Rokoko der edelsten Art
Neue Dauerausstellung im Schloss Charlottenburg würdigt Friedrich II. als königlichen Bauherrn und Gastgeber



Dass das Charlottenburger Schloss im und nach dem Zweiten Weltkrieg eine einzige Trümmerlandschaft war, sieht man ihm nicht an. Langsam in die Jahre gekommen, wird die ehemalige Residenz der preußischen Könige und deutschen Kaiser innen und außen saniert und restauriert.



Am und im 140 Meter langen Neuen Flügel, den Friedrich II., der Große, ab 1740 nach Plänen von Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff dem unter König Friedrich I. erbauten Alten Schloss rechterhand anfügen ließ, laufen Sanierungs- und Restaurierungsarbeiten.





Die Bronzebüste ehrt Margarete Kühn an einem etwas versteckten Platz in der Goldenen Galerie. Die jetzt abgeschlossene Wiederherstellung der Fest- und Privaträume sowie der Bibliothek Friedrichs II. hätte die unerschrockene Retterin des Charlottenburger Schlosses in Entzücken versetzt.



Aktuell nur mit Gesichtsmaske kann man die edel ausgestateten Räume des Schlosses Charlottenburg betreten.



Wie andere Herrscher seiner Zeit pflegte auch Friedrich der Große sein Image als herausragender Feldherr, alles bestimmender Landesvater und Gesetzgeber durch Medaillen. Sie im Neuen Flügel des Charlottenburger Schlosses zu zeigen, hätte der neuen Dauerausstellung gut getan.



Sechs Schränke in Friedrichs Bibliothek bergen 900 kostbar gebundene Bände, die ursprünglich im Potsdamer Stadtschloss aufgestellt waren. An ihnen kann man studieren, womit sich der König beschäftigte und woher er sein Wissen schöpfte.



Wo es möglich war, wurde die Ausstattung der Räume wie zu Friedrichs Zeiten wiederhergestellt, wobei Möbel und Bilder auch aus seinen anderen Residenzen stammen können. Ein besonderer Anziehungspunkt ist das berühmte Bild "Einschiffung nach Cythère" von Antoine Watteau aus dem Jahr 1718 als Beleg für die Vorliebe des königlichen Sammlers für französische Meister seiner Zeit.



In einem der letzten Räume wird berichtet, wie "Mythos Friedrich der Große" gearbeitet wurde und wer die beteiligten Künstler waren.



Schloss Charlottenburg kann man als Zweieuromünze von 2018 im Portemonnaie tragen, aber auch besichtigen. In einem der letzten Räume wird berichtet, wie "Mythos Friedrich der Große" gearbeitet wurde und wer die beteiligten Künstler waren. (Fotos: Caspar)

Wer das Berliner Schloss Charlottenburg besucht, wird nicht gleich wissen, dass es im Wesentlichen eine Rekonstruktion aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ist, freilich eine sehr präzise, auf Archivunterlagen, alten Bauplänen, Fotografien und Beschreibungen beruhende, in die auch zahlreiche seinerzeit aus den Trümmern geborgene Reste aus Stein, Holz und Stück einbezogen wurden. Bis zum Ende der Monarchie im Jahre 1918 hatten die Hohenzollern vor allem in Berlin und Potsdam, aber auch im Schloss Charlottenburg residiert, das Preußens erster König Friedrich I. für seine Gemahlin Sophie Charlotte im frühen 18. Jahrhundert als Sommerresidenz hat errichten lassen. Dem im 18. und 19. Jahrhundert um- und ausgebauten und von Friedrich II., dem Großen, gleich nach dessen Thronbesteigung 1740 durch einen neuen Flügel ergänzten Palast erging es im Zweiten Weltkrieg schrecklich. Der Barockbau inmitten eines weitläufigen Parks wurde am 23. November 1943 und dann noch einmal im Februar 1945 durch Fliegerbomben zerstört. Danach war das Schloss wie viele andere Bauten in der ehemaligen Reichshauptstadt nur noch eine traurige Ruine, und es war nicht klar, was aus ihr werden soll.

Da große Teile der ehemaligen Reichshauptstadt in Trümmern lagen und Wohnraum sowie Wirtschafts- und Verkehrsbauten dringend benötigt wurden, war es bei Politikern im damaligen Westberlin und in der Bevölkerung nicht einfach, erfolgreich die Trommel für den Wiederaufbau der Hohenzollernresidenz zu schlagen. Doch genau dieses Ziel machten sich die Kunsthistorikerin Margarete Kühn und weitere Visionäre zur Aufgabe. Die damalige Direktorin der Schlösserverwaltung kannte den Palast mit dem auffälligen Kuppelturm noch vor seiner Zerstörung, und sie empfand es als schmerzlich, ja unerträglich, dass die Ruine dem Erdboden gleich gemacht werden könnte, denn solche Pläne gab es damals. Kühn und Kollegen suchten unverdrossen in den Trümmern nach verwertbaren Relikten und stellten sie für den geplanten Wiederaufbau sicher. Außerdem wurden alle greifbaren Bilder und Dokumente für den geplanten Wiederaufbau gesammelt.

Hier Abriss, dort Wiederaufbau

Die Diskussion wurde befördert, nachdem 1950 in Ostberlin das ebenfalls von Bomben getroffene, aber immerhin besser erhaltene Stadtschloss auf Befehl der SED abgerissen wurde, ein Bau, der aktuell als Humboldt Forum seine Wiedergeburt erlebt. So lag es nahe, für den Wiederaufbau des Charlottenburger Schlosses auch mit dem Argument zu werben, dass man sich damit von den kommunistischen Machthabern und Kulturvernichtern im Osten abzuheben, so die damalige Diktion auf westlicher Seite. Margarete Kühn und ihre Mitstreiter fanden in Vertretern der britischen Besatzungsmacht Fürsprecher, und so konnte der Wiederaufbau mit der Sicherung der Ruine und der Bergung aller Überreste beginnen. Die Rekonstruktion fand 1957 mit der Wiederherstellung der Schlosskuppel ihren vorläufigen Abschluss, doch waren die Arbeiten außen und innen damit noch lange nicht beendet. In der Goldenen Galerie des Neuen Flügels steht gleich links am Eingang eine Büste der Frau, der wir vor allem die Rettung des Schlosses verdanken.

Die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (SPSG) ist noch längere Zeit mit Reparatur- und Restaurierungsarbeiten im Alten Schloss beschäftigt, das weithin an der grün patinierten Kupferkuppel mit der vergoldeten Fortuna darauf zu sehen ist. Rechterhand wurde am 12. September 2020 im Neuen Flügel eine neu konzipierte und überarbeitete Dauerausstellung eröffnet. Sie würdigt Friedrich den Großen als Bauherrn des Neuen Flügels und als bedeutenden Monarchen der preußisch-deutschen und europäischen Geschichte jenseits der üblichen Klischees. Ermöglicht wird das Projekt, das Christoph Martin Vogtherr, der Generaldirektor der Schlösserstiftung, bei einer Pressekonferenz einen dicken Brocken nannte, durch die großzügige Förderung der Lotto-Stiftung Berlin und des Vereins der Freunde der Preußischen Schlösser und Gärten e. V. Deren Vertreterinnen Marion Bleß und Barbara Schneider-Kempf zeigten sich beim ersten Rundgang hocherfreut angesichts der weitgehende Wiedergewinnung der Räume in der oberen Etage des Neuen Flügels.

Bauherr, Feldherr, Landesvater

Empfangen werden die Besucherinnen und Besucher der neuen Dauerausstellung von einem lebensgroßen Porträt des Bau- und Feldherrn Friedrich, das in dem Jahr entstand, in dem die Bauarbeiten am Neuen Flügel abgeschlossen wurden. Das Bild erinnert daran, dass die Regierungszeit des Monarchen nicht nur mit einem neuen Schlossbau, sondern auch mit dem nur fadenscheinig begründeten Überfall auf die zum Habsburgerreich gehörende Provinz Schlesien begann, dem insgesamt drei verheerende Kriege folgen sollten, in deren Verlauf auch das Schloss Charlottenburg von feindlichen Soldaten geplündert wurde. Das Porträt ist umringt von den Bildnissen der Familienmitglieder, die in Charlottenburg geheiratet, gewohnt und gefeiert haben. Wo sich diese in der weitläufigen Residenz aufhielten, zeigt ein Schlossmodell. In diesem Raum oder einem anderen wäre ein guter Ort gewesen, die unter Friedrich II. gepflegte "Histoire métallique" durch Präsentation von Medaillen aus Gold und Silber aus den eigenen Beständen oder Leihgaben aus dem Berliner Münzkabinett zu würdigen. Diese von großartigen Stempelschneidern gestalteten Prägungen halfen mit volkstümlichen Flugblättern und auf anderem Weg zur "Ruhmesverklärung des Großen Friedrich" beizutragen.

"Die Besucherinnen und Besucher werden in jedem der 16 Räume des Obergeschosses eine andere Facette des Königs kennenlernen. Wir verdeutlichen die Rolle von Charlottenburg als Ort höfischer Feste, schildern die problematischen Beziehungen des Herrschers als selbstbewusster Arbeitgeber zu seinen Hofkünstlerinnen und Hofkünstlern und zeigen, wer das bis heute oft noch nachwirkende Bild vom sparsamen, sich für sein Volk aufopfernden Monarchen in die Welt gesetzt hat. Zudem klären wir auf, wie der König seine Kunstankäufe tätigte und wen er damit beauftragt hat. Belegt ist, dass er Versteigerungslisten von privaten Sammlungen studiert und Vertraute mit Ankäufen beauftragt hat. Außerdem zeigen wir, wer hier beim König zu Gast war und mit ihm gefeiert hat" fasst Vogtherr den Inhalt der neuen Ausstellung zusammen.

Leise Flötentöne täten ganz bestimmt gut

Dafür, dass der König in Charlottenburg nicht nur feierte, sondern auch seinen Staatsgeschäften nachging und seiner musikalischen Leidenschaft als Flötenspieler und Komponist frönte, legen ein Schreibtisch samt bequemem Sessel im Raum vor der Bibliothek sowie ein Notenpult im Musiksaal Zeugnis ab. Wenn hier im Hintergrund zur Freude der Besucherinnen und Besucher Musik erklingen würde, die am Hof Friedrichs des Großen zu hören war, wäre das ein sicherlich sehr willkommen. Die Klanginstallation mit Flötentönen und Cembalo dürfte nicht aufwändig sein und würde die feierliche Stimmung sicherlich heben.

Bereits einen Monat nach seinem Regierungsantritt am 31. Mai 1740 begann der 28jährige König mit dem Neuen Flügel, seinem ersten Schlossbau. Das zu wissen ist wichtig, wird doch das Potsdamer Schloss Sanssouci als erster Bau dieser Art in der Ära Friedrichs II. angesehen. Der König bewohnte den Neuen Flügel allerdings nur selten in der warmen Jahreszeit, weil er Potsdam als Residenz bevorzugte. Wenn er in Charlottenburg weilte, dann zu Feiern mit seiner großen Familie und Verwandtschaft. Da er stets kostbar gebundene Bücher um sich haben wollte, ließ er sich eine Bibliothek einrichten. Die heute dort in sechs Schränken aufgestellten 900 Bücher gehören eigentlich nicht nach Charlottenburg, denn diese gingen durch den Krieg verloren. Vielmehr stammen sie aus dem Potsdamer Stadtschloss, das vor einigen Jahren als brandenburgisches Landtagsgebäude seine Wiedergeburt erlebte. Die auf Konsolen stehenden Büsten antiker Herrscher sind Gipsabformungen, die kostbaren Originale gelangten im frühen 19. Jahrhundert nach Berlin in die Königlichen Museen.

Kunst an einem Ort zusammengeführt

In Charlottenburg waren und sind zentrale Werke der königlichen Kunstsammlung versammelt. Viele Objekte waren bisher über Berlin und Potsdam verstreut und sind jetzt im Neuen Flügel zu sehen. Friedrich nutzte sein erstes Schloss mit seinen beiden prächtigen, nach dem Krieg weitgehend wiederhergestellten Festsälen, die barocke Orangerie und den an der Spree gelegenen Garten regelmäßig für höfische Feierlichkeiten, für Opern, Schauspiele, Feuerwerke und Maskenbälle. So richtete er auch prächtige Hochzeitsfeiern seiner Geschwister sowie seines Neffen und Nachfolgers Friedrich Wilhelm II. in Charlottenburg aus. Das hinderte diesen nicht daran, den Neuen Flügel nach Friedrichs Tod am 17. August 1786 auszuräumen und nach seinem Geschmack klassizistisch umzugestalten. So sieht man beim Durchschreiten der Raumfolge hier Rokoko der edelsten Art und dort mach neuester Mode dekorierte und ausgestattete Säle.

Nach den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg und dem Wiederaufbau wurde das friderizianische Rokoko in zahlreichen Räumen zwar eindrucksvoll rekonstruiert, das verschwundene Mobiliar aber ließ sich durch einzelne Neuerwerbungen hingegen nur unzureichend ersetzen. Beinahe zur Gänze erhalten haben sich indes die Möbel aus der Wohnung Friedrichs des Großen im früheren Potsdamer Stadtschloss. Sie entstanden - wie die einst für den Neuen Flügel entworfenen Möbel - zwischen 1745 und 1748 für eine Raumfolge, die mit der im Neuen Flügel übereinstimmte. Sie sind nun im Neuen Flügel zu sehen, um dort eine Vorstellung von der Wohnkultur und der Nutzung der friderizianischen Appartements zu vermitteln. Welche Spuren die Geschichte an den Möbeln hinterlassen hat und mit welchen Restaurierungskonzepten man sich ihnen heute nähert, wird in einem speziellen Raum erläutert.

Des Königs Faible für galante Bilder

Und auch das wird gezeigt, die Arbeit des Königs am eigenen Mythos und die Art und Weise, wie er das Gesicht der Residenzstadt Berlin nach seinen Vorstellungen prägte, warum er ein besonderes Faible für die "galanten" Bilder Antoine Watteaus und anderer Franzosen hatte und sich damit von andern fürstlichen Sammlern seiner Zeit abhob. Als 1982 bekannt wurde, dass Louis Ferdinand Prinz von Preußen das Gemälde "Einschiffung nach Cythère" für 15 Millionen DM verkaufen will, rief der damalige Regierende Bürgermeister und spätere Bundespräsident Richard von Weizsäcker die Bevölkerung auf, für den Ankauf des Bildes fünf Millionen DM zu spenden, da es anderenfalls nicht in Berlin zu halten sei. Die geforderten Spenden wurden vom eigens neugegründeten Verein "Freunde der Preußischen Schlösser und Gärten" eingeworben, und so konnte es 1983 vom Staat für 15 Millionen DM gekauft werden, was damals nicht unumstritten war. Neben der berühmten "Einschiffung" sind weitere Werke von Watteau in einem Raum vereint. Charlottenburg kann sich dank der fleißigen Sammeltätigkeit Friedrichs II. eines Bestandes rühmen, der nur noch von französischen Galerien übertroffen wird. Und wenn man dann noch Zeit und Kraft hat, kann man sich mit der hitzigen Nachkriegsdebatte über Rekonstruktion oder Neuschöpfung im Krieg zerstörter Werke auseinandersetzen und Einblick in die von Hitler angeordnete Fotodokumentation der Charlottenburger Deckengemälde drei Wochen vor deren Zerstörung im November 1943 nehmen.

12. September 2020

Zurück zur Themenübersicht "Ausstellungen, Museen, Denkmalpflege"