Gedenken am "Tor des Südens"
Private Stiftung will bis 2025 am Anhalter Bahnhof in Berlin ein Exilmuseum bauen und sucht Helfer und Sponsoren



Der im 19. Jahrhundert als Kopfbahnhof erbaute Anhalter Bahnhof war der größte Verkehrsbau dieser Art in Berlin. Millionen Passagiere fuhren von hier in die weite Welt oder kamen von dort an. Das Foto zeigt das Gebäude im Jahr 1870.



Bei Luftangriffen im Zweiten Weltkrieg bis auf Reste zerstört und danach abgetragen, blieb ein Fragment der imposante Eingangsbereich vom Anhalter Bahnhof am Anhalter Platz mit den allegorischen Figuren von Tag und Nacht erhalten und wurde denkmalpflegerisch gesichert.



Die Stiftung Exilmuseum Berlin baut in den kommenden fünf Jahren hinter den Relikten des Anhalter Bahnhofs ein Museum, in dem an Künstler, Wissenschaftler, Politiker und viele andere Personen, die während der NS-Diktatur Deutschland verlassen mussten.



An ihren Stammplatz auf dem Giebel des früheren Anhalter Bahnhofs zurück gekehrt sind die Nachbildungen der Symbolfiguren von Tag und Nacht.



Das so genannte Fürstenportal vom Anhalter Bahnhof im Deutschen Technikmuseum Berlin an der Trebbiner Straße im Bezirk Kreuzberg Asyl.



Am Anhalter Bahnhof berichten Metallstelen in deutscher und englischer Sprache aus der Geschichte des Bahnhofs und dokumentieren, dass 1942 bis 1945 die so genannten Alterstransporte der Berliner Juden nach Theresienstadt fuhren.



In solchen Wagen hat die Deutsche Reichsbahn unzählige Menschen in die Konzentrations- und Vernichtungslager gebracht und sich diesen "Service" von der Reichsregierung gut bezahlen lassen.



Unten den Augen der deutschen "Volksgenossen" wurden in Bremen (Foto) und unzähligen anderen Städten Jüdinnen und Juden gleich welchen Alters erst zu Sammelstellen abgeführt und dann in die Konzentrations- und Vernichtungslager verschleppt. (Fotos/Repros: Caspar)

Am Anhalter Bahnhof in Berlin wird in den kommenden Jahren ein Exilmuseum gebaut. Das Projekt geht auf eine bürgerschaftliche Initiative um die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller und den Berliner Kunsthändler und Mitbegründer der Villa Grisebach, Bernd Schultz, zurück. Der Standort auf einer Freifläche hinter der Portalruine des seinerzeit größten Bahnhofs in Berlin könnte nicht besser gewählt sein, denn von hier aus fuhren auch zahlreiche Menschen, die den Rassegesetzen der Nationalsozialisten unterlagen oder weil sie von ihnen als "Volksfeinde" angesehen worden waren, in die Freiheit, aber auch in eine unsichere Zukunft. Der 1841 erbaute und dreißig Jahre später von dem Architekten Franz Schwechten erweiterte Kopfbahnhof wurde von den Reisenden damals "Tor des Südens" genannt, weil von ihm ab die Züge bis nach Rom, Nizza und Istanbul fuhren. Auf grausige Weise ist der Anhalter Bahnhof in Erinnerung als Ausgangspunkt von Deportationen jüdischer Mitbürger in die deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager während der Zeit des Nationalsozialismus.

Die Stiftung Exilmuseum Berlin hat den 1. Preis eines Architekturwettbewerbs dem Büro Dorte Mandrup Arkitekter A/S Kopenhagen für einen geschwungenen Bau zuerkannt, der die Reste des Bahnhofs umschließt und damit auch aufwertet und die denkmalgeschützte Anlage zu einem Sportplatz im Hintergrund trennt. Die Baukosten von rund 27 Millionen Euro sollen über Spenden und private Mittel finanziert werden. Mitinitiator des Projekts, Bernhard Schultz, stellt als Anschub fünf Millionen Euro aus dem Verkauf seiner Kunstsammlung zur Verfügung. Gründungsdirektor des Museums soll der Historiker und Museumsmann Christoph Stölzl werden, der vor über 30 Jahren der erste Generaldirektor des neu gegründeten Deutschen Historischen Museums Unter den Linden in Berlin war und auf diesem Gebiet über große Erfahrungen verfügt. Neben der Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller unterstützt der frühere Bundespräsident Joachim Gauck als Schirmherr den Bau des neuen Museums an einem besonderen historischen Ort. Vorstandsvorsitzender der Stiftung Exilmuseum ist der frühere Berliner Kulturstaatssekretär André Schmitz.

Lebensgeschichten werden erzählt

Das Museum will laut Stiftung individuelle Lebensgeschichten erzählen, den im Exil gemachten Erfahrungen nachspüren und historische Hintergründe für den durch die bedrückenden, lebensgefährlichen Verhältnisse erzwungenen Weggang von Menschen unter Zurücklassung ihrer Wohnungen, Habe und beruflicher Tätigkeiten verständlich machen. Die Emigration nach 1933 aus dem Herrschaftsbereich der Nationalsozialisten wird als schreiendes Unrecht gebrandmarkt und gezeigt, dass das Thema uns heute mehr denn je berührt. Die Zwangsemigration nach 1933 machte das 20. Jahrhundert zu einem Jahrhundert des Exils, doch ist die traurige Geschichte immer noch nicht beendet. Ganz im Gegenteil, denn in der Gegenwart sind weltweit mehr als 65 Millionen Menschen auf der Flucht und werden vielfach von anderen Ländern nicht aufgenommen und sind ihrem Schicksal überlassen. Das Museum strebt Partnerschaften und den Austausch mit Museen, Archiven und Forschungseinrichtungen an, die bereits zum Thema Exil arbeiten. Auf rund 3500 Quadratmeter Nutzfläche sollen Bereiche für eine Dauerausstellung und für Sonderausstellungen eingerichtet werden, kombiniert mit Gastronomie und Serviceeinrichtungen. Im Foyer soll es einen "Raum des Ortes" geben, in dem die wechselvolle Geschichte des in der Kaiserzeit auch als prunkvoller Empfangsbahnhof genutzten Anhalter Bahnhofs dargestellt werden soll.

Bahnhöfe waren im Berlin des 19. Jahrhundert aufwändig gestaltete Prunkbauten, deren Bau und künstlerische Ausgestaltung sich der preußische Staat viel Geld kosten ließ. Die Reste der aus gelbem Backstein errichteten Eingangshalle mit reichem Skulpturenschmuck lassen auch heute noch ahnen, welchen hohen Stellenwert das Bahnhofsgebäude auch als Empfangshalle für Staatsgäste besessen hat, die die kaiserliche Reichshauptstadt besuchten. Vor einigen Jahren wurden die Figuren "Tag und Nacht" auf das im so genannten Rundbogenstil errichteten Eingangstor gehievt. Sie sitzen über dem mittleren Eingang beiderseits einer früher dort befestigten Uhr und erinnern daran, dass der Bahnhof ohne Unterbrechung für die Reisenden geöffnet ist. Bei den Allegorien handelt es sich nicht um die grün patinierten Originale aus Kupferblech, sondern um Kopien. Die von dem Bildhauer Ludwig Brunow geschaffenen Vorlagen werden im Deutschen Technikmuseum an der Trebbiner Straße in Kreuzberg als Beleg für den hohen künstlerischen Aufwand gezeigt, den man nach der deutschen Reichsgründung von 1871 mit Bahnhöfen betrieben hat. Bei der Sanierung des Eingangsportikus wurde die Ruine nicht geschönt oder gar ergänzt, sondern nur gereinigt und ausgebessert. So bleiben Wunden des Krieges sichtbar, lediglich werden lockere Steine mit einem Spezialmörtel gefestigt und Mauerkronen durch eine Metallabdeckung vor eindringendem Regen geschützt.

Mordtransporte mit der Reichsbahn

Fünf bis sechs Millionen Juden aus zahlreichen von den Nazis besetzten Ländern wurden während des Zweiten Weltkriegs in die deutschen Vernichtungslagern und Gettos verschleppt und ermordet. Darunter waren mehr als 55 000 Berliner Juden, die ab 1941 mit der Deutschen Reichsbahn in Richtung Osten "verschickt" wurden, wie die Deportationen damals verniedlichend umschrieben wurden. Zahlreiche Transporte in den Tod verließen bis kurz vor Kriegsende den Anhalter Bahnhof meist in Sonderwaggons 3. Klasse verschleppt, die an normale Reisezüge gekoppelt waren. Das "Altersghetto Theresienstadt" war nur ein Zwischenhalt auf dem Weg weiter nach Osten, in die von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebiete. Die meisten Deportierten wurden in Auschwitz vergast, nur wenige Menschen sind dem Grauen entkommen. Gedenkstätten für die ermordeten Berliner Juden befinden sich in der Nähe des Brandenburger Tors, am Bahnhof Grunewald, an der Putlitzbrücke, in der Levetzowstraße und Rosenstraße, im Haus am Großen Wannsee, in den Synagogen an der Oranienburger Straße und der Fasanenstraße sowie an vielen anderen Orten.

In jahrelanger Arbeit gingen der Eisenbahnhistoriker Alfred Gottwaldt, Leiter des Fachgebiets Schienenverkehr des Deutschen Technikmuseums Berlin, und die Historikerin Diana Schulle von der Stiftung Neue Synagoge Centrum Judaicum Berlin der Frage nach, wie und von wem die etwa 650 Transporte aus dem damaligen "Großdeutschen Reich" organisiert wurden, wohin sie gingen, wer die Deportierten waren und was aus ihnen wurde, so weit man das überhaupt ermitteln kann. Das Ergebnis der wegen der schwierigen Aktenlage überaus komplizierten Recherchen in zahlreichen in- und ausländischen Archiven ist in der Ausstellung zur deutschen Eisenbahngeschichte in einem historischen Lokschuppen des Technikmuseums an der Trebbiner Straße im Berliner Bezirk Kreuzberg zu sehen und wird auch in dem Buch "Die ,Judendeportationen' aus dem Deutschen Reich 1941 - 1945" dokumentiert.

Die Schautafeln, Fotos und Grafiken sind um einen vermutlich für diese Transporte verwendeten Güterwagen angeordnet. Neben Theresienstadt, Auschwitz und Treblinka werden zahlreiche weitere, heute kaum noch bekannte Deportationsziele genannt, und es wird auch über das Schicksal der Berliner Juden und solchen aus der Provinz Brandenburg berichtet. Zu ihnen gehören die Brüder Gert und Hans Rosenthal. Während Hans in einer Lichtenberger Laubenkolonie untertauchen konnte, die NS-Herrschaft überlebte und ein beliebter Entertainer im Rundfunk und Fernsehen wurde, haben die Nazis seinen jüngeren Bruder nach Riga verschleppt und dort erschossen. Dokumentiert werden als Beispiel für viele ähnliche Schicksale in der Ausstellung auch die Mordtransporte nach Sobibór mit Kindern aus der "Israelischen Erziehungsanstalt für geistig zurückgebliebene Kinder" in Beelitz.

Goebbels wollte Berlin "judenfrei" machen

Im ehemaligen Güterbahnhof Moabit wird an die Deportation der Berliner Juden und anderen Verfolgten während der NS-Zeit erinnert. Die Gestaltung des im Juni 2017 eingeweihten Gedenk- und Lernorts wurde mit 180 000 Euro von der Stiftung Deutsche Klassenlotterie gefördert. Mit der neuen Gedenkstätte ist die Topographie des Naziterror in Berlin um eine weitere Station des Grauens ergänzt worden. Das Berliner Künstlerkollektiv Raumlabor hatte die lange vergessene, in einem Gewerbegebiet nahe des S-Bahnhofs Westhafen gelegene Anlage gestaltet. An einem Stück Gleis, das dort eher zufällig erhalten blieb, wurden 24 Kiefern mit weiß gestrichenen Stämmen gepflanzt. Zwei Tafeln aus braun patiniertem Cortenstahl an den Eingängen Quitzowstraße und Ellen-Epstein-Straße informieren über die Deportation der von den Nazis als Volksfeinde und Rasseschänder verunglimpften Menschen. Zielorte der so genannten Osttransporte waren Auschwitz, Lodz, Riga, Minsk, Theresienstadt und der Distrikt Lublin. Die Menschen mussten 1942 und danach von der in ein Sammellager umgewandelten Synagoge an der Levetzowstraße zwei Kilometer durch ein dicht bebautes Wohnviertel bis zur Quitzowstraße laufen. Von dort aus war es nicht mehr weit bis zu den Gleisen auf dem Güterbahnhof Moabit. Auf den Tafeln wird in deutscher und englischer Sprache festgestellt "Das alles geschah unter aktiver Beteiligung von Behörden und Unternehmen und unter den Augen der Anwohnerinnen und Anwohner."

Durch die vom Berliner Gauleiter, Propagandaminister Joseph Goebbels, forcierte Terrormaßnahme sollte die Reichshauptstadt "judenfrei" gemacht werden. Dass der Plan im Rahmen der "Endlösung der Judenfrage" in seiner ganzen Brutalität nicht ganz verwirklicht wurde, hat mit der Hilfe zu tun, die den vom Tod bedrohten Menschen zuteil wurde. So konnten einige hundert Jüdinnen und Juden sowie deren Kinder untertauchen und die Befreiung im Mai 1945 erleben. Dem Todesmut der stillen Helfer setzt eine Ausstellung neben der Blindenwerkstatt Otto Weidt in der Rosenthaler Straße 39 in der Nähe des S-Bahnhofs Hackescher Markt ein ergreifendes Denkmal.

Auf der Putlitzbrücke über den Gleisen des Bahnhofs Putlitzstraße in der Nähe des Westhafens, von dem aus Berliner Juden in die Konzentrations- und Vernichtungslager fahren mussten, wurde 1987 ein Mahnmal aus poliertem Stahl eingeweiht, das der im uckermärkischen Brüssow tätige Bildhauer Volkmar Haase als zweifacher Grabstein gestaltet hat. Auf dem einen ist der Davidstern mit einer Inschrift darunter dargestellt, der andere erhebt sich in den Himmel und endet, leicht abgeknickt, in einer Treppe, die ins Nichts führt. Die Inschrift beschreibt die Situation derer, die von dem Deportationsbahnhof in den sicheren Tod geschickt wurden: "Stufen, die keine sind. Eine Treppe, die keine Treppe mehr ist. Abgebrochen. Symbol des Weges, der kein Weg mehr war. Für die, die über Rampen, Gleise, Stufen und Treppen diesen letzten Weg gehen mussten. Vom Bahnhof Putlitzbrücke wurden in den Jahren 1941-1944 zehntausende jüdischer Mitbürger in Vernichtungslager deportiert und ermordet."

17. August 2020 Zurück zur Themenübersicht "Ausstellungen, Museen, Denkmalpflege"