Das Ja zur Einheit ist gesprochen
Vor 30 Jahren fiel die erste freie Volkskammerwahl vom 18. März 1990 in der Noch-DDR eindeutig aus







Die Parteien haben im Vorfeld der Volkskammerwahl vom 18. März 1990 auf unterschiedliche Weise die Ostdeutschen auf neue Zeiten und die Wiedervereinigung eingestimmt. Der Zug in Richtung deutsche Einheit war nicht mehr aufzuhalten.



Der Wahlkampf im Frühjahr 1990 in der DDR und die Debatten über das Für und Wider der deutschen Vereinigung regten Karikaturisten und Satiriker zu bissigen Zeichnungen und Kommentaren an.



Die sich überstürzenden Ereignisse um die Jahreswende 1989/90 sorgten dafür, dass der von Bürgerrechtlern verfasste Aufruf "Für unser Land" schon bald in der Versenkung verschwand. Ähnlich erging es auf das Fortbestehen der deutschen Zweistaatlichkeit zielende Bewegungen und deren Konzepte. (Fotos/Repros: Caspar)

Die Volkskammerwahl vom 18. März 1990 fiel auf einen Tag voller Symbolik. Am 18. März 1848 begann in Berlin die Märzrevolution, die zeitweise die Herrschaft des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. und seiner Kamarilla zum Wanken brachte, ihr aber letztlich nichts anhaben konnte. Ob die erste und einzige freie und demokratische Wahl in der DDR an jenem 18. März 1990 absichtlich auf dieses Datum festgesetzt wurde, ist nicht bekannt. Jedenfalls war das Ergebnis eindeutig. Von 12,4 Millionen Bürgerinnen und Bürgern des in Agonie gefallenen zweiten deutschen Staates hatten sich über 93 Prozent an dieser Wahl beteiligt, der ersten dieser Art seit 1932. Als klare Siegerin ging mit 48,09 Prozent die "Allianz für Deutschland" hervor.

Das Bündnis der ehemaligen DDR-Blockpartei CDU, der Deutschen Sozialen Union (DSU) und des Demokratisches Aufbruchs (DA), das massive Schützenhilfe von Bundeskanzler Helmut Kohl und den Regierungsparteien in Bonn bekam, war mit dem klaren Ziel angetreten, die deutsche Einheit so schnell wie möglich herbeizuführen. Andere Parteien und Bürgerbewegungen verhielten sich in dieser Frage zögerlich bis ablehnend und plädierten für ein längeres Nebeneinander, für eine Art Gewöhnungsphase. Bemerkenswert ist, dass ungeachtet täglich neuer Enthüllungen über die Machenschaften der bisherigen Staatspartei und ihrer führenden Vertreter die Ergebnisse der PDS als Nachfolgerin der SED vergleichsweise hoch waren. Sie schwankten zwischen 30,2 Prozent in Ostberlin sowie 22,4 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern und 13,3 Prozent in Sachsen und 11,2 Prozent in Thüringen.

Die aus CDU, DSU, DA, SPD und Bund Freier Demokraten, also einer Mischung von alten Blockparteien und neuen Parteien, gebildete Koalitionsregierung stand unter hohem Zeitdruck. Der neue Ministerpräsident Lothar de Maizière (CDU) erklärte als Ziel: "Das Volk in der DDR konstituierte sich als Teil eines Volkes, als Teil des deutschen Volkes, das wieder zusammenwachsen soll. [...] Dieser Wille verpflichtet uns. Ihn so gut wie nur möglich zu erfüllen ist unsere gemeinsame Verantwortung. [...] Das Ja zur Einheit ist gesprochen. Über den Weg dahin werden wir ein entscheidendes Wort mitzureden haben." Binnen kurzer Zeit mussten die Voraussetzungen für einen Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland geschaffen, die Verfassung geändert und vor allem brennende soziale und Wirtschaftsprobleme gelöst werden, deretwegen immer noch wöchentlich mehrere tausend Menschen nach Westdeutschland übersiedelten. Außerdem hatte die neue, nicht mehr unter der Vormundschaft der früheren Staatspartei SED stehende DDR-Regierung nicht zuletzt die alten Herrschaftsstrukturen zu zerschlagen.

Aufruf "Für unser Land"

Abgestraft wurden am 18. März 1990 die Sozialdemokraten mit nur 21,8 Prozent Wählerstimmen. Sie hatten schon vor der "Wende" ein Veto gegen die deutsche Vereinigung eingelegt und sich auch für die Anerkennung einer speziellen DDR-Staatsbürgerschaft ausgesprochen, was ihr die Sympathie von SED- und Staatschef Erich Honecker, der ja aus dem Saarland kam, und die Verachtung von Bundeskanzler Kohl und seinen Parteifreunden eintrug. Führende Sozialdemokraten in der Bundesrepublik wie Oskar Lafontaine, damals saarländischer Ministerpräsident und später Chef der mit starken SED-PDS-Wurzeln behafteten Linken, sowie sein Parteikollege Johannes Rau, seines Zeichens Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und späterer Bundespräsident, hatten sich gegen eine schnelle Vereinigung ausgesprochen, was von der CDU als "Solidaritätsverrat" gebrandmarkt wurde. Hätten die Saarländer 1957 so gehandelt, erklärte Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU), der uns durch seinen Spruch "Die Rente ist sicher" in fragwürdiger Erinnerung ist, wie Lafontaine jetzt die DDR-Bürger behandelt, "wäre das Saarland heute noch nicht Mitglied der Bundesrepublik".

Im Frühjahr 1990 waren Vorstellungen vom Tisch, eine Konföderation der beiden deutschen Staaten herzustellen und die "Errungenschaften" der DDR in die neue Zeit hinüber zu retten. Der Aufruf "Für unser Land" vom 26. November 1989 hatte noch die tiefe Krise beschrieben, in der die DDR steckt. Er rief die Bevölkerung zum Neubeginn auf und warb für das Nebenherbestehen der beiden deutschen Staaten. "Wie wir bisher gelebt haben, können und wollen wir nicht mehr leben. Die Führung einer Partei hatte sich die Herrschaft über das Volk und seine Vertretungen angemaßt, vom Stalinismus geprägte Strukturen hatten alle Lebensbereiche durchdrungen. Gewaltfrei durch Massendemonstrationen hat das Volk den Prozess der revolutionären Erneuerung erzwungen, der sich in atemberaubender Geschwindigkeit vollzieht. Uns bleibt nur wenig Zeit, auf die verschiedenen Möglichkeiten Einfluss zu nehmen, die sich als Auswege aus der Krise anbieten."

Wir sind das Volk - Wir sind ein Volk

Der Appell rief zur Entwicklung einer solidarischen Gesellschaft in der DDR, in der Frieden und soziale Gerechtigkeit, Freiheit des einzelnen, Freizügigkeit aller und die Bewahrung der Umwelt gewährleistet sind. Die Alternative zur Eigenständigkeit der DDR sei die Vereinnahmung der DDR durch die Bundesrepublik Deutschland, die aber abgelehnt wird. Deshalb endet der Aufruf so: "Lasst uns den ersten Weg gehen. Noch haben wir die Chance, in gleichberechtigter Nachbarschaft zu allen Staaten Europas eine sozialistische Alternative zur Bundesrepublik zu entwickeln. Noch können wir uns besinnen auf die antifaschistischen und humanistischen Ideale, von denen wir einst ausgegangen sind. Alle Bürgerinnen und Bürger, die unsere Hoffnung und unsere Sorge teilen, rufen wir auf, sich diesem Appell durch ihre Unterschrift anzuschließen".

Das Echo auf den von Bürgerrechtlern wie Ulrike Poppe, Friedrich Schorlemmer, Konrad Weiss sowie von Vertretern des Kultur- und Geisteslebens wie Stefan Heym, Walter Janka, Jutta Wachowiak und Christa Wolf unterzeichneten Aufruf "Für unser Land" war unterschiedlich. Es gab sowohl große Zustimmung als auch scharfe Ablehnung. Viele DDR-Bewohner hatten sich von "ihrem" Staat abgewandt und waren für seine eigenständige Entwicklung der DDR innerhalb der Völkergemeinschaft nicht mehr zu haben. Aus dem Slogan "Wir sind das Volk" aus den letzten Tagen der SED-Herrschaft wurde der Ruf "Wir sind ein Volk". Dass sich einige in Misskredit geratene Vertreter des alten Regimes, allen voran Egon Krenz, und ehemals hochangesehene Ideologen wohlwollend über den Aufruf äußerten, tat seiner Wirkung Abbruch.

11. Januar 2020

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