Friedrich Wilhelm III. behauptete, es sei gegen die Tradition und das Wohl des Staates, wenn sich der von Gott berufene Monarch dem Willen des Volkes und einer "Urkunde" unterwirft. "Das Versprechen, dem preußischen Volke eine Verfassung zu gewähren, ist, in der Zeit der Not gegeben, in der Zeit der Ruhe und des Glückes nicht gehalten worden. Spätere Geschlechter haben büßen müssen, was Undank und Trotz damals verschuldet haben", fasste der Historiker Adolf Streckfuß in einem Buch über die Geschichte Berlins wenige Jahrzehnte später seine Enttäuschung über den Wortbruch des Königs zusammen.

Die Herrscher in Russland, Österreich und Preußen kamen überein, gegen Freiheitsbestrebungen und das Verlangen nach verfassungsmäßigen Zuständen in ihren Ländern und dem übrigen Europa gewaltsam vorzugehen. Der als Heilige Allianz bekannte Verbund von 1819 zementierte die feudalen Verhältnisse und schob für lange Zeit Bestrebungen einen Riegel vor, die Völker an der Gestaltung ihrer eigenen Verhältnisse zu beteiligen.

26. Juni 2020

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