Wie die alten Germanen lebten und kämpften
Archäologische Sonderausstellung zeigt bis März 2021 in der Berliner James-Simon-Galerie sensationelle Fundstücke



Die Germanenausstellung mit einem Bündel roter Haare als Logo ist in der James-Simon-Galerie bis zum 31. März 2022 täglich außer Montag von 10 bis 18 Uhr, am Donnerstag bis 20 Uhr geöffnet. Zur Ausstellung erschien ein Katalog im Verlag wbg Theiss, Darmstadt, Hardcover, 640 Seiten, ca. 300 farbige Abbildungen (ISBN: 978-3-8062-4261-4).



In den abgedunkelten Räumen des Erdgeschosses kann man hochkarätige Luxusgegenstände aus Silber und Glas ebenso betrachten wie Tonwaren, Keramiken, Waffen, Werkzeuge und sogar Fundstücke aus Holz und Leder, die bei Ausgrabungen ans Tageslicht kamen und von Leihgebern verschiedener Länder zur Verfügung gestellt wurden.



Bestattet wurde im Fürstengrab von Gommern aus der Mitte des 3. nachchristlichen Jahrhunderts ein etwa 25 bis 30-jähriger Mann. Die reichen Beigaben aus Gold, Silber, Bronze, Glas und Holz lassen auf eine ranghohe, "fürstliche" Persönlichkeit schließen. Den hohen Stand der Metallgewinnung und -verarbeitung demonstrieren diese in Gräbern und an anderen Orten gefundene Schmuck- und Gebrauchsgegenstände.





Viele Fundstücke sind künstlerisch gestaltete und technisch perfekt gemachte gefertigte Eigenproduktionen germanischer Stämme, andere kamen durch den Fernhandel oder Raub in ihren Besitz. Objekte aus Bernstein waren sehr begehrt und gelangten von der Ostseeregion bis in den Vorderen Orient.



Römische Goldmünzen waren bei den alten Germanen als Schmuckstücke beliebt. Sie haben die gelochten Kostbarkeiten an Schnüren am Hals getragen oder an der Kleidung aufgenäht.



Die Versklavung von Gefangenen durch Römer und Germanen, hier dargestellt auf einem Relief, gehört zu den traurigen Kapiteln in den Beziehungen antiker Völker.



Ein durch Kriegseinwirkung beschädigtes Wandrelief im Neuen Museum schildert das Wüten von "Vandalen" sowie an einer anderen Stelle wie man sich im 19. Jahrhundert den germanischen Götterhimmel vorstellte.



Im Roten Saal des Neuen Museums wird im Stil einer Schausammlung der 1880er Jahre geschildert, wie man damals die Vor- und Frühgeschichte sah und interpretiert hat. In den historischen Schaukästen sind ausgewählte Exponate aus dem Besitz von Heinrich Schliemann, Rudolf Virchow und anderen Forschern zu sehen. (Fotos: Caspar)

Das Museum für Vor- und Frühgeschichte zeigt in der James-Simon-Galerie auf der Berliner Museumsinsel gemeinsam mit dem Rheinischen Landesmuseum Bonn bis 21. März 2021 die Sonderausstellung "Germanen. Eine archäologische Bestandsaufnahme". Während im benachbarten Neuen Museum anhand hochkarätiger Hinterlassenschaften aus uralten Zeiten die wechselhafte Geschichte der Germanenforschung und -rezeption präsentiert wird, sind im Untergeschoss der James-Simon-Galerie über 700 Neufunde und hochrangige Leihgaben aus Deutschland, Dänemark, Polen und Rumänien als Dokumente aus dem Leben jener Gemeinschaften, die zwischen dem 1. Jahrhundert vor und dem 4. Jahrhundert nach Christus die Gebiete rechts des Rheins und nördlich der Donau besiedelt haben.

Für diese Völkerschaften hatte der Feldherr Julius Caesar den Sammelbegriff "Germanen" geprägt. In seinem Buch "De bello gallico" beschrieb er sie unter anderem so: "Man findet bei ihnen keine Priester wie die Druiden und auch keinen besonderen Hang zum Opferdienst. Als Götter verehren sie nur Sonne, Vulkan [das Feuer, H. C.] und Mond, die sie sehen und deren offenbaren Einfluss sie wahrnehmen. Die übrigen Götter kennen sie auch nicht dem Namen nach. Ihr ganzes Leben bewegt sich zwischen Jagd und Kriegsbeschäftigung; von Jugend auf gewöhnen sie sich an Mühe und Abhärtung. Lange unverheiratet zu bleiben bringt bei ihnen großes Lob; denn dadurch, glauben sie, werde Körpergröße, werde die Kraft gemehrt und die Nerven gestärkt. Dagegen gilt es für höchst schimpflich, vor dem 20. Lebensjahr eine Frau erkannt zu haben. Und doch machen sie aus der Verschiedenheit der Geschlechter kein Geheimnis; denn beide Geschlechter baden sich gemeinschaftlich und tragen einen großen Teil ihres Körpers bloß, da ihre Bedeckung nur aus Fellen und kleinen Pelzen besteht. Mit dem Ackerbau beschäftigen sie sich nicht eifrig; der größere Teil ihrer Nahrung besteht aus Milch, Käse und Fleisch. Auch besitzt niemand bei Ihnen ein bestimmt abgemessenes Feld oder ein eigenes Gebiet. Nur ganze Stämme, Geschlechter und Verbände bekommen alljährlich von ihren Obrigkeiten und Häuptlingen, so viel und wo diese es für gut finden, Feld angewiesen, müssen aber im folgenden Jahr anderswohin ziehen."

Caesars römischer Blick auf die "Barbaren"

Caesars römischer Blick auf die "Barbaren, die angeblich an eiskalten Orten keine Kleidung sondern tragen sondern sich nur mit Fellen bedecken, bestimmte über Jahrhunderts das Bild der Germanen als wildes, kriegerisches Volk. Im 19. Jahrhundert wurden die Germanen zu Vorfahren der Deutschen " ernannt", und ihrem großen Anführer, dem Cheruskerfürsten Hermann, hat man in der Nähe von Detmold ein riesiges Nationaldenkmal erichtet. Verstärkt wird heutzutage ihre Wahrnehmung als listige und erfolgreiche Kämpfer gegen das übermächtige Rom durch die bunten Asterix- und Mosaikhefte und andere Comics aus unseren Tagen. Bei aller fachlichen Kritik haben diese Blätter sowie Filme aller Art und Romane den Vorteil, dass sie breiten Schichten das Leben bei den Galliern, Germanen und den Römern vermitteln. Wie Caesars Buch über den gallischen Krieg entfaltete die "Germania" des berühmten Redners und Geschichtsschreibers Tacitus eine erhebliche Breiten- und Nachwirkung. Dass dort vieles nicht stimmt sowie märchenhaft über- und untertrieben ist, weiß man. Wer es genauer wissen möchte, muss Fachleute anhören und ihre Bücher lesen oder auch in die neue Germanenausstellung gehen.

Forschungen zu Germanen waren und sind wesentlich durch das Spannungsfeld zwischen römischem Reich und der Germania geprägt, wobei die römische Perspektive häufig im Vordergrund stand und steht. Die Ausstellung belegt, was zur germanischen Welt gehört und zeigt, dass sie kein "statischer Raum" war, wie es dort heißt. "Im Laufe der vier Jahrhunderte kommt es innerhalb der Germania zu vielfältigen Veränderungen. Unterschiedliche Einflüsse von der spätkeltischen Kultur, aus dem römischen Reich bis zur griechisch-hellenistisch geprägten Welt am Schwarzen Meer prägen diesen Raum", liest man auf einer Texttafel. Der Archäologie gäben Gräber als Spiegel des Lebens Auskunft über Veränderungen und Einflüsse von außen, aber auch über Kontinuitäten und Gemeinsamkeiten.

Einfache Gebrauchsgegenstände und spektakuläre Fundstücke

Die Ausstellung stellt das germanische Siedlungsgebiet in den Mittelpunkt, behandelt Roms Verhältnis zu den germanischen Gesellschaften. Deutlich wird, welche Fertigkeiten und Überlebensstrategien die Germanen hatten, wie sie sich ernährten, Handel in ferne Länder trieben und was dabei hin und her getauscht wurde, wie sie ihre Toten bestatteten und welche Gebiete sie oft mit Waffengewalt besiedelt haben und warum sie diese nach langer Zeit wieder verließen. Gezeigt werden spektakuläre Fundstücke ebenso wie einfache Gebrauchsgegenstände als Hinterlassenschaften einer agrarisch ausgerichteten Gesellschaft mit einer überregional vernetzten Oberschicht, die uns vor allem in üppig mit Edelmetall und römischen Importen ausgestatteten Gräbern begegnet.

Die Ausstellung zeigt, dass die Germanen das Schmiede- und Gusshandwerk meisterhaft beherrschten, denn sie schufen Schmuck- und Gebrauchsgegenstände von großer Kunstfertigkeit und Schönheit. So kann man am Ende der Ausstellung einen reich verzierte Schildbuckel aus dem berühmten Fürstengrab von Gommern (Landkreis Jerichower Land) betrachten, der aus einem massiven römischen Silbergefäß gewonnen und mit silbervergoldeten Pressblechen, Vergoldungen und Glaseinlagen verziert wurde. Das Prunkstück wurde 1990 von ehrenamtlichen Bodendenkmalpflegern entdeckt. Bei der sich anschließenden Ausgrabung wurde eine hölzerne Grabkammer von zwei mal drei Metern freigelegt und im Block geborgen. In zehnjähriger Laborarbeit folgten die Aufarbeitung des Fundes und die Restaurierung der Beigaben.

Alles wurde gebraucht und verarbeitet

Zum Thema Lebensweise, Land- und Viehwirtschaft sowie Ernährung erfahren die Besucherinnen und Besucher, dass die Menschen damals nahezu alles selber herstellten, was sie an Nahrung, Kleidung, Werkzeugen und Unterkünften benötigten, ausgenommen Salz und "Produkte von spezialisierten Handwerkern", wie es ein wenig kryptisch auf einer Texttafel heißt, die aus entfernten Gegenden bezogen werden mussten. "Alles Verwendbare wurde genutzt. Das Vieh lieferte nicht nur Nahrung, sondern auch Knochen, Sehnen und Felle, die zu Geräten für Landwirtschaft, Keramikherstellung, Holzbearbeitung und Kleidung weiterverarbeitet wurden." Was aus Tierknochen gearbeitet wurde, zeigen Kämme und Pfriemen, und was talentierte Metallhandwerker an Guss- und Treibarbeiten zustande brachten, kann man überall in der Ausstellung betrachten. Erstaunlich ist auch, wie gut organisches Material wie Holz und Leder alle Zeiten dank günstiger Lagerung überstanden hat und was Restauratorenkunst bei ihrer Konservierung vermochte.

Dass es bei den Kriegs- und Eroberungszügen der Germanen alles andere als menschenfreundlich zuging, verhehlt die Ausstellung nicht. Die gegen sie geführten Kriege der Römer sind uns allerdings nur aus deren Sicht bekannt, alles andere muss aus Bodenfunden erschlossen werden. Gefangene wurden als Sklaven abgeführt und verkauft, das taten alle Kriegsparteien. Der schon zitierte Tacitus beschreibt in seinen "Annales I, 60-62" ein Schlachtfeld voller Leichen so: "Mitten in dem freien Feld lagen die bleichenden Gebeine zerstreut oder in Haufen, je nachdem die Leute geflohen waren oder Widerstand geleistet hatten. Dabei lagen Bruchstücke von Waffen und Pferdegerippe, zugleich fanden sich angenagelte Köpfe. In den benachbarten Hainen standen die Altäre der Barbaren, an denen die Tribunen und die Centurionen [Hundertschaftsführer, H. C.] der ersten Rangstufe geschlachtet hatten." So mag es nach der Schlacht im Teutoburger Wald anno 9 nach Christus bei Kalkriese gewesen sein, die in der Ausstellung eine Rolle spielt, so aber sah es auch später auf vielen anderen Schlachtfeldern aus. Ihre gezielte Untersuchung bildet als Schlachtfeldarchäologie ein vergleichsweise junges Forschungsthema der Vor- und Frühgeschichte und späterer Epochen.

Mythos, Ideologie und Wissenschaft

Die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen germanischen Stammesverbänden untereinander und gegen die Römer und andere auswärtige Feinde haben bedeutende Spuren hinterlassen. Umfangreiche Kriegsbeuteopfer, die in Norddeutschland und Skandinavien in Mooren versenkt wurden, vermitteln einen Eindruck von der Größe germanischer Heere, ihrer Ausrüstung und Organisation nach römischem Vorbild. Einer der wertvollsten Funde aus dem Thorsberger Moor nahe Schleswig ist ein Zierblech aus vergoldetem Silber- und Bronzeblech mit plastisch herausgearbeitetem Tierfries und eng aneinandergereihten Menschenköpfen, das den Göttern als Dank für den Sieg im Kampf dargeboten wurde. Dass den Germanen die Schrift nicht ganz fremd war, zeigen in Knochen und Metall geritzte Schriftbelege. Die älteste germanische Inschrift aus dem aus dem ersten Jahrhundert nach Christus auf der Fibel von Meldorf in Gestalt der von rechts nach links notierten lateinische Buchstaben IDIN (Ida) und von links nach rechts in Runenschrift als HIWI (der Häuslichen). Hier ist das Runenalphabet mit dem Lateinischen verbunden.

Wer nach dem Besuch der James-Simon-Galerie hinüber ins Neue Museum geht, lernt den zweiten Teil der Ausstellung mit dem Titel "Germanen. 200 Jahre Mythos, Ideologie und Wissenschaft" im Vaterländischen Saal kennen. Ein märchenhaft ausgeschmücktes Wandgemälde von Gustav Heidenreich zeigt Wassernixen an einem Seeufer lagernd, dazu kann man einen Drachen im Greifengestalt mit Adlerkopf, Adlerschwingen und Löwenkörper erkennen. Fauchend und mit ausgebreiteten Flügeln wacht er über einen Schatz aus Helm, Schild, Schwert, Krone, Ringen und Münzen. Es gibt auch Riesen, die mit einem Drachen kämpfen und versuchen, ihm Felsbrocken in das aufgerissene Maul zu werfen. Erhalten blieb überdies ein Wandfries aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, der der breiten Öffentlichkeit eine bildliche Vorstellung vom nordischen Götterhimmel vermittelt, wie sie in mittelalterlichen Schriften geschildert wird.

Mit Blick auf 200 Jahren Germanenforschung wird gezeigt, wie sich die Berliner Museen nach dem jeweils aktuellen Forschungsstand zur Herkunft, Ausbreitung und Datierung der Germanen positioniert und mit wandelnden Museumskonzeptionen reagiert haben. Im frühen 19. Jahrhundert bestimmten noch Erwähnungen der Germanen in antiken Texten deren Identität, am Ende des Jahrhundert hat man den antiken Volksbegriff "Germanen" mit archäologischen Kulturen in Verbindung gebracht. Im frühen 20. Jahrhundert gab es einen Gelehrtenstreit darüber, ob archäologische Kulturen der Bronzezeit oder Jungsteinzeit bereits als "germanisch" anzusehen sind. Bei allen Diskussionen darüber muss auch bedacht werden, dass sich manche Wissenschaftler mit ihren Thesen in eine verhängnisvolle Nähe zur nationalsozialistischen Rassenideologie. "Germanenforschung" stand vor allem bei Heinrich Himmler, dem Chef der SS und Gestapo, ganz oben. Die bedeutete für das Thema nach dem Ende der Nazidiktatur eine schlimme Hypothek, die in beiden deutschen Staaten erst nach und nach durch neue Forschungen und Sichtweisen überwunden werden konnte.

Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird nicht mehr vordergründig von Germanen, sondern von Trägern verschiedener archäologischer Kulturen der Vorrömischen Eisenzeit (ca. 600 v. Chr. bis zur Zeitenwende) oder der nachfolgenden Römischen Kaiserzeit (370/80 n. Chr.) gesprochen. Wie auf einer Reise durch die Zeit fühlt sich der Besucher, wenn er, nach dem Roten Saal in das nächste Raumthema "Archäologie in Berlin" gelangt. In sparsam beleuchteter Umgebung wird in einer eleganten schwarzen Würfelvitrine eine Komposition aus verschiedenen Ausgrabungsfunden aus Berlin gezeigt. Mittels zweier PowerPoint-Präsentationen sind die Exponate im Detail zu sehen und werden zeitgeschichtlich in die Stadt eingeordnet.

7. Oktober 2020

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