Der Kniefall von Warschau
Zweieuromünze erinnert an Willy Brandt, der vor 50 Jahren die Opfer des Ghettoaufstandes von 1943 auf ungewöhnliche Weise ehrte



Die für den Umlauf bestimmte Zweieuromünze schildert den Augenblick, als Bundeskanzler Willy Brandt am 7. Dezember 1970 ergriffen in die Knie ging, um die Opfer des Aufstands im Warschauer Ghetto von 1943 gegen die deutschen Besatzer zu ehren.



Die Bundesrepublik Deutschland widmete 1994 Willy Brandt eine Zweimarkmünze mit seinem Porträt. Dass auf ihr nicht erwähnt ist, wer dargestellt ist, auch der Anlass der Umlaufmünze, der 45. Gründungstag der Bundesrepublik, unklar ist, wurde schon damals moniert.



Im Willy-Brandt-Forum Unter den Linden in Berlin ist das Foto vom Kniefall des Bundeskanzlers vor dem Denkmal für die Kämpfer und Opfer des Warschauer Ghetto-Aufstandes im Jahr 1943 ausgestellt.



Der Parteivorsitzende und Bundeskanzler Willy Brandt wacht, von Rainer Fetting in Bronze geschaffen, in der nach ihm benannten Parteizentrale an der Wilhelmstraße in Berlin-Kreuzberg über die Geschicke der Sozialdemokratie und das Wohl und Wehe seines Landes, das es mit ihm nicht immer gut meinte.



Das elf Meter hohe Monument zur Erinnerung an den Aufstand im Warschauer Ghetto von 1943 wurde 1947 wurde von dem jüdischen Bildhauer Nathan Rapaport in Zusammenarbeit mit Leon Marek Suzin aus schwedischen Labradoritblöcken errichtet, die vom Architekten und Rüstungsminister Albert Speer für ein Siegesdenkmals vorgesehen waren. Neben dem Ehrenmal wurde am Willy-Brandt-Platz das Museum der Geschichte der polnischen Juden erbaut.



Das Denkmal des Warschauer Aufstandes erinnert an Erhebung polnischer Patrioten im Sommer 1944 gegen die deutschen Besatzer. Das figurenreiche Monument nach Entwurf von Wincenty Ku?ma und Jacek Budyn wurde 1989 auf dem Krasi?ski-Platz vor dem Obersten Gericht in Warschau enthüllt. (Fotos: Caspar)

Fünfzig Jahre ist es her, dass Bundeskanzler Willy Brandt bei seinem Besuch in Warschau vor dem Mahnmal zum Gedenken an den jüdischen Ghetto-Aufstand von 1943 in die Knie gegangen ist. Das Jubiläum wird durch eine neue, von den Berliner Münzdesigner und Stempelschneider Bodo Broschat gestaltete Zweieuromünze gewürdigt. Brandt war mit einer Delegation nach Warschau zur Unterzeichnung des Vertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen gekommen, mit dem beide Staaten vor allem die Unverletzlichkeit der Oder-Neiße-Grenze anerkannten, was allerdings nicht wenige Westdeutsche und vor allem Heimatvertriebene als Verrat an ihren Interessen und Gefühlen ansahen. Für Polen unterschrieb der Ministerpräsident Józef Cyrankiewicz, ein Überlebender des Vernichtungslagers Auschwitz.

Willy Brandt war nach dem Richten der Kranzschleife nicht nur mit ernstem Blick stehen geblieben, sondern sank auf die Knie und verharrte so eine Weile schweigend und sichtlich ergriffen. Diese Geste der Demut und der Trauer überraschte nicht nur die deutsche Delegation und die polnischen Gastgeber, sondern auch die deutsche und die Weltöffentlichkeit. Sie wurde als Bitte um Vergebung für furchtbare Verbrechen der deutschen Besatzer am polnischen Volk verstanden, man hat sie aber auch als Symbol für die Ostpolitik und die Überwindung des Kalten Kriegs und der deutschen Teilung gewertet, für die der Sozialdemokrat 1971 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.

Vom Gefühl der Ehrfurcht und Trauer ergriffen

Der Spiegel-Reporter Hermann Schreiber hatte die Szene beobachtet und schrieb in dem Hamburger Nachrichtenmagazin: "Wenn dieser nicht religiöse, für das Verbrechen nicht mitverantwortliche, damals nicht dabei gewesene Mann nun dennoch auf eigenes Betreiben seinen Weg durchs ehemalige Warschauer Ghetto nimmt und dort niederkniet - dann kniet er da also nicht um seinetwillen. Dann kniet er, der das nicht nötig hat, da für alle, die es nötig haben, aber nicht da knien - weil sie es nicht wagen oder nicht können oder nicht wagen können. Dann bekennt er sich zu einer Schuld, an der er selber nicht zu tragen hat, und bittet um eine Vergebung, derer er selber nicht bedarf. Dann kniet er da für Deutschland." Dargestellt ist auf der neuen Umlaufmünze der Moment, wo der SPD-Politiker vor dem Ehrenmal für die Kämpfer und Opfer des Aufstands im Sommer 1943 im Warschauer Ghetto gegen die deutschen Besatzer, vom Gefühl der Ehrfurcht und Trauer ergriffen, seine Reverenz erweist. Die Bilder von dieser ungewöhnlich anrührenden Szene gingen um die Welt.

Mehr Demokratie wagen

Der SPD-Politiker Egon Bahr erinnerte sich so: "Als die Wagenkolonne sich zum Ghetto-Ehrenmal in Bewegung setzt, vergleichen Berthold Beitz und ich unsere Eindrücke. Wir steigen in Ruhe aus und haben es nicht eilig, uns der dichten Menge von Journalisten und Photographen zu nähern - da wird es plötzlich ganz still. Dass dieses hartgesottene Völkchen verstummt, ist selten. Beim Nähertreten flüstert einer: ,Er kniet'. Gesehen habe ich das Bild erst, als es um die Welt ging. Den Freund zu fragen, habe ich mich auch am Abend beim letzten Whisky gescheut. Dass einer, der frei von geschichtlicher Schuld, geschichtliche Schuld seines Volkes bekannte, war ein Gedanke, aber große Worte zwischen uns waren unüblich. ,Ich hatte das Empfinden, ein Neigen des Kopfes genügt nicht.'"

In der Ende 1966 von CDU/CSU und SPD gebildeten Bundesregierung mit Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger an der Spitze war Willy Brandt Außenminister und Vizekanzler. Diese Große Koalition leitete die Modernisierung der Bundesrepublik ein und versuchte auch eine Verbesserung der Beziehungen zu den osteuropäischen Ländern und zur - nicht anerkannten - DDR. Im Ergebnis der Bundestagswahl am 21. Oktober 1969 wurde Brandt der erste sozialdemokratische Bundeskanzler. Die von ihm geführte Regierung aus SPD und FDP setzte nach dem Motto "Mehr Demokratie wagen" die von heftigen Auseinandersetzungen mit der "68-er-Bewegung" begleiteten inneren Reformen fort, trieb die Einigung Westeuropas voran und begann eine neue Ost- und Deutschlandpolitik. Von der CDU-CSU-Opposition heftig bekämpft, gewann Brandt 1972 zwar die vorgezogenen Neuwahlen, doch zwang eine Spionageaffäre um seinen von der DDR-Stasi eingeschleusten Referenten Günther Guillaume im Mai 1974 zu seinem vorzeitigen Rücktritt als Bundeskanzler und als Vorsitzender der SPD. Der bisherige Finanzminister Helmut Schmidt (SPD) folgte ihm als Regierungschef.

Am Abgrund der deutschen Geschichte

Nicht alle Bewohner der Bundesrepublik Deutschland waren mit Brandts Demutsgeste in Warschau einverstanden. Bei einer Befragung fand fast die Hälfte der Westdeutschen - die DDR-Bewohner konnten nicht ihre Meinung sagen, die von der SED beherrschten Medien verschwiegen den Kniefall - bewerteten den Kniefall als eine überflüssige Verbeugung vor dem kommunistisch beherrschten Polen, ja von interessierter Seite wurde der Sinn von Brandts Ostpolitik in Bausch und Bogen abgelehnt und einmal mehr die Forderung nach Rückgabe der nach 1945 von Deutschland abgetrennten Ostgebiete erhoben.

Willy Brandt schrieb in seinen 1989 erschienenen Erinnerungen, er sei immer gefragt worden, was es mit dieser Geste auf sich gehabt habe und ob sie geplant war. "Nein, das war sie nicht. Meine engen Mitarbeiter waren nicht weniger überrascht als jene Reporter und Fotografen, die neben mir standen, und als jene, die der Szene ferngeblieben waren, weil sie ,Neues' nicht erwarteten. […] Ich hatte nichts geplant, aber Schloss Wilanow, wo ich untergebracht war, in dem Gefühl verlassen, die Besonderheit des Gedenkens am Ghetto-Monument zum Ausdruck bringen zu müssen. Am Abgrund der deutschen Geschichte und unter der Last der Millionen Ermordeten tat ich, was Menschen tun, wenn die Sprache versagt."

Aufstand, den sicheren Tod vor Augen

Als die deutsche Wehrmacht am 1. September 1939 das Nachbarland überfallen hatte und es bereits nach fünf Wochen geschlagen war, begann eine furchtbare Leidenszeit für seine Bewohner. Hitler und Stalin hatten sich am 23. August 1939 in einem Geheimabkommen darüber geeinigt, Polen unter sich aufzuteilen. Wer sich ihren Armeen in den Weg stellte, wurde, ob Soldat oder Zivilist, verschleppt und ermordet. Hitler errichtete in dem Generalgouvernement genannten Besatzungsgebiet eine Schreckensherrschaft und ließ in den Konzentrations- und Vernichtungslagern Millionen aus dem besetzten Europa hierher verschleppte Menschen ermorden, vor allem Juden, die im Rahmen der "Endlösung" ausgerottet werden sollten.

Während die Deutsche im besiegten Polen Angst und Schrecken verbreiteten, Jagd auf Juden und Oppositionelle machten und eine brutale Germanisierungspolitik betrieben, bildeten sich in Paris eine polnische Exilregierung und eine Exilarmee, die von den Westalliierten als Bundesgenossen akzeptiert wurden. Den sicheren Tod vor Augen, erhoben sich im April/Mai 1943 die Bewohner des Warschauer Ghettos, um sich gegen ihre Deportation in die Vernichtungslager zu wehren. Der bekannte Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki hat in seinem Buch "Mein Leben" aus eigenem Erleben die sich von Tag zu Tag verschlimmernde Lage der im Warschauer Ghetto eingepferchten, Hunger, Krankheit und Naziterror ausgesetzten Juden beschrieben und geschildert, wie er mit seiner Frau Tosia auf abenteuerlichem Weg der von den Deutschen befohlenen Deportation entkam.

Obwohl es angesichts der deutschen Übermacht aussichtslos war, leisteten die Bewohner des von den Deutschen "Seuchensperrgebiet beziehungsweise Jüdisches Wohngebiet" genannten Ghettos schlecht bewaffnet, aber zum Äußersten entschlossen mehrere Wochen lang erbitterten Widerstand, hatten aber keinen Erfolg. Am 16. Mai 1943 meldete der deutsche Befehlshaber, SS-Gruppenführer Jürgen Stroop, die Niederschlagung des Aufstands mit Bomben, Granaten, Feuer und Giftgas. Die wenigen Überlebenden wurden in die deutschen Vernichtungslager verschleppt und ermordet. Getragen wurde der Aufstand von der Jüdischen Kampforganisation (?OB) unter der Leitung von Mordechaj Anielewicz, dem Jüdischen Militärverband (?ZW) und anderen Organisationen.

Mit dem Mut der Verzweiflung

Nicht mit dem Aufstand der Juden im Warschauer Ghetto von 1943 zu verwechseln ist der Warschauer Aufstand ab 1. August 1944 gegen die deutschen Besatzungstruppen. Die größte bewaffnete Erhebung im deutsch besetzten Europa während des Zweiten Weltkrieges wurde von dem polnischen General Tadeusz Bór-Komorowski geführt. Der Aufstand begann in der Hoffnung, dass die bereits in Vororten von Warschau stationierte Rote Armee eingreifen werden. Doch Stalin hatte andere Pläne. Er strebte im befreiten Polen die Installierung eines moskauhörigen Regimes an, und in dieses Konzept passte ein Sieg der von der Londoner Exilregierung gesteuerten Heimatarmee nicht hinein.

Deshalb überließ er die heroisch kämpfenden Aufständischen ihrem Schicksal. Die notdürftig bewaffneten Soldaten der Heimatarmee sowie Zivilisten kämpften 63 Tage lang gegen die schwer bewaffneten Wehrmachts- und SS-Einheiten. Nach erbitterten Straßen- und Häuserkämpfen ergab sich Bór-Komorowski mit wenigen Überlebenden am 2. Oktober 1944. Beim Warschauer Aufstand fielen 16 000 Angehörige der Heimatarmee sowie 150 000 Zivilisten. Die Nazipropaganda feierte die Niederschlagung als Sieg und Warnung an andere okkupierte Länder, sich den Deutschen nicht entgegen zu stellen. Während Warschau dem Erdboden gleich gemacht wurde, stiftete Hitler als neue Auszeichnung das "Warschau-Schild". Die polnische Hauptstadt ist nach dem Krieg aus Ruinen neu erstanden ist und wurde eine blühende Metropole.

28. November 2020

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