Hunger saß am Tisch
Not- und Teuerungsmedaillen erzählen von schrecklichen Missernten und globalen Klimakatastrophen





Die sächsische Zinnmedaille von 1772 mit Preisangaben konnte man an einer Schnur oder Kette am Hals tragen. "Verzaget nicht Gott lebet noch" lautet die tröstliche Inschrift auf der Nürnberger Hungermedaille von 1816.



Auf der schlesischen Teuerungsmedaille von 1847 sind Kartoffeln als billigstes Nahrungsmittel ausgewiesen.





Die Medaillen von 1847 und 1923 nennen Preise kurz vor der Revolution von 1848 und während der Inflationszeit nach dem Ersten Weltkrieg.



Aufgebrachte Berliner prügeln 1847 während der Kartoffelrevolution sich mit Lebensmittelhändlern, das preußische Militär schlägt bald darauf die Revolte nieder.





An Münchens Leiden im Zweiten Weltkrieg und die Folgen der NS-Diktatur erinnert der "Hungertaler" von 1947. (Fotos/Repros: Caspar)

In alten Zeiten, als man Hunger- und Teuerungsmedaillen anlässlich von Missernten, Heuschreckenplagen, Klimakatastrophen und ähnlichen Anlässen prägte, war die Landwirtschaft urtümlich organisiert und alles andere als effektiv. Man hatte noch keine Erntemaschinen, und die Gutsherren zwangen ihre Leibeigenen zur Arbeit ohne Pause und bei schlechtem Lohn. Kleine Bauern produzierten vor allem für den Eigenbedarf. Was sie darüber hinaus auf den Märkten verkaufen konnten, legte oft lange Strecken zurück. Auf dem Weg in die Städte verdarben viele Produkte, denn man hatte keine geeigneten Kühlmöglichkeiten.

Urtümliche Methoden der Bodenbearbeitung, der Düngung und des Fruchtwechsels gaben nicht so viel her, dass alle Menschen satt wurden. Wer genug Geld hatte, konnte sich gut versorgen und überstand Notzeiten. An fürstlichen Höfen und bei reichen Bürgersleuten herrschte bei Brot, Fleisch, Gemüse, Obst, Wein und anderen Erzeugnissen kein Mangel. Preußens König Friedrich II., der Große, bezahlte außerhalb der Saison für Südfrüchte und Kirschen Unsummen. Auf der anderen Seite saß der Hunger, bildlich gesprochen, bei unzähligen armen oder schlecht bezahlten Leuten am Tisch und forderte seinen Tribut. Die Sterblichkeitsrate unter dem schlecht ernährten, krankheitsanfälligen Menschen ohne ärztliche Versorgung war enorm. Viele Neugeborene überlebten das erste Lebensjahr nicht.

Gottes Hand schlägt das Land

Seit dem 18. Jahrhundert hat man anlässlich von Hunger und Not Medaillen geprägt, manchmal auch gegossen. Die Medaillen kombinieren allegorische Darstellungen und fromme Sprüche mit Angaben über aktuelle Brot-, Getreide- und andere Preise. Zumeist sind die Medaillen aus billigem Zinn oder Messing wenig kunstvoll gestaltet. Der Handel bietet sie regelmäßig an. Manche hat man gehenkelt, um sie als Andenken an Schnüren und Ketten am Hals tragen zu können. Mitunter stehen auf den Medaillen aktuelle Kosten für Getreide und Getränke denen gegenüber, die man in besseren Zeiten zahlen musste. Die hier abgebildete sächsische Medaille von 1772 aus Zinn trägt die Umschrift "Gottes Hand schlägt das Land" und zeigt einen aus der Wolke ragenden, eine Rute schwingenden Arm. Die Rückseite erinnert an die große Not und Teuerung, als man für einen Scheffel Korn 15 Taler, einen Scheffel Weizen 16 Taler und einen Scheffel Gerste 12 Taler zahlen musste. Die Angabe "Dresdner Maß" für etwa 107 Liter ist wichtig, weil man damals unter einem "Scheffel" als Raummaß für Getreide und andere Schüttgüter überall etwas anderes verstand.

Für die Hungersnöte gab es unterschiedliche Ursachen, so monatelange Verdunklung des Himmels infolge von Flächenbränden, Vulkanausbrüchen und anderen Unglücken. Lang andauernde Kälte tat den Menschen und der Landwirtschaft nicht gut, auf der anderen Seite hatte man in anderen Jahren mit Hitze und Dürre zu tun. Verheerende Niederschläge und Überschwemmungen forderten ebenfalls ihren Tribut. Agrar- und Klimaforscher bringen die globalen Hungersnöte von 1816 und 1817 mit dem spektakulären Ausbruch des Vulkans Tambora auf der zu Indonesien gehörenden Insel Sumbawa in Verbindung. Das durch explosionsartige Eruptionen bis tief in den Himmel ausgeworfene Material verteilte sich über die ganze Welt und bewirkte globale Klimaveränderungen, die dem Jahr 1816 die Bezeichnung "Jahr ohne Sommer" eintrugen. Auf der nördlichen Hemisphäre kam es durch Missernten und eine erhöhte Sterblichkeit unter Nutztieren zur schlimmsten Hungersnot des 19. Jahrhunderts. Die Verfinsterung der Sonne hatte einen Temperaturabfall bis sechs Grad zur Folge. Als in jenem Jahr in Deutschland Hungermedaillen mit Aufschriften wie "Verzaget nicht Gott lebet noch" und "O gib mir Brot, mich hungerts" geprägt wurden, hatte man keine Ahnung, dass jener Vulkanausbruch am anderen Ende der Welt die Ursache für Missernten und Hungersnöte war. Das haben Recherchen aus späteren Zeiten ergeben.

Kartoffelkrieg in Berlin

Getreide-, Brot- und Fleischpreise überstiegen in Perioden von Missernten klar das Einkommen, das so genannten kleinen Leuten zur Verfügung stand. Wenn sie nicht selber eine Landwirtschaft oder einen Garten besaßen, kamen die Menschen am unteren Rand der Gesellschaftspyramide, zumal wenn viele Kinder zu versorgen waren, nur schwer oder überhaupt nicht über die Runden. Deshalb kam es immer wieder zu Hungerrevolten, die blutig niedergeschlagen wurden. Der Revolution vom 18. März 1848 ging der so genannte Kartoffelkrieg voran, bei dem sich die Berliner Stadtarmut mit der Polizei erbitterte Straßenschlachten lieferte. Ausgelöst wurde die Revolte durch eine Missernte von 1846, durch die die Preise für Grundnahrungsmittel, vor allem für Kartoffeln und Roggen, stark anstiegen. Hinzu kamen als Folge einer Wirtschaftskrise Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit. Der Kartoffelkrieg dauerte drei Tage und wurde von schwer bewaffnetem Militär beendet. Die Staatsmacht rächte sich an einigen Rädelsführern und Aufrührern, wie man sagte, mit hohen Gefängnis- und Zuchthausstrafen.

Eine Antwort der Regierung auf die Hungersnot war unter anderem die Öffnung von Lebensmittelmagazinen, die Einrichtung von Pferdeschlächtereien, für deren ungewohnte Angebote mit allen Kräften geworben wurde, und auch die Festsetzung von Höchstpreisen für Lebensmittel. Außerdem wurde eine Steuer auf Wildfleisch erhoben, deren Erlös der Armenkasse überwiesen wurde. Schließlich wurde armen Berlinern die Möglichkeit gegeben, auf städtischen Ländereien Gemüsegärten sowie kleine Kartoffeläcker anzulegen. Soziale Dienste, die Kirchen und mildtätige Bürger kümmerten sich um Arme und Schwache, doch reichten ihre Mühen nicht aus. Weitblickende Leute wie der Arzt Rudolf Virchow setzten sich unter dem Eindruck immer wiederkehrender Versorgungsprobleme für den Bau von Markthallen ein, um den Verkauf von Lebensmitteln unter freiem Himmel einzuschränken und so auch das Angebot an "sicheren" Erzeugnissen zu verbessern. Medaillen auf den Kartoffelkrieg wenige Monate vor der Volkserhebung von 1848/48 sind nicht überliefert.

27. Februar 2020

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