Eines der bekanntesten Werke der Musikgeschichte ist Ludwig van Beethovens 9. Sinfonie mit Schillers "Ode an die Freude" im Finale. Die Originalpartitur befindet sich bis auf wenige Seiten im Besitz der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Unter den Linden in Berlin. Den Notenblättern wurde 2001 eine besondere Auszeichnung zuteil, als die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur UNESCO sie in das Register "Memory of the World" als besonders wertvolles Zeugnis der Geisteswelt der Menschheit auf. Die vom Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg und seinen Nachfolgern mit bedeutenden Summen und Schenkungen geförderte Bibliothek sieht darin eine Würdigung ihrer jahrhundertelangen Sammeltätigkeit, zugleich aber auch als Verpflichtung, die ihr anvertrauten Kulturgüter auf Dauer zu bewahren und zu erhalten.
Die Partitur ist eines der herausragenden Schaustücke in der bis zum 30. April 2020 im Haus 1 Unter den Linden in Berlin laufenden Ausstellung ",Diesen Kuß der ganzen Welt!' - Die Beethoven-Sammlung der Staatsbibliothek zu Berlin". Mit ihr hat sich die Bücher- und Schriftensammlung anlässlich der fast abgeschlossenen Fertigstellung der vor Jahren begonnenen Generalsanierung außen und innen ein wundervolles Geschenk gemacht. Die Dokumentation, die es in dieser Qualität und Fülle noch nie gegeben hat, ist ein wichtiger Beitrag zum deutschlandweiten Programm BTHVN2020 anlässlich des 250. Geburtstages des berühmten Komponisten und Klaviervirtuosen. Sie zeigt vom Meister eigenhändig geschriebene und korrigierte, manchmal mit bissigen Kommentaren versehene Notenblätter, frühe Beethoven-Drucke und Porträts, aber auch Plakate, die seine musikalische Aktivitäten ankündigen, und nicht zuletzt seine Totenmaske, eine Brille und einen Spazierstock.
Konzert beim König von Preußen
Berlin ist als Ort einer solchen Ausstellung bestens geeignet. Nachdem sein Künstlerkollege Wolfgang Amadeus Mozart im Frühjahr 1789 auf der vergeblichen Suche nach einer festen Anstellung dem preußischen Hof in Potsdam einen Besuch abgestattet und vor König Friedrich Wilhelm II., dem Neffen und Nachfolger des 1786 verstorbenen Friedrich II., des Großen, gespielt hatte, kam Beethoven am 20. Mai 1796 mit der Postkutsche in der preußischen Haupt- und Residenzstadt Berlin an. Er wohnte auf dieser ersten und einzigen Konzertreise im Gasthof "Zur Stadt Paris" in der Brüderstraße 39, einem der besten Gasthöfe am Ort nicht weit vom königlichen Schloss entfernt. Er machte Friedrich Wilhelm II. seine Aufwartung, der ein großer Musikliebhaber und guter Cellospieler war. Er bat den Gast, vor ihm und der Hofgesellschaft sein Können unter Beweis zu stellen, so dass der Fünfundzwanzigjährige mit Mitgliedern der Hofkapelle sein 1. Klavierkonzert op. 15 aufführte. Im Juni 1796 trat er vor den Mitgliedern der Berliner Singakademie auf, denen er Kostproben seiner Improvisationskunst bot.
Das geschah in der Akademie der bildenden Künste und mechanischen Wissenschaften Unter den Linden statt, etwa auf dem Gelände, auf dem 1914 von Kaiser Wilhelm II. die Staatbibliothek eröffnet wurde, die zur Zeit Beethoven mit der erwähnten Ausstellung ehrt. Ihr Titel zitiert einen Satz aus Friedrich Schillers "Ode an die Freude", die Beethoven als Schlusssatz seiner 9. Sinfonie vertont hat und uns vielfach als Europahymne begegnet. 1823 dankte der einflussreiche Musikpädagoge und Freund Goethes, Karl Friedrich Zelter, Beethoven für seine Auftritte mit diesen Worten: "Sie haben unsere Singakademie bei Ihrem Hiersein mit Ihrer mir unvergesslichen Gegenwart gewürdigt." Mit den Hohenzollern blieb Beethoven auch in Wien verbunden, so ist in der Ausstellung zu erfahren, dass Prinz Louis Ferdinand von Preußen, ein hochmusikalisches Enfant terrible der königlichen Familie, Beethoven 1804 in Wien traf und bei einer Privataufführung der "Eroica" anwesend war. Beethoven widmete dem 1806 im Krieg gegen Frankreich tragisch ums Leben gekommenen Prinzen sein 3. Klavierkonzert und dedizierte ihm weitere Kompositionen.
Kluge und zielgerichtete Erwerbungspolitik
"Durch die kluge, zielgerichtete Erwerbungspolitik unserer Vorgänger wurde hier in Berlin zwischen 1841 und 1908 dieser unermesslich wertvolle Schatz an Beethoven-Autographen aufgebaut. 221 Musikautographe, darunter die Sinfonien Nr. 4, 5, 8 und 9, sowie vier der fünf Klavierkonzerte, des Weiteren 137 von überhaupt nur 139 überlieferten Konversationsheften Beethovens, sodann 380 Briefe - all das steht für das außerordentliche Lebenswerk Ludwig van Beethovens", sagt Barbara Schneider-Kempf, Generaldirektorin der Staatsbibliothek zu Berlin, bei der Eröffnung der Ausstellung. Der Fundus umfasst 19.300 von Beethoven mit Kompositionen und Skizzen beschriebene Seiten, ferner etwa 10.000 Seiten handschriftliche Konversationen sowie Briefe und andere Dokumente, ergänzt durch 965 Erst- und Frühdrucke Beethovenscher Werke.
Die Ausstellung kann mit 135 Exponaten nur einen Bruchteil des Bestandes zeigen. Ausgestellt sind die Partituren seiner berühmtesten Sinfonien, der 5. Sinfonie in c-Moll op. 67 und in mehreren Teilen der 9. Sinfonie in d-Moll op. 125. In diesen Autographen zeigen zahlreiche Streichungen, Anmerkungen und Ergänzungen den intensiven Schaffensprozess des Komponisten. Zu sehen ist auch die letzte seiner Klaviersonaten, Nr. 32 in c-Moll op. 111, wie auch das Klavierkonzert Nr. 5 in Es-Dur op. 73. Drei Fassungen seiner einzigen vollendeten Oper Leonore/Fidelio op. 72 verdeutlichen Beethovens über zehnjährige Beschäftigung mit diesem Werk. Das Oratorium Christus am Ölberge op. 85, das zu Beethovens wenigen geistlichen Werken gehört, ist ebenfalls zu sehen wie Proben von Volksliedern, die er für einen schottischen Verleger komponiert hat. Wer sich Zeit nimmt, kann zahlreichen Werken an Hörstationen lauschen. Die eigens für die Ausstellung geschaffene Graphic Novel "Die neue Musik" des Berliner Künstlers Mikael Ross schildert mit fantasievoll einen fiktiven Tag in der Kindheit des aus einer Musikerfamilie stammenden jungen Ludwig van Beethoven.
Gespräche mit Papier und Bleistift
In der Ausstellung präsentierten Konversationshefte zeigen, wie der nahezu ertaubte Komponist seine "Gespräche" führte. Ab dem Jahr 1818 verwendete der nach und nach taub werdende Beethoven sogenannte Konversationshefte zur Kommunikation. Er führte die Hefte bis zu seinem Tode im Jahr 1827 fort, woraus sich einzigartige Einblicke in seine letzten Lebensjahre ergeben. Beethoven nutzte die Notizen vorwiegend für Gespräche außerhalb seiner Wohnung, von denen er in Wien etliche nacheinander bezog und wieder verließ. Hielt er sich zuhause auf, benutze er eine Schiefertafel und lose Blätter für Rede und Antwort. Neben Unterhaltungen finden sich in den Heften auch Notizen über neue Bücher sowie Wohnungsannoncen und Zeitungsartikel. Fast gänzlich wurden Bleistifte für die Niederschriften verwendet, nur an wenigen Stellen finden sich Notizen mit Feder und Tinte. Sie gehen auf Anton Schindler, den Sekretär und erste Biograph des Komponisten, zurück. Er zog manche Bleistiftnotizen mit Tinte nach und schrieb stellenweise ergänzende, manchmal auch verfälschende Anmerkungen dazu.
Von angeblich 400 Konversationsheften gelangte 1846 ein Rest nach Berlin, so dass die Staatsbibliothek 137 Konversationshefte ihr eigen nennen kann. Ab 1841 gelangten nach und nach durch Ankauf oder Schenkung viele Autographe, Briefe und weiteren Dokumente in den Besitz der heutigen Staatsbibliothek zu Berlin. Sie zeigt im Eingangsbereich zwei Büsten von Amalie Poelchau und ihrem Mann Georg Poelchau, denen die Musikaliensammlung bedeutende Schenkungen verdankt. Aus dem Nachlass von Georg Poelchau kam 1841 das erste Beethoven-Autograph nach Berlin. Nach wie vor rätselhaft ist Beethovens "Brief an die Unsterbliche Geliebte". Wem er geschrieben hatte, ist bislang nicht geklärt. Bekannt ist nur, dass der Komponist adlige Damen anhimmelte, die für ihn unerreichbar waren. Die Handschrift stammt aus Beethovens Nachlass und ist mit Porträts und anderen Hinterlassenschaften in der Ausstellung zu sehen.
Gut ein Zehntel der Berliner Beethoven Autographe werden auf Grund "kriegsbedingter Verlagerung" seit Ende des Zweiten Weltkriegs in der Jagellionischen Bibliothek im polnischen Krakau aufbewahrt. Nach der deutschen Wiedervereinigung wurden die im Osten und Westen befindlichen Schriftstücke im Haus 1 der Staatsbibliothek Unter den Linden 8 zusammengeführt. Neben den kostbaren, in der Ausstellung wegen ihrer Lichtempfindlichkeit sparsam beleuchteten und dennoch gut lesbaren Autographen lagern in den klimatisierten Tresoren der Musikabteilung der Staatsbibliothek auch Originalhandschriften von Johann Sebastian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart, Felix Mendelssohn Bartholy und anderer berühmter Komponisten. Nur in Ausnahmefällen wie im Falle der neuen Beethovenschau werden die äußerst fragilen Noten aus dem Depot geholt. Forscher benötigen besondere Genehmigungen, wenn sie die originalen Handschriften im Lesesaal studieren wollen. Sonst stehen ihnen Faksimileausgaben und digitalisierte Kopien bereit.
Seit 2019 kann sämtliches Material der Beethoven-Sammlung online recherchiert und in hoher Auflösung betrachtet werden. Sowohl die wissenschaftliche Erschließung, Digitalisierung und Onlinestellung wie auch die Ausrichtung der Ausstellung "Diesen Kuss der ganzen Welt!" wurden von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Monika Grütters, und mehreren Sponsoren finanziert. Ein im Michael Imhof Verlag erschienen der von Friederike Heinze, Martina Rebmann und Nancy Tanneberger herausgegebene Begleitband mit 208 Seiten und 197 Farbabbildungen (29,50 Euro, ISBN 978-3-7319-0914-9).
Musikerofen aus Marmor im Tiergarten
Die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hat in den vergangenen Jahren den Tiergarten auf den Zustand des 19. Jahrhunderts zurückführen. Wegen seiner dreieckigen Form und des üppigen Dekors haben die Berliner das Monument auch als "Musikerofen" verspottet, weil solche üppig dekorierte Wärmespender gern in Wohnzimmerecken aufgestellt wurden. Da es sich um ein wertvolles Zeugnis kaiserzeitlicher Denkmalskunst handelt, haben sich Stein- und Metallrestauratoren seiner angenommen. Dazu gehörte auch die Wiederherstellung des 1904 enthüllten Musikerdenkmals und seines Umfeldes direkt an der ehemaligen Entlastungsstraße.
Vom Bildhauer Rudolf Siemering geschaffen, feiert die aus etwa 150 Einzelteilen zusammengesetzte Marmorskulptur drei ganz Große der europäischen Musikgeschichte: Wolfgang Amadeus Mozart, Joseph Haydn und Ludwig van Beethoven. Das von anderen Monumenten abweichende Denkmal mit den überlebensgroßen Halbfiguren in Nischen war im Zusammenhang mit dem Bau des Tiergartentunnels vorsichtshalber entfernt und deponiert worden. Dabei zeigten sich schwere Schäden, und außerdem war der Stein durch grüne Kupfersalzablagerungen verunreinigt, die von den Metallteilen stammen. Der Marmor wurde gereinigt und ergänzt, außerdem hat man alle Marmorteile durch Tränkung mit einem Acrylharz gefestigt. So kann Wasser nicht mehr in den Stein eindringen und ihn aufsprengen. Die Imprägnierung hat zudem den Effekt, dass Farbschmierereien auf der Oberfläche kaum haften bleiben. Während ganz oben vergoldete Putten einen Lorbeerkranz über dem Denkmal halten, schmücken ebenfalls mit Blattgold belegte Gehänge aus Pflanzen und Musikinstrumenten die Seitenflächen des Denkmals. Da in der Nachkriegszeit die bronzenen Schmuckdetails von Buntmetalldieben gestohlen wurden, um sie einzuschmelzen, mussten diese nach alten Vorlagen neu modelliert und in Bronze nach historischen Fotos und Vergleichsstücken in barocken Schlössern werden. Alle Metallteile bekamen einen Belag aus hauchdünnem Blattgold.
13. März 2020
Zurück zur Themenübersicht "Ausstellungen, Museen, Denkmalpflege"