Geistige Nahrung in Hülle und Fülle
Für 470 Millionen Euro wurde die Staatsbibliothek Unter den Linden 8 in Berlin von Dach bis Keller umfassend saniert und modernisiert



Mit ihrer 35 Meter hohen Kuppel erhielt erhält die vor über hundert Jahren nach Plänen von Ernst von Ihne erbaute Bibliothek ihre ursprüngliche Silhouette zurück, und Berlin hat eine Attraktion mehr. Die Grundsanierung hatte 2005 nach Plänen des Architekten HG Merz begonnen. Dabei wurde das Gebäude mit einer modernen Buchtransportanlage und neuer Klimatisierung ausgestattet.



Bibliotheksdirektorin Barbara Schneider-Kempf und Stiftungspräsident Hermann Parzinger, hier auf einem älteren Foto, freuen sich, dass Umbau, Sanierung und Restaurierung der Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz zu einem guten Ende gekommen sind.





Jetzt kann man das Gebäude wieder durch den Haupteingang betreten. Im Innenhof sprudelt im großen Wasserbecken eine Fontäne, rechts und links davon Skulpturen des Bildhauers Werner Stötzer von 1961. Dem "Lesenden Arbeiter" gegenüber steht ein Relief, das "Fragen eines lesenden Arbeiters" nach einem Gedicht von Bertolt Brecht thematisiert.



Bald schon wird man die Löwenklinke an der Tür herunterdrücken und die Staatsbibliothek betreten können. Die Sperrungen wegen der Coronapandemie werden ja irgendwann ein Ende haben.





Die farbige Ausmalung der 42zeiligen Gutenbergbibel entstand möglicherweise in Leipzig in der sogenannten Pfauenwerkstatt. Für den Transport des Kurfürstenatlas werden sechs Personen benötigt.



Die Berliner Staatsbibliothek besitzt neben einer weltweit berühmten Sammlung von Büchern, Nachlässen, Manuskripten, Musikalien und Grafiken auch wertvolle Globen und Karten. Sie erzählen davon, was unsere Vorfahren zu bestimmten Zeiten von der Welt, ihren Meeren und Kontinenten wussten.



In dicke Bücher vertiefte Gelehrte schmücken die Außenfassade und signalisieren, welcher Geist hier weht.



Das aus bedruckten Aluminiumplatten bestehende Knäuel ist ein ungewöhnlicher Blickfang im neuen Lesesaal der Staatsbibliothek, zu dem man über einen Hof mit Brunnen gelangt. Der reiche Fassadenbewuchs wurde etwas zurückgenommen und ist im Winter ohne Blätter. (Fotos: Caspar)

Nach 15jähriger, eigentlich aber noch längerer Planungs- und Umbauzeit für 470 Millionen Euro ist die Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Unter den Linden 8 am 25. Januar 2021 mit einem coronabedingt kleinen Festakt eröffnet. Die 620 in sieben Lesesälen eingerichteten Arbeitsplätze müssen bis auf Weiteres coronabedingt leer bleiben. Die Bibliothek kann vorerst nur digital über die Internetseite der Staatsbibliothek staatsbibliothek-berlin.de erkundet werden. Ab 8. Februar ist ein eingeschränkter Ausleihbetrieb möglich. "Ich freue mich, dass dieses Jahrhundertbauwerk frisch saniert in neuem Glanz und gleichzeitig alter Pracht erstrahlt", sagte Monika Grütters anlässlich der Eröffnungsfeier. Generaldirektorin Barbara Schneider-Kempf stellte bei der digitalen Veranstaltung fest, das 1914, kurz vordem Ersten Weltkrieg, von Kaiser Wilhelm II. eröffnete, nach Plänen seines Hofarchitekten Ernst von Ihne eröffnete Haus habe als größtes Kapital immer das Vertrauen gehabt, das man ihm entgegengebracht hat - den Glauben an seine ungebrochene Zukunft. Endlich gehöre die Staatsbibliothek mit ihrem Haus 1 wieder ganz den Wissens- und Erkenntnishungrigen, die hier geistige Nahrung in Hülle und Fülle finden.

Paradies mit Adresse Unter den Linden 8

Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, lobte die Mühen um den im Zweiten Weltkrieg teilweise zerstörten und danach notdürftig reparierten Bau, bei der Grundsanierung der Dächer, Innenräume und der Fassade sei die klassizistische Ästhetik der Kaiserzeit bewahrt worden. Die Staatsbibliothek sei historisch und hochmodern zugleich, sagte er und kündigte an, dass sie im Laufe des Jahres noch ein Bibliotheksmuseum bekommen soll. Seit Jahren ist davon die Rede, nun ist nach Abschluss der Bauarbeiten der Weg frei, auch dieses ehrgeizige Vorhaben zu verwirklichen. "Der argentinische Schriftsteller Jorge Luis Borges würde sich hier wohl fühlen", sagte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble bei seiner Festrede. Der Schriftsteller habe einmal bekannt, er stelle sich das Paradies als Bibliothek vor. "Ab heute hat das Paradies wieder eine Berliner Adresse: Unter den Linden 8."

Wer dieser Tage auf der Straße Unter den Linden flaniert und zur Staatsbibliothek hinauf schaut, sieht nicht nur die gereinigte Fassade mit ihrem reichen Skulpturenschmuck, sondern auch die wiederhergestellte Kuppel über dem Hauteingang. Sie war ein Kriegsverlust, und Jahrzehnte ohne diese 35 Meter hohe Bekrönung auskommen und auch auf das ursprüngliche Dach verzichten, denn nach 1945 gab es an der Stelle nur ein Flachdach, das man von der Straße aus nicht zu erkennen war. Die neue Kuppel, deren Wiedergewinnung bei den Eröffnungsfeierlichkeiten besonders hervorgehoben wurde, überwölbt ein Magazin für Drucke und Schriften aus dem Altbestand der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek. Seine Einrichtung erleichtert und beschleunigt die innerbetriebliche Kommunikation und die Ströme der Bücher und Schriften von den Magazinen zu den Nutzern in den Lesesälen. In DDR-Zeiten konnten in dem weitläufigen, zum Teil noch zerstörten Komplex nur die dringendsten Raum- und Magazinprobleme gelöst werden.

Bibliophile Kostbarkeiten im Tresor

Zu den Umbaumaßnahmen nach der Wiedervereinigung 1990 gehörten der nach Plänen des Architekturbüros HG Merz als Sieger eines internationalen Architekturwettbewerbs durchgeführte Bau des Allgemeinen Lesesaals sowie eines weiteren Lesesaals für besonders wertvolle Bücher, Drucke, Handschriften und weitere bibliophile Kostbarkeiten. Außerdem erhielt die Staatsbibliothek moderne Tresormagazine, in dem besonders kostbare Objekte wie eine 42zeilige Gutenbergbibel aus der von 1454 bis 1455 aufbewahrt werden. Das reich geschmückte Pergamentexemplar ist erstmals 1668 in Berlin nachweisbar und entstammt altem kurbrandenburgischem Besitz. Ein anderes Schaustück ist der riesige Atlas des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg mit 35 Wandkarten und 18 Seekarten nach dem Kenntnisstand des 17. Jahrhunderts. Der Altas wiegt 125 kg und misst aufgeschlagen 2,20 x 1,70 Meter, ist also beinahe mannshoch. Für den Transport sind sechs Personen nötig, zum Umblättern bis zu vier.

Der Atlas wurde Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg von Fürst Johann Moritz von Nassau-Siegen zum Geschenk gemacht. Die Wandkarten aus dem Goldenen Zeitalter der niederländischen Kartographie zierten zu dieser Zeit die Wände von Rathäusern, Schlössern, Wohnungen oder Kontoren. Sie dienten hauptsächlich repräsentativen Zwecken und wurden deshalb reich verziert, graphisch ausgeschmückt und prächtig koloriert. Johann Moritz ließ den Atlas mit seinem Wappen schmücken, unterlegt durch das achtspitzige Johanniterkreuz. Der dänische Elefantenorden wies auf seine Mitgliedschaft in einem uralten Ritterorden hin. Auf diese, ihm vom dänischen König verliehene Auszeichnung, war er ebenso stolz wie auf das Amt des Herrenmeisters des Johanniterordens.

Fesselnder Blickpunkt am Ort des Forschens und Lernens

"Noch Fragen?" ist der Titel einer Installation, die Olaf Metzel für den Allgemeinen Lesesaal der Staatsbibliothek zu Berlin Unter den Linden 8 geschaffen hat. Der Bildhauer und Objektkünstler erhielt für das ungewöhnliche Werk den "mfi Preis Kunst am Bau" der Firma management für immobilien AG (Essen). Barbara Schneider-Kempf, die Generaldirektorin der Staatsbibliothek zu Berlin, findet, er habe die Bibliothek und Berlin mit einem außergewöhnlichen Werk beschenkt. "Es bietet den Lesern und Besuchern dieses erstklassigen Ortes des Lernens und Forschens einen fesselnden Blickpunkt, der die strenge Ordnung des Lesesaals durchbricht." Viele Betrachter des Kunstwerks könnten sich lange nicht davon lösen und nutzten die oberste Galerie des Lesesaals, um es näher zu erkunden. Bibliotheksmitarbeiter, Architekt und der Künstler seien sich einig, dass sich die im Lesesaal auf- und ausgestellten Werke gegenseitig bereichern.

Olaf Metzel hatte Aluminiumplatten beidseitig mit 120 Texten aus Zeitungen und Büchern sowie Ansichten von Einbänden und Comics bedrucken lassen. Hinzu kamen ein Kreuzworträtsel sowie Fotos von historischen Lampen und anderen Gegenständen, die alle exemplarisch für das Zeitalter des Gedruckten stehen. Die Platten wurden zu einem Knäuel von 4,50 mal 7,30 mal 5,20 Metern verformt und unter der Decke des von HG Merz als Glaskubus ausgeführten Lesesaals gehängt. Text und Bilder sind in dem Buch "Der neue Lesesaal der Staatsbibliothek zu Berlin" veröffentlicht (Nicolai Verlag Berlin, 19,90 Euro, ISBN 978-3-89479-778-2).

27. Januar 2021

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